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Achtes Kapitel.

Glücklich ist, wer sich für glücklich hält, und Thora hielt sich für die glücklichste kleine Person der Welt. Die Wochen vor ihrer Hochzeit waren die fröhlichste Zeit, die ihr Herz je erlebt hatte. Sie zählte die Tage bis zu dem frohen Ereignis und sagte sich jeden Morgen beim Erwachen, »nun nur noch neunzehn,« und dann achtzehn, siebzehn, sechzehn, bis es nur noch drei, zwei und einer waren. »Unsere Thora ist wie eine weiße Maus in einem drehbaren Käfig – sie kann die Welt nicht schnell genug an sich vorbeiziehen lassen,« sagte Tante Margret.

Ihr Glück war nicht von der Art, die das Herz besorgt macht, und sie hegte jetzt Oskars wegen nicht mehr die geringste Befürchtung. Sie sah ihn allerdings kaum mehr länger als zwei Minuten allein, aber das beunruhigte sie durchaus nicht. Er kam jeden Tag immer in großer Eile und atemlos herein, und sie lächelte ihn freundlich an und schenkte ihm wohl auch einen Kuß, wenn es sich hinter der Tür des Speisezimmers machen ließ. Aber gewöhnlich mußte er sich damit begnügen, sie zwischen ihren Schneiderinnen und Nähmädchen sitzen zu sehen, was ihm lieber war als sie ahnte.

Nichts warf den leisesten Schatten auf ihr Glück, und wenn Oskar mit Karten und Fahrplänen kam, um Verabredungen wegen ihrer Reise zu treffen, dann sagte sie gewöhnlich:

»Warum besprichst du das nicht lieber mit Helga – sie weiß viel besser mit Reisen Bescheid?«

Oskar stotterte dann wohl ein wenig und meinte: »Nun, wenn es dir recht ist, daß Helga es bestimmt, und Helga selbst –«

»Gewiß ist es mir recht, geht nur in mein Schlafzimmer und sprecht alles ab.«

Dann rief aber Oskar: »Nein, nein, es geht hier ebensogut,« und dann besprachen er und Helga – er zitternd, daß ein Wort ihn verraten möchte, sie in dem bittern Gefühl, dem Glücke durch die Brille einer andern zuschauen zu müssen – die verschiedenen Routen und Züge, während um sie herum die Scheren klapperten und die Nähmaschinen schwirrten.

»Wollen wir durch den Mont Cenis gehen?«

»Nein, durch den Gotthard. Zurück kommen wir über San Remo und Nizza und Monte Carlo!«

»Ja natürlich – Monte Carlo!«

»Du meine Güte, es ist gerade, als ob Helga auf ihre Hochzeitsreise ginge,« pflegte Tante Margret zu sagen.

»Nicht wahr?« antwortete Thora dann wohl und lachte wie ein Kind.

In ihrem unschuldigen Herzen dachte sie von ihrer Schwester nur, wie unrecht sie ihr mit ihrem Verdacht getan habe. Helga ahnte wahrscheinlich nichts davon, aber sie wußte es, und konnte sich nicht eher zufrieden geben, bis sie ihr Genugtuung dafür geleistet hatte. Immer wieder überlegte sie, wie dies zu machen sei und endlich kam sie auf einen schlauen Gedanken. Es war eine gewagte Sache und sie sagte sich, wenn es glücken solle, müsse es an ihrem Hochzeitstage geschehen, weil sie dann die Königin ihres kleinen Reiches sein und niemand ihr etwas abschlagen würde. Solange blieb es ihr Geheimnis, von dem weder Helga noch Oskar etwas erfuhren.

Nur eine bittere Beimischung trübte jetzt noch Thoras Glück; die Erinnerung an Magnus. Sein tapferes Herz war nicht gebrochen, und er ließ nichts von seiner Verzweiflung verlauten, aber der Gedanke an das, was er litt, war doch wie ein eiserner Stachel in Thoras Leben. Um ihr Glück vollkommen zu machen, mußten alle es teilen, und so sagte sie eines Tages, als Oskar kam, und sie in der Halle mit ihm allein war:

»Oskar, wer wird Brautführer sein?«

Oskar stotterte hervor:

»Ja, ich weiß wirklich noch nicht, ich habe – das heißt –«

»Warum kann es nicht Magnus sein?« sagte Thora.

»Magnus? Ich dachte wohl daran, aber –« und nun kam die alte Schwierigkeit, daß er Magnus noch immer nicht wegen der Verlobung gerechtfertigt hatte, und solange dies nicht geschehen war, würden die alten Leute dagegen sein.

»Aber warum könntest du es nicht jetzt tun, Oskar? Es ist eine so schöne Gelegenheit, um alte Wunden zu heilen und Vergangenes vergeben und vergessen sein zu lassen.«

»Ja gewiß, du hast recht,« sagte Oskar, aber er sah sorgenvoll aus, als er fortging, und Thora hörte nichts wieder von der Angelegenheit, bis er am Tage vor der Hochzeit zu ihr sagte:

»Dein schöner Plan mit dem Brautführer läßt sich übrigens nicht ausführen, Thora.«

»Warum denn nicht?«

»Mutter sagt mir, Magnus wäre vor ungefähr acht Tagen nach Nordland gegangen.«

»Jetzt im Winter und so kurz vor der Hochzeit?«

»Sie meint, er wird dazu zurückkommen, aber natürlich können wir uns darauf nicht verlassen, und so wird Neils – du weißt doch, Neils Finsen, der Sohn des Kreisrichters – der mit dem letzten Dampfer heim kam – Brautführer sein, und damit ist alles in Ordnung.«

»Wie schade,« sagte Thora, und dann rief Oskar, der die Tür geöffnet hatte:

»Holla! Es schneit! Wir werden eine weiße Hochzeit haben, Thora!« und mit nervösem Lachen knöpfte er seinen Rockkragen auf und ging davon, ohne sie geküßt zu haben.

Sie erinnerte sich noch einmal daran als sie zu Bette ging und auf dem großen Lehnstuhl vor dem behaglichen Ofen saß. Die Vorhänge waren herabgelassen, alles war so gemütlich und traulich, und sie dachte daran, daß sie zum letzten Male in ihrem Vaterhause schlief. Die drei Wochen waren endlich vorüber und mit ihnen ihre Mädchenzeit; und als nun beide beinahe vergangen waren, schienen sie ihr wie ein Traum entschwunden zu sein. Sie war noch immer glücklich, aber es würde nicht viel dazu gehört haben ihr Glück in Leid zu verwandeln. Es war sehr schade, daß Oskar vergessen hatte sie zu küssen, und es war sehr schade, daß Magnus nicht bei der Hochzeit sein konnte.

Mitten in der Nacht ging sie erst zu Bett; der Schnee fiel noch immer. Sie dachte an Magnus, der in der Einöde umherwanderte, und wunderte sich, warum er gerade jetzt fortgegangen sei. Vielleicht vermochte er ihr und Oskars Glück nicht mit anzusehen! Der arme Magnus!

Aber die Erinnerung an ihn wurde bald durch eine Flut anderer Gedanken fortgewirbelt – die Hochzeit – die Hochzeitsgeschenke, und Oskar, immer wieder Oskar – und dann schlossen sich die müden Augenlider ihres Geistes in Frieden und Wohlgefallen mit aller Welt, und sie schlief den letzten Schlaf ihrer Mädchenzeit.

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