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Zu Esel in der Wüste

Wir stiegen bei der Station Bedraichen, fünfzehn Kilometer südlich von Kairo aus der Bahn. Vor dem Bahnhofsgitter wartete der Scheich mit seiner Horde von aufgeputzten Eseln und deren halbnackten, glänzendbraunen Treibern.

Kaum tauchte der erste Tourist auf, als die Esel mit ihren Ohren zu fächeln begannen, während die Zweibeinigen mit ihren Armen winkten, mit ihren braunen Augen funkelten und die Aufmerksamkeit auf sich und ihre Esel zu lenken versuchten.

Überfälle waren verboten. Der Scheich paßte auf. Mit seiner würdigen, burnusbekleideten Gestalt, seinem hocherhobenen, turbanumwickelten Haupt sperrte er den Eingang zur Barriere, indem er seinen dünnen Bambusstock durch die Luft schwang.

Man wendet sich an den Scheich, verhandelt mit ihm über den Preis und bekommt einen Esel angewiesen.

Wir ritten über das Bahngeleise in die Stadt hinein. Es ging im Trab an schreienden Hühnern und bettelnden Kindern vorbei, die mit ausgestreckten Händen Bakschisch riefen. Vorbei an einem hockenden Händler mit Albinoaugen. An einer Gruppe alter Frauen, die ihr Ungeziefer im Schatten einer verfallenen Moschee lüfteten. An einem europäischen Schild mit dem Namen eines Arztes, und an einer Apotheke mit Lehmkruken.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Vor uns lag eine grüne, lichtgebadete Ebene in leiser Wellenbewegung, durch die ein blinkender Kanal lief. Dattelpalmen standen hier und dort in Gruppen und fächelten träge mit ihren Blattfinnen. Einige Fellah schöpften Wasser aus einem Brunnen mit Hilfe von Ochsen, wie zu Pharaos Zeiten, und gössen es in eine enge Wasserrinne, die blau zwischen tiefgrünen Wiesen blinkte.

Wir reiten über einen schmalen Pfad mit weichen Wagenspuren, an einem stillstehenden Wasser entlang. Lerchengesang, wie an einem Sommertag im Norden, und ein einsamer Habicht, der sich hoch zum Himmel hinaufschwingt.

»Ich begreife nicht,« sagt Dr. H., ein amerikanisierter deutscher Arzt aus den Weststaaten, »warum Esel ein Schimpfwort geworden ist; das ist eine Beleidigung gegen das fleißige, treue Tier.«

Er wendet sein glattrasiertes, frühgealtertes Gesicht zu mir um, während er seine linke Hand auf das Kreuz des Tieres legt. Schweißperlen stehen auf seiner kahlen Stirn, den Panamahut hat er tief in den Nacken geschoben. Seine Stahlaugen sind klar und wohlwollend. Er hüpft drollig in kleinen kurzen Stößen auf dem willigen Tier. Das soll gut für die Leber sein, deretwegen er in Ägypten ist.

Ich kann es ihm nicht sagen. Auch ich bin mit Wohlwollen für meinen Esel erfüllt, einen soliden, grauhaarigen Herrn, der seinem Vorgänger getreulich auf den Fersen folgt, während er das eine Ohr nach dem Treiber spitzt, der nebenher läuft, mit meinem Frühstückskorb auf dem Kopf, und leise mit ihm spricht, bald freundlich ermunternd, bald vertraulich warnend. Das andere Ohr beobachtet mich und die Umwelt.

Der Pfad macht einen großen Bogen. Dann verläuft er in ebenem, weichem Boden mit Palmenbäumen, die erquickenden Schatten spenden. Durch die fächelnden Palmenblätter spielen Sonnenflecke.

Es ist eine Oase; und die Oase ist der Boden des alten Memphis, wo man noch im zwölften Jahrhundert zahlreiche Ruinen fand. Jetzt liegt da ein stiller See, von einem hohen Palmenwald umgeben.

Mein Vorgänger hält seinen Esel an, das heißt, ihm selbst glückt es nicht, sondern seinem Eseltreiber, einem mageren aufgeschossenen Lümmel mit listigen Straßenjungenaugen; der Doktor nimmt seinen Kodak heraus und verewigt die Oase.

