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Es war ein warmer Tag. Ich hatte bereits eine ganze Stunde in der Sonne gewartet. Ein alter Muselmann und sein Sekretär, die aus einem weitentlegenen Lande des Propheten gekommen waren, warteten mit mir.
Sie setzten sich mit gekreuzten Beinen in einen offenen Pavillon des Gartens, zogen das mitgebrachte Frühstück heraus und führten mit schmatzendem Munde feierliche und vornehme Reden.
Ich ging an dem niedrigen Seitengebäude entlang, das rein und frischgestrichen war. Durch die geöffneten Halbtüren hatte ich einen Blick in weißgekalkte Zellen und begegnete dunklen Augen in würdigen, bärtigen Gesichtern.
Ein Bruder kam in den Garten hinaus, ging über den weißen Sand zu einem Gestell, an dem eine Glocke hing, fing an zu läuten und rief mit laut mahnender Stimme zum Gebet, wie der Muezzin vom Minarett.
Hinter den Halbtüren fing es an lebendig zu werden. Ich sah einen nackten Arm, eine behaarte Brust. Man warf sich in Ornat. Das Uniformverlangen ist eine der ausgeprägtesten menschlichen Eigenarten. Selbst der Südseebewohner bekleidet sich mit anderen Blättern, wenn er betet, tanzt oder in den Krieg zieht.
Schließlich kamen sie in hohen, kegelförmigen, schattenlosen Filzmützen und langen, braunen Talaren zum Vorschein. Würdig anzuschauen, gingen sie gemessenen Schrittes, im Gänsemarsch, zu ihrer Andachtsübung.
Als alle versammelt waren, erschien der Oberste. Er war milden Angesichts, die schmale Stirn von hoher Berufung geprägt.
Ein alter schielender Tempeldiener nahm mit zitternden Händen meine Gummischuhe in Empfang und zog den Eingeborenen die Schuhe von den Füßen. Indem der Oberste vorbeischritt, verneigte der Alte sich tief und führte die Hand an Mund und Stirn.
Wir Zuschauer wurden in die Emporkirche hinaufgewiesen. Ich war der einzige Bock zwischen Schafen. Zwei der Rechtgläubigen waren jung und vielversprechend. Trotz der Andacht vergaßen sie nicht das Zeitliche, das in mohammedanischen Landen unter dem einen Wort »Bakschisch« zusammengefaßt wird.
Sie machten mir Platz neben sich und folgten mir mit den Augen, um meine Fragen zu erraten. Während sie die vorgeschriebenen Andachtsübungen auf der Schilfmatte vornahmen, erklärten sie mir die Vorgänge flüsternd und in einer Sprache, die sie für Französisch hielten.
Neben uns in der Emporkirche saßen fünf Brüder in der Hucke, mit Flöten, die bis zur Erde reichten. Bei einem Zeichen des Obersten begann die Musik. Ein klagender, langgestreckter Rhythmus, dieser melancholische Wüstenton, der von der Küste des Bosporus längs des syrischen Strandes ganz bis ins Herz von Indien hineinklingt.
Jetzt erhoben die Derwische sich vom Boden – ich zählte ihrer zwölf – und passierten nach der Reihe die Mekka-Nische, vor der der Oberste saß. Sie verneigten sich tief vor ihr. Sobald sie vorbei waren, öffneten sie die gekreuzten Arme und hoben sie zum Himmel wie Vögel, die langsam ihre Schwingen entfalten. Der Kopf senkte sich zwischen den Schultern. Die Augenlider glitten herab. Das Gesicht erstarrte wie im Tode. Mit hochgehobenen Händen begannen sie sich zu drehen, erst langsam, dann schneller und schneller, bis die Arme sich durch die Geschwindigkeit zur Schulterhöhe senkten.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Aber es währte lange, lange. Mir wurde ganz schwindlig vom Zusehen.
Da versagte einer. Seine Hände senkten sich wider Willen. Er schwankte und ließ sich still in eine Ecke gleiten. Sein Gesicht sah ich nicht, aber an seinem Rücken konnte ich erkennen, daß seine Augen geschlossen waren und seine Seele sich in Seligkeit auflöste.
