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Achtes Kapitel.

Früh am nächsten Morgen sprach Magnus im Regierungsgebäude vor und ging auf Oskars Zimmer hinauf. Er fand seinen Bruder, die Feder in der Hand, einen leeren Briefbogen vor sich und diverse Papierschnitzel herumgestreut, als ob er vergebens versucht hätte einen Brief zu schreiben, an seinem Pulte sitzend.

Die Brüder begrüßten sich gezwungen und vermieden während des größeren Teiles ihrer Unterredung, sich gegenseitig ins Antlitz zu sehen.

»Ich bin hergekommen, um dir mitzuteilen,« begann Magnus, sich mit auf den Teppich gerichteten Blicken neben das Pult setzend, »ich bin hergekommen um dir mitzuteilen, daß ich einen Ausweg – daß ich glaube einen Ausweg aus unserer schwierigen Lage gefunden zu haben.«

»Der wäre?« fragte Oskar, unverwandt auf den leeren Bogen vor sich blickend.

»Es ist ein Plan, der Thora gänzlich aus dem Spiele läßt und dich in keiner Weise bloßstellt, deshalb frage mich nicht weiter. Ich beabsichtige, es morgen mit ihm zu versuchen und wenn er gelingt, werde nur ich die Folgen zu tragen haben – ich ganz allein – niemand sonst wird ein Vorwurf oder Tadel treffen.«

Oskar beugte seinen Kopf tiefer über den leeren Bogen und schwieg.

»Aber ehe ich den bewußten Schritt tue, möchte ich mich versichern, daß er des Nehmens wert ist und daß er das von mir erwartete Resultat erzielen wird. Aus dem Grunde siehst du mich hier; – um gewisse Fragen an dich zu stellen, deshalb bin ich hier.«

»Was für Fragen?« sagte Oskar.

»Fragen sehr persönlicher und intimer Art, aber in Hinblick auf den von mir beabsichtigten Schritt sollte ich meinen, hätte ich ein Recht sie zu stellen,« entgegnete Magnus mit strengerer Stimme, »und auch ein Recht, sie beantwortet zu bekommen.«

»So frage also,« sagte Oskar.

»Erstlich wünsche ich zu wissen, ob du, wenn ich Thora von ihrem Versprechen entbinde, sie heiraten wirst?«

»Gewiß, ja – wenn sie mich haben will – ja!«

»Du sagtest gestern, wie du dich erinnern wirst, daß Liebe – gegenseitige Liebe die einzige Grundlage einer wahren Ehe sei. Vielleicht vergaß ich dies in meinem Falle, ich darf das jetzt indes nicht wieder tun. Es ist also nicht genügend, daß Thora dich lieben sollte, es ist notwendig, daß auch du Thora liebst – tust du das?«

»Allerdings tue ich das!«

»Deine Zuneigung ist erst eine sehr kurze, bist du sicher, daß sie keine vorübergehende ist?«

»Ganz sicher!«

»Es ist eine ernste Sache, wenn zwei Menschen, wie Thora sagt, sich für Glück und Unglück, bis der Tod sie einst scheidet, miteinander verbinden – du fürchtest dich nicht davor?«

»Nein!«

»Du willst sie immer lieben?«

»Immer!« sagte Oskar.

»Du hast dir alle Verantwortungen, alle Folgen wohl überlegt?«

»Ich weiß nichts von Verantwortungen und Folgen, Magnus. Ich weiß nur, daß ich Thora von ganzem Herzen und von ganzer Seele liebe, und daß ich, wenn du sie aufgeben willst und sie mich zu heiraten einwilligt, mein ganzes Leben der Aufgabe widmen will, sie glücklich zu machen.«

Magnus rückte auf seinem Stuhl hin und her, räusperte sich und begann von neuem:

»Thora ist ein herziges, gutes Mädchen, das beste und herzigste Mädchen von der Welt, sie ist aber ein einfaches Kind Islands und nie aus ihrem Lande heraus gewesen. Sie ist ganz anders wie du es bist, und wenn du sie mit nach England nimmst, wird sie grundverschieden von deinen dortigen Freunden sein. Hast du das bedacht? Wirst du es vermögen, ihr stets ihre Erziehung und Bildung zugute zu halten? Wird deine Liebe stark genug sein, den Rückschlag einer derartigen Ehe zu ertragen?«

Die Reihe war nun an Oskar, unruhig auf seinem Stuhl hin und her zu rücken. »Weshalb solltest du mir dergleichen Fragen vorlegen, Magnus?«

»Wird sie das?« wiederholte Magnus strenger als vorher.

