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Südseeinseln

Die Tage sind vorbei, wo der Stille Ozean voll Glücksinseln lag, die nur darauf warteten, in Besitz genommen zu werden. Diejenigen, die Menschen ernähren können, sind schon längst von den Großmächten mit Beschlag belegt worden; andere sind durch ihre Lage wertvoll. So dient z. B. die Fanning-Insel, die im Zentrum des Stillen Ozeans liegt, als Depotstation für die Kabel, die den Osten mit dem Westen verbinden.

Obgleich das Klima der Südseeinseln gesund und die Natur fruchtbar ist, sind die Eingeborenen dennoch in starker Abnahme. Hier kommt nicht allein die Berührung mit der europäischen Zivilisation in Betracht, die für so viele Rassen tödlich gewesen ist, sondern auch eine Eigentümlichkeit der Rasse selbst.

Arbeit steht im Widerspruch zu der Natur dieser Inselbewohner. Das Leben verlangte nichts von ihnen als einen starken Raubtrieb, wenn ein gütiges Geschick Fische an ihre Küste führte, das Pflücken der Früchte, die die Sonne ihnen spendete, und, wenn es hoch kam, ein primitives Pflanzen von Taro und Yams. Die Arbeit, die Bekleidung, Hüttenbau und Waffenverfertigung mit sich brachten, war nur ein angenehmer Zeitvertreib. Der Mensch hat ja nicht genug an essen, schlafen, lieben und kämpfen. Die Sinne, Hände, Herz und Gehirn verlangen nach mehr als den unwillkürlichen Bewegungen. Es wird geflochten und gewebt, es werden Gerätschaften und Instrumente gemacht, aber alles nur zum Hausbedarf. Sobald die Beschäftigung den Charakter einer Anstrengung bekommt, empfindet der Inselbewohner es als Unglück.

Die Unmöglichkeit, das bewohnbare Land zu vergrößern, hatte schon frühzeitig die Volksvermehrung zu einem Übel gemacht; man wehrte sich dagegen, indem man Greise und neugeborene Mädchen tötete. Was aber ursprünglich eine notwendige Regulierung war, wurde bei dem zunehmenden Wohlleben eine Praxis, so daß die Bevölkerung, statt stillzustehen, bereits im Abnehmen begriffen war, als die Eingeborenen die Europäer kennen lernten.

Sobald die Missionare festen Fuß gefaßt hatten, begannen sie die Nacktheit zu bekämpfen. Sie vergaßen in ihrem Eifer, daß sie vom Klima selbst vorgeschrieben ist. Hemd, Bluse, Rock hatten Erkältungskrankheiten im Gefolge, die der Rasse bisher fremd waren; und als der Alkohol und die europäischen Krankheiten ihren Einzug hielten, war die körperliche Widerstandskraft der Rasse geschwächt. Es gibt Beispiele, daß eine Masernepidemie eine ganze Insel entvölkert hat.

Die modernen Kolonialmächte haben diese »weiße Gefahr« seit langem eingesehen. Es geschieht viel, um das Verbrochene wieder gutzumachen; aber noch ist keine Besserung zu spüren. Europäer, die die Verhältnisse gründlich kennen, fürchten, daß die Eingeborenen die Güter der Zivilisation so teuer bezahlt haben, daß sie es nie wieder verwinden werden. Auf den Fidschiinseln hat man schon längst Inder und Malaien einführen müssen, wie seinerzeit die Neger in Amerika, weil es den Eingeborenen an der Fähigkeit, wirklich zu arbeiten, fehlt.

Unbewohnt sind jetzt nur noch einige isolierte Felseninseln, die zu größeren, bewohnten Gruppen gehören, aber eine so spärliche Vegetation haben, daß sie nur Vögel und Insekten ernähren können. Wenn auch unbewohnt, so sind auch diese keineswegs herrenlos, sie gehören geographisch zu Korallengruppen, die bereits in Besitz genommen sind. Der Versuch, solche Inseln zu annektieren, würde sicher auf Protest stoßen. Es gibt Koralleninseln, die einst in Besitz genommen wurden, Einwohner und Namen auf der Karte bekamen, später aber als wertlos gestrichen wurden. Aber auch diese sollten europamüde Liebhaber vorsichtshalber nicht als herrenlos, sondern als gefundenes Gut betrachten, deren Besitzer man ausfindig machen muß.

