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Die Finanzhauptkasse und das Theater in Jaypur

Wir hielten vor einer weißen Mauer und einem viereckigen, rotgemalten Gebäude, das in seinem Mittagsschlaf der Beamtenwohnung einer mittleren Provinzstadt glich. Ein Tor in der Mauer wurde auf einen Anruf unseres Führers von innen geöffnet. Wir stiegen aus und traten von der modernen Straße in das frühe Mittelalter.

Auf einem sonnigen Platz lagen seltsame Gebäude in allen möglichen geometrischen Figuren. Ein rechtwinkliges Dreieck, so hoch wie ein Haus, dessen Hypotenuse in gerader Linie auf den dunklen Himmelsraum zustrebte. Ein zirkelrunder Mauerring, glatt und weiß, erhob sich mannshoch über der Erde, und darin noch ein Mauerring, mit dem ersten konzentrisch. Zwischen zwei Mauerständern war ein riesiger Halbzirkel lotrecht aufgehängt. Flächen mit Vaterpas, Säulen mit Lotleinen gezogen, auf den weißen Seiten waren mit Pas, Lineal und Winkelmesser Gradzeichen gemacht und Text und Zahlen in indischen Schriftzeichen eingeritzt.

Es war das Jantra-Observatorium, im Jahre 1728 von demselben großen Jay Sing erbaut, der Amber verließ und das neue Jaypur gründete, das nach ihm benannt wurde. Nicht weniger als sieben Observatorien hat er ringsherum in seinem Lande errichtet.

Hier, wo nur Schatten wachsen, seltsame geometrische Schatten, macht der Astrologe wie in längst entschwundenen Zeiten seine täglichen und nächtlichen Wanderungen, indem er aus Sonne und Sternen die günstigsten Zeiten für das Treiben der Menschen herausliest. Hier wird wie im mittelalterlichen Europa noch immer das Horoskop für Neugeborene gestellt, nach uralten, chaldäischen Rezepten. Hier üben Venus und Mars und andere Planeten noch ihren schicksalsschwangeren Einfluß auf menschliche Schicksale. Jaypurs Herrscher unternimmt nichts, ohne das Schattenspiel in dem wundersamen Garten um Rat gefragt zu haben. Auch das Leben seiner Untertanen wird von dem Willen des Himmels, mit dem Astrologen als Makler bestimmt.

 

Vom Mittelalter fuhren wir zu einer modernen Reitbahn. Ein länglicher, abgerundeter Platz mit weichem Sand belegt, geräumig wie eine Rennbahn, an allen vier Seiten von zweistöckigen Bauwerken eingeschlossen, wo in dem Erdgeschoß die Ställe des Maharadscha sind.

Er hat hier dreihundert Pferde In dem Brennpunkt des einen Ovals steht eine viereckige Halle unter Säulenbogen, ein Pavillon, von dessen erhöhtem Sitz der Maharadscha die Arena übersehen und den Anblick seiner lieben Tiere genießen kann.

Wir gingen von Stall zu Stall. Halbnackte Stallknechte fegten, wuschen und striegelten, während die herrlichste Pferdeatmosphäre sich in der warmen Luft auslöste.

Wir fanden mit Hilfe des Führers den Oberstallknecht, der uns den Favoriten zeigte. Eine Rupie genügte, daß man seinen Stallriemen löste und ihn in die Sonne und den Sand hinausführte.

Es war ein heller, isabellenfarbiger Hengst mit langem, flatterndem Schwanz und seidenweichem, geflochtenem Stirnbüschel zwischen den Augen. Das feine Netz der Adern lag blau unter dem zarten, weißlichen Fell, das in der Sonne beim Spiel der Muskeln unter der Haut errötete. Seine Ohren waren in ständiger Bewegung, seine klaren, klugen Augen musterten uns scheu und stolz.

 

Unser Führer hatte den Palast bis zuletzt aufgespart. Von außen sieht er nicht sehr imposant aus, da er hinter hohen, hellroten Mauern verborgen liegt. Hinter den Toren aber offenbarte sich hinter einem Chaos von Vor- und Innenhöfen ein Stück echtes, orientalisches Stilleben vornehmsten Stils.

