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Zweiter Teil.

 

Nur Puppen, mit denen das Schicksal spielt, sind hier auf Erden wir,
Erkennen muß ein jeder das, der klareren Gesichts;
Figuren auf dem Schachbrett gleich geschoben werden wir,
Dann nimmt man uns hinweg und legt uns in den Sarg des Nichts.

 

Erstes Kapitel.

Oskar tat sein Möglichstes, um das Feuer seines inneren Heiligtums brennend zu erhalten – das Feuer der Liebe und der Pflicht – aber öfter als er es merkte, flackerte es hin und her und schien verlöschen zu wollen. Er nahm mitunter einen Anlauf, um die Wahrheit über Magnus zu sagen, scheute aber stets vor der bösen Frage zurück, die unfehlbar darauf erfolgt wäre: »Wie konntest du ruhig mit anhören, daß wir Magnus eines Vergehens wegen verdammten, an dem er unschuldig war, und dich einer Tugend wegen rühmten, die du nicht besaßest?« Das demütigende solcher Rede hätte er tiefer empfunden, als das Erniedrigende seines Schweigens, und so schob er das Geständnis von Tag zu Tag hinaus. Schließlich war ein Monat vergangen und er hatte nichts gesagt.

Seine Lage wäre angenehmer gewesen, wenn er mit seiner Arbeit besser vorwärts gekommen wäre – wenn er eingesehen hätte, daß der Faktor Magnus' Verlust hätte verschmerzen können. Dann würde er gesagt haben: »Seht ihr wohl, es hat sich alles zum besten gefügt, wenn ihr es auch natürlich zuerst nicht einsaht,« und der Faktor würde erwidert haben, »du hast ganz recht, mein Sohn«, und dann hätte er alles erzählt.

Aber es ging schlecht mit seiner Arbeit, und man konnte sich nicht verhehlen, daß er kein guter Geschäftsmann war. Als er zuerst bei dem Faktor eintrat, trieb er sich, auf Grund seines Kontraktes, zweck- und ziellos zwischen Kontor und Warenlager umher, kleidete sich mit künstlerhafter Nachlässigkeit und sah aus wie ein Schmetterling in einer dunklen Allee. Dann sagte der Faktor zu ihm: »Höre, lieber Junge, wir müssen uns jetzt an die Arbeit machen, suche dir eine Abteilung aus, und trage die Verantwortlichkeit dafür.«

Oskar wählte sich die Export-Abteilung. Diese brachte ihn mit den Pachtbauern in Verbindung, und ein paar von ihnen betrogen ihn unbarmherzig, indem sie minderwertige Wolle in den Packen verbargen, die er ihnen abkaufte. Magnus würde das schlechte Zeug herausgerissen und den Leuten, die es brachten, um die Ohren geschlagen haben, aber Oskar lag daran, mit jedermann auf gutem Fuße zu stehen, und die Geschäfte hatten darunter zu leiden.

Eine Woche später wünschte er die Abteilung zu vertauschen. Er meinte, die Import-Abteilung würde besser für ihn passen. »Meinetwegen,« sagte der Faktor. »Junge Leute irren sich ebensogut wie alte – mach dich nur an die Einfuhrgüter, mein Junge.«

Dieser Teil brachte ihn in Verbindung mit den Schiffsmaaten von Dampfern und Handelsschiffen, und diese waren nur zu gern bereit, ihre Verantwortlichkeit für beschädigte Ladung auf Oskars Schultern zu schieben.

Als wieder eine Woche vergangen war, kehrte er zu dem Faktor zurück und sagte: »Ich glaube, Pate, eine einzelne Abteilung ist nicht das richtige für mich –, könnte ich nicht eine allgemeine Oberaufsicht übernehmen?« Der Faktor zuckte die Achseln, antwortete aber, »mir soll's recht sein. Dann kannst du meine rechte Hand sein, und ich mache es mir bequem, sobald du eingearbeitet bist.«

Aber von diesem Augenblick an tat Oskar sozusagen nichts Ordentliches mehr. Er lief immer atemlos umher, kam aber morgens und abends zu den unglaublichsten Zeiten ins Haus, und fand fortwährend eine Gelegenheit, Thora zu sehen. Die kleine Dame war sehr erfreut darüber, aber der Faktor sagte wohl einmal zu Tante Margret: »Es steckte am Ende doch etwas Gutes in Magnus, Margret.« Und Tante Margret antwortete: »Manches gute Schwert steckt in einer schlechten Scheide, wie du weißt.« Eines Tages nun kam Oskar mit einer großen Neuigkeit zu dem Faktor gestürzt. Das Parlamentsmitglied der Stadt war gestorben, und die radikale Partei stellte schon einen neuen Kandidaten auf – einen ausgesprochenen Sozialisten, namens Oddsson, der sowohl in Politik wie im Handel ein Gegner des alten Herkommens war.

