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Zwölftes Kapitel.

Als Oskar aus dem Gouvernementsgebäude hinaustrat, stieß er auf Magnus, der mit der Reitpeitsche in der Hand und mit Galden Mane an der Eingangstüre am Fuße der Treppe stand. Der düsteren Wolke auf Magnus' Stirn entnahm Oskar, daß sein Bruder mürrischer und feindseliger Stimmung sei, und um Feindseligkeiten zu vermeiden, grüßte er ihn nur kurz und versuchte dann sich davonzumachen.

»Ein Wort!« sagte Magnus.

»Ein anderes Mal.«

»Nein jetzt,« sagte Magnus, und seine gewichtige Hand auf Oskars Arm legend zog er ihn in die Vorhalle zurück.

Oskar stieg bei dieser rauhen Behandlung das Blut ins Gesicht, und er sagte scharf: »Nun, was gibt es also?«

»Oskar, ich hörte, was im Schlafzimmer vorging.«

»Dann hast du gehorcht.«

»Das habe ich.«

»Du schämst dich nicht zu gestehen, daß du auf der Treppe – auf Händen und Füßen vielleicht – erhorcht hast, was ich mit meiner Frau verhandelt habe?«

»Ich würde, wenn es nötig wäre, auf meinem Bauche liegen und horchen,« sagte Magnus mit sich mehr und mehr verfinsterndem Gesicht.

»Darf ich fragen, weshalb du gehorcht hast?« fragte Oskar.

»Weil mir nichts anderes übrig blieb.«

»Wieso?«

»Ich habe mein Wort darauf gegeben zur Stelle zu sein, wenn ich gewünscht würde.«

»Meiner Frau?«

»Ja!«

»Verzeih mir, Magnus, wenn ich sage, daß es besser und wünschenswerter wäre, du kümmertest dich um deine eigenen Angelegenheiten.«

»Dies ist meine eigene Angelegenheit. Du mußt Thora das Kind zurückgeben, Oskar.«

»Wirklich, Magnus, du nimmst dir ganz ungerechtfertigte Freiheiten. Wenn du nicht mein Bruder wärest –«

»Pah! Gib der Mutter ihr Kind.«

»Großer Gott, Mensch,« sagte Oskar fliegenden Atems, als ob er gerannt sei, »bildest du dir wirklich ein, ich würde einem Unbeteiligten – selbst wenn er mein Bruder wäre – erlauben mir Vorschriften zu machen, wie ich mich in meinen Familiennöten zu verhalten habe und ihm gestatten den ganzen Weg von Thingvellir hergereist zu kommen, um die Leitung meiner häuslichen Angelegenheiten zu übernehmen? Welches Recht hast du dich in meine Angelegenheiten zu mischen – in die Angelegenheiten, die meine Frau und mich betreffen?«

Die auf Magnus' Stirn stehende Wolke verfinsterte sich mit jedem Augenblick mehr und er sagte:

»Welches Recht ich habe, willst du wissen?«

»Ja, das will ich.«

»Ich liebte Thora Neilsen.«

»Du hältst es für nötig, mir das zu sagen?« fragte Oskar. »Mich daran zu erinnern, daß sie dich meinetwegen abblitzen ließ?«

»Das ist eine Lüge, Oskar Stephenson.«

»Stark!« sagte Oskar lächelnd aber sichtlich zitternd.

»Ich gab sie auf, obwohl ich sie an ihr Wort hätte binden können. Ich entschied mich zugunsten des Mädchens gegen mein eigenes Glück. Ich trat sie dir ab, damit du sie glücklich machen möchtest. Das waren die Bedingungen, unter denen ich sie dir überließ, und was ist das Resultat? Was ist das Resultat, frage ich dich? Du hast einer andern Person gestattet ihren Platz einzunehmen.«

»Einer andern Person,« sagte Oskar. »Sprichst du so von ihrer eignen Schwester – von Helga?«

»Schwester oder nicht, sie hat Thora mit jeder List, die ihre selbstsüchtige Seele nur erdenken konnte, gemartert,« sagte Magnus. »Das hat sie getan, und du hast ihr darin geholfen und hast das Kleinod, das ich höher als mein Leben hielt, von dir geworfen.«