In jeder Ecke, wo ein wenig Schatten war, lag ein eingeborener Diener und schlief. Alte, weißbärtige Lakaien saßen mit hochgezogenen Beinen zwischen halbwüchsigen Knechten; niemand schien etwas zu tun zu haben.

Wir kommen über einen offenen Platz, wo die Nachmittagssonne auf den roten Mauern brennt, hinter denen Zenanas Gitterhaus mit den dreihundert Frauen von der Welt abgesondert in einem Garten liegt. Hieran stößt das Gebäude für die Eunuchen. Auch hier sind die Fenster vergittert; aber eine Tür steht offen, und auf ihrer Schwelle sitzen Diener mit roten Schärpen und spielen Würfel.

Die Tore des Palastes sind aus Bronze. Das mittelste mit reich vergoldeten Ornamenten öffnet sich nur dem Maharadscha selbst. Durch das feine Gitterwerk tun wir einen Blick in das Allerheiligste, die siebenstöckige Chandra Mahal, wo der Herrscher wohnt.

Wir dürfen nicht lange verweilen. Die Torwache, die uns durch alle Höfe begleitet hat, treibt uns zur Eile an. Wir passieren noch ein Tor und werden von einer Schildwache mit roter Schärpe, einem Schild vorm Leib und einer Waffe, die einer Hellebarde gleicht, gemustert. Dann befinden wir uns in einem fliesenbelegten Hof, der von Marmorwänden mit geschnitzten Gittertüren eingeschlossen ist.

Geradezu öffnet sich eine Säulenhalle mit Bogen; Mosaik aus farbigen Steinen leuchtet aus dem Weiß hervor. Die Säulen bilden kreuz und quer führende, symmetrische Alleen. Der Boden ist mit indischen Teppichen belegt. Im Hintergrunde der Halle steht eine Reihe hochlehniger Armstühle, mit roter Seide bezogen. Sie sind für das Gefolge des Vizekönigs und für die Dignitaren des Maharadschas bestimmt, wenn offizieller Besuch aus Kalkutta kommt. Er selbst und der Vizekönig nehmen auf Thronstühlen Platz, die an der Wand stehen. Darüber, in einer geschlossenen Galerie, befindet sich eine Loge für die Vizekönigin und ihr Damengefolge.

In einer Ecke des Saales sitzen einige Angestellte auf der Erde und rasseln mit Münzen.

»The treasury,« erklärt der Führer.

Die Finanzhauptkasse des Maharadscha auf der Erde in einer offenen Halle!

Silber- und Kupfermünzen liegen in Haufen auf einem Teppich. Ein weißbärtiger Knabe sortiert das Silbergeld in Rollen und wiegt sie auf einer Handwage, während zwei Assistenten zusehen und Buch führen.

Der Alte beugt sich herab und reicht dem Führer einige Münzen, die er uns zeigen soll

Es ist die private Rupie des Maharadschas, nur für ihn und seine Regierung geprägt. Sie ist dicker und schwerer als die allgemein gangbare und hat hindustanische Schriftzeichen, statt europäischer Prägung.

Ein sehr selbständiger Herr ist dieser Fürst, der den alten Wein seines Reiches auf neue britische Lederflaschen füllen läßt. Er hat in seinem stolzen Stadtpark ein Museum gebaut, die Albert Hall, ein Gebäude im zartesten maurischen Stil, aber mit allem Raffinement der europäischen Gegenwart. Es ist vorzüglich geordnet, hat uniformierte Aufseher, die auf englisch erklären, und enthält eine bunte Sammlung von indischer Ethnographie, allgemeiner Naturgeschichte, alter und neuer Kunstindustrie. Ich sah einige Tassen aus dänischem Porzellan und Sachen aus dem nordischen Steinalter. Er hat ein vollkommen modernes College für seine Untertanen errichtet, ein vortreffliches Krankenhaus, eine berühmte Kunstschule, und hat eine Druckerei und ein Zeughaus nach modernen Prinzipien.

Von der Schatzkammerecke kamen wir durch noch ein Tor in den Lustgarten des Maharadscha, in dessen innerstem Teil, den niemand zu sehen bekommt, seine Wohnung liegt.

