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Fünftes Kapitel.

Thora wußte es schon, und das Herz wollte ihr brechen. Es war ihr schon der Gedanke gekommen, daß sie jetzt dasselbe erlebte, was Magnus bei Oskars Heimkehr durchgemacht hatte – Oskar verliebte sich in Helga, und sie wurde wie Magnus verlassen.

Sie überließ sich diesem Argwohn aber erst nach hartem Kampf und das erste Geplänkel des zärtlichen Herzens fand zugunsten des Feindes statt – Oskar hatte ja ein großes Opfer gebracht, als er einwilligte, sie zu heiraten, und man konnte sich nicht wundern, daß ihn mitunter ein Gefühl des Bedauerns überkam. Sie deutete dies einmal Tante Margret an, während der langen Stunden, die beide miteinander verbrachten.

»Findest du nicht, daß Oskar sehr selbstlos gehandelt hat, als er den Kontrakt unterschrieb?« sagte sie.

»Selbstlos? Ich nenne es nicht Selbstlosigkeit, wenn man mit der Unterzeichnung ein Vermögen erlangt.«

»Aber er mußte doch ins Geschäft eintreten.«

»Natürlich mußte er das – in das beste Geschäft von ganz Island.«

»Helga scheint zu finden, daß es unter seiner Würde ist, Tante Margret.«

»Es ist gut genug für Helgas Vater, und er hat es selbst begründet. Übrigens hatte Oskar selbst auch noch nichts, und ein häßliches Schaf ist besser als gar kein Hammel.«

»O Tantchen, er hatte doch seine Musik und Helga meint, das wäre etwas Großes.«

»Findet sie das wirklich? Nackte Leute brauchen nicht umherzugehen und andern Leuten die Kleider zu flicken. Oskars Musik würde ihm keinen Pfennig eingebracht haben, und was die Ehre betrifft, so würde er weder Althing noch all die anderen Dinge erreicht haben, wenn er nicht reich wäre.«

»Dann meinst du nicht, daß Oskar ein großes Opfer gebracht hat, als er den Kontrakt unterschrieb?«

»Ein Opfer? Das scheint mir mehr auf der andern Seite der Fall zu sein, wenn du mich nun einmal fragst.«

Thora war nach dieser kleinen Unterredung tagelang glücklich, und während Oskar und Helga ihren Wagner spielten, ging sie im Hause umher, summte ihre Liebesliedchen und dachte an die Zeit, wenn die Parlaments-Sitzungen beginnen und Oskar sich in die Politik stürzen würde. Er würde ein großer Redner, vielleicht sogar Gouverneur werden, und alles würde nur davon herkommen, daß er sie geheiratet hatte.

Aber es war hart, stundenlang mit Leuten in demselben Zimmer zu sitzen, die sich garnicht um sie kümmerten, und obgleich Thora ihren Schmerz zu verbergen suchte, damit Oskar sich nicht beschämt fühlen sollte, empfand sie doch oft eine bittere Regung gegen Helga und hätte sich gern einmal zu ihr ausgesprochen. Das einzige was sie davon zurückhielt, war der im tiefsten Herzensgrunde noch immer liebevoll gehegte Zweifel, daß sie sich doch vielleicht täuschte, und Oskar keine wirkliche Neigung für Helga habe.

»Tantchen,« sagte sie, »hältst du es für sehr töricht, eifersüchtig zu sein?«

»Es kommt auf die Umstände an, Thora.«

»Wenn zum Beispiel eine Frau – sich einbildet, ihr Mann erwiese einer andern Frau zuviel Aufmerksamkeit – ist es dann töricht von ihr, wenn sie eifersüchtig ist?«

»Sie ist töricht, wenn sie es zeigt, mein Herzblatt. Man entgeht dem Giftzahn nicht, wenn man auch der Schlange den Kopf abbeißt, und wenn eine Frau ihrem Manne zeigt, daß sie eifersüchtig ist, dann tut sie gerade das, was die andere Frau will.«

»Dann hältst du es also für richtig, daß sie still ist und nichts sagt?«

»Gewiß. Wenn der Mann sich von ihr abwenden will, dann soll sie ihn ruhig laufen lassen, und wenn er nicht die Absicht hat, dann wird er sich um so mehr schämen, weil er denkt, sie weiß von nichts.«