Oskar erhob lauten Einspruch, Magnus aber übertönte ihn mit einem Strom von Anklagen, wie er nie zuvor über seine sonst so schweigsamen Lippen gekommen war. »Denkst du etwa, ich weiß nicht, wie du das arme, unglückliche Kind behandelt hast, während ihr auf Reisen waret – du und das Mädchen, ihr beide vereint? Und nun, da das Kind gekommen und ihr Gatte, wie er es tun muß, wenn er überhaupt nur ein Mann ist, zu ihr zurückgekehrt ist, lässest du es zu, daß ihrer Schwester ränkesüchtiges Herz sie ihres einzigen Glückes beraubt.«

Wieder versuchte Oskar mit seinen erbleichenden Lippen zu lachen. »Magnus,« sagte er, »es ist unmöglich dir irgend etwas böse auszulegen. Augenscheinlich weißt du nicht, daß es auf Wunsch und mit Einstimmung der ganzen Familie und auf Rat des Doktors ist, daß das Kind von seiner Mutter genommen wurde.«

»Pah!« Glaubst du, ich wüßte nicht, wer den Vorschlag gemacht hat? Glaubst du, ich durchschaute ihren Zweck dabei nicht? Glaubst du, ich hörte ihre erbärmlichen Vorwände nicht ebenso deutlich, als ob ich ihnen zugehört hätte! Die kleine Unschuld ist in Lebensgefahr! Sie muß zu ihr kommen – Sie muß sie in Hut nehmen. Weshalb? Um dich zu ihren Füßen zurückzubringen – dich an sie zu fesseln um jeden Preis. Und du, wie ein Hansnarr, gehst auf den Leim – weil es nach deinem Wunsche ist – weil du weder dich selbst, noch deine Frau, noch die Person, die nicht wert ist ihr die Schuhbänder zu lösen, kennst.«

Oskar fuhr bei Magnus' Worten zusammen, sie trafen ihn bis ins innerste Mark.

»Oskar,« sagte Magnus von neuem, »du wirst der Mutter das Kind zurückgeben – es ist das beste, ich sage es dir.«

»Ich habe meine eigne Ansicht über das was das beste ist,« sagte Oskar aufbrausend, »und wenn ich es für das beste halte, daß Mutter und Kind für den Augenblick getrennt sein sollten –«

»Oskar Stephenson,« unterbrach ihn Magnus, »du wirst der Mutter das Kind zurückbringen!«

»Und wenn ich mich weigere, kraft welches Rechtes hast du über mich zu befehlen?« sagte Oskar.

»Kraft des Rechtes, das ich mir erwarb, als ich Thora dir abtrat,« erwiderte Magnus.

»Und kraft des Rechtes, das ich mir erwarb, als ich sie zu meiner Frau machte, werde ich mit ihrem Kinde tun, was mir für richtig erscheint,« sagte Oskar.

Hierauf verlor Magnus seine ganze Selbstbeherrschung.

»Ist sie etwa ein Hund, daß du ihr ihre Jungen nehmen kannst?« schrie er.

»Das Gesetz gibt mir das Recht über ihre Nachkommen zu verfügen, wie ich es für das beste halte,« entgegnete Oskar.

»Dann zum Teufel mit dem Gesetz!« rief Magnus. »Und wenn du meinen Beschwörungen gegenüber dein Ohr verschließest – werde ich –«

»Weiter,« sagte Oskar. »Es wird nicht das erstemal sein, daß du drohst das Gesetz zu brechen.«

»Du brichst dem armen Kinde das Herz und dabei sprichst du zu mir von Gesetze brechen. Ich werde aber mehr als das tun, wenn du das Kind seiner Mutter nicht zurückgeben wirst. Ich werde es mit Gewalt nehmen und es ihr selbst zurückbringen. Und wenn irgend ein Mensch, wer oder was er auch sein mag, mich daran verhindern will, werde ich ihm, bei Gott, den Schädel einschlagen!«

Seine Reitpeitsche zu Boden schleudernd war Magnus einen Schritt vorgetreten und hatte seine geballte Faust gegen Oskars zuckendes Gesicht erhoben, als ein Schrei von dem ersten Treppenabsatz herunterschallte: »Magnus! Oskar! Magnus! Magnus!«

Es war Anna. Sie stürzte herunter und warf sich zwischen beide Männer, der eine von schlanker, biegsamer Gestalt und mit blondem Haar, der andere von plumper Bauart und mit sonnenverbranntem Gesicht – beide schwerkeuchend und leichenblaß vor Haß und Wut.

