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Elftes Kapitel.

Während Magnus das Bureau betrat, kam dem Gouverneur der Gedanke, er möchte wegen Geld und um Unterstützung für das Pachtgut zu erbitten gekommen sein, und so sagte er sofort:

»Wenn du um finanzielle Hilfe für Vieh und Saaten, und was sonst noch alles, gekommen bist, Magnus, sollte ich dich lieber sofort damit bekannt machen, daß ich dir nichts geben kann. Ich habe schon so viel wie ich überhaupt berechtigt bin – mehr vielleicht als ich von dem Erbteil eines meiner Söhne, wenn ich dem andern gerecht werden will, hätte ausgeben sollen, – an das Gut gewandt – und wenn es also Geld ist – bares Geld –«

»Dich um Geld zu bitten, komme ich nicht,« sagte Magnus, »wohl aber, um über Geld zu sprechen,« fügte er hinzu, und dann setzte er sich auf einen Schemel und drehte seinen Filzhut zwischen den Knieen herum, während der Gouverneur sich in seinem Pultstuhl zurücklehnte und mit seiner Feder spielte.

»Ich wollte dich fragen,« sagte Magnus, »ob du vor ungefähr sechs Monaten einen Wechsel für hunderttausend Kronen auf die dänische Bank gezogen hast?«

Der Gouverneur stieß ein verächtliches Grunzen aus und sagte: »Sicher nicht; ich habe nie in meinem Leben einen Wechsel gezogen und werde es auch nie tun. Weshalb die Frage?«

»Weil diesen Augenblick ein Wechsel zu dem Betrage sich in der Stadt befindet,« sagte Magnus.

»Dann ist es eine Fälschung – eine unverschämte Fälschung, und der Fälscher muß aufgefunden und unverzüglich bestraft werden.«

Der Gouverneur war von seinem Stuhl aufgestanden und Magnus' gesenktes Haupt bemerkend, durchfuhr ihn ein plötzlicher Gedanke.

»Aber bist du dessen, was du sagst, ganz sicher? Ist diese Geschichte wahr?« fragte er.

»Ich selbst habe das Papier gesehen,« erwiderte Magnus.

»Und es ist in meinem Namen unterschrieben?«

»In deinem Namen unterschrieben, Vater, und im Namen des Faktors beglaubigt.«

»Das noch dazu?« sagte der Gouverneur, indem ein schmerzliches Lächeln über sein Gesicht huschte.

»Und darf ich fragen, zu wessen Gunsten dies merkwürdige Dokument ausgestellt ist?«

Magnus antwortete nicht sofort – er fuhr fort, seinen Hut zwischen den Knieen zu drehen.

»Das mag uns behilflich sein, den Beweggrund und damit auch den Fälscher zu finden – wer ist es?«

»Oskar Stephenson,« sagte Magnus.

»Oskar? Dein Bruder?«

»Ja, Vater – und das Geld ist ihm in Paris ausgezahlt worden.«

»Was?« rief der Gouverneur, durch das Zimmer auf Magnus zuschreitend. »Du willst gesagt haben, daß Oskar – daß dein Bruder Oskar – eine Fälschung begangen hat? O, darauf bist du aus – leugne es nicht – du behauptest, daß mein Sohn ein Fälscher ist?«

Magnus antwortete nicht, und nach einer Pause brach das schmerzliche Lächeln auf den Lippen des Gouverneurs in ein noch schmerzlicheres Lachen aus. »Aber weshalb schenke ich einer solchen erbärmlichen Erfindung überhaupt nur Ohr? Ich durchschaue die Geschichte, Magnus – scharfes Trinken gibt eine scharfe Zunge – du hast getrunken.«

»Ich habe getrunken, Vater – ich war krank und konnte mir nicht helfen – jetzt aber bin ich nüchtern und was ich sage, ist die Wahrheit – die heilige Wahrheit.«

Dies sagend erhob sich Magnus, und Vater und Sohn – der in seine Uniform gekleidete, kleine Gouverneur mit erhitzten Wangen und hoch erhobener Brust und der düsterblickende, ungeschickte, ungepflegte große Magnus mit seinem von Schmerzenslinien durchzogenen Gesicht – standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

»Und dies Dokument, willst du mir einreden, befindet sich augenblicklich in Island?«

»Ja, Vater – zwei Gerichtsbeamte brachten es von Kopenhagen herüber.«

»Gerichtsbeamte, sagst du?«

»Ja, die Bank beargwöhnte die Unterschriften und schickte Leute herüber, um sich von ihrer Echtheit zu überzeugen.«

»Du hast zweifelsohne persönlich mit diesen Menschen gesprochen?«

»Der Kreisrichter brachte sie zu mir,« sagte Magnus.

