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Eine frühe Morgenstunde in Colombo. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen.
Braune Tamulen mit schwarzem Haar und schlanken Gliedern baden in dem stillstehenden Hafenwasser, dessen Oberfläche in allen Farben des Regenbogens schimmert. Sie recken und strecken sich mit dem Morgengebet auf ihren Lippen und gehen dann an ihre Arbeit, einen neuen Kai für den Hafen.
Auf dem überdeckten Pier geht ein englischer Schutzmann in Khakiuniform und schwenkt seinen dünnen Stock durch die Luft. Längs der Anlegetreppen sitzen Fährleute in der Hucke, das schwarze Haar auf dem Scheitel zu einem Knoten aufgesteckt. Sie tragen einen bunten Rock um die Lenden, eine wollene Jacke oder ein Badehandtuch auf dem Oberkörper, weiter nichts.
Morgenfrische europäische Kontoristen genießen die frische Luft, bevor der heiße Tag beginnt, und rauchen ihre Schagpfeife, indem sie interessiert zu den neuangekommenen Dampfern hinausspähen.
Auf der anderen Seite des Zollamtes, am Fuße des Königin-Viktoria-Denkmals, hält eine Reihe Rickschas. Die Kuli sitzen mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fußbrett, den flachen Strohhut in den Nacken geschoben. Hier gibts keinen Schatten, nur hin und wieder einen Windhauch vom Meere. Der rote Kies, mit dem Straßen und Plätze bedeckt sind, brennt einem bereits unter den Sohlen.
Der singhalesische Portier erscheint jetzt auf der Hoteltreppe. Er trägt einen engen Rock, der bis an die Knöchel reicht, eine dunkle Livreejacke mit goldenen Knöpfen und karmoisinroten Aufschlägen. Sein schwarzes Haar ist im Nacken zu einem hübschen Knoten aufgesteckt – europäische Damenmode aus den achtziger Jahren – und mit zwei halbmondförmigen Schildpattnadeln zusammengehalten. Seine wachsamen Augen schweifen über die Kuli, die ihre Rickschas lautlos über den Kies ziehen, um nach der Reihe Aufstellung zu nehmen. Er ist ihr unumschränkter Herrscher, bestimmt Preise und gibt Befehle. Genügt ein Blick nicht, dann folgt ein Schlag seiner Hand. Kein Kuli darf hier halten, der nicht vom Hotel engagiert ist und nicht das Zeichen desselben in großen Buchstaben auf Rickscha und Mütze trägt.
Ich will eine Fahrt durch die Stadt machen, während die Luft noch Morgenfrische atmet. Der Portier winkt. Ein Kuli mit flacher Nase und weitaufgerissenen Augen ohne Ausdruck und ohne Augenhaare kommt mit seinem Rickscha angetrabt und erhält vor der Hoteltreppe seine Befehle, die der Portier ihm mit Worten und Gesten einzuprägen versucht.
Dann geht es in ebenmäßigem Trab durch die breite Straße mit den ziegelsteinroten Häusern, wo die großen Jalousien bereits zum Schutz gegen die Sonne herabgelassen sind. Weiter durch die York Street mit ihren niedrigen Häusern, europäischen Schildern, offenen Buden und verkrüppelten Akazien längs des roten Weges. Wir biegen um die Ecke zur Sklaveninsel, einem schmalen Stück Land mit Süßwasserseen zu beiden Seiten.
Hier brennt die Sonne ungehindert herab. Der Schweiß läuft dem Kuli über den Rücken. Das Licht bricht sich beim Laufen in dem Muskelspiel seiner Glieder. Mit einem Lappen, den er im Lendentuch trägt, trocknet er sich die kitzelnde Feuchtigkeit vom Halse, ohne in seinem Lauf innezuhalten.
Dann biegen wir in eine alte Allee von uralten, dunkellaubigen Bäumen ein. Hinter den grünen Hecken liegen die Bungaloe der Europäer, tief verborgen in schattigen Parken, mit Kokos-, Bethel- und Phönixpalmen.
Die schlanken Stämme bewegen sich anmutig in der Seebrise. Der Wind spielt mit den Blättern hoch oben in den Kronen. Das Licht legt sich in weißen Streifen auf ihre Längsseite, wird weggewischt und taucht auf dem Nebenblatt wieder auf. Ein ewiges Wechselspiel, das das Auge erfreut; die Brise aber gelangt nicht zum Grunde der Allee herab, zu Menschen und Tieren.
Tief drinnen auf einem Rasen wird Federball gespielt. Vor der Veranda ist ein Boy mit einer roten Schärpe und einem schimmernd weißen Anzug damit beschäftigt, Longchairs aufzustellen, während sein Kollege auf einem silbernen Tablett, das die Sonnenstrahlen fängt, serviert. Dort sind dichte Gebüsche von üppig blühenden, magentaroten Bougainvilles. Hinter den Palmen, unter einem Strohdach, zerrt ein Schimmel an seinem Zaum.
