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Dritter Teil.

 

Irdische Hoffnung, auf die des Menschen Herz baut,
Oft schnell vergeht, oft grünt, doch wenn er ängstlich schaut,
Dann sieht er diese Flamme leuchten nur und flickern
Für kurze Zeit; er sieht den Schnee im Wüstensand versickern.

 

Erstes Kapitel.

Nachdem die Hochzeit vorüber und die Reisenden aufgebrochen waren, ging Anna auf Besuch zu Magnus, um ihm während der Anfangswochen seines ersten Winters Gesellschaft zu leisten und ihm das Haus zu bestellen.

Das Erbpachtgut war einige dreißig Meilen von der Hauptstadt entfernt, nicht weit vom Sammelplatz der Schafe, inmitten der großen Ebene von Thingvellir, einer historischen Stätte, auf der früher, wie der vernachlässigte Berg der Gesetze noch bezeugt, die isländischen Parlamentssitzungen abgehalten wurden.

Die Ebene selbst war eine Einöde, etwa vier Quadratmeilen im Umfang und mitten im Herzen hoher Berge gelegen, von denen einige mit Gletschern bedeckt und andere Krater waren, die Rauchwolken kochenden Schwefels ausspeiten. Sie lag wie ein leerer, durch Erdbeben zerrissener und mit Schluchten und Spalten durchkreuzter Schlund da. Die Natur aber hatte ihre eignen Wunden geheilt und über der Lava Moos und über dem Moos Gras und über dem Gras tausend wilde, im Sommer in Blüte ausbrechende Blumen wachsen lassen.

Jetzt aber war es Winterzeit, und der nach beiden Seiten hin aufgetürmte Schnee bedeckte mit seinen sanften Kurven die spitzen Ecken und scharfen Kanten der Landschaft und bildete eine große, weite Welt für sich, aus der nichts als die Wohnstätten der Menschen und die Hürden für Schafe und sonstiges Vieh, einer gewissen Art dickköpfiger Pilze vergleichbar, hervorzusprießen schienen. In der Ebene gab es nur zwei Häuser, das Pachthaus und das Pastorhaus mit seiner kleinen Kirche daneben. Das Pachthaus war das größere von beiden, und da es auf der von der Hauptstadt nach einer der bedeutendsten Städte des Nordens führenden Straße lag, war es ein Halteplatz für Reisende geworden.

Die Pacht-Ausspannung befand sich seit vielen Generationen im Besitze von Annas Familie, und ihr Vater war ihr letzter Inhaber gewesen. Er war ein ehrenhafter Mann, ernst und schweigsam, im Charakter Magnus sehr ähnlich gewesen, hatte aber, da er einem zahlungsunfähigen Faktor in die Hände gefallen war, das Gehöft hoch verschuldet hinterlassen. Nachdem seine Tochter geheiratet hatte, verlor er die Frau und dann starb er selbst ganz plötzlich, wie die Leute sagten, am Trunk. Seitdem war die Besitzung zwanzig Jahre lang in Händen eines Verwalters, doch hatte der Gouverneur die Hypotheken von den Ersparnissen seines Gehaltes abbezahlt, sodaß der Pachthof jetzt schuldenfrei war.

Es machte Anna unendliche Freude, die Wirtschaft in ihr altes Geleise wieder zurückzubringen. Sie fing mit den Schlafzimmern an, denn »Sünde kommt mit Lachen«, pflegte sie zu sagen, »geht aber mit Weinen fort«. Den Schäfer mit seiner Frau brachte sie im oberen Schlafzimmer, der Badstofa, unter, die Mädchen im unteren und die Knechte in der Bodenkammer. Jeder der Räume hatte sein eigenes Dach, und die Wohnstätte als solche machte mehr den Eindruck einer Gruppe von Gebäuden oder eines Zigeunerlagers mit seinen spitzen, nach entgegengesetzten Richtungen hin abfallenden Zelten, als den eines einzelnen Hauses. Der Hauptraum war eine große viereckige Vorhalle, in die hinaus zwei Fremdenzimmer mündeten. Magnus sollte in einem derselben, falls nicht beide von Reisenden in Anspruch genommen waren, schlafen; in ersterem Falle würde ihm eine auf die Dielen gelegte Matratze als Bett dienen.

