Emile Gaboriau
Der Strick um den Hals
Emile Gaboriau

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25

Nachdem die Anwälte Folgat und Magloire den Salon des Herrn von Chandoré verlassen hatten, begaben sie sich zum Gerichtsgebäude. Die Rue de la Montagne hinabschreitend, sagte Folgat:

»Herr Galpin-Daveline muß sich doch seiner Sache sehr sicher fühlen, da er der Verteidigung ohne Bedenken die sämtlichen gegen Herrn von Boiscoran geführten Untersuchungsakten mitteilt.«

Und es scheint allerdings, daß das Strafgesetzbuch eine solche Mitteilung der Untersuchungsakten weder anordnet noch gestattet, solange nicht die Anklagekammer ihr Urteil abgegeben und der Angeklagte vom Schwurgerichtspräsidenten verhört worden ist.

»Weil erst dann«, sagen alle Kommentatoren, welche als die Geißel der Rechtswissenschaft anzusehen sind, »weil erst dann vielleicht die Untersuchung als abgeschlossen gelten kann und weil erst dann das Bedürfnis einer freien Verteidigung eintritt, die sich auf die Kenntnis aller Vorgänge der Untersuchung stützt.«

Die Vernunft und Billigkeit empören sich gegen einen solchen Lehrsatz.

Nehme man irgendeinen unglücklichen Angeklagten, der irgendeines schweren Verbrechens beschuldigt, vielleicht fälschlich beschuldigt ist, also voraussichtlich unschuldig vor dem Gesetz, und der doch ohne Kenntnis bleibt von allen gegen ihn im geheimen Verfahren aufgebrachten und angesammelten Beschuldigungen, aufgehäuften Beweisen und Zeugenaussagen! . . .

Alles steht für ihn auf dem Spiel, es handelt sich für ihn um Ehre und Leben, um Ehre und Leben seiner Angehörigen – gleichviel! Man verschweigt ihm die Ergebnisse der Untersuchung. Erst im letzten Augenblicke, wenn sich schon die Ansicht über ihn fest eingewurzelt hat, wenn schon die Geschworenen, von denen sein Geschick abhängt, sich ihr Urteil gebildet haben, wird ihm gestattet, die gegen ihn geführten Akten kennenzulernen.

Glücklicherweise gestattet das Gesetz einen Ausgleich. Mit Zustimmung und unter Verantwortlichkeit des Staatsanwalts kann nämlich der Untersuchungsrichter in halbamtlicher Weise die Akten mitteilen, den Angeklagten und seinen Verteidiger lesen und Abschriften machen lassen, und zwar ohne Einschränkung in bezug auf alle oder einen Teil der Untersuchungsprotokolle, Vernehmungen, Erkundigungen und so weiter.

So hatte denn auch Herr Galpin-Daveline getan, und dies war sehr bezeichnend bei einem Manne, der, stets geneigt, das Gesetz in seinem eigenen und zwar dem strengsten Sinne auszulegen, sowenig einen Schritt tat ohne den Buchstaben wie ein Blinder ohne seinen Stab.

Geschah dies aber aus innerer billiger Nachsicht?

»Ich wette, nein!« sagte Magloire. »Soweit ich ihn aus langjähriger Praxis kenne, ist er an und für sich unerbittlich. Er hat aber, zu unserem Glück, Angst. Diese Bewilligung ist nichts als eine Hintertür, die er sich für den Fall einer Niederlage offenhält.«

Und der Anwalt von Sauveterre hatte recht. So stark überzeugt Herr Galpin-Daveline auch von Jacques von Boiscorans Schuld sein mochte, er fühlte sich nicht minder beunruhigt durch die Art seiner Verteidigung. Bei zwanzig Vernehmungen hatte er dem Angeklagten nichts als die Erklärung entreißen können, daß er unschuldig sei. Und wenn ihn der Untersuchungsrichter bis zum äußersten getrieben, so hatte Jacques stets nur entgegnet: »Ich werde mich aussprechen, wenn ich mit meinem Verteidiger verhandelt habe.«

Gewöhnlich ist dies die fast einzige Antwort des dümmsten Tropfes, der nur Zeit zu gewinnen trachtet. Herr Galpin-Daveline hatte aber von den geistigen Fähigkeiten seines ehemaligen Freundes eine viel zu hohe Vorstellung, als daß er nicht überzeugt gewesen wäre, es verberge sich hinter Herrn von Boiscorans hartnäckigem Schweigen irgendein ernster, entscheidender Grund.