Eines Morgens passierten wir eine unbewohnte Felseninsel. Sie erhob sich steil, mit barschen Felsenwänden aus dem blauen Wasser. Die ganze Insel war ein solider Felsblock; aber ihr Rücken war flach und von einem dunkelgrünen Buschwerk bestanden. Die Brandung umbrauste ihre Ursteinseiten mit Schaumsäulen.

Indem wir uns der Insel näherten, die wir lange durchs Glas beobachtet hatten, erhob sich ein Heer von Vögeln aus den Büschen und verdunkelte die Luft. Sie umstrichen die Insel zu Scharen und beobachteten uns. Schließlich faßten sie Mut, erst einer, dann mehrere, zuletzt kam die ganze Schar zu uns hinaus, hob sich über uns, um auf uns herabzusehen, umkreiste Schornstein und Masten, bis einige von den kühnsten uns so nah kamen, daß wir ihre blanken, verwunderten Augen erkennen konnten.

Schwarze Vögel mit langen, spitzen Flügeln und gespaltenem Schwanz, so groß wie Adler, mit einer metergroßen Flügelspannung, die die Form eines indianischen Bogens hat. Ihr Flug war majestätisch und ganz lautlos. Wir sahen sie wie Möwen über der Brandung kreisen und im Fluge Fische mit ihrem langen Schnabel schnappen.

Ich erfuhr, daß es Fregattvögel seien; von der Insel selbst aber konnte niemand mir etwas anderes erzählen, als was ich mit eigenen Augen gesehen hatte.

 

Es war zeitig am Morgen, als wir am Horizont die ersten Umrisse der ausgebrannten Vulkane von den Fidschiinseln erblickten. Während wir uns ihnen näherten, lichtete sich der Nebel, die Inseln nahmen an Größe zu, färbten sich grün und lösten sich voneinander; eine halbe Stunde später lag ein Bergland vor uns, das den ganzen nördlichen Horizont verdeckte. Es war die Insel Viti Levu.

Das Korallenriff, das die Insel einschloß, erstreckte sich eine gute halbe Meile ins Meer. Es sah aus wie eine glitzernde Linie vor der grünen Insel. Etwas wunderbar lebendig Weißes, das sich bald hob, bald breitete. Als man näher kam, löste sich aus dem siedenden Brandungsschaum eine cremefarbige Fläche, die weiter drinnen nackt und kahl da lag. Durchs Glas konnte ich Seetiere unterscheiden, die auf den noch lebenden Korallenblöcken aufgespießt waren. Die Cremefarbe hatte einen rötlichen Schimmer, als ob der ungeheure Körper, vom Meere geätzt, hautlos und blutig daläge. Auch einen Palmenstamm, der zwischen den Korallen eingeklemmt lag, konnte ich unterscheiden. Die schwarzen, unbeweglichen Punkte, die in dem überspülenden Schaum lagen, waren Schildkröten. Tiefer drinnen, wo die Brandung nicht hinreicht, ging ein Mann und suchte Trepang, die eßbare Meerwalze, die überall im Osten als Delikatesse betrachtet wird; ich sah sie geräuchert in den Läden von Kanton.

Wir passierten den natürlichen Segeleinlauf, der sich zwischen jedem Korallenriff befindet, und waren plötzlich in dem ruhigen Wasser einer Lagune, die der sichere Hafen für die Hauptstadt von Suva ist.

Eine kleine freundliche Stadt aus Holzhäusern mit roten und grünen Dächern rahmte die Bucht ein und setzte sich am Fuß von niedrigen, grünen Höhen fort. Die Stadt hat 4000 Einwohner und ist Sitz der Regierung. Das Bungalo des Gouverneurs lag auf dem Gipfel einer Anhöhe, mitten in einem botanischen Garten, mit Aussicht auf die Lagune und die untätigen Vulkane jenseits der Bucht.

Auf dem kleinen dreieckigen Marktplatz lag die Post, ein einstöckiges Gebäude mit breiten, kühlen Arkaden, das Hotel mit seinen weißen Markisen, ein Equipierungsgeschäft mit Strohhüten und gestreiften, baumwollenen Anzügen im Schaufenster, eine Barbierstube, wo gleichzeitig Zigarren und Ansichtskarten verkauft wurden.

