Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

In der Kinderstube blickte Magnus unterdessen auf das kleine, manchmal nach dem Licht hin blinzelnde, manchmal seine kleine Faust in sein Gesicht grabende, manchmal mit seiner winzigen, weichen Hand nach seinen eignen rauhen Fingern greifende Wesen in der Wiege herab. Durch die offene Tür des anstoßenden Zimmers drang die ihm so wohlbekannte Stimme, ein wenig schwächer, ein wenig dünner, aber freudiger und silberner als je vorher.

»Bist du es, Magnus?«

»Ja, Thora.«

»Hast du meine kleine Elin gesehen?«

»Ich sehe sie mir eben gerade an, Thora.«

»Ist sie nicht wunderhübsch? Ist sie nicht ein Herzblatt?«

»Sie ist wie ein kleiner Engel, Thora.«

Ein Ausruf der Freude kam aus dem andern Zimmer, und dann begann die silberhelle Stimme von neuem: »Sie ist wach, nicht wahr? Lacht sie nicht eben? Sie kann schon lachen, der kleine Schelm! Weißt du schon, Magnus, daß du ihr Pate sein sollst?«

»Soll ich das?«

»Ja, Oskar war gleich damit einverstanden, und die Taufe wird bald sein.«

»Das wird der glücklichste Moment meines Lebens werden, Thora.«

»O, sie wird dir genug zu schaffen machen. Sie wird solch ein kleiner Ausbund werden. Kannst du sie nicht schon in Gedanken aufwachsen sehen, Magnus?«

»Ich stelle sie mir ganz wie ihre Mutter vor, Thora, wie du als Kind warst.«

Wieder drang ein fröhlicher Ausruf durch die offene Tür, und darauf begann die silberne Stimme von neuem: »Sie wird dich manchmal auf dem Pachthof besuchen, und dann wird sie dir alle Blumen im Garten ausreißen.«

»Sie kann tun, was sie will, Thora.«

»Aber es gibt dort viele Abgründe und Höhlen und Spalten im Erdboden, nicht wahr?«

»Ich werde über sie wachen, Thora.«

Der freudige Ausruf erschallte noch einmal, jedoch mit einem leicht veränderten Klang; und dann: »Magnus?«

»Ja, Thora?«

»Weshalb heiratest du nicht auch und hast selbst eine kleine Elin?«

»Ich? O nein.« Und darauf folgte ein rauhes Lachen und ein Gemurmel über ›einen armen Landwirt‹.

»Sag das nicht, Magnus.«

Und dann rief ihm die silberne Stimme im ernsthaften, liebevoll patronisierenden Tone durch die offene Türe hindurch zu, sie hoffe, er würde glücklich in Thingvellir sein und vorankommen. Es sei zwar keine bedeutende Laufbahn, jedenfalls keine so hervorragende wie Oskars – wenigstens wie Oskars dermaleinst sein würde – und sie verlange harte Arbeit früh und spät – aber dennoch –

»Aber, Magnus, du bist nun ja drei Tage hier gewesen, nicht wahr? Wie hast du nur die Zeit gefunden?«

»Die werde ich einholen, Thora, wenn ich erst wieder zu Hause bin.«

»Aber Anna sagt, du bist seit deiner Ankunft hier noch garnicht im Bett gewesen, und nun die Proklamation so nahe ist, wirst du in der Ausspannung so sehr beschäftigt sein.«

»Ich bin kräftig, Thora – furchtbar kräftig,« sagte Magnus.

Thora lehnte sich in ihrem Bett zurück und sagte unter Erröten, das jedoch niemand bemerkte: »Magnus, ich glaube – ich glaube wirklich, du würdest alles in der Welt für mich tun.«

Ein rauhes Lachen, halb erstickt in eines Mannes Bart, antwortete ihr hierauf, und dann antwortete eine erstickte Stimme: »Ja, ich glaube, das würde ich, Thora.«

»Und wenn ich deiner bedürfte – oder das Kind deiner bedürfte – ich glaube du würdest uns, wie du einmal sagtest, bis ans Ende der Welt folgen.«

»Du brauchtest nur ›komm!‹ zu sagen, Thora, und ich würde kommen.«

Ein Moment des Schweigens folgte, und dann tönte ein fröhliches Lachen zu ihm herüber, und er fühlte wie er bis an die Haarwurzeln errötete.

»Doch natürlich, das kann ja nie passieren, Magnus. Wir haben ja Oskar und werden deiner nie bedürfen.«

»Nein, ihr werdet meiner nie bedürfen, Thora.«

In dem Moment kamen Anna und Tante Margret erhitzt und nervös von der Konferenz zurück und jagten Magnus aus dem Zimmer. Dann, während das Kind, ehe es schlafen gelegt wurde, hinter geschlossenen Türen und unter Begleitung der gewohnten Ausrufe ein Bad bekam, kämmte Anna Thoras Haare für die Nacht aus, und Thora erzählte von Magnus.