Worin bestand dieser? War es eine künstlich zusammengesetzte Lüge, ein ausgeklügeltes Alibi, oder waren es Zeugenaussagen, von langer Hand gewonnen und vorbereitet?

Herr Galpin-Daveline hätte viel darum gegeben, wenn er es hätte erfahren können, und lediglich aus diesem Grunde hatte er die Mitteilung der Akten bewilligt.

Nachdem er aber die Bewilligung erteilt, hatte er dem Staatsanwalt seine Verlegenheit gestanden, und der vortreffliche Herr Daubigeon, welcher gerade daran war, sich in dem Goldschnitt seiner kostbaren Scharteken zu spiegeln, hatte ihn sehr schlecht empfangen.

»Wollen Sie noch Unterschriften haben?« hatte er ihm entgegengerufen. »Ich bin bereit, sie Ihnen zu geben. Für etwas anderes empfehl ich mich Ihnen:

›. . . Sobald die Dummheit ist geschehen,
Ist's meiner Treu, zu spät, Rat zu verlangen.‹«

Sowenig ermutigend auch dieser Empfang war, blieb Herr Galpin-Daveline doch beharrlich.

»Freilich sind wir dazu da«, hatte er mit bitterem Tone erwidert, »daß man es eine Dummheit nennt, wenn wir unsere Schuldigkeit tun. Ist nicht ein Verbrechen begangen worden? Habe ich nicht die Aufgabe, den Täter zu entdecken? Ja. Nun gut! Ist es mein Fehler, wenn der Täter mein Freund war und wenn ich im Begriff stand, eine seiner Verwandten zu heiraten? Niemand im Tribunal zweifelt an der Schuld des Herrn von Boiscoran, niemand wagt es, mein Betragen zu schelten, und dennoch begegnet man mir mit der äußersten Kälte.«

»So ist die Welt!« hatte ihm Herr Daubigeon spöttisch erwidert. »Man rühmt die Tugend, aber man läßt sie sich erkälten. Probitas laudatur et alget!«

»Ja, es ist wahr«, hatte seinerseits Herr Galpin-Daveline gesagt. »Man kann die Leute nicht leiden, welche das vollbringen, was man selbst zu tun nicht den Mut hatte. Der Herr Oberstaatsanwalt hat mich beglückwünscht, weil er die Sache von einem höheren Standpunkt und aus der Ferne beurteilt; hier aber unterliegt man dem Einflüsse einzelner Kreise. Selbst diejenigen, die mich unterstützen sollten, entmutigen mich, erklären sich gegen mich, arbeiten mir entgegen. Der Staatsanwalt, der mein natürlicher Verbündeter sein sollte, läßt mich im Stich und bespöttelt mich. Der Herr Präsident, mein unmittelbarer Vorgesetzter, sagte mir erst heute morgen in einem Tone unerträglicher Ironie: ›Ich kenne wenig Beamte, die wie Sie fähig wären, dem Interesse der Wahrheit und der Gerechtigkeit ihre Verbindungen und Freundschaften zu opfern. Sie sind ein heroischer Mensch, Sie werden weit kommen!‹«

Der Staatsanwalt hatte ihn nicht weiter anhören können.

