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Zwölftes Kapitel.

Allein und verlassen, eine Beute teuflischer Einflüsterungen, wie sie ihn ähnlich während der Zeit seiner Versuchung gemartert hatten, wütend und unbefriedigt, obgleich er sein Vorhaben ausgeführt und, wie er beabsichtigt, über sie triumphiert hatte, stand Magnus oben in seinem Zimmer und packte beim Schein einer Kerze seine Habseligkeiten zusammen.

Es waren derer nicht viele und nicht wertvolle – eine Kleinigkeit an Geld, zwei oder drei Anzüge, zwei oder drei Paar Reit-, Fisch- und Schneestiefel, einige musikalische Übungsbücher, das »Buch des Jon«, des »Pilgers Fortschritt« (mit Illustrationen vom gehörnten Teufel Apolion) und die kostbare Flöte, mit der er sich jene seligen Abende, die nun einem andern Dasein anzugehören schienen, die Zeit vertrieben hatte. Er hatte sich zwei Ponys kommen lassen, die ihn nach dem Erb-Pachthof bringen sollten – ein Sattel- und ein Packpony – und zwei kleine Koffer hatten seine ganzen Besitztümer in sich aufgenommen. Nachdem er mit seiner Arbeit fertig war, kam er auf eine, noch einen Rest Kognak enthaltende Schnapsflasche zu, die er für medizinischen Gebrauch in seinem Zimmer gehalten hatte. Er trank den Branntwein aus und warf die Flasche fort.

Während dieser kurzen Stunde des Schmerzes und der Erniedrigung schallte der Lärm der unten beim Abendessen versammelten Gesellschaft in Zwischenpausen zu ihm herauf – bald in einzelnen Stimmen, bald in schrillem Gekreische wie das Getöse eines Geysers, bald in heiterem, schallendem Gelächter – und verbitterte und erhärtete ihm das Herz. Ganz deutlich konnte er zwischen den übrigen Oskars Stimme, erst bedrückt genug, später aber laut und lärmend, heraushören und es zerriß ihm die Seele.

»Du Narr!« redete ihm die andere Stimme ins Ohr. »Was konntest du anderes erwarten? Dachtest du etwa, er würde von Kummer überwältigt sein? Er ist froh; er wird dich mit Füßen treten und Thora ebenfalls. Höre ihn nur jetzt schon – den lieben, selbstlosen, allgemeinen Liebling.«

Nachdem die Koffer heruntergeschafft worden waren, warf Magnus einen letzten Blick im Zimmer herum und versuchte, da er sich zum letztenmal in demselben wähnte, alle bitteren Gedanken und bösen Leidenschaften von sich abzutun. Durch sieben lange Jahre hindurch, von denen einige unglücklich, andere aber glücklich gewesen waren, und von denen die letzteren den kleinen Raum mit mannigfachen Erinnerungen erfüllten, hatte er ihm als Heim gedient. Das schräg herabfallende Dach, das Dachfenster, die einfachen weißen Holzmöbel, das Schaffell auf dem bloßen Fußboden und das Sonnenblumenmuster der Tapete, alles waren Geister jener Träume, die er dort geträumt hatte. Manche Träume hatten den großen Taten gegolten, die er für Island zu tun gedachte, noch mehr aber Thora, und in dem Gedanken, daß die einen wie die anderen nun tot seien, und daß Thora nun Oskar angehöre, blies er, um keinem weiteren Unwillen Raum zu geben und um die Empörung, die in ihm aufsteigen wollte, niederzukämpfen, das Licht aus und setzte diesem Kapitel seines Lebens ein Ende.

Die inneren, teuflischen Stimmen wollten sich jedoch noch nicht zum Schweigen bringen lassen. Im Hinuntergehen mußte er auf dem ersten Treppenabsatz die Türe des Vorderzimmers passieren und er schlich sich auf den Zehenspitzen daran vorüber. Jahrelang war er immer derartig an der Türe vorbeigegangen, denn sie führte in Thoras Zimmer, einen geheiligten Raum, halb Kinderstube, halb Heiligenschrein, da Thora selbst eine halbe Heilige und ein halbes Kind für ihn war; daran dachte er diesen Moment indes nicht. Seine einzigen Gedanken waren darauf gerichtet, aus dem Hause herauszukommen, ohne sie noch einmal zu sehen; sie gehörte jetzt Oskar an, und wenn er ihr noch einmal begegnen und sie ihm danken sollte, daß er sie an Oskar abgetreten hatte – dies wolle Gott verhüten!