Anna inspizierte die Küche, das Elthaus, und die Skemma, Vorratskammer, prüfte den Wintervorrat von eingelegtem Fleisch und gedörrtem und gesalzenem Kabeljau und Walfisch und versah die Butte mit einem Vorlegeschloß, denn, wie sie zu sagen pflegte, »es verhungert selten eine Magd in der Vorratskammer.« Ihre letzte Aufmerksamkeit wandte sie der Vorhalle zu, die als allgemeine Wohnstube diente, und stattete sie mit einem Sofa, einem Lehnstuhl, einer Bornholmer Uhr und einem großen, deutschen Ofen neu aus. Als allerletztes hing sie zwei große Photographien an die Wand, eine vom Gouverneur und eine von sich selbst. Der Gouverneur trug seine reiche, goldgestickte Uniform, sie selbst aber war schlicht mit ihrer schwarzen Hufa bekleidet, und nach kurzer Überlegung würde sie ihr eignes Bild wieder herabgenommen haben, hätte nicht Magnus etwas Schönes über dasselbe gesagt; so ließ sie es denn hängen.

Annas Besuch dehnte sich lange aus. So oft sie sich indes mit der Versicherung, daß die Dummen am besten zu Hause aufgehoben seien, an ihre Reisevorbereitungen machte, lautete Magnus' Antwort dahin, daß Gudrun noch für diesmal ihren Koffer wieder auspacken müsse, da der Gouverneur sie unmöglich schon zu Hause erwarten könne.

Auf diese Weise blieb sie, bis der Tau den Schnee gleich Honigwaben zu durchlöchern begann und die Kanten der Landschaft sich wieder bemerkbar machten, in Thingvellir. Das Leben auf dem Pachthof verlief schlicht und einfach und jeder Tag brachte seine eigenen Pflichten. Ehe es hell wurde am Morgen, läutete Anna in der Vorhalle eine Glocke, die das Hausgesinde weckte, die Mägde in die Kuhställe und die Knechte zu dem Getier in die Schafhürden schickte. Und nachdem der kurze Tag zur Rüste gegangen war, läutete sie die Glocke wieder, diesmal zum Nachtessen und zu der darauf folgenden Andachtsübung, in der der Hausvater, jetzt Magnus, den zu singenden Choral bestimmte und ein Kapitel aus der Bibel vorlas.

Sonntags ging sie zur Kirche und traf dort einige fünfzig Leute, die von den die Ebene umgebenden Pachtungen herübergeritten kamen. Ihr Platz war dem Altar mit seinem Christusbilde, das den Erlöser in weißen Gewändern und unter warmem, morgenländischem, grünem Laubwerk wandelnd darstellte, gegenüber. Magnus saß auf dem Chor und schrieb die Choralnummern auf die Tafel. Er hatte nur wenig Stimme und war gar nicht musikalisch, trotzdem hörte Anna seinem Gesange glückselig zu.

Obgleich die Abende lang waren, stand der Haushalt nie still. Während die Mägde in ihrem Teile des Hauses wollene Decken ausbesserten und anfertigten, pflegte Magnus am Webstuhl zu arbeiten. Er saß dabei in der Vorhalle, und seine Mutter spann und strickte neben ihm. Er trug sich wieder mit großartigen Plänen, und wenn auch seine früheren Projekte nun unausführbar für ihn geworden waren, so hatte er andere ebenso wichtige.

Was für Island notwendig sei, wären Landstraßen; Landstraßen wären die Markzeichen der Zivilisation; ohne diese könne das fruchtbarste Land der Welt nicht vorankommen, denn was nütze eine milchgebende Kuh, wenn sie den Eimer umstieße?

Abend für Abend mußte Anna, während der Webstuhl stille stand, diesem Gerede zuhören und den damit zusammenhängenden Plänen zustimmen. Ja, Magnus, dem würde es schon nicht fehlen, seinetwegen konnte sie beruhigt nach Hause gehen.

»Vielleicht hat sich schließlich doch alles zum besten gewandt,« sagte sie, »und wenn das Haus nur eine Herrin hätte –«

Magnus jedoch rasselte dann an seinem Webstuhl, und während einiger Minuten herrschte Schweigen.

»Hans und Gudrun sind ganz gut in ihrer Art, aber es ist dünnes Blut, das nicht dicker als Wasser ist, und wenn ich nun fortgehe –«

Der Webstuhl rasselte noch lauter.

»Freilich, der junge Mann, den ein Mädchen wie Thora nicht zufriedenstellen konnte, wird wahrscheinlich nicht viele nach seinem Geschmacke finden.«

Und darauf rasselte der Webstuhl lauter denn je zuvor, und für den Abend wurde nichts weiter geredet.

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