Schmale, kiesbelegte Wege unter künstlichen Bogen von dunkellaubigen Schlinggewächsen. Gelbe indische Rosen und große gefüllte Jasminblüten. Kleine grüne Papageien fliegen zahm herum und mokieren sich über uns. Pfauen spazieren gravitätisch unter den niedrigen Phönixpalmen. Tauben sitzen auf dem Rande des Springbrunnenbassins, dessen dünner Strahl ihren Rücken bestäubt. Aus dünnen Eisenröhren, die zwischen den Pflanzen verborgen sind, fällt das Wasser wie ein milder Sommerregen auf die Blätter.

Am Ende des Gartens ist ein Tempel; er liegt dem Fensterbalkon des Maharadscha gerade gegenüber, damit, so erklärt der Führer, sein Auge, wenn er es des Morgens aufschlägt, dem Blick des Gottes begegnet, bevor es sich auf irdische Dinge heftet.

Vor der Palastmauer erhebt sich stolz ein schlankes Minarett mit dem prachtvollen Beinamen: »Das Himmeldurchbohrende«.

Den Maharadscha selbst bekamen wir nicht zu sehen, nur sein Bild. Ein dickköpfiger, kurzhalsiger Herr mit einem festen Blick unter buschigen Brauen; üppiges, wogendes Barthaar, schwarz mit weißen Strähnen, um einen vollen, festgeschlossenen Mund. Ein niedriger goldgestickter Turban, dicht besetzt mit Perlen und Edelsteinen und einer grünen Federaigrette. Ein dunkelgrüner Rock mit Goldborten, blauem Ordensband auf der Brust und großen, leuchtenden Ordenssternen. Fürwahr, er sah wie ein Herrscher aus.

 

Der Führer stellte sich vor uns auf, während wir uns nach dem Mittagessen in bequemen Easychairs ausgestreckt hatten.

Wir waren müde nach dem anstrengenden Tag; er aber ließ uns keine Ruhe mit seinem mahnenden Blick: Wir müßten gleich fahren, wenn wir ins Theater wollten, denn um neun Uhr würden die Stadttore geschlossen.

Da war das Mittelalter wieder Es brachte uns sofort auf die Beine.

Es ging in fliegender Eile über die staubige Landstraße. Wir erreichten das Tor, als eine europäische Uhr in der Nähe gerade neun schlug. Es fiel hinter uns ins Schloß. Kurz darauf hielten wir unter einer mächtigen Gaslampe mit Auerbrenner vorm Theater.

Der Führer ging voraus, um Billette zu lösen. Wir spazierten über einen schmalen Hof, der von Pechfackeln erleuchtet war, wurden von einem Türwächter durch einen niedrigen Korridor zu dem halbdunklen Zuschauerraum geführt, wo hinter der Rampe einige Stühle im Orchester leer standen.

Ein amphitheatralischer Raum mit Bänken und Logen in zwei halbkreisförmigen Etagen, wie ein europäisches Theater. In der Mitte des Balkons die Loge des Maharadscha und zu beiden Seiten Gitterkäfige für seine Damen, die aber leer standen.

Im Parkett stritten sich einige junge Inder um Plätze, die unnumeriert waren. Ein Aufseher kam hinzu und schlichtete den Streit.

Hinter uns im Parkett saßen vornehme Hindu. Sie trugen kleine violette Seidenmützchen, waren dick und kurzhalsig, hatten schwarze gewichste Schnurrbärte über vollen, stark roten Lippen; Augen, die sich hinter den Lidern hervordrängten, einen glatten, wohlgepflegten Teint, prächtige weiße Zähne und ein eigenes sicheres Selbstgefühl in den unbeweglichen Gesichtern.

Wir saßen so nahe an der Rampe, daß wir die Wärme der offenen Gasflammen, die im Zugwind flackerten, spüren konnten. Es war eine hohe und tiefe Bühne, europäisch in ihrer Form. Darüber stand mit goldenen Buchstaben, daß Ramsaingh der Zweite dieses Theater erbaut habe. Der Führer war sehr stolz darauf und schärfte uns ein, daß es vierzig Jahre alt sei.

Der Vorhang, in Jaypur gemalt, stellte in schreienden Farben das Paradies vor. Hier saßen Siva und seine Frau Parvati auf einem Felsblock mitten im Garten unter Palmen und heiligen Pipalbäumen. Wilde Tiere und zahme Tiere umgaben sie in friedlichem Beisammensein. Der Tiger trank an der Seite des Lammes aus einer himmelblauen Quelle. Ein Löwe machte sich hübsch und die Schlange hing von einem Ast herab und sah lächelnd zu.

