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Ansiedlerleben in Australien

Wir näherten uns einem modernen Kulturstaat. Davon zeugten die Passagiere, die wir auf der Thursday-Insel an Bord nahmen.

Da war ein australischer Landwirtschaftskonsulent, der sich auf einer Inspektionsreise in den nördlichen Distrikten befand. Ein Neu-Engländer, massiv, vierschrötig, mit einem hellen, klaren Blick und vielen frischen, aber nicht sehr tiefgehenden Kenntnissen.

Er erzählte mir, daß es hinter dem schmalen Bergrand der Küste viele skandinavische Farmen gäbe. Townsville mit seinen 20 000 Einwohnern ist ihre Hafenstadt. Das etwas südlicher gelegene Brisbane hat einen skandinavischen Verein, Kirche und Pastor. Daß die australische Butter ein Exportartikel von zunehmender Bedeutung geworden ist, hat man den Skandinaviern zu verdanken. Sie sind es, die dem alten Lande auf dem englischen Markt Konkurrenz machen. Auch der Zuckerrohrbau ist in starkem Zunehmen und beschäftigt viele Skandinavier.

Er erzählte mir von den Schaffarmen im Innern des Landes. Viele Meilen von den bewohnten Orten entfernt, mitten in ungeheuren Weidedistrikten, lebt der weiße Schafzüchter mit seinen Arbeitern und Herden. Das niedrige Holzhaus, das er selbst zimmerte, als er vor einigen zwanzig Jahren herkam, ist das Mutterhaus für eine ganze Stadt von Speichern, Arbeiterwohnungen, Waschräumen und Werkstätten geworden. Die hundert Schafe, mit denen er begann, sind zu einem lebendigen Vermögen geworden; viele haben bereits die erste Million erreicht. Es gibt Schafhürden von mehreren Meilen im Umkreis. Es. gibt eingefriedigte Plätze, die schimmernd weiß sind von der geschorenen Wolle, die zum Trocknen in der Sonne liegt. Wenn die Wolle trocken ist, wird sie sortiert, in viereckige Pakete gepreßt und hunderte von Meilen über weglose Strecken zur nächsten Bahnstation öder zum nächsten schiffbaren Fluß gefahren. Es ist kein Transport, es ist eine Expedition, ausgerüstet für Wochen, mit doppelten Gespannen für achträdrige Wagen, die je von zwanzig bis dreißig Ochsen gezogen werden.

Wölfe, gegen die man die Herden schützen muß, gibt es nicht; aber es gibt einen anderen Feind, der schlimmer ist, weil er die Weiden abfrißt und unterminiert. Das ist das Kaninchen. Es wurde von dem ersten Ansiedler eingeführt, wurde wild und ist jetzt eine Landplage, gegen die man sich durch Gift wehrt, wovon ganze Wagenladungen über ausgedehnte Strecken gestreut werden.

Auch einen Bankdirektor bekamen wir an Bord. Er war auf der Insel gewesen, um eine Filiale zu inspizieren. Ich hatte noch keine zwei Worte mit ihm gesprochen, als er betonte, daß er nicht in Australien geboren sei.

Bereits mehrere Male war mir dieses abwehrende: »I am no Australian« begegnet. Ich begriff es erst jetzt, als der Bankdirektor mir erzählte, daß der australische Staat aus Verbrecherkolonien entstanden sei. Die ersten Einwanderer waren deportierte Strafgefangene. Die ältesten Städte sind von Mördern, Dieben und Räubern gegründet worden. Die Deportationen begannen im Jahre 1788 und wurden bis 1868 fortgesetzt.

