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Elftes Kapitel.

Magnus stand wartend in der Halle; er trug Schneegamaschen und einen langen, rauhen und abgenutzten Kragenmantel mit einem Gürtel um die Taille. Sein Gesicht zeigte die tief eingeprägten Linien, die bei einem starken Manne von Ergebung und bei einem schwachen von Verzweiflung reden. Thora war er nie so groß und stämmig erschienen, aber als er mit ihr sprach, klang seine Stimme so weich wie die einer Frau und er lächelte ihr freundlich zu. Sie schloß die Wohnzimmertür, damit man das Klavier nicht hörte, und kam dann mit ausgestreckter Hand, sich sehr klein und schwach in ihrem zarten weißen Schleier mit der Brautkrone über der Stirn fühlend, auf ihn zu.

»Ich komme, um Lebewohl zu sagen und eine glückliche Reise zu wünschen,« sagte er.

»Ich bin so froh, daß du gekommen bist,« sagte Thora, »ich hörte, du wärest verreist und fürchtete, dich nicht mehr zu sehen.«

»Dies habe ich dir als Hochzeitsgeschenk mitgebracht,« erwiderte Magnus und nahm vom Hallentisch ein wunderschönes weißes Bärenfell, das Thora vorher nicht bemerkt hatte.

»Was für eine herrliche Decke!« rief Thora.

»Gefällt sie dir?« sagte Magnus.

»Sie ist wunderschön. Ich habe nie etwas Ähnliches gesehen. Sie muß dir ein Vermögen gekostet haben.«

»Nein, nicht sehr viel. Ich kaufte sie in Nordland.«

»Dann bist du darum dorthin gegangen?«

»Ja.«

»Mitten im Winter noch dazu – solch eine lange kalte Reise!«

»Ich bin kräftig, Thora – ich spüre niemals die Kälte.«

Seine traurigen Augen flimmerten, und Thora empfand ein erstickendes Gefühl in der Kehle.

»Ich werde sie auf dem Schiff, in der Bahn und überall benutzen,« sagte sie, »und dabei stets an dich denken.«

»Willst du das wirklich?«

»Gewiß. Aber wir gehen nach dem Süden, wie du wohl weißt.«

»Ich weiß es.«

»Nach England und Frankreich – vielleicht auch nach Italien.«

»Es wird dir gut tun, Thora. Die Sonne wird dir gut tun. Du wirst Früchte und Blumen wachsen sehen – es wird schön sein.«

»Nicht wahr?«

Das Klavier tönte lauter, man hörte scharrende Füße – sie fingen im Wohnzimmer an zu tanzen.

»Und was sagst du dazu, daß Helga uns begleitet?« sagte Thora.

»Helga!«

»Hat Anna es dir nicht gesagt?«

»Helga geht mit euch nach Italien?«

»Ja, gewiß, und wir freuen uns sehr darüber. Sie ist so klug und lebhaft – Oskar wird sich nie einen Augenblick langweilen, wenn Helga bei uns ist.«

Das ernste Gesicht wandte sich einen Augenblick ab, dann sagte Magnus mit noch sanfterer Stimme:

»Ich hoffe, du wirst glücklich sein auf deiner Reise, Thora.«

»O, gewiß. Wir werden alle glücklich sein. Wir segeln morgen früh mit der ›Laura‹ ab.«

»Mutter sagte es mir – ich habe euer Gepäck an Bord gebracht und euch eine Kabine besorgt.«

»Das hast du getan, während wir –«

»Ich wollte gern etwas für dich tun, Thora.«

»Aber Magnus, du hättest von Rechts wegen hier sein müssen. Oskar wünschte es immer. Er wollte dich zum Brautführer haben.«

»Oskar?«

»Ja, er wünschte es, aber du warst nicht aufzufinden, weil du verreist warst.«

Durch Musik und Tanz hörte man jetzt drinnen die Stimme des Gouverneurs, begleitet vom herzlichen Lachen des Faktors, erschallen.

»Es war vielleicht besser, daß ich fern blieb,« sagte Magnus. »Die alten Leute haben mir noch immer nicht vergeben, was ich tat, und wenn sie jemals dahinter kommen, daß jemand anderes die Schuld trug –«

Er stockte, und Thora sagte mit niedergeschlagenen Augen:

»Ich freute mich so, daß du in der Kathedrale warst.«

»Es war sehr schön,« sagte Magnus.

»Du bist jetzt nicht mehr böse auf Oskar, nicht wahr?«

»Nein, jetzt nicht mehr. Als ich euch zusammen vor dem Altar knien sah, mußte ich immer an den Tag denken, als wir alle dort knieten, und da, – da wurde Oskar wieder der kleine Bruder für mich.«

»Magnus – willst du, willst du mir nicht einen Kuß geben?«

Er zögerte einen Augenblick, aber sie blickte mit ihrem süßen Gesicht zu ihm auf – das so rein wie das einer Heiligen und naß von Tränen war – und er breitete seine großen Arme aus und schloß die kleine weiße Gestalt an die Brust, und küßte sie auf die mit der Brautkrone geschmückte Stirn.

»Lebewohl, kleines Mädchen, Gott segne dich und lasse dich glücklich werden. Aber wenn du mich jemals brauchen solltest, dann sage einfach ›Komm‹ und ich komme – sollte es auch im fernsten Winkel der Erde sein.«

Thora begann laut zu weinen, und Magnus drängte nach der Tür. Er hatte einen langen Weg vor sich und mußte fort.

»Silvertop ist draußen – ich darf ihn nicht warten lassen.«

»Silvertop?«

»Mutter sagte mir, ich sollte für ihn sorgen, bis ihr wieder hier seid – ich nehme ihn daher mit auf den Pachthof hinaus.«

»Ich möchte ihm Lebewohl sagen,« meinte Thora.

Magnus wickelte sie von Kopf bis Fuß in das Bärenfell und führte sie die Stufen nach der Straße hinunter. Es war dunkel aber sternklar und die Nordlichter spalteten den Himmel wie mit mächtigen Schwertklingen. Alles war weiß und still, man hörte nur die dumpfen Töne des Klaviers und das Scharren der Tanzenden. Zwei gesattelte und gezäumte Pferde standen ruhig vor der Tür, und Magnus sagte, indem er das eine bestieg: »Dies ist Galden Mane – Silvertops großer Bruder.«

Thora begrüßte ihr eigenes Pony, streichelte ihm die Ohren, küßte es auf die Nase und floh dann aus der eisigen Luft in die Tür zurück.

»Gute Brüder gehen gut zusammen, wir werden um Mitternacht zu Hause sein,« rief Magnus ihr noch zu.

Thora sah ihnen nach. Ein flimmernder Strahl der Morgenröte beleuchtete alle drei, als sie um die Straßenecke bogen – Magnus, der Galden Mane ritt, und Silvertop, der mit seinem leeren Sattel munter daneben hertrabte.

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