Thoras Türe war geschlossen, diejenige des andern Zimmers jedoch stand auf. Es war Tante Margrets Schlafstube, und Magnus wußte, daß auf der Kommode nahe der Tür eine Photographie Thoras stände. Er hatte Tante Margret oft darum beneidet, und nun bückte er sich, um einen letzten Blick auf sie zu werfen. Die Stimme an seinem Ohr schien zu sagen: »Nimm sie, es ist das einzige, was du von ihr mit dir fortnimmst.« In dem Gedanken jedoch, daß das Bild sein ferneres Leben nur noch unerträglicher machen würde, ließ er es stehen und ging weiter.

Auf seinem Gang den letzten Treppenabsatz hinab, hörte er ein Gesurre wie aus einer Mühle aus den beiden Wohnzimmern schallen und sagte sich, daß die Gesellschaft durch Neuhinzugekommene vergrößert sein müsse. Durch allen Lärm hindurch aber hörte er Oskars Stimme, klar wie eine Flöte, die Leute beim Hereinkommen begrüßen. »Hör ihn nur! Den Allbeliebten!« flüsterte die spöttische Stimme ihm zur Seite.

Auf die Hausflur tretend, traf er mit einigen Frauen aus der Stadt in Festtagskleidern und mit Blumensträußen in den Händen zusammen. Kaum eine derselben schenkte ihm einen Blick, alle gingen sie in das Wohnzimmer, wo Oskar sie grüßend bewillkommte.

Der Kleiderhalter war, um Raum für die Neuankommenden zu schaffen, seiner Sachen entleert worden. Magnus mußte daher, um zu seinem Überrock und seiner Reitpeitsche zu gelangen, nach einem Schrank unter der Treppe gehen, und während er dort beschäftigt war, öffnete Tante Margret, um frische Luft in die überfüllten Räume zu lassen, die Wohnstubentür. Da sie ihre Brille abgenommen hatte und er im Schatten stand, konnte sie ihn nicht sehen, er aber sah jeden Menschen im Zimmer und Thora unter den übrigen.

Sie saß an der Wand, und die Leute aus der Stadt traten nacheinander an sie heran, überreichten ihr Blumen und hielten kleine beglückwünschende Reden. Und sie dankte ihnen mit ihrer sanften Stimme und sah sehr glücklich aus.

Magnus fühlte sich durch Thoras Glück verletzt. Er hatte alles, was in seiner Macht stand, getan, sie glücklich zu machen, hatte ihr alles geopfert, nun aber, da er Augenzeuge desselben war, beleidigte es ihn, und als Oskar heiter und stolz blickend an sie herantrat und sich neben ihren Stuhl stellte, fühlte er Haß und Wut heiß in sich aufsteigen.

Während er seinen Überrock anzog, konnte er nicht umhin, das was im Zimmer gesprochen wurde, zu überhören. »So etwas Merkwürdiges, Thora,« sagte irgend jemand, »die Leute in der Stadt erzählten sich doch wohl, daß du Magnus heiraten würdest.« »Das habe ich auch gehört,« sagte jemand anderes, »ich hörte es neulich im Kaffee bei Olafs, den Goldschmiedsleuten.« »Solch eine Idee,« sagte eine Dritte, »als ob irgendein Mädchen, das Oskar bekommen könnte, Magnus heiraten würde!« Und dann antwortete Oskars Stimme ungezwungen, volltönig, nachsichtig, fast gönnerhaft: »Still, still! Sie müssen nichts gegen Magnus sagen, Elisabeth!« »Aber wie ich höre, hat Magnus Thora heute abend beleidigt, und der Faktor ihn deshalb an die Luft gesetzt.« »Wäre das möglich? Ich sah ihn beim Hereinkommen in der Hausflur.« »Nein, nein, nicht beleidigt, nicht gerade was man beleidigen nennt,« sagte Oskars Stimme von neuem, und darauf wandte sich Magnus betäubt und angeekelt ab.

Er war gerade im Begriff, gesenkten Hauptes zum Hause hinauszugehen, als die Türe des Vorderzimmers sich schnell öffnete und schloß und er sich Thora von Angesicht zu Angesicht gegenüber befand. Sie versuchte ein trauriges Gesicht zu machen, der Widerschein des Glückes jedoch leuchtete noch in ihren Augen und ihre halbgeöffneten Lippen umspielte ein Lächeln.

»Ich hörte gerade, daß du hier seiest,« sagte sie, »und ich mußte herauskommen, um dich zu sehen. Oskar sagte mir gestern, daß, was auch immer geschehen möge, ich nicht sprechen dürfe, es scheint aber zu schrecklich, daß du uns auf diese Weise verlassen solltest.«

»Wir hatten einen Irrtum begangen und mußten ihn auf irgendeine Weise wieder gut machen,« sagte Magnus.