Eine Kirche in gotischem Stil. Ein weißes Schulgebäude mit Turngeräten auf dem Rasen. Ein Speicher, vor dem halbnackte, braune Männer unter der Aufsicht eines weißgekleideten Europäers Zinnkisten auf einen Wagen mit Ochsengespann laden. Das ist Liptons Teelager mit den Villen der Angestellten, dem Officehaus und den Speichern.
Tamulen gehen zur Arbeit, die Sonne scheint ihnen geradeswegs ins Gesicht. Alte, würdige Singhalesen mit einer Brille, aufgestecktem Haar und Schildpattkämmen, Jacke und Rock aus weißer Seide, spazieren bedächtig unter Sonnenschirmen. Sie betrachten den Fremden mit freundlichen Augen. Einige fahren im eigenen Wagen und lesen die Morgenzeitung auf dem Weg ins Geschäft.
Junge Weiber begegnen uns, mit ungebeugten Rücken, den Rhythmus von Jahrtausenden in ihrem Gang, der weder von Schnürleib noch Sorgen verkümmert wurde; mit strahlenden Augen, die ihre Seele spiegeln. Singhalesinnen, in seidenen Jacken und Röcken, blau, weiß oder grün, die fest um den braunen Hals, fest um die zartgebauten Hüften schließen, die sich beim Schreiten sanft und träge wiegen. Das blanke, schwarze Haar liegt glatt um den Kopf und ist zu einem Knoten geschürzt, der von Goldnadeln, Perlenschmuck und Blumen leuchtet.
Alte Frauen, frühzeitig in der Tropensonne gealtert, mit runzligen, unbeweglichen Gesichtern und weißen Haarsträhnen um die welken Schläfen, sitzen vor den Haustüren in der Hucke und geben auf Kinder mit großen Hinterköpfen und runden Bäuchen acht.
Wir sind jetzt in Pettah, der Stadt der Eingeborenen, der Armen.
Es ist kurz vor der Marktzeit. Ochsenkarren mit Holzdächern knarren vorbei. Der nackte Kutscher sitzt auf der Deichsel, damit er den Schwanz des trägen Zugtieres, den schwachen Punkt desselben, treffen kann. Er fährt Gemüse und Obst zum Markt. Unter dem Holzdach, zwischen den Waren, sitzen Frauen und Kinder.
Arme Frauen mit einem Korb auf dem Kopf und einem nackten Kind rittlings auf der rechten Hüfte eilen vorbei. Die meisten sind blutjung. Unter der Sonne Ceylons gedeiht alles schnell. Eine hat ein Kind auf jeder Hüfte und einem dritten gibt sie die Brust, während sie zu ihrer Arbeit geht.
Die Läden sind zur Straße offen. Hier arbeitet ein Schmied, daß die Funken stieben. Dort näht eine Eingeborene auf einer Singer-Maschine. Kinder laufen zwischen Ochsenkarren und Rickschas ein und aus, während die Kuli unablässig Warnungsrufe ertönen lassen.
Junge Buddhapriester mit glattrasiertem Kopf, in langen, kanariengelben Togen, die den rechten Arm und die rechte Schulter freilassen, gehen von Haus zu Haus, unter einem flachen Sonnenschirm, mit einem runden, gelben Fächer, und empfangen Almosen in einer Schüssel, die sie unter der Toga tragen. Sie sagen kein Wort, warten nur, bis man ihnen gegeben hat, und gehen ohne Dank. Sie dürfen nur zusammengebettelte Kost berühren, dürfen kein Geld nehmen und essen nur einmal am Tage.
Englische Soldaten in Khakiuniformen, Tropenhelmen und Stöcken, zwei und zwei in der Reihe. In der Mitte der Straße eine Kompagnie Sikhs. Schlankgewachsene, kräftige Eingeborene aus Nordindien, mit Backenbärten und ernsten, treuen Augen unter dem hohen Turban. Sie kommen müde und verstaubt von den Morgenübungen außerhalb der Stadt.
Ich ließ meinen Kuli vor dem Viktoriapark halten, der gleichzeitig Botanischer Garten und Stadtpark ist, in altenglischem Stil. Ich ging über die sonnenheißen Rasen. Schlangen entdeckte ich nicht im Gras, obgleich ich aufmerksam nach ihnen ausspähte. Dagegen große, graue Eidechsen, Gekkos waren es gewiß, mit Zacken auf dem Rücken und aufgerissenen Kehlen. Sie betrachteten mich mit demselben Staunen wie ich sie. Solange ich stillstand, standen sie auch unbeweglich. Sobald ich mich aber bewegte, waren sie im selben Augenblick verschwunden.