In Australien ist es also nicht vornehm, Ahnen zu haben. Je jünger die Familie ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer anständigen Abstammung. Als Sidney seinen hundertjährigen Stiftungstag feierte, mit einer Ausstellung historischer Erinnerungen, kam auch das Archiv der Stadt mit seinen alten Bürgerlisten zum Vorschein. In derselben Nacht aber wurden sie von einem rechtzeitigen Feuer vernichtet. Ein Versuch, durch Nachforschungen bei Familien das Verlorengegangene wiederherzustellen, mißlang vollständig. Selbst sehr hervorragende Familien schienen nichts von ihren Großvätern zu ahnen. Was um so merkwürdiger war, als ja in der britischen Rasse allgemein die Ansicht herrscht, daß erst drei Generationen einen Gentleman machen. Dieser Glaube oder Aberglaube mag die Ursache sein, daß der Neu-Engländer sich so unfreundlich zu dem alten Lande stellt. Für den, der in Australien vorwärtskommen will, ist es besser, Deutscher oder Skandinavier als Brite zu sein.

Längs der Ostküste von Australien liegt das sogenannte Barriere-Riff, eine Korallenbildung von 1600 Kilometern Ausdehnung. Die Fahrt an der Küste entlang ist sehr schwierig. Vor einigen Monaten ging ein großer Passagierdampfer mit Mann und Maus unter. Wir passierten die Stelle des Nachts.

»Hier,« erzählte der Bankdirektor, »ist er zuletzt von einem Dampfer, der nach Süden ging, gesehen worden. Vielleicht fahren wir in diesem Augenblick über seine Schornsteine hinweg.«

Wir fuhren an der Innenseite des Riffs entlang und hatten die Küste, einen nebligen Rand von rundkuppligen Bergen, beständig in Sicht. Mit jedem Tage wurde es kühler. Eines schönen Morgens erschien der Kapitän und die Mannschaft wieder in dunklen Anzügen, die wir seit Hongkong nicht gesehen hatten, und wir Passagiere folgten ihrem Beispiel.

Der Äquatorsommer war vorbei. Der australische Herbst hauchte uns an. Es war ganz heimatlich, und dennoch stand das Universum auf dem Kopf: zur Mittagszeit sahen wir die Sonne im Norden.

Zeitig am Morgen warfen wir Anker.

Wir lagen dicht vor einer waldbewachsenen Felseninsel, die magnetisch ist und den Kompaß verwirrt. Der Launch der Gesellschaft holte die Passagiere ab und geleitete uns zu einer kleinen freundlichen Stadt am Fuße von niedrigen, kahlen, rötlichen Bergen: Townsville, das erst zwanzig Jahre alt ist und ungefähr 20 000 Einwohner hat.

Eine Pionierstadt. Alles ist neu und hastig gemacht. Man kann an den Geschäften sehen, wer die Stadt trägt. Stellmacher und Sattler, Krämerstores und Equipierungsmagazine, Bars und Farmerhotels. Im Hinterland sind neugeschaffene Vermögen, davon zeugen die kostbaren und prangenden Schmucksachen der Goldschmiedläden, die zahlreichen Automobil- und Klaviergeschäfte. Die Menschen, die uns begegnen, sind große, breitschultrige Landbewohner, mit derben Gliedern, sonnengebleichtem Haar, starkem Kiefer und Augen wie Stahl.

Wir lagen nur drei Stunden vor Townsville. Dann ging's weiter auf den Süden und Herbst zu. Der Himmel war hell und klar, mit einer weißen Wolkenwand am Horizont, die Luft frisch und kühl wie an einem Septembertag im Norden.

Wir waren auf der Höhe von Kap Moreton. Eine ungeheure Sandbank tauchte auf. Das waren die äußersten Schlammablagerungen des Flusses Brisbane. Die Fahrt verlangsamte sich. Vor uns lag der Lotsendampfer. Durch das Glas konnte ich den Lotsen von Bord gehen sehen. Die Delphine hüpften neugierig aus der Wasserfläche. Sie wagten sich ganz nah heran, spielten und schlugen Purzelbäume.