Wir bekamen ein Programm in Folioformat, das der Führer uns vergeblich zu deuten versuchte.

Der Vorhang ging auf und die Bühne zeigte eine Zimmerdekoration mit einem Diwan im Hintergrund, das war die ganze Einrichtung. Ein junger Prinz in dunkelvioletter Radschatracht ging hin und her und gab zu erkennen, daß er schläfrig sei. Er klatschte in die Hände. Drei Diener kamen herein, der Größe nach, in funkelnder Kleidung, die Hand flach auf der Brust. Sie erhielten den Befehl, Haus und Tür zu bewachen, während er schliefe. Der Prinz legte sich auf den Diwan und versank gleich in Schlaf. Eine Fee stieg aus der Erde, in einem festanliegenden, dunkelfarbigen Kostüm, mit funkelnden Sternen besetzt. Sie entdeckte den Prinzen und verliebte sich in ihn.

Bis jetzt war es eine Pantomime gewesen; die Fee aber spricht in Versen oder, richtiger gesagt, sie singt in einem unablässig steigenden und fallenden Rhythmus. Je nach der Gemütsbewegung hebt und senkt sie die Stimme, beschleunigt oder verlangsamt das Tempo; die Melodie aber ist immer die gleiche, einfach, sinkend oder steigend. Rechts und links im Vordergrund der Bühne sitzen je zwei Musiker. Zivilgekleidet, mit untergeschlagenen Beinen, akkompagnieren sie den Gesang mit Trommel, Flöte und zwei gitarreähnlichen Saitenspielen, bald leise begleitend, bald kräftig unterstreichend. Ich machte hier dieselbe Erfahrung wie in Damaskus: Einförmigkeit, die den Europäer einschläfert, wirkt auf den Orientalen aufreizend.

Die Fee zieht einen Ring über den Finger des Prinzen und verschwindet durch den Fußboden. Der Prinz erwacht – jetzt ist es wieder eine Pantomime – entdeckt den Ring, ruft die Diener und fragt sie aus. Sie behaupten, daß niemand die Tür passiert habe. Der Prinz droht ihnen mit dem Tode.

Im nächsten Akt stellt die Bühne einen phantastisch ausgeschmückten Garten vor. Indra, ein Fürst von göttlicher Herkunft, nimmt auf einer blumengeschmückten Erhöhung im Hintergrunde Platz, während das Gefolge sich zu seinen Füßen gruppiert. Er ruft seine Diener, die Clowne des Stücks.

Der eine ist schwarz, der andere rot. Sie sind in Trikot gekleidet, mit einer kleinen flatternden Kappe über den Schultern und Flügelansätzen. Das Gesicht des einen ist schwarz, das des anderen rot gemalt. Die Masken, die durch weiße, symmetrische Striche um Augen und Mund gekennzeichnet sind, stellen ein Mittelding zwischen einer ausgelassenen Mephistophysiognomie und einer gemütlichen Tigerfratze vor. Sie haben Säbel und Schilde aus Holz und machen alle möglichen Späße, sagen »yes« und »all right«, uns im Orchester zu Ehren, schießen Purzelbäume, gehen auf den Händen, prügeln sich, schließen Frieden und beginnen von vorn.

Der Fürst, der sich zu langweilen scheint, verlangt einen Tanz. Die Teufel hexen. Unter Musikgetöse steigt eine Fee aus der Erde. Sie tanzt und singt, den wiegenden, wackelnden, orientalischen Tanz. Der Fürst ist unzufrieden und verlangt einen besseren. Fee Nummer zwei erscheint auf demselben Wege. Auch sie wird zu leicht befunden. Die Teufel müssen wieder hexen. Da steigt Nummer drei in Flammen von Hexenmehl herauf. Sie ist es, die sich im ersten Akt in den Prinzen verliebt hat. Jetzt findet sie Gnade vor den Augen des Fürsten. Aber sie ist betrübt, gesteht ihre Liebe ein und bittet den Herrscher um seine Hilfe zur Vereinigung mit ihrem Prinzen. Der Fürst weist sie zornig ab. Er will sie für sich haben.