»Ich glaube ganz sicher.«

»Aber wird sie das?« fragte Magnus noch strenger.

»Ja sie wird es,« sagte Oskar.

Es entstand eine kurze Pause und darauf sagte Magnus ruhig:

»Ich habe noch zwei oder drei andere Fragen an dich zu stellen, ebensowohl um deinet- als um Thoras willen.«

»Frage also.«

»Thora ist sozusagen ihres Vaters einzige Tochter jetzt, und er ist ein alter Mann und hängt sehr an ihr. Würdest du auf seinen Wunsch hin, sie nach ihrer Verheiratung in Island zu behalten, einwilligen, den Rest deines Lebens hier auf Island zu verbringen?«

»Wenn er es als Bedingung aufstellte – ja.«

»Natürlich hat der Gouverneur, nachdem er soviel an deine Erziehung gewandt hat, gewisse Pläne für dich im Sinn, und ebenso hast du deine eignen Ziele und dein eignes Streben. Wenn diese je in Widerstreit mit deiner Liebe für Thora gerieten, wenn sie dich von ihr fortlocken sollten, würdest du stets bereit sein, dieselben ihr zu opfern?«

»Gewiß würde ich das.«

»Du bist dessen ganz gewiß?«

»Ich bin dessen gewiß – das heißt – es wäre natürlich hart – die Ziele und das Streben eines ganzen Lebens aufgeben zu sollen – wenn sie jedoch, wie du sagst, je mit meiner Liebe zu ihr in Widerspruch geraten – oder mich verlocken würden, sie zu verlassen, zum Beispiel nach England zu gehen –«

»Oder nach irgend einem andern Lande – oder zu irgend einer andern Frau?«

»Das wäre unmöglich, Magnus!«

»Wenn es aber möglich wäre?«

»So würde ich nicht gehen.«

»Sodaß also, wenn ich Thora aufgebe und sie dich zu heiraten einwilligt, nichts und niemand imstande sein wird, ihr Glück zu stören?«

»Nichts und niemand,« sagte Oskar.

»Dann schreibe es nieder,« sagte Magnus, das auf dem Pulte liegende Blatt Papier berührend.

»Es niederschreiben?«

»Für sie, nicht für mich. Wenn du alles dessen ganz sicher bist, brauchst du dich nicht zu scheuen, es schwarz auf weiß niederzuschreiben.«

»Ich scheue mich nicht, es hat aber keinen Zweck, dies alles an Thora zu schreiben.«

»Weshalb nicht?«

»Weil sie, nachdem du uns gestern abend verlassen hattest, mir sagte, daß, wenn auch ihr Herz mir gehöre, sie dir ihr Wort gegeben habe und es zu halten gezwungen sei.«

»Das hat sie dir gesagt?«

»Ja, das hat sie.«

Magnus zögerte einen Moment, ehe er in derselben heiseren Stimme wie gestern sagte: »Schreibe es trotz alledem nieder und laß mich selbst den Brief überbringen.«

»Ist das wirklich dein Ernst, Magnus?«

»Ja.«

»Daß du ihr ihr Wort zurückgeben und für mich bei ihr sprechen willst?«

»Schreibe deinen Brief,« sagte Magnus mit rauher Stimme.

»Welch prächtiger Bursche du bist! Du erweckst das Gefühl in mir, als ob ich mich dir gegenüber schandbar benommen hätte und alles d'rum geben möchte, nie von England zurückgekommen zu sein. Und doch kann ich das nicht wünschen, denn Thoras Liebe ist mir nun alles auf Erden und dieselbe mir zu erhalten, würde ich kein Opfer scheuen. Wenn ich dir jedoch Unrecht zugefügt habe, weiß ich keinen besseren Weg meinen Kummer darüber auszudrücken, als meine teuersten Interessen in deine Hände zu legen. Ich will sofort den Brief schreiben, Magnus. Ich habe schon zwanzigmal versucht, ihn zu schreiben und konnte es nicht, jetzt aber kann ich es und will ich es.«

Während Oskars Feder über den weißen Bogen dahinflog, saß Magnus gesenkten Hauptes da und versuchte, das Muster des Teppichs zu verfolgen. Auch jetzt noch wütete ein wilder Kampf in seinem Innern, denn der Teufel schien ihm ins Ohr zu flüstern: »Was tust du? Hörtest du ihn nicht sagen, daß Thora entschlossen sei ihr dir gegebenes Wort zu halten? Willst du sie überreden, es zu brechen? Du wirst es nie verschmerzen – nie!«

Als Oskar seinen Brief beendet hatte, reichte er ihn Magnus und sagte: »Hier ist er. Ich glaube, er enthält alles was wir besprochen haben, wenn auch nur einen schwachen Teil von dem, was ich empfinde. Sie wird sich aber von dir bestimmen lassen, dessen bin ich gewiß; wenn sie es aber nicht tut – wenn sie mir dieselbe Antwort schickt –«

»Was dann?« fragte Magnus an der Türe stehen bleibend.

