Emile Gaboriau
Der Strick um den Hals
Emile Gaboriau

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9

Gleich einem Menschen, den ein plötzlicher Schwindel erfaßt, bleich, als wäre alles Blut aus seinen Adern zum Herzen zurückgeströmt, so schaute Jacques von Boiscoran mit bestürztem Blicke um sich. Er begegnete nur düstern und betroffenen Mienen.

Sein alter Kammerdiener Antoine hielt sich schwankend an der Tür. Der Gerichtsschreiber Méchinet stand vor Schrecken mit offenem Munde da. Herr Daubigeon hatte den Kopf gesenkt.

»Es ist schrecklich«, murmelte er, »schrecklich!«

Er sank schwer in einen Lehnstuhl, mit beiden Händen das Schluchzen niederpressend, welches ihm die Brust zu sprengen drohte. Nur Herr Galpin-Daveline erschien unbewegt.

Das Gesetz, als dessen achtunggebietende Verkörperung er sich ansah, läßt sich nicht rühren. Ein eigentümliches Kräuseln seiner schmalen Lippen verriet sogar den Anflug eines rasch wieder unterdrückten Lächelns; das kalte Lächeln eines Ehrgeizigen, der befriedigt ist, seine kleine Rolle gut gespielt zu haben. Bewies ihm doch alles, daß Jacques von Boiscoran schuldig war, und vor die Wahl zwischen einem Freunde und der Gelegenheit zur Überführung gestellt, entschied er sich leicht.

Nach einer Minute Stillschweigens trat er mit gekreuzten Armen dicht vor den Unglücklichen. »Gestehen Sie jetzt?« fragte er ihn.

Wie mit Federkraft emporgeschnellt, erhob sich Herr von Boiscoran.

»Wie?« rief er, »was soll ich Ihnen gestehen?«

»Daß Sie der Urheber des Verbrechens in Valpinson sind!«

Mit einer krampfhaften Bewegung barg der unglückliche junge Mann sein Gesicht in beide Hände.

»Aber – das ist ja Wahnsinn!« rief er. »Ich der Urheber eines so abscheulichen, so feigen Verbrechens! . . . Ist es möglich, ist es wahrscheinlich! Selbst wenn ich es einräumte, würden Sie es mir nicht glauben. Nein, Sie könnten es nicht glauben!«

Es wäre ihm eher gelungen, den Marmor des Kamins zu erweichen als Herrn Galpin-Daveline.

»Es handelt sich hier nicht um mich«, sprach der Richter in eisigem Ton. »Wozu auf Beziehungen zurückkommen, die vergessen sein müssen? Es ist hier nicht mehr der Freund, ja nicht einmal mehr der Mensch, es ist der Richter, der zu Ihnen spricht. Man hat Sie gesehen . . .«

»Wer ist der Elende, der das behauptet?«

»Cocoleu.«

Herr von Boiscoran war wie vom Donner gerührt.

»Cocoleu«, stotterte er, »der arme epileptische Schwachsinnige, der von der Gräfin von Claudieuse aus Barmherzigkeit aufgenommen wurde?«

»Derselbe.«

»Und die zusammenhanglosen Reden eines Elenden, vom Wahnsinn Geschlagenen reichten hin, Sie an meine Schuld glauben zu machen – mich einer Brandstiftung, eines Mordes fähig zu halten?«

Nie hatte der Untersuchungsrichter jenen feierlichen Ernst stärker entfaltet, welcher die Gemüter verblüfft und mit Furcht erfüllt, als in diesem Augenblicke.

»Während einer Stunde wenigstens«, sprach er stark betont, »befand sich Cocoleu im Vollbesitz seiner Vernunft; die Wege der Vorsehung sind unerforschlich.«

»Mein Herr –«

»Und was Cocoleu gesagt hat, wollen Sie wissen? Daß er gesehen, wie Sie mit eigener Hand ein Schwefelholz angezündet, sich alsdann hinter einem Holzhaufen versteckt und zwei Schüsse auf den Grafen von Claudieuse abgefeuert haben.«

»Und das ist Ihnen ganz wahrscheinlich vorgekommen?«

»Nein, ich war wie alle Welt empört. Sie schienen hoch über jeden Verdacht erhaben. Aber siehe – einen Augenblick später hebt man vom Schauplatz des Verbrechens eine Patronenhülse auf, die nur von Ihnen herrühren konnte, und da ich hier unvermutet eintreffe, finde ich in dem Wasser, in welchem Sie sich später die Hände gewaschen haben, Ruß und Überreste verbrannten Papiers.«

