Emile Gaboriau
Der Strick um den Hals
Emile Gaboriau

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Das Palais Boiscoran, Rue de l'Université Nr. 216, hat ein bescheidenes Aussehen. Der Hof, der es umgibt, ist eng, und es wäre weit übertrieben, die wenigen Meter feuchter Erde, die sich dahinter ausdehnen, einen Garten zu nennen.

Aber man darf nicht nach dem Äußeren urteilen.

Die Wohnung selbst ist ein Meisterstück von Behaglichkeit, wo geduldige und sorgsame Hände alle Bequemlichkeiten des Lebens mit jenem soliden Luxus zu vereinigen gewußt haben, dessen Geschmack und Geheimnis immer mehr verlorengehen.

Der Fußboden des Vorsaales, ein Mosaik von außerordentlicher Schönheit, kam im Jahre 1798 aus Venedig, und zwar durch einen Boiscoran, der im Schiffbruch des Lebens sich dem Geschick Bonapartes angeschlossen hatte. Das Treppengeländer ist ein Meisterwerk von Schmiedearbeit, und das Getäfel des Speisesaales findet seinesgleichen nicht in Paris, seit das berühmte Getäfel des Schlosses von Bercy bei einer Auktion zerstreut worden ist.

Der Salon, in welchem die Marquise sich mit hervorragenden Politikern zu umgeben pflegte, ist dieser Berühmtheiten vollkommen würdig.

Es gibt kein Möbel darin, das nicht künstlerischen Wert hätte. Man würde ein gutes Geschäft machen, wenn man die Verzierung des Kamins mit Gold aufwiegen wollte. Der Kronleuchter ist wundervoll. Jedes der acht Gemälde, die an dem Getäfel hängen, ist das Hauptwerk irgendeines berühmten Meisters. Und doch ist das alles nichts im Vergleich zu dem Kuriositätenkabinett des Marquis von Boiscoran.

Im zweiten Geschoß gelegen, von dem es die halbe Breite und die ganze Tiefe einnimmt, empfängt dieses Kabinett, im Stil eines Ateliers hergerichtet, das Licht von oben und würde das Entzücken jedes Künstlers ausmachen.

In den mächtigen Glasschränken, die rings das Zimmer umgeben, sind die Sammlungen des Marquis aufgehäuft; Seltenheiten aus allen möglichen Epochen; Elfenbein und Emails, feine Bronzen und seltene Manuskripte, seine unvergleichlichen Porzellane, und vor allem seine Fayencen, seine kostbaren Fayencen, der Genuß und die Qual seines Alters.

Der Mann selbst war dieser Umgebung würdig.

Bei seinen einundsechzig Jahren, die er damals zählte, hielt er sich aufrecht wie ein I und war von der aristokratischsten Hagerkeit. Er hatte eine verteufelt große Nase, die er unaufhörlich mit Tabak vollstopfte, einen großen Mund, aber noch voll guter Zähne, und kleine blitzende Augen, in denen man alle Verschmitztheit eines Liebhabers las, der beständig mit der Schlauheit der Altertümer- und Raritätenhändler in den Auktionslokalen zu fechten hat.

Es war im Jahre 1845, als seine Laufbahn ihren Gipfelpunkt erreichte, bezeichnet durch eine Abhandlung »Über das Recht der Wiedervereinigung«, und gleichzeitig schien dies Jahr einen Stillstand für ihn anzudeuten. Alle seine Ideen verrieten den Mann der Julidynastie; selbst sein Äußeres, seine Kleidung, seine steife Halsbinde, sein Bart und das Toupet, welches seine Stirn krönte, bezeichneten den Bewunderer und Freund des Bürgerkönigs. Er beschäftigte sich deshalb nicht etwa mit der bezüglichen Politik – ja, die Wahrheit zu gestehen, er beschäftigte sich eigentlich mit gar nichts.

Unter der einzigen Bedingung, seine harmlose Passion zu respektieren, durfte Frau von Boiscoran auf eine despotische Weise in ihrem Hause herrschen, indem sie das Vermögen verwaltete, ihren einzigen Sohn Jacques bevormundete und ohne Widerspruch über alles verfügte.