»Der Kreisrichter noch dazu! Der Kreisrichter vor allen andern Menschen!«

»Er wird morgen vormittag die beiden Männer zu dir bringen.«

»Er wird sie also morgen vormittag hierher bringen?«

Erhitzt und zornig wie der Gouverneur war, lachte er doch hell auf und sagte spöttisch:

»Natürlich hieltest du es im Interesse der Familie für geboten, die dir gezeigten Unterschriften zu prüfen?«

»Das tat ich,« sagte Magnus einfach.

»Und hast, ohne mich zu fragen, deinen Verdacht über den Fälscher kund getan?«

Magnus antwortete nicht.

»Und nur anzudeuten – nur anzudeuten – daß du sie vielleicht auf die Spur des Täters bringen könntest?«

Magnus antwortete noch immer nicht, und seinen spöttischen Ton fallend lassend, brach der Gouverneur in erstickenden Zorn aus.

»Pfui über dich, Mensch! Pfui über dich! Ich glaubte, du seiest betrunken oder littest an Wahnvorspiegelungen des Trunkes, aber es ist noch schlimmer mit dir bestellt, der Haß ist es, der in dir überläuft – und dazu ein unnatürlicher Haß – ein Haß gegen dein eigenes Fleisch und Blut.«

Magnus fuhr, wie von einem Peitschenhieb getroffen, zusammen.

»Du bist eifersüchtig auf deinen Bruder – bist es immer gewesen und wirst es immer bleiben – weil er klug und liebenswürdig ist und vorankommt im Leben, und weil jedermann ihn gern hat – du bist eifersüchtig auf deinen Bruder, wie es Kain auf Abel war und dies ist die Art und Weise, wie du ihn zu vernichten gedenkst.«

Magnus stand, während des Gouverneurs Peitschenhiebe auf ihn niederfielen, gesenkten Hauptes da.

»Schämst du dich nicht, vor deinen Vater hinzutreten und den ganzen teuflischen Plan deiner unnatürlichen Leidenschaften vor ihm zu entfalten? Du unterstehst dich, mit meinen Feinden, mit Oskars, mit deinen eignen – wenn du Verstand genug hättest, es zu begreifen – gemeinsame Sache zu machen, wenn sie versuchen, ihn von der Höhe seines Erfolges herabzustürzen.«

Der Gouverneur lief im Zimmer auf und ab und redete sich in immer größere Wut hinein.

»Und dazu während einer Zeit des tiefsten Kummers. Gerade wenn der arme Junge durch den Verlust seiner Frau – des lieben Mädchens, dem sein Herz gehörte, und das du beschimpftest – gebrochen ist. Ich glaube jedoch kein einziges Wort von dieser Mordgeschichte. Jenes verfluchte Dokument ist nichts anderes als ein Kniff, meinen Sohn zu entehren und mich gerade um die Zeit zu verdächtigen, wo eine Bande Taugenichtse – Weltverbesserer, wie sie sich nennen – ihr Bestes tut, die Gouverneurschaft aufzuheben. Laß sie es tun, wenn sie können, solange ich jedoch Gouverneur hier bin, habe ich in diesem Hause zu befehlen, und der Herr Kreisrichter wird abgesetzt und jene Männer werden sofort nach Kopenhagen zurückgeschickt werden.«

»Würde es nicht geratener sein, Vater, erst mit Oskar zu sprechen?« sagte Magnus.

»Ja, jedenfalls werde ich das, und wenn alles sich meiner Überzeugung – meiner festen Überzeugung nach – verhält und deine Geschichte ein Lügengewebe ist – dann laß mich dein Antlitz nicht wieder sehen.«

Ohne ein verteidigendes oder erklärendes Wort verließ Magnus das Zimmer, und einige Minuten darauf betrat Oskar auf den Ruf des Gouverneurs dasselbe.

Oskars Gesicht war ebenso bleich wie gestern, aber von anderartiger Blässe und von anderartigem Ausdruck – nicht dem des Grames und Kummers, sondern dem der Furcht und Scham.

»Oskar,« sagte der Gouverneur, »es tut mir leid, dich sogleich nach deinem großen Verluste durch Geschäftliches belästigen zu müssen, es geht aber eine häßliche Geschichte über dich in der Stadt herum, und da jede Lüge ihre Anhänger hat, ist es nur geraten, daß du, um sie im Keime zu ersticken, sofort von ihrem Inhalt Kenntnis erhältst.«

Oskars Unterlippe bebte, er fühlte den kommenden Schlag, ehe er ihn traf.