»Die Leute halten ihn für schwerfällig und dumm, er wird einige von ihnen aber doch noch eines Tages in Staunen versetzen,« sagte sie.

»Soll ich es wie gewöhnlich flechten?« fragte Anna.

»Gerade wie immer. Wie dir die Hände heute abend aber zittern, Mutter!«

»Das kommt vom Krankenpflegen, will ich dir sagen.«

»Der arme Magnus! Er hegt keinen einzigen selbstsüchtigen Gedanken im Herzen. Jedes Mädchen könnte ihn lieben, und wer weiß, wenn ich Oskar nicht kennen gelernt hätte –?«

»Doktor Oddson sagt, du solltest heute abend ein Pulver nehmen, Kind. Du wirst bis zum Morgen danach schlafen.«

»Dir wäre ein solches Pulver eher nötig – dir und Tante Margret.«

»Ah, wenn ich es für dich nehmen könnte, wie gern,« sagte Anna. »Hier ist es aber – nimm es schnell, sonst tue ich es doch noch am Ende.«

Thora trank aus dem ihr von Anna gereichten Glase und sagte: »Da! Es ist herunter! Nun bringt mir das Kind.«

Tante Margret kam mit dem Kinde. Sie hatte es in den Schlaf gelullt und legte es der Mutter vorsichtig in die Arme.

»Das Herzblatt! Das gebraucht keinen Schlaftrunk. Mein süßer, süßer Liebling! Nein, aber so etwas – Tante Margrets Arme zittern ebenfalls! Ich habe euch ganz übermüdet, euch alle beide.«

»Unsinn! Mach', daß du einschläfst. Ich nehme nun das Licht fort,« sagte Tante Margret und schrob die Lampe nieder und stellte sie auf einen Tisch hinter dem Bettvorhang.

»Wie gut ihr gegen mich seid! Jedermann ist so gut gegen mich,« tönte es in schwächer werdender Stimme aus dem Schatten des Bettes heraus.

»Das kommt nur davon, weil jeder dich lieb hat, Thora,« sagte Anna mit heiserer Stimme. »Davon mußt du stets überzeugt sein, was auch kommen sollte.«

»Wie schön es ist, geliebt zu werden! Wenn ich nur sicher wäre, daß es dauerte –«

Das Kind wurde unruhig und Thora begann, es in den Schlaf zu singen –

»Schlaf, Kindlein, schlaf,
Englein hell die halten Wacht
Über dich die ganze Nacht,
Schlaf, Kindlein, schlaf.«

Ihre schläfrige Stimme sang eine Strophe mehr und hielt inne, dann noch eine Reihe und hielt wieder inne, und darauf sagte die schwache Stimme:

»Wie köstlich müßte es sein, so eines Tages einzuschlafen – das Kind und ich – und im Himmel zu erwachen.«

»St!«

»Es würde mir Oskars wegen leid tun, aber doch –« Die schwache Stimme lispelte, die sanften Atemzüge verlängerten sich, die blauen Augenlider fielen zu, die blassen Lippen teilten sich, die weißen Arme erschlafften und dann ruhten beide Kinder, Mutter und Kind, zusammen in Schlafesschoße.

Einige Minuten herrschte Stille, während der die beiden wie Verbrecherinnen im Dunkel dasitzenden Frauen nichts hörten als das Ticken der Uhr. Dann schlich sich Tante Margret hinüber, wo Anna mit ihrer schwarzseidenen Schürze über dem Kopf dasaß und flüsterte:

»Oskar wartet an der Tür, wenn es überhaupt geschehen soll, laß es jetzt sein.«

Anna entblößte ihr Gesicht und sah Oskar in Hut und Rock auf der Schwelle stehen. Ihre zitternden Glieder wollten sie kaum tragen, als sie sich nach der Bettseite hintastete. Dort blieb sie einen Moment, auf Thoras abgemessene Atemzüge horchend, stehen. Dann löste sie die weißen Arme der Mutter auseinander und hob das Kind aus ihnen empor.

Tante Margret wickelte einen Schal um das schlafende Kind, und Oskar bedeckte es mit seinem Rock.

»Die Nacht ist warm, und es wird ihm nicht schaden,« stammelte er. Im nächsten Moment war er in Begleitung von Tante Margret verschwunden. Darauf wankte Anna, ihr Gesicht von neuem bedeckend in das äußere Zimmer und rief schluchzend: »Gott, vergib mir! Gott vergib! Gott vergib mir!«

.


 << zurück weiter >>