In nichts konnte man sich an den Marquis wenden; seine stehende Antwort war: »Wenden Sie sich an meine Frau.«

Dieser vortreffliche Mann hatte gerade abends zuvor den glücklichen Kauf eines ansehnlichen Vorrats von Fayencen gemacht, welche verschiedene Szenen aus der Revolution darstellten, und seit drei Stunden war er in seinem Kabinett mit der Lupe in der Hand damit beschäftigt, den Ursprung und den Wert seiner Schüsseln und Teller festzustellen, als die Tür heftig aufgerissen wurde.

Ein Blatt blauen Papiers in der Hand, trat die Marquise ein.

Um sechs oder acht Jahre jünger als ihr Mann, war Frau von Boiscoran in jeder Beziehung die geeignete Gemahlin für diesen trägen und der Ruhe ergebenen Geist.

Ihr Gang, ihre Gesten, ihre Stimme, alles verriet sofort das Weib, das gewohnt ist, das Steuer zu führen, zu befehlen und alles um sich auf einen Wink gehorchen zu sehen.

Von ihrer einst berühmten Schönheit waren noch Spuren genug übrig, um ihre Ansprüche zu entschuldigen. Sie versicherte zwar, keine zu haben, indem sie vorgab, es sei ein Beweis von »Geist«, die Verwüstungen des Alters, welche man doch nicht abwenden könne, mit guter Manier über sich ergehen zu lassen.

Die Gefallsucht aber verliert sich doch niemals ganz. Wenn Frau von Boiscoran sich nicht jünger machte, so machte sie sich ein Vergnügen daraus, absichtlich älter zu erscheinen. Die paar Jahre, welche die Frauen gewöhnlich von ihrem wahren Alter abzustreichen suchen, setzte sie eigensinnig den ihrigen hinzu. Es lag Gesuchtheit in der Manier, wie sie die Massen ihrer grauen Haare um ihre Schläfen aufbauschte, die noch immer frisch waren wie die eines jungen Mädchens. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich Puder aufgelegt.

Sie war so außer Fassung und so entsetzlich aufgeregt, als sie in das Kabinett ihres Mannes trat, daß dieser, obgleich er sich seit langen Jahren ein Gesetz daraus gemacht hatte, durch nichts in Bewegung zu geraten, doch beunruhigt wurde.

Indem er die Schüssel hinstellte, in deren Besichtigung er eben vertieft war, fragte er besorgt:

»Was gibt es? Was ist geschehen?«

»Ein fürchterliches Unglück.«

»Jacques ist tot!« rief der alte Sammler.

Die Marquise schüttelte den Kopf.

»Nein, es ist vielleicht noch schrecklicher.«

Der Greis, der beim Anblick seiner Gemahlin aufgefahren war, ließ sich schwer in seinen Lehnstuhl zurückfallen.

»Rede«, stotterte er, »sprich; ich bin gefaßt.«

Sie reichte ihm das blaue Papier, das sie in der Hand hielt, und sagte langsam: »Diese Depesche erhielt ich soeben von Jacques' Kammerdiener, dem alten Antoine.«

Mit zitternder Hand faltete der Marquis das Blatt auseinander und las: »Ein entsetzliches Unglück. Jacques beschuldigt, die Brandstiftung von Valpinson begangen, den Grafen von Claudieuse gemordet zu haben. Furchtbare Anklage gegen ihn. Verhört, hat er sich kaum verteidigt. Ist verhaftet und soeben ins Gefängnis abgeführt. In Verzweiflung. Was beginnen?«

Die Marquise hatte erwartet, ihren Mann durch diese Depesche, deren abgerissene Kürze Antoines Angst verriet, niedergeschmettert zu sehen. Dies geschah indes nicht. Mit der gelassensten Miene schob der Marquis das Blatt auf den Tisch und sagte, die Achseln zuckend: »Es ist lächerlich.«

Die Marquise schien außer sich vor Staunen.

»Du hast nicht begriffen, mein Freund«, begann sie.

Er unterbrach sie.

»Ich habe sehr wohl begriffen, daß unser Sohn eines Verbrechens angeklagt ist, das er nicht begangen hat und nicht begangen haben kann. Ist es möglich, daß du an ihm zweifelst? Was für eine Mutter bist du! Ich meinerseits bin, das versichere ich dir, vollkommen ruhig. Jacques ein Brandstifter! Jacques ein Mörder! Es ist zu dumm!«

»Aber du hast die Depesche nicht gehörig gelesen?« rief die Marquise.