Unter dem großen Feigenbaum mitten auf dem Platz, der mit rotem Grant bestreut war, saßen einige Eingeborene und faulenzten im Schatten. Ihr Kraushaar war in einer dicken Mähne von der Stirn zurückgestrichen. Sie waren braun gefärbt, mit großen gefüllten Hibiscus geschmückt, die wild auf der Insel wachsen. Sie hatten ausdruckslose matte Augen und einen schlaffen Mund, wie degenerierte Kinder alter Geschlechter. Die Nase war kurz, der Kiefer breit und hervortretend, die Lippen dick, aber ohne Kraft. Sie saßen und starrten vor sich hin, als ob das Leben sie nichts angehe.

Kapitän D., der ein Menschenalter auf Viti Levu gewohnt hat, fuhr mich zu einer echten Eingeborenenstadt ins Innere der Insel. Sie lag auf einer kleinen Anhöhe, hinter einem Wäldchen versteckt. Sie hatte dort gelegen, solange Weiße die Südsee besuchen, und wahrscheinlich schon viel, viel länger. Wenn die Bekleidung auch eine andere geworden ist – die Frauen tragen weiße Kleider, die Männer Leinen- und Wollhemde – so sind die Hütten und das Leben, das sich zwischen ihnen abspielt, doch unverändert dieselben geblieben wie in alten Zeiten.

Von der Fahrstraße führte ein Pfad zwischen hohem Gras und struppigem Buschwerk über die Anhöhe, lief um ein Gehölz herum und entschleierte plötzlich eine Gruppe Hütten zwischen Bananen und Palmen, mit Aussicht auf die Lagune.

Auf einem offenen Platz erhoben sich sechs Pfosten mit einem Dach von vergilbten Mangoblättern. Auf dem niedrigen Balkenfuß saßen Frauen und Kinder, die Arme um die Knie geschlungen und starrten ins Wasser. Einige hockten schweigend mit träumenden Augen, andere sangen in langgezogenen, einförmigen Strophen. Auf der einen Seite waren die Reste eines Feuers, auf der anderen ein Abfallhaufen.

Als sie unserer ansichtig wurden, hörten sie auf zu singen. Sie sahen uns freundlich an, ohne zu grüßen, während die Kinder aufstanden und sich uns vorsichtig näherten.

Wir überschritten den Platz und gingen zwischen die Hütten, die länglich, aus breiten Halmen geflochten und mit Mangoblättern bekleidet waren. Die Tür wurde von einem ovalen Loch im Giebel gebildet, das von einer herabhängenden Matte bedeckt war.

Mr. D. nickte einem jungen Mann zu, der in der Hucke saß und ein Stück Holz schnitzte. Er erhob sich und forderte uns auf, in seine Hütte zu treten, die er selbst vor sechs Monaten gebaut hatte, als er heiraten wollte.

Der Fußboden war mit Matten bedeckt. Es gab keine Fenster und keine Möbel, nur eine Erhöhung, an der Wand, die als Bett diente, und ein Schemel davor. In einer Ecke standen leere Flaschen mit europäischen Etiketten. In einem Netz unter der Decke lagen Kleider. An der Wand hing Werkzeug, und auf dem Schemel lag eine Bibel in der Fidschisprache, die er uns voller Stolz zeigte. Küche und Speisekammer waren in einem Schuppen für sich.

Der Grundbesitz war von jungem Bambus eingefriedigt und mit Taro bepflanzt, wie ein nordischer Kätnersgarten mit Kartoffeln. Taro und Yams sind noch immer die wesentlichsten Nahrungsmittel der Eingeborenen. Er zeigte mir einen Haufen Yamsknollen. Sie sehen aus wie Erdbirnen und können sich sechs Monate halten. Er besaß auch eine Kokospalme und einen ganz jungen Brotfruchtbaum, den er selbst gepflanzt hatte. Ein Stück des Gartens war durch lange Bambusstangen abgeteilt und als Hühnerhof eingerichtet.

Er begleitete uns zu den übrigen Hütten, von denen die meisten unter Bäumen verborgen lagen. Vor einer Tür saß ein altes Weib mit roten Hibiscus in ihrem weißen Kraushaar und kochte Taro in einem emaillierten Topf über einem Reisigfeuer. Einige nackte Enkelkinder hielten in ihrem Spiel inne und verkrochen sich hinter der Großmutter. Als wir ihr eine Silbermünze gaben, reichte sie sie würdevoll den Kindern. Sie liefen in die Hütte und kamen mit Blumen zurück, die sie uns reichten.