»Brechen wir ab!« hatte er gesagt. »Wir werden uns doch nicht einigen können. Ob Jacques von Boiscoran schuldig oder unschuldig ist, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß er der liebenswürdigste Bursche von der Welt war, ein ausgezeichneter Wirt, ein vorzüglicher Sprecher und Gelehrter, und daß er die schönsten Ausgaben des Horaz und Juvenal besaß, die ich je gekannt habe. Ich habe ihn geliebt, ich liebe ihn noch und bin untröstlich, ihn im Gefängnis zu wissen . . . Gewiß ist, daß ich in Sauveterre die angenehmsten Beziehungen hatte und daß sie jetzt zerstört sind. Und Sie beklagen sich! Bin ich es, der Ehrgeiz zeigt? Habe ich danach gestrebt, meinen Namen mit einem aufsehenerregenden Prozeß in Verbindung zu bringen? War ich es, der je zögerte, sich zurückzuhalten, wenn man ihm dies riet? . . . Herr von Boiscoran wird aller Wahrscheinlichkeit nach verurteilt . . . Sie werden den Gipfel Ihrer Wünsche erreichen. Und Sie klagen dennoch! Zum Teufel! man kann nicht alles beisammen haben. Wer hätte jemals einen noch so bewunderungswürdigen Plan ausgeführt, ohne daß die Unternehmung und der Erfolg ihm Reue verursachte . . .«

Nach diesem Redeerguß hatte sich Herr Galpin-Daveline nicht mehr aufgehalten. Er hatte sich wütend entfernt, zugleich aber entschlossen, aus den derben Wahrheiten, die ihm Herr Daubigeon gesagt hatte und die ihm einen deutlichen Einblick in die Meinung aller gestatteten, seinen Nutzen zu ziehen. Sie waren Ursache geworden, daß er sein letztes Zögern überwand. Jetzt hatte er ohne weiteres die Mitteilung der Akten bewilligt und seinem Gerichtsschreiber die äußerste Gefälligkeit gegen die angeklagte Partei empfohlen.

Nicht ohne das tiefste Erstaunen hatte Méchinet Herrn Galpin-Davelines Befehl vernommen, die gesamten Prozeßakten der Verteidigung zu übergeben. Er kannte seinen Vorgesetzten von Grund auf, diesen Untersuchungsrichter, dessen Schatten er seit vielen Jahren gewesen war.

»Aha, das ist's!« hatte er sich gesagt. »Du hast Angst!«

Und als Herr Daveline, seinen Befehl schärfer betonend, noch hinzufügte, die Ehre der Justiz erfordere, die Härten zu mildern, wo diese einmal unvermeidlich seien, da hatte der Gerichtsschreiber ernst erwidert:

»Oh, seien Sie ruhig, mein Herr, mir fehlt die Herzensgüte nicht.«

Aber kaum hatte der Untersuchungsrichter den Rücken gewendet, da brach Méchinet in ein Lachen aus.

»Es ist nicht nötig«, dachte er, »mir dergleichen Empfehlungen zu machen. Wenn er nur ahnte, bis zu welchem Punkte ich mich der Verteidigung bereits ergeben habe . . . Welche Wut, wenn er jemals erführe, daß ich das Geheimnis der Untersuchung längst verraten, daß ich der Zwischenträger des Briefwechsels des Herrn von Boiscoran mit seinen Freunden geworden bin, daß ich Frumence Cheminot zu meinem Mitschuldigen gemacht, daß ich Blangin, den Gefängniswärter, bestochen habe, damit Fräulein von Chandoré ihren Verlobten besuchen konnte! . . .«

Denn Méchinet hatte ja alles dieses getan, das heißt viermal mehr als erforderlich, um vom Gericht davongejagt, ja sogar auf einige Monate Hausgenosse Blangins zu werden. Er fühlte, wie ihn ein Schauer durchrieselte, als er ernst darüber nachdachte. Eines Abends, als er nach Hause gekommen war und seine Schwestern, die bescheidenen Schneiderinnen, hatten ihm, von Neugier gefoltert, gesagt: »Ganz entschieden, Méchinet, seit dem Besuche des Fräuleins von Chandoré hast du ein Geheimnis!« – da hatte er ihnen in einem Zornausbruch mit donnernder Stimme zugerufen: »Teuflische Schwätzerinnen, die ihr seid, wollt ihr mich gern auf dem Schafott sehen?»

Aber in den Augenblicken der Angst hatte er doch nicht den Schatten eines Gewissensbisses. Denise hatte ihn vollständig bezaubert, und er beurteilte den Untersuchungsrichter nicht weniger streng, als sie es tat.