»Bitte recht sehr!«

»Es ist dir entgangen, daß Anklagen gegen ihn erhoben worden sind.«

»Natürlich! Ohne diese hätte man ihn nicht verhaftet. Die Sache ist allerdings unangenehm, sogar peinlich!«

»Aber er hat sich nicht verteidigt, mein Lieber.«

»Nun wahrhaftig, wenn man mich heute oder morgen anklagen würde, den Laden eines Goldschmieds geplündert zu haben, ich würde mir auch nicht die Mühe nehmen, mich zu verteidigen!«

»Aber du siehst doch, daß sogar Antoine unseren Sohn für schuldig hält.«

»Antoine ist ein alter Narr«, erklärte der Marquis.

»Übrigens«, fügte er hinzu, seine Tabaksdose hervorziehend und eine mächtige Prise nehmend, »wollen wir die Sache überlegen; hast du mir nicht gesagt, daß Jacques in die kleine Denise von Chandoré verliebt ist?«

»Wie ein Wahnsinniger, wie ein Kind!«

»Und sie?«

»Sie vergöttert ihn.«

»Gut, und hast du mir nicht ferner gesagt, daß der Tag der Hochzeit bereits festgesetzt ist?«

»Seit drei Tagen.«

»Jacques hat dir darüber geschrieben?«

»Einen bewunderungswürdigen Brief!«

»In welchem er dir seine Ankunft meldet?«

»Ja, er wollte seine Hochzeitseinkäufe selbst machen.«

Mit einer Gebärde, welche die stolzeste Sorglosigkeit ausdrückte, klopfte der Marquis auf den Deckel seiner Tabaksdose.

»Und du bildest dir ein«, sprach er, »daß ein solcher Junge wie unser Jacques, ein Boiscoran, verliebt, wiedergeliebt und im Begriff, sich zu verheiraten, den Kopf voll von seinen Brautgeschenken, ein schändliches Verbrechen begangen haben soll? Darüber ist kein Wort weiter zu verlieren, und um dies zu bestätigen, will ich mich mit deiner Erlaubnis wieder gemächlich an mein Werk machen.«

So wie der Zweifel ansteckend wirkt, teilt auch der gute Glaube sich leicht anderen mit. Nach und nach fühlte die Marquise sich durch die Zuversicht ihres Mannes beruhigt. Das Blut kehrte wieder in ihre Wangen zurück und das Lächeln auf ihre erbleichten Lippen.

»Vielleicht«, sprach sie in festem Tone, »hab ich mich wirklich zu rasch in Unruhe setzen lassen.«

»Freilich, meine Beste, viel zu rasch«, antwortete der Marquis mit einer zustimmenden Handbewegung. »Unter uns möchte ich dir sogar raten, kein Aufhebens mehr davon zu machen, denn wie sollte das Gericht unsern armen Jacques nicht anklagen, wenn seine eigene Mutter ihn verdächtigt!«

Frau von Boiscoran hatte die Depesche aufgehoben und noch einmal überlesen.

»Dennoch«, murmelte sie, die letzten Einwendungen ihrer Gedanken beantwortend, »wer wäre an meiner Stelle nicht vor Entsetzen betäubt gewesen? Besonders wenn der Name Claudieuse im Spiele ist.«

»Wieso? Es ist der Name eines sehr würdigen, sehr loyalen Edelmannes, einer der besten, die ich kenne, trotz seiner Seebärenmanieren.«

»Jacques aber haßt ihn, mein Lieber.«

»Jacques, meine Liebe, kümmert sich nicht mehr um ihn als um das Jahr vierzig.«

»Sie haben wiederholt Streitigkeiten miteinander gehabt.«

»Notwendigerweise! Claudieuse ist ein rasender Legitimist und sieht mit der größten Geringschätzung auf uns alle herab, die wir der Familie Orleans gedient haben.«

»Jacques hat ihm einen Prozeß angehängt.«

»Und er hat, so wahr ich lebe, gut daran getan; ebenso wie er unrecht tat, den Prozeß nicht bis aufs Äußerste zu treiben. Claudieuse erhebt auf den Bach, der uns trennt, auf die Pibole, die übertriebensten Ansprüche. Er würde zu jeder Jahreszeit und nach seinem Belieben das Wasser aufstauen, auf die Gefahr hin, die ganze Umgebung von Boiscoran, das viel tiefer liegt, zu überfluten. Schon mein seliger Bruder, der ein Engel an Geduld war, kam fortwährend in Streitigkeiten mit diesem Rechthaber.«

Dennoch war die Marquise nicht überzeugt.