»Ja«, murmelte Herr von Boiscoran, »das ist fatal.«

»Und das ist noch nicht alles«, fuhr der Richter, mehr und mehr die Stimme erhebend, fort. »Ich verhöre Sie, und Sie geben zu, gestern abend von acht Uhr bis Mitternacht auswärts gewesen zu sein. Ich frage Sie, wo Sie diese vier Stunden zugebracht haben, und Sie verweigern mir die Antwort. Ich beharre darauf, und Sie lügen. Um Sie in Widerspruch zu setzen, bin ich genötigt, Ihnen das Zeugnis Ribots, Gaudrys und der Frau Courtois anzuführen, die Sie gerade da gesehen und erkannt haben, wo Sie nicht gewesen zu sein behaupten. Dieser letzte Umstand allein verurteilt Sie. Wo befanden Sie sich denn und was trieben Sie an diesem Abend, daß Sie mir keinen Aufschluß geben wollen? Sie behaupten, unschuldig zu sein; nun, so seien Sie mir behilflich, Ihre Unschuld an den Tag zu bringen. Sprechen Sie! Was haben Sie von acht Uhr bis Mitternacht getan?«

Herr von Boiscoran hatte nicht mehr Zeit, zu antworten.

Schon seit einigen Augenblicken erscholl es vom Hofe wie verworrene Rufe und Tumult einer aufgeregten Menge.

Mit äußerst bestürzten Mienen trat ein Gendarm herein.

»Meine Herren«, sprach er, sich an den Untersuchungsrichter und an den Staatsanwalt wendend, »es sind unten an die hundert Bauern, Männer und Weiber, versammelt, die dem Herrn von Boiscoran zu Leibe wollen. Sie fordern ihn und schreien, daß sie ihn ins Wasser werfen wollen. Einige Männer sind mit Heugabeln bewaffnet; aber die Weiber sind die schlimmsten . . . Mein Kamerad und ich haben die größte Mühe, sie zurückzuhalten.«

Und in der Tat hörte man zur Bestätigung seiner Angabe den Lärm sich nähern und verstärken, und sehr deutlich vernahm man den Ruf: »Ins Wasser mit Boiscoran! Ersäuft den Brandstifter!«

Der Staatsanwalt erhob sich.

»Gehen Sie hinunter«, befahl er, »und sagen Sie diesen Bauern, daß das Gericht den Angeklagten verhört, daß sie uns stören und daß sie es mit mir zu tun haben werden, wenn sie noch fortfahren zu lärmen.« Der Gendarm gehorchte. Herr von Boiscoran war leichenblaß geworden.

»Alle diese Unglückseligen halten mich also für schuldig«, murmelte er.

»Ja«, antwortete Herr Galpin-Daveline, »und Sie würden ihren bis zu einem gewissen Punkte gerechtfertigten Zorn begreifen, wenn Sie alle die traurigen Ereignisse der verflossenen Nacht kennten.«

»Was denn noch?«

»Zwei Feuerwehrleute aus Sauveterre, von denen der eine Vater von fünf Kindern war, sind in den Flammen umgekommen. Zwei Männer, ein Pächter aus Bréchy und ein Gendarm, die ihnen Rettung bringen wollten, haben so gefährliche Brandwunden erlitten, daß man für ihr Leben fürchtet.«

Herr von Boiscoran schwieg.

»Und Sie sind es«, fuhr der Richter fort, »den man all des Unheils anklagt. Sie sehen wohl, wie notwendig es ist, daß Sie sich rechtfertigen.«

»Aber – wie kann ich!«

»Wenn Sie unschuldig sind, gewiß! Weisen Sie Ihr Alibi über den gestrigen Abend nach!«

»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich sagen konnte.«

Der Untersuchungsrichter schien eine Zeitlang zu überlegen.

»Nehmen Sie sich in acht, Herr von Boiscoran«, sprach er dann, »ich werde mich genötigt sehen, einen Haftbefehl gegen Sie auszustellen.«

»Tun Sie es.«

»Ich werde genötigt sein, das Verhör abzubrechen und Sie in das Gefängnis von Sauveterre führen zu lassen.«

»Sei es!«

»Sie bekennen demnach . . .«

»Ich bekenne, daß ich das Opfer eines unerhörten Zusammentreffens von Zufällen bin . . . daß Sie recht haben, und daß es der Vorsehung überlassen werden muß, gewisse Widersprüche zu erklären. Aber bei allem, was heilig ist, schwöre ich, daß ich unschuldig bin!«

»So beweisen Sie es!«

»Ach, es wäre schon geschehen, wenn ich es könnte.«

»Wollen Sie sich denn ankleiden, mein Herr, und bereithalten, den Gendarmen zu folgen.«

Ohne ein Wort der Erwiderung begab sich Herr von Boiscoran, gefolgt von dem Kammerdiener, der seine Kleider trug, in sein Ankleidezimmer.