»Ich weiß,« sagte sie. »Und ich bin natürlich auch überzeugt, daß es schließlich so am besten ist. Du würdest keine Freude an mir gehabt haben, Magnus, und ich würde sehr unglücklich gewesen sein.«

»Das würdest du vielleicht,« sagte Magnus.

»Es ist mir aber sehr schmerzlich, Magnus, daß du alle deine Pläne, an die du dein Herz gehängt hattest, aufgeben sollst.«

»Ich habe mehr als die aufgegeben, Thora,« sagte Magnus und versuchte, sich an ihr vorüber zu drängen und fortzugehen.

Das freudige Aufleuchten erstarb auf ihrem Gesicht und mit nachdenklichem Blick und bittender Stimme sagte sie:

»Mir ist zumute, als ob ich einen Freund verlöre, Magnus, als ob du mir auf immer Lebewohl sagtest.«

»Nicht gerade das,« sagte Magnus.

»Leb' wohl, Magnus!«

»Leb' wohl!«

In der Überzeugung, daß dies ihr letzter Abschied sei, blieben sie mit verschlungenen Händen stehen, als das Gesumme des inneren Zimmers wieder an ihr Ohr schlug und eine heitere Stimme rief:

»Thora! Thora! Wo bist du? – O, du bist es, Magnus?«

Es war Oskar, und im nächsten Moment war Thora zurückgetreten, die Türe des Wohnzimmers hatte sich hinter ihr geschlossen und Magnus und sein Bruder standen allein in der Hausflur.

»Ich wollte schon früher zu dir herauskommen, alter Bursche,« sagte Oskar, »sie hingen mir aber wie die Blutegel an, und ich konnte nicht loskommen. Ich wollte dir für das was du heute abend für mich getan hast, danken. Es war zu großmütig, zu brüderlich, und ich kann dir nie dankbar genug dafür sein.«

Magnus antwortete nicht, und so fuhr Oskar also fort:

»Du hattest mich ja zum Schweigen verpflichtet und darin hattest du ganz recht, offenbar recht; selbstverständlich indes kann ich den Irrtum über deinen Beweggrund nicht noch weiter gehen lassen, und sobald ich es ungefährdet tun kann, werde ich dich rechtfertigen. Die Leute sollen die Wahrheit über deine Handlungsweise und über den Grund derselben wissen; und sie werden ihr Versehen gut machen.«

Noch immer blieb Magnus stumm, und so fuhr Oskar fort:

»Es ist schon schlimm genug, daß du unterdessen der Leidende sein solltest, und wenn ich irgend etwas für dich tun könnte – in materieller Hinsicht, meine ich – wenn es dir an –«

Erschreckt durch die in Magnus' Gesicht aufsteigende dunkle Glut, wagte er das, was er auf der Zunge hatte, nicht zu beenden.

»Ich kümmere mich den Teufel darum, welchen Grund mir die Leute unterlegen,« sagte Magnus, »und es ist mir durchaus gleichgültig, ob sie es je gut machen oder nicht. Du weißt, weshalb ich es tat, und das genügt mir. Ich tat es um Thoras willen. Ich habe sie dir abgetreten, daß du sie lieben und hochhalten und glücklich machen, ihr ein besserer Ehemann sein möchtest, als ich es je gekonnt hätte. Wenn du das jedoch nicht tust, wenn du sie je vernachlässigen oder verlassen, oder um einer andern Frau wegen aufgeben solltest, werde ich sie mir zurückholen. Hörst du, was ich sage?« – (Magnus schwankte und griff wie ein Betrunkener nach Oskars Arm.) – »Dann hole ich sie zurück, und dann – dann, bei Gott, dann töte ich dich!«

Mit diesen Worten schritt er schwerfällig zum Hause hinaus und ließ Oskar bleichen Angesichts und unverständlich vor sich hin murmelnd allein in der Hausflur zurück.

Seine Ponys, zum Ritt nach Thingvellir bereit, erwarteten ihn auf der Straße. Es war eine dunkle Nacht, die Fenster des Hauses jedoch glänzten hell, denn die Rouleaux waren aufgezogen und die Fensterflügel geöffnet worden. Ein vielstimmiges Stimmengewirre drang nach draußen; die Gesellschaft drinnen hatte sich zu einer zahlreichen und äußerst heiteren angesammelt. Während Magnus die Sattelgurte fester zog, spielte jemand auf der Gitarre, und gerade als er fortritt, begann Oskar zu singen.

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