»Es ist hier noch etwas anderes im Spiel«, sagte sie.

»Was denn?«

»Ah, das ist's eben, was ich mich vergeblich frage.«

»Hat Jacques dir irgendeine Andeutung gemacht?«

»Nein; aber höre, was sich zugetragen hat. Im vergangenen Jahre hatte ich Gelegenheit, der Gräfin Claudieuse und ihren Töchtern bei der Herzogin von Champdoce zu begegnen. Sie ist reizend, diese junge Frau, und da wir in der folgenden Woche einen Ball gaben, kam mir die Idee, sie einzuladen, was ich auch ausführte. Aber sie lehnte mit einem Tone so eisiger Zurückhaltung ab, daß ich nicht weiter auf der Einladung bestehen konnte.«

»Nun, wahrscheinlich, weil sie das Tanzen nicht liebt«, meinte der Marquis.

»An demselben Abend äußerte ich mich über meinen Versuch gegen Jacques. Er schien sehr erbittert und sagte mir mit einer Aufwallung von Heftigkeit, die seine Ehrerbietung kaum in Schranken hielt, ich hätte sehr unrecht getan, und er hätte seine Gründe, warum er mit diesen Leuten nichts zu tun haben wolle.«

Die Zuversicht des Herrn von Boiscoran war so vollkommen, daß er nur noch mit zerstreutem Ohr hinhörte und verstohlen aus dem Augenwinkel nach seinen kostbaren Fayencen schielte.

»Es mag sein, daß Jacques die Claudieuses nicht mag, aber was folgt daraus? Lieber Gott, man ermordet doch nicht alle Leute, mit denen man nichts zu tun haben mag.«

Frau von Boiscoran ging nicht weiter.

»Nun, kurzum«, fragte sie, »was ist zu tun?«

Es war so wenig ihre Gewohnheit, ihren Mann um Rat zu fragen, daß er ganz verdutzt erschien.

»Vor allem«, antwortete er, »müßte Jacques aus dem Gefängnis gezogen werden . . . man müßte zusehen . . . beraten . . .«

Ein rasches und leichtes Klopfen an die Tür unterbrach ihn.

»Herein!« rief er.

Ein Diener mit einem großen Kuvert, das die Aufschrift »Telegraphische Depesche« trug, trat herein.

»Da kommt ja etwas!« rief der Marquis aus. »Ich war meiner Sache doch gewiß. Dies wird uns Aufschluß geben und unsere aufgeregten Gemüter besänftigen!«

Der Diener hatte sich zurückgezogen; der Marquis erbrach das Kuvert. Aber bei dem ersten Blick, den er auf die Depesche warf, wurde das Lächeln auf seinen Lippen zu Eis; er erblaßte und sagte bloß:

»Mein Gott!«

Rasch wie ein Gedanke bemächtigte Frau von Boiscoran sich des unheilvollen Blattes. Mit einem Blick überflog sie das Folgende: »Kommen Sie rasch! Jacques im Gefängnis, in Untersuchungshaft, eines gräßlichen Verbrechens angeklagt. Die ganze Stadt behauptet, daß er schuldig sei und sogar gestanden habe. Es ist eine schändliche Verleumdung. Sein Untersuchungsrichter ist sein früherer Freund Galpin-Daveline, der Cousine Lavarande heiraten sollte. Weiß nichts, als daß Jacques unschuldig. Es ist eine abscheuliche Intrige. Großvater Chandoré und ich werden das Unmögliche versuchen. Ihre Hilfe unentbehrlich, kommen Sie, kommen Sie! Denise von Chandoré.«

»Oh! mein Sohn ist verloren!« rief Frau von Boiscoran, in Tränen ausbrechend. Der Marquis aber hatte sich schon wieder von diesem furchtbaren Schlage erholt.