»Meine Söhne! Meine Söhne! Die Schande! Die Schande!« rief sie. »Jedes Wort kann man im Schlafzimmer hören, und Thora weint sich die Augen aus.«

Magnus ließ seinen Arm sinken und wich wie gescholten und beschämt um einen oder zwei Schritte zurück. Oskar aber blieb unerschrocken und frecher Stirne so stehen, wie seine Mutter ihn angetroffen hatte.

»Magnus – Oskar,« fuhr Anna fort, »wenn ihr beide das oben hilflos daliegende arme Mädchen lieb habt, sollte das nicht Grund genug zur Freundschaft und nicht zur Feindschaft zwischen euch sein? Und dann bedenket mich, meine Söhne, mich, eure Mutter. Wahrlich, die Söhne einer Mutter sollten in Frieden miteinander leben. Ich habe euch beide genährt als ihr klein waret, und wenn es jetzt zu Streit und Schlägerei und vielleicht gar zum Blutvergießen zwischen euch käme, würde es mein Tod sein – ich könnte es nicht überleben.«

Dann wandte sie sich an Magnus und sagte, so gut sie es mit ihrer tränenerfüllten Stimme herausbringen konnte, – »Magnus, du darfst keinen Zorn gegen Oskar nähren. Bedenke, daß er dein jüngerer Bruder ist. Du und er habt als Kinder in einem Bette geschlafen, und du pflegtest ihn, als er ein kleiner Junge war, auf deinem Rücken zu tragen und alle Kämpfe für ihn auszufechten.«

Magnus stöhnte und wandte sich noch weiter ab, sodaß er seiner Mutter fast den Rücken zukehrte, und in dem Glauben, daß ihre Worte ihn nicht erweicht hätten, wandte sie sich an Oskar.

»Oskar,« sagte sie, »du mußt dich mit Magnus vertragen. Du mußt es allein schon um Thoras willen. Bedenke, sie gehört dir an, Oskar, und wenn es wahr ist, daß Magnus sie, trotzdem er sie selbst liebte, an dich abtrat, dann bedenke das Opfer, das er euch beiden gebracht hat. Vielleicht liebt er sie noch und hat, weil sie ihm verloren ging, sich zu lebenslänglicher Einsamkeit verurteilt. Wie manche lange Nacht mag er in Herzweh weinend auf seinem Lager verbringen. Einer Liebe, die so zu dulden vermag, Oskar, muß man vieles zugute halten. Berechtigt sie ihn nicht Thoras Glück zu überwachen? Und wenn er glaubt, daß die Sehnsucht nach ihrer kleinen Elin ihr Qual bereitet –«

Oskar fühlte, als ob seine Kehle sich zuschnüre, und mit heiserer Stimme sagte er: »Sie soll das Kind zurückhaben, Mutter. Wenn der Doktor es für ungefährlich erklärt, soll sie das Kind sofort zurück haben.«

»Da,« sagte Anna, »das ist billig – billiger könnte er nicht handeln, Magnus. Nun komm, ihr müßt euch beide die Hand geben.«

Sie legte ihre Hand auf Magnus' Arm, er rührte sich jedoch nicht.

»Magnus,« sagte sie, »deiner Mutter Liebe ist vielleicht das Einzige, was dir im Leben geblieben ist, sie wird aber alles überdauern, mein Sohn. Du brauchst sie niemandem abzutreten, und niemand kann sie dir rauben. Schließlich ist einer Mutter Liebe doch die beste. Sie wird dir treu bleiben und dich trösten, was du auch immer tun magst, und was die Welt dir auch immer anhaben mag. Magnus, du mußt dich mit deinem Bruder – deinem kleinen Bruder – deiner Mutter willen aussöhnen. Magnus –«

Magnus wandte sich um und sah Oskar mit verstörtem Antlitz und ausgestreckter Hand vor sich stehen. Seine eigne Hand erhob und senkte sich, erhob sich von neuem und im nächsten Augenblick hatte der plumpe Bursche, schluchzend wie ein Kind, seine Arme um Oskars Hals geschlungen.

Zwei Minuten später befand sich Magnus auf seinem Heimritt und galoppierte, seine lange Peitsche über Galden Manes Haupt schwingend und ihm zurufend, wie ein Rasender dahin.

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