Kaum war geknipst worden, als der ganze Trupp Esel sich durch irgendeine, dem menschlichen Ohr unvernehmbare Verabredung – sie telephonieren drahtlos mit den Ohren – in Bewegung setzte.

Dr. H. lag auf der Erde, während seine amerikanischen Doppelsohlen himmelwärts zeigten.

Es war kein Unglück geschehen. Wir lachten herzlich und befreit. Er stieg rasch wieder in den Sattel, faßte die Zügel fest und klemmte die Beine um den Schlingel. Dann versetzte er ihm mit dem flachen Ende des Zügels eine ordentliche Tracht Prügel über Hals und Kopf. Der Treiber akkompagnierte mit Schimpfworten und Stockschlägen.

Die Ohren des Esels sträubten sich. Sein Maul bebte, die großen boshaften Augen weinten, er strampelte mit den Beinen und blieb schließlich stehen.

Da wandte der Amerikaner sein glattes Gesicht zu uns um und sagte:

»Das war eine richtige Eselei. Einen abzuwerfen, wenn man in die Schönheit der Natur versunken ist! – I say, kein zweibeiniger Tramp hätte es besser machen können.«

Wir fingen an zu begreifen, warum Esel ein Schimpfwort geworden ist. Ich meinerseits behielt von jetzt ab die Ohren des Gesellen scharf im Auge, und preßte meine Beine fest um seine Flanken.

»Wie lange kann ein Esel Dienste tun?« fragte ich den Treiber.

»Zweiundzwanzig Jahre, Herr. Dieser hat vierzehn gedient.«

»Na, Gott sei Dank, dann hat er die Flegeljahre wohl hinter sich.«

Die Touristenkarawane machte vor einem mächtigen Granitblock halt, der hoch und frei zwischen Palmen lag. Es war Ramses der Zweite. Er ist acht Meter lang, an Kopf und Armen etwas beschädigt, aber sonst gut erhalten. Zwischen seinen Beinen sind ein Sohn und eine Tochter von ihm in Relief ausgehauen. Einst stand er vor einem Tempel in Memphis, jetzt liegt er hier zur Belustigung von Touristen, die ihre Namen einschreiben, während die Vögel der Wüste ihre Visitenkarte auf ihm ablegen.

Wüstenwehmut senkte sich auf mein Gemüt. Ich gab mich Betrachtungen über die Verschiedenheit menschlicher Schicksale hin, jedoch erst, nachdem ich vorsichtshalber vom Esel gestiegen war.

Hier liegst du nun, Ramses der Zweite, dachte ich bei mir. Nachdem du Ägypten mit Säulenhallen und Tempeln angefüllt hast, von denen man im Baedeker und Meyer lesen kann, trugst du Sorge, daß die Nachwelt dich selbst nicht vergäße. Du ließest dich in Stein aushauen und in Vervielfältigungen an Orten aufstellen, wo man voraussehen konnte, daß mit der Zeit hübsche und leicht zugängliche Ruinen entstehen würden. Sämtliche Reisebüros der Welt sind dir zu Dank verpflichtet. Andere Menschen bauen auch Säulenhallen und Tempel von nicht geringerer Bedeutung in Worten und Versen; aber, o, ich fürchte, ich werde nie in der Lage sein, mir ein Denkmal in Stein errichten zu lassen, mit meiner Familie zwischen den Beinen. Und Gott weiß, ob andere nach meinem Tode dafür sorgen werden.

Wieder stiegen wir zu Esel und ritten auf einem Deich neben einem breiten Wässerungskanal und über eine Brücke. Noch hatten wir grüne Wiesen zu beiden Seiten; aber vor uns verschwamm der Gesichtskreis, wurde undeutlich und dunstig. Grau und rötlich hob sich der Boden in langen, weichen Wellen, ohne feste Konturen, ohne Skelett. Die Farbe des Himmels veränderte sich. Am Horizont wurde das Blau fahl, von fernen Lichtspiegelungen unter dem Rand durchleuchtet.

Über diesem weichen Unbestimmbaren, das in der Luft zitterte, alles umfassend und verschlingend, über diesem unfruchtbaren Sandmeer, schwebte eine tiefe und feierliche Schöpferstimmung.