»Dann glaubst du, der Mann ist nur für den Augenblick bezaubert –«

»Jawohl. Bezauberung ist ganz gut für eine kleine Tändelei, aber es ist damit wie mit blankem Metall – es wird bald blind in einem feuchten Keller. Für dunkle Orte braucht man Gold, mein Honigkind.«

»Du willst doch damit sagen, liebes Tantchen, daß Liebe das einzig Wahre für eine gute Ehe ist?«

»Das meine ich allerdings, mit all ihrem Kreuz und Leid, und Kindern und Krupp, und was sonst noch damit zusammen hängt. Wenn sich's ums Heiraten handelt, dann wissen die törichtsten Männer damit bescheid, das weiß der liebe Gott!«

»Was du alles von den Männern weißt, liebstes Tantchen – ich wundere mich nur, daß du nicht selbst geheiratet hast.«

»Darum eben, mein Liebling.«

Nach dieser Unterredung wurde es Thora leichter ihre Seelenkämpfe unter einem Lächeln zu verbergen. Sie malte sich die Zeit aus, wenn ihre Liebe alles für Oskar sein würde. Im tiefsten Herzensgrunde dachte sie an die Zeit, wenn Kinder kommen würden, und vielleicht gar Krankheiten, und sie würden sich so nahe gerückt sein – so ganz nahe, weil die Wolken des Lebens über ihnen hingen. Sie war nicht schön, war nur ein alltägliches, bescheidenes, kleines Ding, – sie war Oskars garnicht würdig, und es gab so viele Sachen, von denen sie nichts wußte, aber ihre Liebe, – oh, ihre Liebe war etwas Wunderbares! Nichts auf der Welt war so wundervoll wie ihre Liebe. Sie würde Wunder hervorbringen, würde stärker sein als der Tod, und Oskar Treue bewahren bis ans Ende.

Aber es blieb trotz alledem hart Wunden zu erhalten, ohne aufzuschreien, und wenn Oskar und Helga in die Kathedrale gingen und sie zu Hause ließen, dann sagte sie sich, sie sei zu unwissend, um Oskars Frau zu werden, und ihre ganze heiße, heroische Liebe sei fortgeworfen.

»Hältst du nicht Helga für sehr klug, Tante Margret?«

Tante Margret sah von ihrem Strickzeug auf und blinzelte durch die Brille.

»Klug? – ein Mädchen, das keinen Strumpf stopfen und keine Kartoffel kochen kann?«

»Aber höre nur wie sie sprechen kann, Tantchen.«

»Das kann der Papagei auch, und der Rabe pflegt seine Stimme auch nicht zu schonen.«

»Aber ein Mann hat doch gewiß gern eine gute Gefährtin an seiner Frau, mit der er über die Dinge reden kann, die ihn interessieren, und die auch imstande ist seine Arbeit zu beurteilen.«

»Das kann ja sein, aber der Mann müßte ein recht verrücktes Geschöpf sein, der lieber eine Kritikerin als eine Köchin heiratete.«

Stets hatte Thora Tee bereit, wenn Oskar und Helga aus der Kathedrale zurückkehrten, und mochte ihr das Herz auch noch so schwer sein, so vermied sie es doch sorgfältig, daß Oskar Tränen in ihren Augen sah. Aber es kam doch oft ein Moment, wo das Gefühl, halb trennend und halb verbindend zwischen beiden zu stehen, sie so überwältigte, daß sie beinahe zusammenbrach. Von Tag zu Tag wartete sie darauf, ein Herzenswort von Oskar zu hören, und als es nicht kam, sagte sie sich, es läge daran, daß Helga so schön sei.

»Ist Helga nicht schön, Tante Margret?«

»Wohl möglich,« sagte Tante Margret.