Dann fiel der nächste auf dem Wahlplatz des Gebets; und der dritte, und die übrigen, einer nach dem anderen. Nur ein dicker, kurzhalsiger Bruder schwang sich noch herum, der größte und stärkste der Planeten. Seine Arme breiteten sich wie Flügel. Seine Umrisse verwischten sich. Er war wie ein umgekehrter Kreisel, der sich lautlos drehte. Plötzlich hielt er inne, schwankte einen Augenblick, fuchtelte mit den Armen durch die Luft und fiel wie ein lebloses Bündel zusammen. In Seligkeit.
Der tanzende Derwisch ist ein Sufi, ein Mystiker. Er wirbelt die Seele von den Sinnen los; denn leben ist leiden.
Man vergißt nicht leicht eine Andachtsübung der Mohammedaner, wenn man einer solchen einmal beigewohnt hat.
Das erste, was man tun muß, ist, die Himmelsrichtung zu suchen, in der Mekka liegt.
Auf dem Dampfer von Konstantinopel sah ich drei Türken, die sich über die Richtung stritten. Das Schiff drehte fortwährend zwischen den kleinen Inseln im Marmarameer. Das konnte der eine nicht verstehen. Die untergehende Sonne war von Wolken verborgen. Es entstand ein Streit, an dem alle Anwesenden teilnahmen, bis ein alter Hadschi die Sache entschied. Er sei selbst in Mekka gewesen, müsse es also wissen. Vor diesem Argument beugte man sich.
Das zweite, was der Rechtgläubige tun muß, ist, seinen Betteppich auszubreiten. Das ist ein viereckiges, buntes Stück Stoff, von ungefähr einem Quadratmeter Größe.
Er zieht seine Schuhe aus und löst seinen Turban. Dann kniet er auf der einen Ecke des Teppichs nieder, die Füße fest geschlossen, wendet sein Gesicht gen Mekka, legt die Handflächen auf seine Knie und betet.
Er wirft sich vornüber, bis Hände und Stirn den Teppich berühren, dann richtet er sich wieder auf, betet eine Weile und wirft sich von neuem nach vorn. Darauf kreuzt er die Arme, blickt von rechts nach links, legt die Hände hinter die Ohren, als ob er lauschen wolle, und wirft sich wieder vornüber, nach einem bestimmten Maß von Gebeten. Während der ganzen Andacht sind seine Augen niedergeschlagen und seine Ohren weltverschlossen.
Es gibt keine größere Andacht als die des rechtgläubigen Mohammedaners. Er versinkt in seinem Gebet.
Man sagt, daß der Türke kein Heim habe, weil es durch das Haremsystem unmöglich gemacht würde. Es mag sein, daß er keines nach unserer Auffassung hat; aber er hat ein Heimatsgefühl von stärkerer und höherer Art.
Sein Heim ist Mekka. Um diesen Ort drehen sich die Gedanken des Rechtgläubigen beständig. Er hat solch starkes Heimweh danach, daß er keine Ruhe findet, bevor er dort gewesen ist.
Seht ihn an, wie er mit seinem Nargileh vorm Café sitzt, den kühlen, müden Blick in die Welt hinausgerichtet. Das ist ein Heimatloser auf dem Weg nach seiner Heimat.
In »Le jeune turc« – jetzt ein führendes Blatt –, las ich eine Annonce, in der der Patriarch der Armenier dem Publikum mitteilte, daß Seine Heiligkeit Madthéos II. Ismirlian, oberster Patriarch und Katholikos aller Armenier, wie sein Titel lautete, den 11./24. Dezember 1910 in seinem heiligen Stuhl in Etschmiadzen (am Fuße des Ararat) im Herrn verschieden sei. In Kum-Kapou, einem Stadtteil von Stambul, solle Sonntag um zehn Uhr die Totenmesse gelesen werden.
Sonntag morgen bestieg ich einen Motoromnibus, die Zeit war knapp, aber er versagte gleich beim Start. Ich mußte über die Galatabrücke gehen, die von Pera, der Stadt der Europäer, nach Stambul führt, der unverfälschten Türkei.
Nirgends sieht man so viele Menschenrassen auf einmal wie hier. Europäer in Automobilen, Alttürken mit Fes in uralten Kaleschen, Jungtürken mit Filzhut in Droschken, Araber mit weißen und bunten Turbanen, Beduinen mit langen, flatternden Mänteln und Kopftüchern unter schwarzen Turbanringen, lehmfarbige Perser, Leute aus dem Kaukasus mit spitzen Mützen, Kopten, Abessinier und Neger.