Herr Daveline hatte gewiß nichts direkt gegen das Gesetz getan, aber er hatte den Geist des Gesetzes verletzt. Nachdem er den traurigen Mut gehabt, die Untersuchung gegen einen Freund zu führen, war er nicht unparteiisch geblieben. In der Furcht, für schwach gehalten zu werden, hatte er die Härte übertrieben. Und vor allem, er hatte die Nachforschungen einzig und allein in der Richtung und in dem Sinne seiner Überzeugung oder seines Vorurteils betrieben, als wenn das Verbrechen bereits erwiesen gewesen wäre, und ohne die Interessen eines Angeklagten zu berücksichtigen, der fort und fort seine Unschuld beteuerte.

Méchinet aber glaubte fest an diese Unschuld, und er war im stillen überzeugt, daß der Tag, da Herr von Boiscoran seinen Verteidiger spräche, auch der Tag seiner Rechtfertigung sei.

Daher die äußerste Pünktlichkeit, mit welcher er sich in das Gerichtsgebäude begab, um Herrn Magloire zu erwarten. Aber schon war es Mittag geworden, und der Anwalt war noch nicht erschienen. Er war noch immer bei Herrn von Chandoré zur großen Konferenz.

»Sollte irgendein Hindernis eingetreten sein?« dachte Méchinet.

Seine Unruhe war so groß, daß er, statt zum gemeinschaftlichen Mittagessen nach Hause zu gehen, sich durch einen Kanzleidiener ein Butterbrot holen ließ, welches er zu einem Glas Wasser verzehrte.

Endlich, als es bereits drei Uhr schlug, langte Herr Magloire mit Herrn Folgat an, und Méchinet erriet trotz ihres angenommenen Gleichmutes, daß er sich getäuscht hatte und daß Jacques noch nicht gerechtfertigt war. Er wagte indessen nicht, Herrn Magloire um eine Auskunft zu bitten.

»Hier sind die Untersuchungsakten«, sagte er einfach, indem er einen gewaltigen Aktendeckel mit vollem Inhalt auf den Tisch legte.

Dann aber zog er Herrn Folgat beiseite und fragte gespannt, was sich ereignet habe.

Der Gerichtsschreiber hatte sich, wie der Pariser Anwalt wußte, in einer Weise benommen, daß man vor ihm kein Geheimnis zu haben brauchte, und er war selbst allzusehr bloßgestellt, als daß man seines Schweigens nicht vollständig sicher hätte sein können. Dennoch wagte Herr Folgat nicht, ihm den Namen der Frau von Claudieuse preiszugeben. Er antwortete ausweichend:

»Herr von Boiscoran hat sich allerdings vollständig gerechtfertigt, aber es fehlen noch die Beweise seiner Angaben; wir sind damit beschäftigt, sie zu sammeln . . .«

Damit nahm er neben Magloire Platz, welcher sich bereits niedergelassen hatte und dem Aktendeckel eine Anzahl Schriftstücke entnahm. Mit Hilfe dieser Dokumente war man imstande, Schritt für Schritt der Arbeit des Herrn Galpin-Daveline zu folgen, sich von seinen Bemühungen Rechenschaft zu geben und seine Strategie zu verstehen.

Vor allem aber suchten die Anwälte den Cocoleu betreffenden Aktenteil . . . sie fanden ihn nicht! Von den in der Nacht des Brandes durch den Schwachsinnigen abgegebenen Aussagen, von den gemachten Versuchen, ihm weitere Äußerungen oder eine Wiederholung der früheren zu entlocken, von den gerichtsärztlichen Untersuchungen – nichts, kein Wort!

Herr Galpin-Daveline hatte Cocoleu unterdrückt. Das war sein Recht. Die Anklage kann nach ihrem Belieben Zeugenaussagen zurückhalten und neue hervorstellen.

»Ah, der Spürhund ist gewandt!« brummte Herr Magloire enttäuscht.

Die Gewandtheit des Herrn Galpin-Daveline war in der Tat groß. Er hatte der Verteidigung eins der sichersten Hilfsmittel entzogen, ein Mittel, dessen Wirkung gewiß war, dessen Gegenstand sich leidenschaftlich besprechen ließ und das vielleicht in der Schwurgerichtssitzung Anlaß zu einem jener Zwischenfälle gegeben hätte, die auf den Geist der Geschworenen so mächtig zu wirken pflegen.