»Dann nehme ich das erste Dampfschiff nach England zurück und bitte dich nur, gegen niemand des Vorgefallenen Erwähnung zu tun.«

Ein freudiger Schimmer überflog Magnus' Gesicht, um dann langsam zu erlöschen.

»Daran kann ich jetzt aber noch nicht denken, Magnus, nicht, bis ich das Ergebnis deiner Botschaft weiß. Sieh sie selbst, sprich mit ihr, sage ihr, daß sie für ihres Vaters Kontrakt nicht verantwortlich sei; flehe sie an, ihr eignes Leben und das meinige nicht zu zerstören. Willst du das?«

»Ja, ich will es.«

»Gott segne dich, alter Bursche! Du bist der beste Bruder, den je ein Mensch gehabt hat. Bleibe nicht zu lange fort. Ich werde vor Ungeduld vergehen bis du zurück bist. Reiße mich so schnell du kannst aus der Ungewißheit heraus, Magnus. Wenn du nur wüßtest, wie furchtbar ich das kleine Mädchen liebe und was ihre Antwort für mich bedeutet.«

Magnus' gemartertes Gesicht war indes hinter der Türe verschwunden.

Unten an der Treppe traf er mit seiner Mutter zusammen, die zu ihm sagte: »So bist du die ganze Zeit oben bei deinem Bruder gewesen?! Dein Vater und der Faktor haben dich überall gesucht. Sie haben den ganzen Morgen die Rechtsanwälte bei sich gehabt und wollten gern über irgend etwas deine Meinung wissen. Die Frage ist jetzt jedoch erledigt, glaube ich, du brauchst dich also nicht mehr zu bemühen. Aber, um Gottes willen, Magnus, wie bleich und elend du aussiehst! Die Arbeit auf den Bergen hat dir nicht gut getan. Du darfst sie nicht wieder unternehmen.«

Magnus brachte Anna gegenüber eine Entschuldigung vor und eilte, Oskars Brief an Thora mit nervösen Fingern in seiner Seitentasche umklammert haltend, dem Hause des Faktors zu. Als er die Straßen entlang schritt, schien die teuflische Stimme, die ihn vorher versucht hatte, von neuem ihm zuzuflüstern und zu sagen: »Vernichte ihn! Hörtest du ihn nicht sagen, daß er fortgehen wollte? Laß ihn gehen! Kein Mensch außer dir wird etwas von dem Brief erfahren! Selbst Thora nicht! Und wenn Oskar fort ist, wird Thora dir gegenüber ihr Versprechen halten! Wenn sie dich jetzt auch nicht liebt, wird sie dich später schon lieben lernen. Und selbst wenn sie dich nie lieben könnte, würde sie doch dein sein. Dir würde sie angehören, und wer hätte ein größeres Recht an sie als du? Vernichte ihn! Vernichte ihn!«

Sein guter Engel jedoch schien hierauf zu antworten und zu sagen:

»Was nützt es dir, den Körper eines Weibes zu besitzen, wenn nicht ebenfalls ihre Seele dir gehört? Das ist Begierde, nicht Liebe; und es ist überhaupt zu spät, daran noch zu denken. Die entscheidende Frage ist einfach die – ist deine Liebe für Thora größer als deine Eigenliebe oder übersteigt deine Eigenliebe deine Liebe für Thora?«

Und dann schien der Teufel ihm wieder zuzuflüstern und zu sagen: »Auf welch einen Narrenstreich bist du aus! Gewinn meint Verlust, Verlust meint Gewinn! Wenn du Thora überredest, ihr eigenes Glück sich zu sichern, zerstörst du das deine! Wenn du sie nicht überredest, Oskar zu heiraten, wird sie dich heiraten. Bist du ein Mann? Hast du überhaupt nur einen Tropfen heißen Blutes in dir?«

Es war ein wilder Kampf, aber Magnus entschied sich auf Kosten des eignen zugunsten des Mädchens Glück und wiederholte sich bei jedem Schritt: »Bleibe fest, du willst Thora glücklich sehen, also führe es durch; es ist schwer, aber bleibe fest, bleibe fest!«

Als er des Faktors Haus erreicht hatte, wollten seine schweren Glieder ihn kaum weitertragen, und sein aschfarbenes Gesicht war schweißbedeckt.

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