»Magnus – dein Bruder Magnus – ich weiß, daß er nicht auf brüderlichem Fuße mit dir steht – deine Mutter hat mir so etwas erzählt – und ich möchte dich gleich versichern, daß ich seinen Einsprüchen und Angaben durchaus kein Gewicht beilege, weil ich glaube, daß sie ihm nur als Deckmantel für seine eigne Selbstsucht dienen – Magnus also ist gerade hier gewesen und hat mir erzählt, daß ein Wechsel von nicht weniger als hunderttausend Kronen in meinem Namen gefälscht und von dir gezogen worden sei. Ich schenke der Geschichte nicht den geringsten Glauben und wünsche weiter kein Wort über dieselbe zu verlieren. Ich bitte dich nur, ihr zu widersprechen – auf das entschiedenste zu widersprechen – und es mir zu überlassen, den wirklich Schuldigen nach meinem besten Ermessen zu bestrafen.«

Oskar verharrte, neben des Gouverneurs Pult stehend, einige Augenblicke in tiefem Schweigen und sagte dann mit einer so leisen Stimme, daß sie kaum von seinen Lippen zu fließen schien.

»Ich kann ihr nicht widersprechen, Vater. Was Magnus dir erzählt hat ist wahr.«

»Wahr? Du sagst, es – ist – wahr?!«

Vater und Sohn blieben, sich einander ins Angesicht blickend und ohne ein weiteres Wort zu äußern, einige Minuten lang bewegungslos stehen. Dann entfuhren dem Gouverneur in atemlosen Zwischenpausen heftige Worte und Fragen über Fragen, die alle von Oskar unbeantwortet blieben.

»Du hast die Summe in Empfang genommen – und in deines Vaters Namen über sie bescheinigt? – im Namen deines Schwiegervaters ebenfalls – einhunderttausend Kronen? Was ist mit dem Gelde geschehen?«

»Es ist verloren,« sagte Oskar.

»Verloren?«

»Es hat zur Deckung meiner Schulden gedient.«

»War das in Monte Carlo?«

»Ja.«

Ein abermaliges langes Stillschweigen folgte, während dem Oskar mit zuckenden Lippen, und der Gouverneur mit zusammengezogenen Brauen dastanden.

»Aber dies Dokument – wie war das möglich?«

»Das frage ich mich selbst wieder und wieder, Vater, ohne eine Antwort darauf zu finden. Ich kann mich selbst nicht verstehen – ich versuche, aber kann es nicht.«

»Warst du von Sinnen?«

»Manchmal glaube ich es – ich muß es gewesen sein.«

»Hat irgend jemand dich verführt – dich auf den Gedanken gebracht? Jemand, der an deinem Verlust teil hatte und dir bei der Rückzahlung behilflich zu sein versprach? Und wenn so – wer war es?«

»Ich möchte niemand anklagen, Vater – mir scheint, ich bin nicht berechtigt es zu tun.«

»Berechtigt? Rede mir nicht von deiner Berechtigung. Denke an deine Pflichten – und die erste derselben gilt mir, nicht der Person, wer sie auch immer sei, die dir behilflich gewesen ist, dich zugrunde zu richten. Du hast meinen Kredit und meine Ehre verpfändet – ich möchte dich aber nicht für gänzlich gesunken halten, und wenn irgend jemand diesen teuflischen Plan zur Tilgung deiner Schulden ersann, sollte ich wissen, wer es war – war es Helga?«

Bei Nennung dieses Namens sank Oskars gesenktes Haupt noch tiefer herab, der Gouverneur sah es, und alles wurde ihm klar.

»Herr Gott, vergib uns,« sagte er in atemlosem Flüstern. »Dann hatte Magnus doch recht! Und der Tod des armen Kindes, das wir gestern zu Grabe trugen, war vielleicht ein Teil der diabolischen Ernte, die wir heute einsammeln! Du brauchst nicht zusammenzufahren – ich sehe ohnehin schon, daß es wahr ist.«

Oskar machte keinen Versuch sich zu entschuldigen, und nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr der Gouverneur fort: »Du hast mich betrogen und enttäuscht, Oskar. Ich glaubte, ich hätte einen Sohn, der ein verständiger Mensch und ein Ehrenmann, kein Fälscher und Narr sei. Es hat aber keinen Zweck, eine so peinliche Unterredung noch zu verlängern. Du kannst gehen.«

Oskar wankte aus dem Zimmer, und der Gouverneur sank auf seinen Stuhl.

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