Auch Frauen kann man hier studieren. Sowohl die alttürkische Frau aus dem Harem, als auch die europäisierte Einzelgattin des Jungtürken. Sie ist in Seide gekleidet, grün, violett oder blau, und meistens von einer älteren Duenna in Schwarz begleitet. Sie sind verschleiert, aber der Schleier ist dünn. Wenn ein frischer Wind vom Meere weht, legt die Seide sich schmeichelnd übers Gesicht und verrät die Form der Nase und den roten Bogen der Lippen.
Sie hat eine schöne Figur und einen elastischen Gang in ihren Pariser Schuhen, und ihre Haltung zeigt, daß sie sich dessen bewußt ist und Wert darauf legt. Sie kann deine Züge sehen, du aber nicht die ihren.
Man sagt, daß der Schleier nur eine dünne Schicht sei. Ich habe beobachtet, wie kokett sie den Fuß auf die Erde setzt, wie liebreizend sie den Kopf beugt, wenn sie den Blick des Fremden auf sich ruhen fühlt.
Wenn sie ihre Haustür in einer stillen, vornehmen Seitenstraße erreicht hat, kann man manchmal einen Schimmer von ihrem Profil erhaschen. Sie lüftet den Schleier, während sie vor der verschlossenen Tür unter den vergitterten Fenstern des alten Holzgebäudes wartet.
Ebenso verschleiert wie sie selbst ist auch ihr Haus. Alles ist zugedeckt. Wenn du durch eine stille Straße gehst, kannst du hören, wie Holzjalousien auf halb gestellt werden, ein flüsterndes Gespräch, ein leises Lachen, Kinderweinen, langgezogener, klagender Gesang zu einer dreisaitigen Zither. Das vernimmst du hinter dem Schleier.
Jetzt hat er aber angefangen, sich ein wenig zu lüften. In der Türkei ist alles dem Gesetz der Verwandlung anheimgefallen. Man kann jetzt unverschleierte Frauen auf der Straße treffen, selbst aus der besseren Klasse.
Sie hat schon ihren Empfangsabend und ihre Besuchsstunde. Werden dir aber auch bisweilen ihre Augen und ihr Mund offenbart, so wird es doch noch eine Weile dauern, bevor du ihr Haar zu sehen bekommst. Das ist nach Ansicht der Türken der kostbarste und geheimnisvollste Schmuck der Frau. Nur wer eine Frau besitzt, bekommt ihr Haar zu sehen.
Noch immer ist sie ein Luxuswesen. Für die meisten bedeutet die Freimachung nur einen Übergang vom Haremszwang zu einem persönlicheren und verfeinerten Lebensgenuß im abendländischen Sinne.
Es ist unter ihrer Würde, sich mit dem Hauswesen zu beschäftigen. Dessen muß der Mann sich annehmen mitsamt der Dienerschaft. Sie beschäftigt sich auch nicht mit der Erziehung der Kinder. Die wird einer alten betrauten Dienerin oder einer europäischen Gouvernante überlassen.
Sie hat nur eine Pflicht: dem Mann zu gefallen. Sie lebt, um ihm zu behagen, und sucht mit einem Raffinement, wie man es selbst in Paris nicht kennt, nach immer neuen Quellen zu ihrer Verschönerung.
Sie wird, wie bei allen orientalischen Völkern, mit vierzehn Jahren verheiratet. Mit dreißig Jahren ist sie alt. Wenn das Haremsystem im Aussterben begriffen ist, so ist der Grund dazu nicht, wie man in europäischen Zeitungen so schön geschrieben hat, eine höhere moralische Einsicht. Die Ansicht des Propheten in bezug auf das Weib ist im Koran mit genügender Klarheit ausgedrückt. Sie hebt hervor, daß ein guter Muselmann nicht mehr als vier Frauen haben darf, Sklavinnen nicht mit inbegriffen. Und an den Worten des Propheten darf nicht gerüttelt werden.