Herr Galpin-Daveline schien über der Beschäftigung, seinem Schreiber den letzten Teil des Verhörs zu diktieren, ganz seinen Angeklagten zu vergessen.

Das benutzte der alte Antoine.

»Herr«, flüsterte er seinem Gebieter ins Ohr, indem er sich stellte, als helfe er ihm nur beim Ankleiden.

»Was willst du?«

»St, leise! Das hintere Fenster ist offen . . . es ist nur zwanzig Fuß über dem Boden des Gartens . . . die Erde ist weich. Ganz in der Nähe ist ein Kellerloch und unten im Keller das Ihnen bekannte Versteck. Das Meer ist nur fünf Meilen von hier entfernt; ich werde diese Nacht mit einem guten Pferde am Eingang des Parks bereitstehen.«

Ein bitteres Lächeln flog über Herrn von Boiscorans Lippen.

»Also auch du«, sprach er, »auch du, mein alter Freund, hältst mich für schuldig?«

»Ich beschwöre, Sie, Herr«, beharrte Antoine, »ich nehme alles auf mich. Es sind nur zwanzig Fuß. Um Ihrer Mutter willen!«

Aber statt zu antworten, wandte Herr von Boiscoran sich um und rief den Untersuchungsrichter herbei.

»Sehen Sie dieses Fenster, mein Herr«, sprach er, als Herr Galpin-Daveline sich näherte. »Ich habe Geld, gute Pferde und das Meer ist nur fünf Meilen entfernt . . . Ein Schuldiger wäre Ihnen entschlüpft; ich aber bin unschuldig und bleibe.«

In einem Punkt wenigstens hatte Herr von Boiscoran recht gehabt: Nichts wäre ihm leichter gewesen, als zu entweichen, den Garten und sehr wahrscheinlich auch das Versteck zu erreichen, das sein alter Kammerdiener ihm ins Gedächtnis rief.

Aber was nachher?

Er konnte, das war unwiderleglich, auf den alten Antoine rechnen, um mit seiner Hilfe allen Nachforschungen zu entgehen. Aber es war tausendmal wahrscheinlicher, daß er in seinem Versteck selbst entdeckt oder bei dem Versuch, die Küste zu gewinnen, eingeholt wurde. Selbst wenn ihm die Flucht gelang, was sollte er alsdann beginnen? In welchen Ländern und unter welchen Verkleidungen hätte er einer stets drohenden Auslieferung entgehen sollen?

Wenn man ihn wieder ergriff, stand seine Sache ganz anders. Seine ohnedies gefährdete Stellung wäre dann rettungslos gewesen. Unzweifelhaft würde sein Fluchtversuch nur als ein vollkommenes Geständnis aufgefaßt worden sein.

Unter solchen Umständen der Versuchung zur Flucht widerstehen und zu verstehen geben, daß man hätte fliehen können, daß man es aber vorziehe, in den Händen des Gerichts zu bleiben, hieß viel weniger seine Unschuld als eine außergewöhnliche Gewandtheit beweisen.

Dies begriff Herr Galpin-Daveline in einem Augenblick oder glaubte es doch zu begreifen.

Man pflegt andere nach sich selbst zu beurteilen. Ein vorsichtig und argwöhnisch berechnender Kopf, glaubte er an keine plötzlichen Eingebungen und unberechneten Schritte.

Und mit dem kalten Hohn eines Mannes, der zu verstehen geben will, daß er sich nicht anführen läßt, antwortete er: »Es ist gut, mein Herr. Dieser Umstand wird wie alle übrigen im Protokoll mit vermerkt werden.«

Anders waren die Gedanken des Staatsanwalts und des Gerichtsschreibers Méchinet.

Wenn der Untersuchungsrichter, blind durch seine Vorurteile, ohne Unterscheidungsvermögen war, so hatten sie ihrerseits nur zu wohl beobachtet, wie verschieden die fremdartigen Erregungen waren, welche den Angeklagten erfüllten.