Seltsam zu denken, daß diese gutmütige und indolente Rasse noch vor einem halben Jahrhundert aus Menschenfressern bestand, und nicht aus religiösen Gründen, sondern aus Liebhaberei.

Der alte krummrückige Betelkauer, der dort im Schatten sitzt, mit dem Rücken gegen seine baufällige Hütte, hat vielleicht in seiner Kindheit Menschenfleisch geschmeckt. Seine Mutter mag ihm einen oder zwei Finger zum Benagen hingeworfen haben, als er mit dem Hund zusammen dasaß und lauerte.

Kapitän D., der von Amts wegen genau über die Verhältnisse unterrichtet ist, erzählte mir, daß noch am Schluß des vorigen Jahrhunderts heimliche Expeditionen zu den kleinen Inseln, wo keine Weißen wohnten, unternommen wurden, um Menschenfleisch zu beschaffen.

Man ging nachts an Land, schlich sich zu den Hütten hinauf, umzingelte sie und machte alles ohne Unterschied nieder. Mit Hilfe von Lianen band man die Beute an langen Ästen fest und trug sie schleunigst zu den Booten.

Bei der Rückkehr wateten die Frauen zu den Kanus hinaus und trugen die Beute an Land, während die Missionare den Schlaf der Gerechten schliefen. Die Leichen wurden in den Sand des Strandes gerollt und gewaschen. Dann bekamen Nachbarn und Freunde Bescheid. Wenn der Häuptling sich das beste Stück ausgewählt hatte, wurde der Kopf vom Rumpfe getrennt und mit Steinen zerdrückt, wie man eine Nuß knackt; das köstliche Gehirn wurde herausgenommen und zwischen glühenden Steinen gebacken. Das übrige wurde von den Frauen an Spießen geröstet und vom Häuptling verteilt. Es war nicht allein ein Leckerbissen, sondern man wurde von dem Genuß des Menschenfleisches tapferer, stärker und klüger.

Als Kapitän D. zuerst auf die Insel kam, lebte noch ein alter Häuptling, von dem erzählt wurde, daß das Verlangen nach Menschenfleisch ihn periodenweise überfiel wie einen Quartalstrinker das Verlangen nach Alkohol. Da er sich aber nicht mehr Menschenfleisch durch Raubzüge verschaffen konnte, weil die Missionare auf ihrem Posten waren und Späher ausgeschickt hatten, so bezeichnete er seinen Vertrauten, wenn der Drang ihn überkam, einen von den Leuten des Dorfs. Dann lud er zum Fest ein, und wenn alle auf dem Festplatz versammelt waren, stürzten die Eingeweihten sich bei einem gegebenen Zeichen auf das nichtsahnende Opfer, hielten es fest, stießen ihm unterm Schlüsselbein ein Loch in den Körper und ließen ihn los. Schreiend rannte er umher, bis er stürzte. Dann wurde er mit Beilschlägen getötet, zerteilt und geröstet.

Dem Missionar bildete man ein, daß der Häuptling zu einem der heiligen Tänze eingeladen habe, bei denen kein Weißer zugegen sein darf. Um das Opfer zu übertäuben schrien alle mit, während der Missionar auf seiner hohen Veranda saß und über das Heidentum Betrachtungen anstellte. Traf es sich, daß er ein Fernglas bei sich hatte, konnte er das Opfer schreiend in dem dichtgeschlossenen Kreis herumstürzen sehen und gelobte sich selbst, all seine Kunst bei dieser vom Teufel besessenen Seele anzuwenden.

Noch vor wenigen Jahren hat man einen Fall von Menschenfresserei konstatiert. Die Bevölkerung ist christlich, geht zur Schule und liest die Bibel in ihrer eigenen Sprache; aus ihren Augen aber spricht eine unbestimmte Sehnsucht, ein Traum von entschwundenen Zeiten, den sie selbst nicht zu deuten weiß. Nur die Sprache erinnert noch an die gute alte Zeit. »Ich habe deinen Vater gefressen« ist eine beliebte Verhöhnung, die nie ihre Wirkung verfehlt. Sie ist von ähnlichem Wert wie des Türken »du Hundesohn«. Einen Mann zu fressen ist die größte Geringschätzung, die man ihm antun kann, auch bei den Kannibalen von heute auf den Salomon-Inseln. Man frißt nie Leute seines eigenen Stammes. Auch die Weißen, die man getötet hatte, verzehrte man nicht, weil man die Rache ihrer Götter fürchtete.


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