Nein, die Sache ist hier wie überall die Macht zwingender Gründe. Ebensowenig wie das französische Zweikindersystem, das in dem übrigen Europa so viel Empörung hervorrief, einen besonderen moralischen Niedergang in Frankreich bedeutet, ebensowenig bedeutet die Bewegung der Türken von der Vielweiberei zur Einzelehe das Gegenteil.
In Frankreich, das in der Entwicklung stets voran war, liegt der Grund in der zunehmenden Härte der Lebensbedingungen, in der zunehmenden Schwierigkeit der Versorgung, in Verbindung mit der Furcht vor Deklassierung des Geschlechts, also ein moralisch-soziales Moment.
In der Türkei ist es heute ebenso. Dort empfindet man den zunehmenden ökonomischen Druck vielleicht stärker als anderswo. Die Staatsanleihebürden, die wachsenden Militärausgaben haben alle Lebensbedingungen in dem Maße verteuert, daß man geradezu gezwungen ist, seine Lebensgewohnheiten zu ändern.
Ein Muselmann, der vor zwanzig Jahren mit Leichtigkeit vier Frauen haben konnte, kann sich jetzt nur eine leisten, um so mehr, als die modernen Ansprüche an persönlichen Komfort auch bis zur Türkei gelangt sind.
Wenn er den Wert des Namens, den seine Kinder tragen – er ist ebenso wie der Franzose ein ausgezeichneter Vater –, nicht verringern will, dann muß er den Bestand des Harems einschränken, ebenso wie man unter dem zunehmenden ökonomischen Druck in den englischen und französischen Herrschaftsställen den Bestand des Vollbluts eingeschränkt hat.
Aber ich wollte von der Totenmesse für seine Heiligkeit Madthéos II. Ismirlian erzählen.
Ich überreichte einem sehr korrekten Sekretär meine Karte. Er war mit Zylinder, schwarzen Handschuhen, Gehrock und einem erstklassigen Begräbnisausdruck in seinem schmalen, gelben, glattrasierten Gesicht bewaffnet.
Ich wurde durch zwei Vorhöfe geführt, wo eine verwunderte Menge von Rechtgläubigen um den dichten Strom von Zutrittsberechtigten Spalier bildete. In einer teppichbelegten Seitenhalle wurde ich einem anderen Sekretär überliefert, nicht weniger korrekt als der erste.
Nachdem wir uns durch einen Händedruck unsere gegenseitige Hochachtung versichert hatten, wurde ich in die Kirche geleitet, zwischen einigen Stuhlreihen kreuz und quer geführt und schließlich bei einem grünen Tisch abgesetzt, wo ein Kirchendiener mir einen Stuhl hinschob.
Ich befand mich Seite an Seite mit zwei amerikanischen Journalisten – Sixpence, Kniehosen, Notizbuch und Füllfederhalter – mit einem englischen Geistlichen mit hohem, schwarzem Kragen und mit einem struppigen orientalischen Bartträger, der sich offenbar von seinem schwarzen Gehrock geniert fühlte; ich glaube, er war aus dem Kaukasus.
Vor uns saßen Minister und Diplomaten in vergoldeten Lehnstühlen. Dann kam das Chorgeländer und dahinter ein großes tiefes Chor, das die ganze Breite der aus drei Schiffen bestehenden Kirche einnahm.
Vor dem Hauptaltar hielt ein Greis mit einem weißen Patriarchenbart die Messe. Das Tempo war schneller als das katholische ähnlich dem der Derwische, die ich vor kurzem gesehen hatte. Er kniete nicht nieder, verneigte sich nur vorm Altar, hatte aber wie in der katholischen Kirche einen Priester zu jeder Seite.
Vor den Seitenaltären stand eine Reihe junger Mädchen schwarzgekleidet, weißbehandschuht, kurze Röcke, Ordensband über der Brust.
Chorknaben in langen, grünen Seidentalaren waren in fortwährender wogender Bewegung. Neben dem Hauptaltar standen zu beiden Seiten Kirchendiener mit langen Stäben, an denen silberne, mit Glocken versehene Schalen hingen, die an vorgeschriebenen Stellen geschüttelt wurden. Sie klangen wie Tamburine.
Dem Hauptaltar gegenüber, aber noch innerhalb der Chorschranke, saßen dreißig Sänger im Halbkreis. Sie trugen grüne, rote und violette Seidentalare mit breiten Tragstücken, in die religiöse Symbole mit reicher Goldstickerei eingewirkt waren.