»Könnte ich nicht im Althing ausgenommen werden?« fragte Oskar. »Ich könnte das Geschäft vor diesen Schurken von Revolutionären beschützen und die alten Grundsätze zu verteidigen suchen.«

»Laß mich erst mit deinem Vater darüber reden,« sagte der Faktor.

Die alten Freunde kamen überein, daß es ein guter Vorschlag sei. Dieser Oddsson war nicht nur ein Anhänger der Magnusschen Tauschhandel-Doktrin, sondern auch der Vorkämpfer einer Bewegung für die Einführung einer neuen Verfassung in Island, die den Gouverneur absetzen und einen Minister dafür anstellen wollte, der nur von dem Parlamente abhing. Er durfte nicht hineinkommen. Aus Selbstverteidigung mußten sie den gemeinsamen Feind bekämpfen! Oskar war ein guter Kandidat mit seiner Jugendfrische und Klugheit und seiner großen persönlichen Beliebtheit.

»Aber ich darf mich bei dem Kampfe nicht beteiligen,« sagte der Gouverneur.

»Überlasse es nur mir,« sagte der Faktor und kehrte zurück, um Oskar Bescheid zu bringen, der vor Freude jauchzte und fortstürzte, um es Thora mitzuteilen.

Für Thora war dieser Monat in strahlendem Glücke vergangen. Wenn ihr mitunter Magnus' Lage einfiel, dann dachte sie daran, daß Oskar ja gesagt hatte, er würde alles in Ordnung bringen, und der Aufschub hatte nicht viel zu bedeuten, da sie ihr Leben nicht mehr nach Tagen sondern nach Empfindungen abmaß, und in ihr war nur noch eine Empfindung wach – die Liebe für Oskar und durch ihn für die ganze Welt.

Als mit der rauheren Jahreszeit die Ausflüge nach den Inseln des Fjords unmöglich wurden, blieben sie zu Hause und tollten wie die Kinder umher, oder spielten Klavier und Gitarre. Bei solchen Gelegenheiten dachte Thora zuweilen an Magnus zurück, denn es war das gleiche Zimmer, nur die Tageszeit war eine andere, der große Unterschied aber bestand natürlich darin, daß es Oskar war.

Er lehrte sie ein paar isländische Liebeslieder, und sie sang sie mit schwacher, süßer Sopranstimme zu Oskars geräuschvollem Vergnügen. Es kränkte sie durchaus nicht, daß Oskar ihr Singen niemals ernsthaft nahm – er nahm Thora selbst auch nicht ernsthaft. Er nannte sie »Baby Thora« und sie taufte ihn den »bösen Jungen«.

Sobald er von ihr fort war, schickte sie ihm einen Brief nach, wie ein vergessenes Taschentuch. Er antwortete umgehend und seine Briefe waren hübsch geschrieben, liebevoll und scherzhaft, aber im Grunde ihres Herzens enttäuschten sie sie doch ein wenig. Es waren keine richtigen Liebesbriefe; sie hätte beinahe jeden Tante Margret vorlesen können; kaum einer davon war ganz für sie allein bestimmt.

Oskar jedoch machte alles gut, als er selbst zurückkam, und an dem Tage, als er mit einem Sprung ins Wohnzimmer stürzte und kundtat, daß er für den Althing gewählt sei, da erschien er ihr einen Augenblick groß und glänzend wie der Berggipfel, wenn er den Nebel durchbrochen hat und die Sonne ihn bestrahlt, und sie sagte ihm: »Nun muß der böse Junge mit mir spielen – wir haben seit gestern nicht blinde Kuh gespielt.«

Thora war zu glücklich, um sich ihres Glückes wirklich bewußt zu sein, aber mitunter sagte sie sich, daß das einzige, was ihr noch fehle, darin bestehe, daß Helga heimkehre, um es zu teilen. Sie erwähnte es Oskar gegenüber, aber es geschah in einem Augenblick, wo er ganz mit seinen Manifesten beschäftigt war und so sagte er nur: »Gute Idee! Herrlich! Helga sieht famos aus! Laß sie nur ja kommen, wenn der Faktor damit einverstanden ist,« und dann fuhr er mit seiner langweiligen Politik fort.