Wärme und Licht lasteten so schwer auf mir in der Sonne, daß ich Schwindel und Übelkeitsempfindungen bekam und zu meinem wartenden Fahrzeug zurückeilte, dessen Zugtier sich inzwischen am Wegsaum unter einen schattigen Baum gestreckt hatte.
Ich fuhr quer durch den Park, an offenen, versenkten Feldern vorbei, wo weißgekleidete, eingeborene junge Leute aus einer Erziehungsanstalt Fußball spielten, so daß mir bei ihrem Anblick der Schweiß ausbrach, während einige europäische Kühe dastanden und schliefen, das Hinterteil der Sonne zugekehrt.
Unter der glühenden Vermählung von Sonne und Erde, die alles bis zum Hochdruck spannt und gleichzeitig lähmt, scheint einem sowohl Leben wie Tod nähergerückt zu sein.
Ich machte einen Ausflug nach Kandy, eine Eisenbahnfahrt von drei, vier Stunden ins Hochland hinauf, um Adams Berg und den Garten des Paradieses zu besuchen.
Nachdem man Haine von Bananen und Palmen passiert hat, wird das Land offen und flach. Wir fahren durch ein Flußtal mit grünen Wiesen, wo englische Rassekühe bis an die Knie im Gras stehen und wiederkäuen.
Die Tropennatur ist nicht so verschieden von der europäischen, wie man glaubt. Wären die Palmen nicht, dann hätte man auf einen sehr heißen, europäischen Hochsommertag schließen können. Sommer ohne die Pause des abtötenden Winters und des erneuernden Lenzes; die ewig siedende Natur.
Unter dem dunkelgrünen Laub, in dem schattenspendenden Schutz desselben, liegt Hütte neben Hütte. Einige aus Lehm und geweißt, mit einer Veranda rings herum, andere aus strohgeflochtenen Wänden und einem Dach aus Palmenblättern.
Auf den Feldern trippeln Hunderte von weißen Watvögeln in dem weichen Grund. Da sind Raben, träge und krächzend wie die Krähen im Norden. Lerchen, die aus einem Schwebepunkt hoch über dem Hügel trillern. Der Boden wird trocken, hebt sich langsam, mit Plantagen von großen, saftiggrünen Bananen und Kokospalmen, zwischen deren Stämmen das Auge in weite Ferne schweift.
Wieder nähert der Fluß sich der Bahnlinie, jetzt aber sind seine Ufer hoch und in seiner Mitte sind trockengelegte, gelbe Sandbänke, wodurch Seen entstehen, in denen Ochsen baden, das Maul prustend auf die Wasserfläche gerichtet, während ihre Hüter, nackte Jungen, deren schlanke Glieder in der Sonne schimmern, ihrem Beispiel folgen.
Vor uns liegen die Berge in festlichem Grün. Dahinter tauchen ferne Zinnen auf, wie Zähne, die in den dunkelblauen Himmel eingegraben sind, blaßblau, fast weiß im Sonnenlicht. Und über sie alle, wie ein Eckzahn hervorragend, der Gipfel des Adamberges.
Der Ort ist geheiligt. Die Mohammedaner behaupten, daß Adam auf diesen Berg flüchtete, als er aus dem Paradiese vertrieben wurde, und daß er hier so lange in traurigen Sinnen verloren stand, bis sein Fuß sich in den Felsen bohrte. Seine Tränen sammelten sich zu einem kleinen See, dessen Wasser noch heutzutage wundertätig wirken soll.
Die Buddhisten behaupten, daß Buddha sich von diesem Berg in den Himmel zurückschwang. Über seiner »heiligen Fußspur« ist ein kleiner Tempel errichtet.
Tamulen und Malabaren behaupten wiederum, daß die Fußspur von Siva herrühre. Die Christen sagen, daß der Abdruck zu dem Fuß des heiligen Thomas passe.
Bereits im Mittelalter führten zwei mohammedanische Pilgerstraßen hinauf, eine beschwerliche, die Babas oder Adams Straße hieß, eine bequemere, Mamas oder Evas Weg. Noch heutigentags wird der Gipfel von Tausenden von Pilgern aller vier Religionen bestiegen.
Ich interessiere mich nicht für diese Fußspur; mir genügt das Bewußtsein, daß sie da ist; sicher ist aber, daß alle die, die sie ausgefüllt, wer es nun auch gewesen sein mag, eine ungewöhnlich große Stiefelnummer gehabt haben.
Ich wollte nach Kandy, um Paradeniya, den Garten des Paradieses zu sehen. Nicht den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, den kennen wir, mit dessen Geschmack auf der Zunge werden wir ja schon geboren; sondern den Baum des Lebens wollte ich suchen.
