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Zehntes Kapitel.

Am Tage der Beerdigung fühlte Oskar sich matt und krank und tauglicher für sein Bett als für den Gang nach dem Kirchhof, niemand jedoch konnte ihn bewegen, zurückzubleiben. Es war ein trüber, düsterer Morgen, dunkle Wolken standen über den Bergen und trieben leichte Regenschauer zusammen, und als die schwere Stunde geschlagen hatte und Oskar zwischen den Leidtragenden dahergeschritten kam, erschien sein Gesicht geisterbleich in der leeren und schweren Luft.

Die Glocken vom Domturm fingen zu läuten an, die feierliche Bürde ward langsam die Treppe herab getragen, Oskars blasses Antlitz erbleichte noch mehr, und er würde niedergestürzt sein, wenn seines Vaters Arm ihn nicht aufrecht gehalten hätte.

Der Leichnam wurde zuerst auf den grünen Platz außerhalb der Türe – denselben grünen Platz, über den Oskar Thora am Hochzeitsabend hinüber getragen hatte – niedergestellt, und während die Leidtragenden sich in einem weiten Kreis und einen Abschiedschoral singend um ihn reihten, stand Oskar in dem gerade begonnenen feinen Sprühregen entblößten Hauptes da.

Hans der Knecht stand mit Silvertop, Thoras Pony, am Tor. Er hatte es, um sie auf ihrer letzten Reise zu tragen, vom Pachtgut herübergebracht, und der Anblick des Pferdes schien Oskars Widerstandsvermögen zu übersteigen. Der Sarg wurde quer über die Tragkörbe gestellt, und der Zug fing sich zu bilden an. Er schritt durch dichte Reihen von Städtern dahin, Oskar allein, direkt hinter dem Sarge, barhäuptig und sich nichts anderes als seines Kummers bewußt. Die Glocken läuteten noch immer und eine Sabbatruhe hatte sich über die Stadt gebreitet.

Der Dom war gedrängt voll von denselben Gesichtern, die Thoras Trauung zugeschaut hatten, wie sie strahlend und glücklich in ihrer Jugend und Schönheit an ihres Gatten Arm an den Altar getreten war, und nun, während sie unter den Orgeltönen des Totenmarsches seine Stufen hinaufgetragen wurde, und Oskar gesenkten Hauptes hinter ihr drein schritt, sagten die dem Chorgang nächstsitzenden Leute, daß er hörbar geschluchzt habe.

Der Sarg wurde mit dem schwarzen Sargtuche auf die Stufen des Altars niedergesetzt – auf denselben Platz, wo Thora, um als Braut getraut und als junges Mädchen konfirmiert zu werden, gekniet hatte – und dann hielt der Bischof, der ihrer harrend bereit stand, eine trostreiche Anrede.

Sie sollten sich nicht fragen, weshalb dies süße und liebliche Leben so unbarmherzig geknickt worden sei. Die Wege der Vorsehung seien unerforschlich, Gott aber throne im Himmel und der Richter der ganzen Welt handle nur zum besten. Ebensowenig sollten die dort versammelten, trauernden Angehörigen, wenn es dem Allmächtigen gefallen habe, Seine Hand auf das getrübte Hirn ihrer teuren, verschiedenen Mitschwester zu legen, sich Vorwürfe über das Geschehene machen. Er wußte weshalb und zu welchem Zweck Er es getan habe. Lieber sollten sie in Dankbarkeit vor Gott das Knie beugen, daß Er in Seiner Gnade es nicht habe geschehen lassen, daß sie Hand an sich selbst gelegt und sich der seligen Hoffnung auf ein ewiges Leben beraubt habe.

»Dem jungen, in tiefste Trauer versetzten Ehemann,« sagte der Bischof, »können wir nur das eine sagen, daß wir aus tiefstem Herzen mit ihm trauern. Es scheint wie gestern, als er, auf diesem selben Fleck stehend, sein Gelübde vor Gott und den Menschen ablegte, das arme, so plötzlich dahingeraffte Mädchen zu lieben und hoch zu halten. Wenn es am Leben geblieben wäre, würde er sein Versprechen erfüllt haben, und obgleich es dahingegangen ist, wird es dennoch in seinem Geiste weiterleben ... Die reine, unschuldige Seele, die ihr Leben mit dem seinen vereinte, wird eine bleibende Erinnerung, eine immerwährende Anregung und, nachdem der erste heftige Kummer vorüber ist, ein beständiger Trost und eine dauernde Freude für ihn sein. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei hochgelobt.«

Wäre es möglich gewesen, daß Oskar noch bleicher und gebrochener als beim Betreten des Domes hätte aussehen können, so wäre es beim Verlassen desselben der Fall gewesen. Der Regen fiel nun in großen Tropfen herab, trotzdem schritt er, als der Zug zum Endziel seiner Reise wieder zusammentrat, barhäuptig wie zuvor einher.