Anfangs betäubt, und zwar in solchem Grade, daß er an einen schlechten Spaß zu glauben schien, hatte seine Haltung in der Folge den heftigsten Zorn, dann Furcht, endlich vollständige Niedergeschlagenheit verraten.

Aber je niederdrückender die Anklagepunkte sich häuften und je enger sich der Kreis der Verdachtsmomente um ihn her zog, desto mehr schien er, weit entfernt, sich zu ergeben, das Gefühl der Sicherheit wiedererlangt zu haben.

»Alles das ist sehr sonderbar«, murmelte Méchinet.

Daubigeon sagte kein Wort.

Erst als Herr von Boiscoran angekleidet und zum Abgange bereit aus seinem Kabinett trat, sprach er zu ihm: »Noch eine Frage, mein Herr!«

Der Unglückliche verneigte sich. Er war bleich, aber ruhig und gefaßt.

»Ich bin«, sprach er, »bereit, Rede zu stehen.«

»Ich werde kurz sein. Sie schienen erstaunt und entrüstet darüber, daß man es wagte, Sie zu beschuldigen; das ist eine Schwäche. Die Justiz kann, als eine menschliche Einrichtung, nur nach dem äußeren Schein urteilen. Wenn Sie dies erwägen, werden Sie einsehen, daß alle Anzeichen gegen Sie sind.«

»Ich begreife das nur zu gut.«

»Als Geschworener würden Sie selbst nicht zögern, einen Angeklagten, der sich in gleicher Lage befände, zu verurteilen.«

»Doch, mein Herr, doch!«

Der Staatsanwalt sprang von seinem Stuhl auf:

»Sie sind nicht aufrichtig«, sagte er.

Herr von Boiscoran schüttelte traurig den Kopf.

»Es wäre hoffnungslos, Sie überzeugen zu wollen«, antwortete er. »Dennoch spreche ich mit der vollkommensten Aufrichtigkeit. Nein, ich würde einen solchen Mann nicht verurteilen, wenn er mir seine Unschuld beteuerte und ich den Beweggrund seiner Handlungsweise nicht erkennen könnte. Denn genaugenommen müßte man mindestens wahnsinnig sein, um ein Verbrechen zu begehen nur um des Verbrechens selbst willen; und was mich betrifft, so frage ich Sie – ich, dem das Schicksal bisher nur gelächelt hat, der im Begriff steht, eine heiß ersehnte Heirat zu schließen –, zu welchem Zweck ich der Brandstifter von Valpinson sein, in welcher Absicht ich versucht haben sollte, den Grafen von Claudieuse zu ermorden?«

Nicht ohne schlecht verhehlte Ungeduld hatte der Untersuchungsrichter Herrn Daubigeon das Wort nehmen sehen, und die sich ihm darbietende Gelegenheit zur Einmischung ergreifend, sprach er:

»Ihr Beweggrund, mein Herr, war der Haß. Sie hegten einen tödlichen Haß gegen den Grafen und die Gräfin von Claudieuse. Widersprechen Sie nicht; es wäre unnötig; die ganze Umgegend weiß es, und Sie selbst haben es mir gesagt.«

Jacques von Boiscoran wurde womöglich noch bleicher, und im Tone vollster Verachtung antwortete er:

»Wenn es sich so verhielte, so weiß ich dennoch nicht, mit welchem Recht Sie die Vertrauensmitteilungen eines Freundes mißbrauchen, nachdem Sie von vornherein erklärt haben, daß von Freundschaft zwischen uns keine Rede mehr sein könne. Aber es ist nicht einmal wahr. Nie habe ich Ihnen etwas Ähnliches gesagt. Da meine Ansichten sich nicht im mindesten verändert haben, so kann ich meine Worte Silbe für Silbe wiederholen. Ich habe Ihnen gesagt, daß Herr von Claudieuse ein unruhiger Nachbar sei, pochend auf seine Rechte und eifersüchtig bis zur Lächerlichkeit auf sein Jagdwild. Ich habe hinzugefügt, daß, wenn er meine politischen Ansichten für verabscheuenswert erklärte, ich die seinigen für lächerlich und gefährlich halte. Was die Gräfin betrifft, so habe ich Ihnen einfach in meiner scherzhaften Weise gesagt, daß eine so vollkommene Person nicht mein Geschmack sei; daß ich unglücklich wäre, eine Art Madonna zur Frau zu haben, die, mit ihren Fußspitzen kaum die Erde berührend, durchs Leben geht.«

»Ah so, dann geschah es wohl nur aus diesem Grunde, daß Sie eines Tages dem Grafen von Claudieuse ins Gesicht zielten? Ein etwas stärkerer Blutandrang nach Ihrem Gehirn, und der Mord wäre schon an jenem Tage begangen worden.«

Eine schreckliche Gebärde verriet die Wut des Herrn von Boiscoran, aber er bemeisterte sich.