»Du weißt, daß sie schön ist, Tantchen. Du weißt, daß sie das schönste Mädchen in Island ist.«

»Es kann sein – kann auch nicht sein!«

»Welch Glück ist es doch, wenn man so schön ist wie Helga – dann kann man alles und jedes erreichen. Ein Mädchen braucht nur hübsch genug zu sein, dann liegen ihr alle Männer zu Füßen.«

»Dann müssen sie alle Hühneraugen-Operateure sein, und viele solche gibt es nicht in dieser Gegend. Nein, nein, Schönheit ist doch nicht das Allerwichtigste, Thora, und das ist für viele von uns ein großes Glück.«

Thora begann die Farbe zu wechseln und Tante Margret, die dieses Aufziehen der Notflagge bemerkte, fuhr fort: »Aber schöne Federn machen schöne Vögel, und ich kenne Leute in isländischen Kleidern, vor denen sich Helga verstecken könnte, wenn sie mit ihrem dänischen Flitterkram aufgeputzt wären.«

Thoras rosiges Gesicht erglühte wie die Morgenröte.

»Aber was nützt das alles? Schönheit füllt die Augen, aber nicht den Magen.«

»Tante Margret, was für häßliche Dinge du sagst!«

»Tue ich das? Dann ist es am besten, sie grade heraus zu sagen. Es ist nicht gut, wenn man Kupfer mit Gold überzieht, mein Honigkindchen.«

Nach dieser Unterhaltung mit Tante Margret wußte sich Thora besser zu beherrschen, weil ihr die Scheidewand zwischen ihr und Helga unbedeutender erschien. Sie beschloß sich nach englischer Mode zu kleiden, damit Oskar keinen so großen Unterschied zwischen ihnen fände.

Sie besaß die Mittel dazu – das Toilettengeld, das sie von ihrem Vater erhielt. Es war nicht sehr viel, aber sie hatte in früheren Jahren viel davon fortgegeben, und hatte auch in diesem Jahre einen schottischen Überrock für den Schiffer Hans kaufen wollen, der jede Selbstachtung verlor und bei kaltem Wetter nichts über seinem Hemde trug. Aber nun wollte sie egoistisch sein und ihr Geld für sich selbst ausgeben, was auch ganz recht war, da sie es zugleich für Oskar tat.

Es mußte aber ein großes Geheimnis bleiben; alle mußten damit überrascht werden, denn damit war die Sache halb gewonnen. Sie schrieb also nach Edinburgh und bestellte sich ein Kostüm, wie sie es auf der Anzeige eines Modemagazins gesehen hatte.

Das Kostüm kam mit einem Handelsdampfer, und sie war wie ein Kind mit ihrer Geheimnistuerei und Freude, schmuggelte den großen Karton in ihr Zimmer hinauf und beantwortete die Fragen des Faktors und der Tante mit geheimnisvollem Nicken und allerlei Ausflüchten.

Der Tag war hell und frostig, und als Oskar nachmittags hereinkam und einen Spaziergang nach dem See vorschlug, um das Eis zum Schlittschuhlaufen zu untersuchen, stimmte Helga eifrig zu, aber Thora lehnte es ab, weil sie etwas zu tun hätte – etwas Wichtiges, – eine kleine Überraschung, sie sollten es schon sehen, wenn sie nach Hause kämen.

Sobald Oskar und Helga fort waren und Tante Margret versprochen hatte, den Tee zu machen, flog Thora in ihr Zimmer hinauf, riegelte die Tür zu, öffnete den Karton und nahm die neuen Kleidungsstücke heraus, die ein solches Wunder bewirken sollten. Sie waren schön, man konnte davon träumen, Helga besaß nichts annähernd so Reizendes – ein blaues Voile-Kleid mit einer seidenen Taille und gestickten Passe. Der gefältelte Rock sah aus wie die Sonnenstrahlen über dem Hekla nach einem Sommerregenschauer, und die Seide der Bluse war so schön wie das Eis eines Gletschers mit den schillernden Luftblasen darin.

Thora lachte das Herz vor Freude. Sie zog ihr isländisches Kostüm aus und warf es wie eine abgetane Sache beiseite – den altmodischen Rock, die steife Treya und das gestärkte Brjest. Sie wunderte sich, daß sie sie solange getragen hatte, und überlegte sogar, wem sie sie schenken könnte – da war eine junge Witwe, die kürzlich ihr Kind an Diphtheritis verloren hatte und bei der Heilsarmee eingetreten war, die konnte sie gut brauchen.