Eine Öde ohne Erinnerung, ohne Hoffnung. Und dennoch wird das Gemüt ergriffen, als sei man heimlich Zeuge von der Entstehung der Dinge, als schliche man auf lautlosen Sohlen durch den Sand, um die Umarmung von Leben und Tod zu belauschen.

Es war die lybische Wüste.

Wir machten vor einem Blockhaus halt, einem viereckigen, kahlen Balkenraum, mit hölzernen Bänken und Tischen. Nach Westen, der Wüste zugekehrt, war nur eine Halbwand. In diesem Haus, das in den fünfziger Jahren Mariette bei seinen Ausgrabungen als Wohnung diente, ißt man sein Frühstück, von einem schweigsamen Araber bedient, der Herr über Korkenzieher und Gläser ist. Der übrige Proviant befindet sich in einem Korb, den das Hotel einem mit auf den Weg gegeben hat, weil man nicht wie das Kamel mit einer Bar im Magen herumgeht und, wenn der Hunger nagt, von seinem Fettbuckel zehren kann.

Wir besahen die Treppenpyramide in Sakkara nur flüchtig; sie ist ein Kinderspiel gegen die Cheopspyramide, die wir später zu sehen bekommen sollten. Aber wir wanderten durch den losen Sand, der uns bei der leichten, heißen Wüstenbrise umwogte und sich in Ohren, Nase und Augen setzte; wir wanderten zu Tis Grab und zu den Apisgräbern, während die Esel auf einem Bündel mitgebrachtem Heu Rast hielten.

Ti war ein königlicher Oberbaumeister, ungefähr dreitausend Jahre vor Christi Geburt. Sein Grab und das seiner Frau nehmen so viel Platz ein wie eine mittelgroße Dorfkirche. Er ist überall an den Wänden in gemalten Reliefen abgebildet und leicht zu erkennen, denn er ist doppelt so groß wie die anderen Ägypter, zwischen denen er sich bewegt. Das ist eine natürliche und ungezierte Art, menschliche Größe darzustellen, die im modernen Europa Nachahmung finden sollte.

Herr Ti muß in Wahrheit ein großer Mann gewesen sein, nach all den Schätzen zu urteilen, die auf seinen Grabwänden abgebildet sind. Wir sehen seinen Hühnerhof, seinen Fischfang, seine Nilboote mit einer dreireihigen Besatzung schokoladenbrauner Ruderer. Wir sehen, wie seine Stiere geschlachtet, seine Gänse gestopft werden. Seine Opferprozessionen, seine Musikanten und Tänzerinnen, seine Bäcker, Töpfer und Köche. Wir sehen seine Leute ernten, Schiffe bauen. Wir sehen seine Bildhauer, Maler, Glasbläser, Tischler, Gerber. Wir sehen auch seine Frau. Im Museum in Kairo sind lebensgroße Kalkstatuen von ihnen beiden, die der Grabkammer entnommen sind. Wir sehen seine Besitztümer im Jenseits. Sechsunddreißig Frauengestalten tragen alles, was ägyptischer Boden hervorbringen konnte. Schließlich sehen wir ihn selbst auf einem Nilboot, Fische und Flußpferde jagend.

Mit all diesem sind die Wände in den viereckigen Begräbnisräumen bedeckt. Außerdem sind zwei Vorhöfe da, mit flachen Dächern, die von Granitsäulen getragen werden. Sie sind durch schmale Korridore verbunden, die auch mit Reliefen geschmückt sind. Am tiefsten drinnen liegt die Hauptkammer mit den Stelen: langen, schmalen Nischen in der Mauer, vor denen die Statuen gestanden haben.

Alles dieses, das ehemals hoch über der Erde lag, liegt jetzt tief unterm Wüstensand. Man gelangt durch eine schräg hinabführende Passage, zwischen später hinzugebauten Granitwänden, zum Eingang. Die Granitwände sollen die Versandung hindern; aber dennoch dringt beständig der feinste Sand hindurch. Man kann ihn nicht sehen, fühlt ihn aber in den Augen und zwischen den Zähnen.

 

Nach einem zweistündigen Ritt durch die Wüste näherten wir uns den Pyramiden von Gizeh, den richtigen, großen, berühmten Pyramiden.