»Meine Heftigkeit schien größer als sie war«, sagte er. »Ich hege für den Charakter des Herrn von Claudieuse die tiefste Hochachtung. Es würde meinen Schmerz unendlich vergrößern, wenn ich denken müßte, daß er mich könnte beschuldigt haben.«

»Aber er hat Sie nicht beschuldigt«, fiel Daubigeon ein, »er war vielmehr der erste, der Sie hartnäckig verteidigte.«

Und ungeachtet der Zeichen, die Galpin-Daveline ihm machte, fuhr der Staatsanwalt fort: »Unglücklicherweise werden dadurch die gegen Sie zeugenden Tatsachen nicht im mindestens entkräftet. Wenn Sie bei Ihrem Schweigen verharren, so überliefern Sie sich selbst dem Schwurgericht. Wenn Sie unschuldig sind, warum rechtfertigen Sie sich nicht? Was erwarten, was hoffen Sie?«

»Nichts.«

Méchinet hatte jetzt die Aufzeichnung des Protokolls beendet.

»Es ist Zeit, aufzubrechen«, sagte Galpin-Daveline.

»Ist es mir erlaubt«, fragte Herr von Boiscoran, »einige Zeilen an meinen Vater und an meine Mutter zu schreiben? Sie sind alt; ein solches Ereignis könnte sie töten.«

»Unmöglich«, erklärte der Richter.

Dann wendete er sich an Antoine. »Ich werde diesen Raum versiegeln, und Sie bleiben provisorisch als Wächter hier«, sagte er. »Sie wissen, zu welch einer Überwachung Sie dadurch verpflichtet werden und mit welcher Strenge Sie würden bestraft werden, wenn das Gericht nicht alle Gegenstände wiederfände, die im Protokoll als zum Beweise dienend aufgeführt sind . . . Und nun, wie kommen wir nach Sauveterre zurück?«

Nach reiflicher Überlegung wurde beschlossen, Herrn von Boiscoran unter Eskorte eines Gendarmen den Weg allein in einem Wagen zurücklegen zu lassen. Herr Daubigeon, der Richter und der Aktuar sollten das Gefährt des Bürgermeisters benützen, wiederum geführt von Ribot, der wütend darüber war, daß man ihn inzwischen unter Aufsicht gestellt hatte.

»Gehen wir«, sprach der Richter, nachdem die letzten Formalitäten erledigt waren.

Langsamen Schrittes stieg Jacques von Boiscoran hinab. Er wußte seinen Hof voll wütender Bauern und war gefaßt auf ihr Geschrei.

Aber er irrte sich. Der von Herrn Daubigeon abgesandte Gendarm hatte seinen Auftrag so gut erfüllt, daß nicht ein Ruf vernommen wurde.

Aber als er in seinem Wagen saß und das Pferd sich in Trab setzte, erhoben sich wilde Flüche, und eine Ladung von Steinen, deren einer die Stirn des Gendarmen traf, wurde ihm nachgeschleudert.

»Jedenfalls bringen Sie Unglück mit sich, Freund Angeklagter«, sagte der Beamte, ein guter Bekannter des Mannes, der so grausam in Valpinson verletzt worden war.

Herr von Boiscoran gab keine Antwort. Er warf sich in die Wagenecke und schien in eine Art Betäubung zu verfallen, aus der er erst in dem Augenblick erwachte, als der Wagen in dem Hof des Gefängnisses von Sauveterre hielt.

Auf der Schwelle des Kerkers stand wartend der Wärter, Meister Blangin, und lächelte bei dem Gedanken, einen Gefangenen von solcher Bedeutung zu empfangen.

»Ich werde Sie in mein schönstes Gemach führen, mein Herr«, sagte er zu dem Unglücklichen, »aber zuerst muß ich dem Gendarmen einen Empfangschein ausstellen und Sie einschreiben.«

In der Tat holte er sein schmieriges Register hervor und schrieb den Namen Jacques von Boiscoran unter den eines gewissen Frumence Cheminot, eines Vagabunden, der tags zuvor in dem Moment festgenommen worden war, als er eine Mauer überstieg. Nachdem dies abgetan, war Jacques von Boiscoran Gefangener in Untersuchungshaft.


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