Als sie die neuen Gewänder in der Hand hielt, wußte sie zuerst nicht recht, wie sie angezogen würden, und sie hätte am liebsten Helga danach fragen mögen. Mit dem Plissee-Rock ging es ganz gut, und sie kam sich mit der langen Schleppe groß und stattlich vor, aber die Bluse war eine bedenkliche Sache. Sie wurde hinten geschlossen und nach verzweifelten Versuchen die Haken und Ösen zu treffen, wollte sie schon Tante Margret rufen, gab es aber auf und quälte sich weiter.

Das Zimmer war kalt, als sie aber fertig angezogen war, glühte ihr Gesicht. Sie hatte den silbernen Gürtel angelegt, den Oskar ihr geschenkt hatte, und ihr Haar tief in die Stirn gekämmt, weil Helga es so trug. Als sie sich im Spiegel betrachtete, lachte sie von neuem, denn sie war stolz und glücklich.

Was würde Oskar sagen, wenn er sie erblickte? »Dies ist ja Helga!« würde er gewiß sagen, »eine zweite Helga! Nicht ganz so groß vielleicht, aber grade – ja wirklich grade ebenso hübsch.« Dann würde sich Helga ärgern und neidisch werden und vielleicht nach Dänemark zurückkehren.

Sie ging auf den Zehenspitzen hin und her und betrachtete sich freudestrahlenden Auges im Spiegel, als sie unten Stimmen hörte.

»Thora!« rief Oskar die Treppe hinauf.

»Ich komme,« antwortete sie.

»Wie ist es denn mit der großen Überraschung?«

»Gleich, gleich!« rief sie.

Sie wartete bis eine Tür unten geschlossen wurde und schritt dann, noch immer lachend, aber rasch atmend, und ihres Sieges gewiß, wenn auch ein wenig klopfenden Herzens die Treppe hinunter und stolz in das Wohnzimmer hinein.

Oskar lehnte am marmornen Ofen, Helga saß auf einem niedrigen Stuhl und wärmte ihre Füße am Feuer. Sie drehten sich um, als Thora eintrat und sahen sie mit großen Augen an. Ein peinliches Schweigen entstand; dann sagte Thora, immer rascher atmend:

»Nun, wie findet Ihr mich?«

Helga fing an zu lachen, erst leise kichernd, dann aber laut schallend, was Oskar, der sich bemüht hatte, ein Lächeln zu verbergen, ansteckte, sodaß er mit einstimmte.

Thoras Mienen nahmen einen niedergeschlagenen Ausdruck an und sie sagte mit unsicherer Stimme:

»Worüber lachst du denn, Oskar?«

»Mein liebes, liebes Kind!« sagte Oskar, und Helga, die noch immer lachte, setzte hinzu: »Eine kleine Putzmacherin! Sie sieht wie eine kleine Putzmacherin darin aus!«

»Nein, nein, so meine ich es nicht,« sagte Oskar. »Aber das ist nicht Thora. Thora ist ein süßes, einfaches, isländisches Mädchen, deren Reiz in ihrer Einfachheit liegt, während dies –«

»Ich verstehe schon,« sagte Thora, und wandte sich, tief verletzten Herzens ab, um zu gehen.

Oskar trat zur Tür, um sie zurückzuhalten, aber mit dem schrillen Aufschrei eines zu Tode getroffenen Wildes flog sie an ihm vorbei. Langsam schritt sie die Treppe hinauf, zog ihr englisches Kostüm aus, legte es in den Pappkarton zurück, schob ihn unter das Bett – und fing leise an zu weinen und sich die Augen zu wischen.

Nun wußte sie endlich die Wahrheit – wußte wie Oskar über sie dachte. Ein einfaches isländisches Mädchen – weiter hatte er nie etwas in ihr gesehen! Sie war es also, die ihn nur flüchtig bestrickt hatte und Helga war es, die er liebte!

Als sich die Tür hinter Thora geschlossen hatte, blickte Oskar Helga an und sagte:

»Was muß bloß über sie gekommen sein?«

»Merkst du es nicht?« sagte Helga.

»Ich, nein – was soll es denn sein?«

»Wie dumm kluge Leute mitunter sein können! Ich kann es dir in drei Worten sagen.«

»Dann sage es mir.«

»Thora ist eifersüchtig.«

»Das ist doch nicht dein Ernst?«

Helga errötete tief; sie sah zu Oskar empor, und ein geheimnisvoller Schauer durchfuhr ihn. Die große Überraschung war in der Tat eingetroffen.

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