»Und ich«, rief er, »behaupte mehr denn je mit Denise, die ein braves Mädchen ist, daß Jacques unschuldig leidet! Aber er ist in Gefahr; ich sehe es ein. Der Strafprozeß ist ein gefahrvoller Vorgang. Zu welchen Aussagen werden nicht die Menschen in den Verhören gebracht!«

»Es muß gehandelt werden«, fiel Frau von Boiscoran ihm, vor Schmerz halb von Sinnen, ins Wort.

»Jawohl, ohne eine Sekunde zu verlieren . . . Wir haben Freunde. Sehen wir zu, welche unter ihnen uns am besten nützen können.«

»Ich könnte an Herrn von Margeril schreiben.«

»Wie, du wagst es«, rief der Marquis, dessen bleiche Züge aschfarben wurden, »diesen Namen in meiner Gegenwart auszusprechen!«

»Er ist allmächtig, und mein Sohn ist in Gefahr.« Mit drohender Gebärde hielt der Marquis sie zurück.

»Ich würde eher«, schrie er in dem Ton des entsetzlichsten Hasses, »ich würde tausendmal eher meinen Sohn auf dem Schafott sterben lassen, als seine Befreiung diesem Mann verdanken!«

Frau von Boiscoran schien einer Ohnmacht nahe.

»Mein Gott«, flüsterte sie, »es war nur unüberlegt von mir.«

»Genug«, unterbrach der Marquis in hartem Tone, und sich gewaltsam fassend, fuhr er fort: »Ehe wir irgend etwas unternehmen, müssen wir wissen, woran wir sind. Du reist noch heute abend nach Sauveterre ab.«

»Allein?«

»Nein. Ich werde dir einen geschickten und zuverlässigen Rechtsbeistand ausfindig machen, einen Anwalt, der nicht Politiker ist – wenn sich noch ein solcher findet. Er wird dich dorthin begleiten und mich über alles in Kenntnis setzen, damit ich hier je nach den Umständen handeln kann. Denise hat recht: Jacques ist das Opfer irgendeiner dunklen Intrige . . . Gleichviel, wir werden ihn retten. Vor allem aber gilt es, Ruhe – die größte Ruhe zu behalten!«

Während er dies sagte, klingelte er mit solcher Heftigkeit, daß sämtliche Diener verwirrt hereinstürzten.

»Man rufe sofort«, befahl Herr von Boiscoran, »meinen Rechtsberater, Herrn Chapelain, herbei . . . man nehme einen Wagen!«

Der Diener, der die Besorgung übernahm, beeilte sich dermaßen, daß zwanzig Minuten später Herr Chapelain eintrat.

»Ach! wir bedürfen all Ihrer Erfahrung, mein würdiger Freund!« rief der Marquis ihm zu. »Hier . . . lesen Sie diese Depeschen!«

Glücklicherweise wußte der Rechtsberater seine Eindrücke zu verbergen, denn wohl wissend, mit welcher Bedachtsamkeit man Haftbefehle auszustellen pflegt, glaubte er an Jacques' Schuld.

»Ich weiß einen Mann, wie die Marquise ihn braucht«, sagte er endlich.

»Ah!«

»Einen Mann, den seine Bescheidenheit bisher verhindert hat, sich hervorzutun, obgleich er einer der geschicktesten Juristen ist, die ich kenne, und dazu ein bewunderungswürdiger Redner.«

»Und sein Name?«

»Manuel Folgat . . . Ich werde mich beeilen, ihn hieher zu senden.«

Zwei Stunden später betrat in der Tat der von Herrn Chapelain Empfohlene das Palais Boiscoran.

Es war ein Mann von dreißig bis zweiunddreißig Jahren, sehr brünett, mit großen, weit offenen Augen, dessen ganze Physiognomie Intelligenz und Kraft ausdrückte.

Er gefiel dem Marquis, der ihn, nachdem er ihm alles mitgeteilt, was er über Jacques' Lage wußte, über das Terrain zu unterrichten suchte, auf welchem er manövrieren könne, indem er ihm auch mitteilte, welche Verbündete und welche Gegner er in Sauveterre antreffen würde, und indem er ihm besonders empfahl, sich Herrn Sénéchal anzuvertrauen, welcher ein alter Freund der Familie, eine einflußreiche Persönlichkeit und der gewitzigste aller jener »Diplomaten der Unterpräfektur« sei, welche untereinander wetteiferten, selbst den Macchiavell zu überbieten.


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