Sie schlug es zunächst Tante Margret vor, die weniger entgegenkommend war. Sie sah Thora scharf durch die Brille an, schüttelte ihre Locken und sagte: »Sei keine Törin! Zwei sind gesellig, der dritte behelligt!«

Aber Thora sprach auch mit Anna darüber und die mütterliche alte Seele war ganz gerührt. »Es wäre schön, wenn du das zustande brächtest, Thora,« sagte sie, »und wenn es dahin führte, daß die anderen sich auch wieder vereinten, was wäre das für ein Segen!«

Von da an betrachtete sich Thora als den Friedensstifter der Familie und wandte sich in diesem Sinne an ihren Vater. Der Faktor hörte ihr voll Teilnahme zu, denn Blut ist stärker als Rechtsanwalts Tinte, und er hatte sich oft vorgeworfen, unrecht daran getan zu haben, sich von seinem Kinde zu trennen. »Warum sollten wir es nicht tun,« sagte er. »Sie könnte zur Hochzeit kommen – oder, vielleicht auf ein Jahr – ja, mindestens auf ein Jahr. Ich werde an den Rechtsanwalt in Dänemark schreiben.«

Mit derselben Post schrieb Thora an Helga:

 

»Liebste Helga, – Papa schreibt an den Rechtsanwalt und bittet ihn, Dich nach Island zurückzuschicken. Es ist ja nur für ein Jahr und hoffe ich, daß Mama nichts dagegen haben wird.

Du wirst gewiß einwilligen, wenn ich Dir sage, um was es sich handelt. Es soll eine Hochzeit gefeiert werden, natürlich mit einer Gesellschaft, und allerlei große Dinge sind in Vorbereitung.

Liebstes Herz, ich werde Oskar Stephenson heiraten, der von England zurückgekehrt und so schön und so klug ist. Wenn Du ihn jetzt sehen könntest, dann würdest Du Dich sofort in ihn verlieben, aber er hat mich so lieb und ich bin so glücklich. Ich hätte eigentlich seinen Bruder Magnus heiraten sollen, aber die Verlobung ging zurück, und nun tut es mir für Magnus sehr leid, und wenn Du je etwas gegen ihn hörst, wenn Du nach Hause kommst, so mußt Du kein Wort davon glauben; denn Magnus ist so gut wie Gold, ich konnte mir nur nichts aus ihm machen, es hätte alles nichts geholfen.

Liebste Helga, ich habe Dir soviel zu erzählen, aber ich spare es mir auf, bis Du hier bist. Wir haben diesen Sommer schlechte Geschäfte gemacht und Oskar ist in Vaters Geschäft eingetreten. Ich webe sehr feines Tuch für Vaters Weihnachtsanzug, aber es kommt nicht recht vorwärts, weil mich fortwährend jemand stört, und wenn man sich verheiraten will, gibt es auch so viel zu tun – glaubst Du nicht auch?

Liebste Helga, ich weiß nichts mehr zu schreiben, grüße Mama recht herzlich und komm recht bald, denn die Hochzeit findet vielleicht in kurzer Zeit statt, obgleich noch nichts festgesetzt ist. Deine Dich liebende Schwester, Thora.«

» P. S. – Komm so schnell wie möglich. Ich brenne darauf Dich Oskar vorzustellen.«

 

Vierzehn Tage später machte der Faktor allen die Mitteilung, der Rechtsanwalt habe aus Dänemark geschrieben, daß Helga mit dem nächsten Dampfer kommen werde.

»Das ist die Laura; sie ist am ersten November fällig, gerade am Wahltage!« sagte Oskar.

»Welch gutes Omen!« rief Thora und sang den ganzen Abend über ihre isländischen Liebeslieder, denn sie fühlte sich sehr glücklich.

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