»Nun, es bleibt uns immer noch die Wahl, ihn vorladen zu lassen«, fügte Magloire hinzu.

Sie hatten diese Wahl, allerdings; aber welcher Unterschied in der Wirkung und im Erfolg! . . . Eingeführt durch die Anklage, war Cocoleu ein Belastungszeuge, und die Verteidigung hätte mit dem Ausdrucke der Entrüstung ausrufen können:

»Da, seht! Zeugen dieser Art waren es, durch deren Aussagen uns ein Verbrechen zugeschoben wurde!«

Aber durch die Verteidigung aufgestellt, erschien Cocoleu im Gegenteil als eine Art Entlastungszeuge, sozusagen einer jener Zeugen, welche den Geschworenen stets verdächtig sind, und am Anklagevertreter wäre es dann gewesen, zu sagen:

»Was erwarten Sie von diesem armen Schwachsinnigen, dessen geistiger Zustand so beschaffen ist, daß wir über seine Aussage hinweggegangen sind, obgleich er Beschuldigungen erhoben hat!«

»Wenn wir genötigt sind, vor den Geschworenen zu plädieren«, murmelte Herr Folgat, »so ist uns mit diesem Burschen offenbar ein bedeutender Vorteil entzogen. Aber wie will nun Herr Galpin-Daveline die Schuld feststellen?«

Auf die einfachste Weise von der Welt. Die Erklärung des Herrn von Claudieuse, welche die Stunde des Verbrechens feststellte, war der Punkt, von welchem Herr Daveline ausging. Von hier aus gelangte er unmittelbar zu der Aussage des Burschen Ribot, welcher Herrn von Boiscoran vor dem Ereignis durch die Sümpfe nach Valpinson zu hatte gehen sehen, und zu dem Zeugnis von Gaudry, der den Angeklagten nach dem Verbrechen in der Richtung von Valpinson her im Wald beobachtet hatte. Drei weitere Zeugen gaben außerdem dem Gerichtshofe genau den von Herrn von Boiscoran eingeschlagenen Weg an.

Und allein mit diesen, durch welche die Zeitfrage festgestellt ward, gelangte Herr Daveline zu dem unumstößlichen Beweise, daß Herr von Boiscoran in Valpinson und nirgends anders gewesen war und daß er sich dort gerade zur Zeit des Verbrechens befunden. Was tat er dort?

Auf diese Frage antwortete die Anklage durch die gleich am ersten Tage erhobenen Beschuldigungen und Belastungsmomente: das Wasser, in welchem Jacques sich die Hände gewaschen hatte, die auf dem Schauplatz des Verbrechens gefundene Patronenhülse, die Übereinstimmung der aus den Wunden des Herrn von Claudieuse gezogenen Schrotkörner mit denen der Patronen zu Jacques' Gewehr »Klebb«, die man in Boiscoran fand.

Und dabei gab es nirgends eine Wortklauberei, nirgends eine Abschweifung oder bloße Unterstellung und Voraussetzung. Die Aufstellungen der Anklage waren einfach, genau und furchtbar zugleich und in ihrem äußeren Anschein ebenso unanfechtbar wie eine mathematische Beweisführung.

»Unschuldig oder nicht«, sagte Herr Magloire zu seinem jüngeren Kollegen, »Jacques ist verloren, wenn es Ihnen nicht gelingt, irgendeinen Beweis gegen Frau von Claudieuse herbeizuschaffen. Und selbst in diesem Falle, selbst wenn das Gericht annimmt, daß diese Frau schuldig ist, wird es nie glauben, daß Jacques nicht ihr Mitschuldiger sei . . .«

Die beiden Verteidiger brachten den Nachmittag und einen Teil des Abends damit zu, die Protokolle über die Vernehmungen zu prüfen und alle Anklagepunkte zu studieren. Am folgenden Morgen um neun Uhr schon, nach kurzem Schlaf, begaben sie sich zusammen nach dem Gefängnis.


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