Es ging auf die Küste zu. Das Fahrwasser wurde trübe und der Kurs eine schmale Rinne mit graugelbem Wasser. Die Sandbank hob sich, veränderte ihre Form, bekleidete sich mit einem dichten Mangrovegehölz, das sich mit seinen Leuchterwurzeln an den Schlamm klammerte. In den blinkenden Wasserlachen wimmelte es von Reihern und Störchen. Durch das Fernrohr unterschied ich einen großen, schneeweißen Pelikan. Er hatte den Sack voller Fische und stieß unablässig auf.

Die Küsten rückten zu einer Flußmündung zusammen, auf beiden Seiten von einem undurchdringlichen Dickicht bestanden. Die Sonne ging an einem klaren Himmel unter, ein nordischer Sonnenuntergang, der Erinnerungen und Heimweh erweckte. Kaum war sie hinter dem Dickicht verschwunden, als die Luft zu gerinnen schien.

Der Fluß wurde schmäler. Langsam glitten wir durch den dunklen Trichter vorwärts, auf ein weißes elektrisches Licht zu – Pinkemba.

Ein verfaulter Geruch stieg aus dem schwarzen, stillen Wasser auf. Je mehr wir uns den Lichtern auf dem Kai näherten, desto stärker wurde er. Schließlich war er unerträglich. The purser zeigte auf die Umrisse eines Baukomplexes, der sich vom dunklen Himmel abhob. Es waren die Fabriken der großen australischen Fleisch-Kompanie.

Tausende von lebendigen Tierleibern kommen. hierher, um nur wenige Tage später in Zinndosen nach anderen Weltteilen ausgeschifft zu werden; der Abfall wird durch einen Kanal in den Fluß geführt. Daher der unleidliche Gestank; daher die herrlichen Fische in dem schmalen Flußlauf. Die Fabrik hat den Hafen und die Seitenlinie der Eisenbahn gegründet, die von Brisbane, das vier Meilen flußaufwärts liegt, hierherführt.

Wir legten vor der elektrischen Bogenlampe an, die ein Holzbollwerk mit Zollschuppen und Lagerräumen beleuchtete. Alles übrige lag im Dunkeln. Eine Stadt dahinter gab es nicht. Einige hundert Meter landeinwärts gruppierten sich ein halbes Dutzend Angestelltenhäuser um ein zweistöckiges Ansiedlerhotel und eine Bar, aus der Gesang und Harmonikaspiel ertönten. Die Landstraße, die zur Prärie führte, lief am Wirtshaus vorbei. Die Sterne funkelten am Himmel, dessen Horizont nach allen Seiten frei war.

Als wir am nächsten Morgen mit der Eisenbahn nach Brisbane fuhren, hatten wir einen Blick über weites Farmland mit kleinen Hainen von schlanken Bäumen. Längs der Bahnlinie lagen Ansiedlerhäuser, auf Pfählen erbaut, anderthalb Meter von der Erde, um vor den weißen Ameisen geschützt zu sein, die, ebenso wie die Kaninchen, Australiens Landplage sind. Alle waren im Villenstil erbaut, aus Holz, das Dach und die Abflußrinne aus Wellblech, mit einer breiten Veranda und zierlichen Gärten. Auf den Feldern wächst Kaktus zwischen hohem Gras. In der Nähe der Häuser wachsen Bananen, Palmen und Eukalyptus, der in Australien zu Hause ist.

Brisbane ist die Hauptstadt von Queensland. Es hat 150 000 Einwohner und liegt längs des Flusses auf einem hügeligen Terrain, bunt bestanden mit Villen und Gärten, wie die Umgebung einer europäischen Großstadt. Es ist funkelnagelneu, mit einzelnen fünfstöckigen Geschäftshäusern, die die Häuserreihe überragen. Wie in allen »heißen«, das heißt nördlichen Städten Australiens ist von der ersten Etage aus ein Strohdach über den Fußsteig gebaut, so daß der Verkehr längs der Läden gegen Sonne und Regen geschützt ist.

Es ist eine saubere Stadt. Auf den Säulen, die das Dach tragen, hängen Plakate mit folgenden Inschriften: »Es ist bei Strafe von 50 £ verboten, auf den Fußsteig zu spucken.«


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