Der hinter ihm gehende Faktor mit der zitternden Helga am Arm bat ihn, den Hut aufzusetzen, er hörte jedoch nicht darauf, und als der dann mit Anna folgende Gouverneur ihm einen Regenschirm zureichen wollte, schüttelte er, ihn verweigernd, den Kopf. Die Glocken läuteten wieder, die kleine Stadt lag ruhig da, und ihre Einwohner, deren Tränen stromweise um Thora geflossen waren, weinten nun noch bitterere um Oskar.

Als der Zug den Kirchhof erreicht hatte, fiel der Regen in Strömen herab, sodaß selbst der Pfarrer seinen Überrock über seinen Talar zog. Oskar aber stand unbedeckt beim offnen Grabe. Während des kurzen Gebetes – Staub zu Staub – litt er sichtlich, und beim Absingen des langen, während des Zuschaufelns üblichen Chorales schienen die hohl herabpolternden Erdschollen sein zuckendes Antlitz zu treffen.

Nachdem alles vorüber war, wollte er nicht von der Stelle weichen, bis sein Vater ihn mit einem energischen »Komm!« beim Arm nahm und fortführte. Darauf ging er mit festerem Schritt hinter dem Rest des sich zerstreuenden Zuges her, über den kleinen Kirchhof – das hügelige Heimatsfeld der Toten – hinüber durch das Tor desselben auf die Straße hinaus, wo Hans, der Wasserträger, in der ihm von Thora gearbeiteten, ärmellosen Weste ihr Pferd tränkte – am Hause des Faktors vorbei, an dessen Fenster Tante Margret mit dem Kinde auf dem Arm wartete, und in das leere Haus zurück.

Am Fuße der Treppe entschuldigte er sich bei den zum Mahle hineingehenden Leidtragenden und blieb für den Rest des Tages unsichtbar.

Das Essen war eine trübselige Verrichtung. Es fand in dem Zimmer, in dem das Hochzeitsmahl gehalten worden war, statt, und die Erinnerung an jenes glückliche Fest wirkte erstarrend. Schweigsam oder im Flüsterton verabschiedeten sich die Trauergäste einer nach dem andern und schlichen, weite Zwischenräume zwischen den beiderseitigen Familienmitgliedern verursachend, leise davon.

Der Gouverneur und der Faktor hatten seit ihrem Rückritt von der Proklamation nicht miteinander gesprochen, und die Zwischenzeit des Schweigens hatte die Spannung zwischen den beiden alten Freunden nur vergrößert.

»Ah,« gähnte der Faktor, »nun ist ja wohl alles überstanden.«

Dann sich an den Gouverneur wendend, fragte er scharfen Tones: »Wo ist Magnus? Ich habe heute nichts von ihm gesehen.«

Der Gouverneur antwortete nicht, und Anna senkte das Haupt. Darauf sagte Helga, die einzige andere Anwesende, ruhig:

»Irgend jemand hat ihn im Isländischen Hof gesehen – er hat recht daran getan, nicht zur Beerdigung zu kommen – man behauptete, er sei nicht ganz nüchtern gewesen.«

»Das sieht ihm gleich,« sagte der Faktor. »Von einem Wolf bekommt man nichts anderes als heulen zu hören, und wenn es nicht wegen seines letzten Zechgelages gewesen wäre, hätte alles dies vielleicht überhaupt nicht zu sein brauchen.«

Des Gouverneurs stolzes Gesicht überflog ein Zucken, er sagte jedoch nichts, und darauf gingen der Faktor und Helga fort.

Früh am nächsten Morgen, ehe der Hausstand sich regte, war der Gouverneur in seinem Bureau, um seine rückständigen Geschäfte zu erledigen, als jemand an die Tür klopfte. Es war Magnus, bleich und abgezehrt, aber nüchtern und feierlich wie ein Richter.

»Kann ich dich sprechen, Vater?« fragte Magnus.

»Nun ja – einen Augenblick vielleicht – komm herein,« antwortete der Gouverneur.

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