Dreieckige Nebelflecke von verschiedener Größe tauchen aus dem dunstigen Horizont auf. Sie sind nur klein. Im ersten Augenblick, wenn einem klar wird, was man da sieht, fühlt man sich enttäuscht. Cheops Pyramide – so groß wie die Peterskirche in Rom – und imposanter sieht sie nicht aus? Je mehr man sich aber den Kolossen nähert, und je schärfer sie in ihren Umrissen hervortreten, desto mehr Respekt bekommt man. Und ist man erst so nah, daß man Menschen und Kamele zu ihren Füßen unterscheiden kann, fühlt man dasselbe Erstaunen, von dem man ergriffen wurde, als man zum erstenmal die Waldameise am Fuße ihres Riesenhaufens herumkriechen sah.

Wir stiegen in dem arabischen Dorf am Fuße der Pyramiden von den Eseln. Man muß um die Anhöhe herumgehen, die voll von Höhlen ist, die zu alten Grabkammern führen; die Pyramiden lagen ja in einer Stadt von Gräbern. Es gibt nur einen offiziellen Eingang, wo man ein Billett löst, von hungrigen Arabern belagert. Gegen Zahlung eines Bakschischs ließ man uns allein gehen.

Wir traten ganz nah heran und bestiegen mit Mühe die untersten der halb verwitterten Steinstufen, die fast mannshoch sind. Von hier aus beobachteten wir eine Schar Touristen, die auf dem Rückweg vom Gipfel der Pyramide begriffen waren.

Ihre Bewegungen verrieten, daß sie vom Springen, Klettern und Festklammern halbtot waren. Selbst wenn der eine Führer zieht und ein anderer hinten nachschiebt, ist es kein Spaß. Wir sahen, wie ihre Blicke verzweifelt an dem gelbroten Stein hingen, auf dem sie gerade standen, damit sie nicht schwindlig wurden und die Fußfeste verloren. Wir hörten, wie eine bedauernswerte Dame mit einem Tropenschleier, der ihren blonden Kopf wie eine Fahne umwehte, vor Angst schrie, weil der Führer von ihr verlangte, daß sie auf den Stein, auf dem er stand, herunterspringen sollte. Und unser Herz schwoll vor Bewunderung über die unmenschliche Energie, die Touristen beseelt.

Was ist Cheops Heldentat im Verhältnis dazu?

Er befahl, daß Tausende von Ameisen Steine behauen und herbeischleppen sollten. Er bestellte eine Pyramide und erntete unsterbliche Ehren; der Tourist aber, der sie mit eigenen Händen und Füßen besteigt, der gerät in Vergessenheit. Sein Name steht nicht im Buch der Weltgeschichte, sondern nur im Fremdenbuch des Hotels eingeschrieben. Das verstimmte uns beide sehr.

»Was nützt es,« sagte Dr. H. und putzte seinen Kneifer, »in einer Welt nach Ruhm zu streben, wo die Ehrungen so ungerecht verteilt sind.«

»Sie haben recht,« sagte ich bewegt, »besonders weil die dort oben ja nichts weiter von ihrem Ausflug haben wie die Ehre. Wir, die wir unten bleiben, sehen doch wenigstens die Pyramide, aber die Ärmsten, die dort zwischen Himmel und Erde schweben, sehen, wenn sie überhaupt den Mut haben, die Augen zu erheben, nur uns und die Kamele.«

 

Wir nahmen die elektrische Bahn, die ihre Endstation am Fuß der Pyramidenhochebene hat. Mit ihr erreicht man Kairo in einer guten halben Stunde.

Als wir zur Mitte der prächtigen, langen Allee gekommen waren, begegnete uns ein Zug von Kamelen. Sie wanderten mit majestätisch langen Schritten vom Nil zur Wüste. Ich zählte bis hundert. Dann hielt ich inne, denn der Zug war noch unabsehbar.

Sie trugen alle dieselbe Bürde. Zu jeder Seite des Buckels hingen zwei große Weidenkörbe. Es war halbdunkel, darum konnten wir den Inhalt nicht erkennen.

»Was ist in den Körben?« fragte ich den Kondukteur.

»Nilerde, die zur Wüste getragen wird.«

Ägypten ist noch heutigentags das Land der Ameisen und der Riesenhaufen.


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