Die Bühne wird in eine Straßendekoration des modernen Jaypur verwandelt Hier begegnet die liebeskranke Fee dem schwarzen Teufel und beschwört ihn, ihr mit seiner Zauberkunst zu helfen, bis er sich ihrer erbarmt und den Geliebten herzaubert. Der Prinz schwebt in seinem Bettalkoven vom Himmel herab, während der Teufel mit einem unschicklichen Lachen verschwindet. Der Prinz erwacht, sieht sich überrascht um und entdeckt die Fee, die sich ihm demütig nähert, auf den Ring zeigt und um seine Liebe bittet. Er weist sie zurück, wird aber schließlich durch ihre Liebe gewonnen und schließt sie in seine Arme.

Mehr sahen wir nicht. Der Führer erzählte, daß das Stück bis zwei Uhr dauere. Wir waren müde und zogen uns um zwölf Uhr zurück.

Die Handlung war mit vielen Verwicklungen vorwärtsgeschritten, die wir nicht verstanden; denn mit der Erklärung unseres Führers war es nicht weit her. Nach den ersten Szenen machte er sich ein solides Betelpriemchen zurecht und war von da an in Anschauung versunken.

Das Liebespaar wurde von zwei ganz jungen Menschen gespielt, sicher nicht älter als sechszehn Jahre. Ihre Stimmen waren weich und biegsam, Mimik und Gesten von einer festen Regie gezähmt. An stark bewegten Stellen aber brach das junge Gemüt sich siegreich Bahn, und im Kampf mit dem Angelernten wurde eine seltsam ekstatische Glut entzündet, die die Augen zum Leuchten und die Stimmen zum Beben brachte.

Die Zuschauer waren gerührt und schienen das Stück zu kennen; aber Beifall auf europäische Art gaben sie nicht zu erkennen.

Als wir in der kühlen Nacht unter dem strahlenden tropischen Himmelsfeuerwerk durch Jaypurs Hauptstraße jagten, waren die Laternen gelöscht.

Als wir das Tor erreichten, sprang der Führer ab und öffnete die innere Tür. Wir fuhren in den Torraum. Er schlug mit seiner flachen Hand gegen eine Seitentür. Nach einer Weile blitzte ein Licht auf und die schlaftrunkene Torwache kam herausgetaumelt, zankte sich mit dem Kutscher, prüfte unseren Erlaubnisschein beim Schein einer Stallaterne und forderte uns eine ungesetzliche Extragebühr ab, die zu bezahlen der Führer uns anheimstellte.

Während dies vor sich ging, wurde von draußen ans Tor geklopft. Eine klägliche Greisenstimme ertönte und das Gemurmel jüngerer Stimmen. Die Torwache schimpfte und die Stimmen verstummten sofort. Dann drehte sich das mächtige Bronzetor in seinen kreischenden Angeln.

Indem wir hindurchfuhren, drückte sich ein Haufe Eingeborener gegen die Mauer, um Platz zu machen. Ein gebückter Greis hielt eine rauchende Pechfackel in der Hand, die ihren Schein über viele geblendete vor Schlafbedürfnis blanke Augen warf.

»Das sind Gäste, die von einer Hochzeitsfeier kommen«, erklärte der Führer. »Sie haben auf eine Gelegenheit gewartet, um hineinzuschlüpfen.«

Wir hörten die kreischende Stimme des Torwächters, die klägliche Bitte des Alten und das schläfrige Gemurmel der anderen. Schließlich mögen wohl einige Münzen zum Vorschein gekommen sein, denn es wurde plötzlich still. Der Schein der Pechfackel verschwand in der Dunkelheit und das Tor schlug mit einem Dröhnen zu, daß es in den Mauern widerhallte.

»Wenn nun niemand mit einem Erlaubnisschein gekommen wäre?« fragte ich.

Der Führer zuckte die Achseln und bedeutete mit einer Handbewegung, daß draußen vor der Mauer ja Platz genug zum schlafen sei.

Kutscher, Pferde, Führer und Läufer verlangten jetzt alle nach Ruhe. Es ging im Galopp, schließlich in gestreckter Karriere nach Hause, so daß der Wagen flog und wir auf den Sitzen hüpften.

Während wir in die Auffahrt des Hotels einbogen, hörten wir, wie Schakale mit aufgeschreckten Hunden, die hitzig in einem Garten kläfften, um die Wette heulten.


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