Als die Messe zu Ende war, kam zu beiden Seiten des Hauptaltars eine Prozession von Priestern hervor. Schwarze Mäntel, hohe, schwarze, rundköpfige Hüte, mit langen Schleiern den Rücken hinunter. Zuletzt kamen vier, die schwarze, spitze Mützen trugen. Einer von ihnen trat vor den Altar, das Gesicht der Gemeinde zugewendet.
Ich nehme an, daß es ein Bischof war, denn er hatte einen Krummstab in der linken Hand. In der rechten hielt er einen kleinen Beutel und ein Kreuz.
Er sprach ohne Gesten, mit großer rhetorischer Würde. Zahlreiche Kunstpausen verstärkten den Eindruck der Worte. Obgleich ich außer Madthéos und Ismirlian nichts verstand, bezweifelte ich keinen Augenblick, daß es eine Leistung ersten Ranges sei.
Nach beendigter Rede bekamen wir Auserwählten eine spargeldünne Wachskerze in die Hand gedrückt. Wir gaben uns gegenseitig Feuer, und so standen Rechtgläubige, Ungläubige und Abtrünnige da und trugen Lichte zu Ehren des verstorbenen Katholikos.
Es folgte ein Gesang, ein Segensspruch, ein Gebet. Dann löschten die Eingeweihten ihre Lichte, und wir anderen folgten ihrem Beispiel.
Der vornehmste der Patriarchen, wahrscheinlich der auserwählte Nachfolger, erhob sich aus einem hochlehnigen Stuhl, wo er mit dem Rücken zum Publikum gesessen hatte; ich sah ihn erst jetzt. Eine imponierende Erscheinung mit einem langen schwarzen Bart, typisch orientalisch in seinem Ausdruck und seiner geschmeidigen, lächelnden Würde. Alles erhob sich und die Cour begann.
Erst kamen die Repräsentanten des Sultans und der Pforte, die dem Patriarchen am nächsten saßen. Sie kannten ihn persönlich. Ihre Kondolenz trug den Charakter einer Unterhaltung. Alle beugten sich herab und küßten ihm die Hand.
Bevor die Amerikaner und ich an die Reihe kamen, war das Lächeln um seine vollen, feuchten Lippen erstarrt und seine weiche Hand vor Müdigkeit erschlafft.
Der korrekte Sekretär warf einen bedenklichen Blick auf die Kniehosen der Journalisten, als diese mit ihren langen amerikanischen Schritten anmarschiert kamen. Irre ich mich nicht, blitzte sogar ein Funke von Mißbilligung in den Augen Seiner Heiligkeit, als er zufällig ihre Sixpence streifte.
Es war ein lebensgefährlicher Kampf, durch die beiden Vorhöfe zum Tor hinauszukommen, ein Martyrium, sich einen Weg an den prustenden Pferden vorbei zu bahnen, die mit den Hufen ausschlugen, während türkische Ellenbogen einem in die Rippen gerannt wurden und die blendende Sonne einem in die Augen stach.
Erst als ich eine Ecke erreichte, wo die Straßen sich teilten, bekam ich Muße, mich umzusehen.
Was Jahrhunderte nicht vermocht hatten, das hatte die weibliche Neugierde im Handumdrehen zustande gebracht: der Schleier war von den Häusern und Wohnungen gelüftet, die Holzjalousien waren in die Höhe gezogen. Dunkle Frauenaugen leuchteten über dem bunten Getriebe von Staatswagen und Galauniformen.
Blasse Gesichter mit gelblicher Haut, als ob das Tageslicht sie zum erstenmal beschiene. Der träge Liebreiz, das halbe, erstarrte Lächeln, die sehnsüchtig schmachtenden Augen – alles war da. Frauenbildnisse aus »Tausend- und eine Nacht«, Profile aus Pierre Lotis Romanen, Skizzen zahlreicher Reisebeschreiber, sie alle wurden hier durch lebendige Wirklichkeit bestätigt.
Es war ein kurzer Einblick in eine sonst verschlossene Welt, für den ich Seiner selig entschlafenen Heiligkeit Madthéos II. Ismirlian zu Dank verpflichtet bin.