Vom Bahnhof fuhr ich auf einer breiten Landstraße durch mehrere Dörfer, wo jedes Haus seine Bananen hatte, wie bei uns seinen Kartoffelacker. Die meisten hatten auch eine Kokospalme mit grünen Früchten oder einen Brotfruchtbaum, mit den großen, gefingerten Blättern, die solch herrlichen Schatten spenden.
Der Eingang zum Paradiese wird von zwei mächtigen Gummibäumen beschattet, die ein Wirrwarr von kantigen Wurzeln um sich breiten.
Der Weg führt durch hochstämmige Palmen mit Schatten, Vogelgesang und kräutrigen Düften. Ein Fluß schlängelt sich um den Garten und trennt ihn von der Außenwelt. Ein Bach fließt zwischen hohen Ufern unter Laubbäumen, in deren Schatten alle Farnarten der Welt sich ein Stelldichein gegeben haben, von den einfältigen, demütigen, bis zu den großen, ansehnlichen, die ihre Königsfahnen über das Gewürm erheben.
Am Flußufer steht ein dichtes Gebüsch des birmanischen Riesenbambus, der nach der Regenzeit in die Höhe schießt und schon im Laufe von vier Monaten eine Höhe von vierzig Metern erreicht. Eine breite Allee von Palmen mit weißen Stämmen, schlank wie Kerzen, und eine Krone von riesigen Blattfächern. Fünfzig Jahre alt, blühen sie ein einziges Mal und sterben. Ein Gebüsch von Kräuterpflanzen füllt die Luft mit ätherischen Substanzen.
Hat Gott sich über die vertriebene Menschheit erbarmt, weil er es geschehen ließ, daß verjüngende und belebende Früchte aus dem Garten des Paradieses ausgeführt werden durften und der Menschheit etwas von dem Verlust ersetzten? – Der Garten blieb verschlossen, aber er schenkte den Menschen seinen Kaffee und Kakao, seinen Kokain und seine Vanille. Nur die Früchte des Lebensbaumes behielt er für sich.
Im Hafen von Colombo sah ich heut morgen drei große Passagierschiffe mit Hunderten von Abendländern, die von den lebenserneuernden Früchten der Paradiesinsel und den Edelsteinen, die das Leben verschönern, angelockt werden.
Der Mensch hat angefangen, die Wege zurückzuwandern, die seine vertriebenen Vorfahren sich mühsam in die Welt hinausgebahnt haben, als sie sich die Kultur als einen bescheidenen Ersatz für das verlorene Paradies schafften. Neue, mächtige Hotels werden in Colombo gebaut. Müßiggänger, die früher die Riviera und Italien aufsuchten, kommen jetzt nach Ceylon. Palast wird sich neben Palast erheben. Millionäre werden ihre Gärten dich neben dem des Paradieses anlegen, Luftschiffe den Frieden des Ostens stören; und die alte Schlange wird für Spielhöllen und sündige Frauen sorgen, damit die Tradition der Versuchung fortgesetzt wird. Bis der zurückgekehrte Adam und die neue Eva schließlich den Baum des Lebens finden, die Hand danach ausstrecken, von neuem vertrieben und mit einem ewigen Leben bestraft werden.
Von Sonne und Wärme ermüdet, ruhte ich einen Augenblick im Grase unter einem niedrigen, schattigen Busch. Ich dachte an all das Wundersame, das kommen würde, und starrte halb schlafend zu den grünen, durchsichtigen Blättern hinauf, die so viele feine Fibern hatten.
Da rührte sich ein Blatt über meinem Kopf, das von keinem Luftzug bewegt wurde. Ganz selbständig kam es auf seinem Stengel anspaziert. Ich riß entsetzt die Augen auf. Ich war wach, und das Blatt bewegte sich.
»Entschuldigen Sie,« sagte ich und zog meinen Kopf zurück, »ich habe Sie für ein Blatt gehalten.«
»Das ist auch der Zweck,« zwitscherte eine sanfte und vorsichtige Stimme. »Ich bin ›das lebende Blatt‹. Das ist meine einzige Waffe in dem furchtbaren Kampf ums Dasein, der hier im Garten herrscht.«
»Kampf?«
»In der alten Palme dort drüben sitzt ein Vogel mit grünem Kopf und rotem Schnabel. Der weiß, daß ich hier bin, aber er kann mich nicht finden. Glücklicherweise wagt er sich nicht hierher, um mich in meinem eigenen Baum zu belauern, denn hier nebenan in einem alten Stamm wohnt eine Schlange, die sich von kleinen Vögeln mit grünem Kopf und rotem Schnabel nährt. An dem Tage aber, wo das Mungo, das dort drüben hinterm Mahagonibaum logiert, vorbeikommt, meine Schlange ausfindig macht und tötet, bin ich geliefert. Denn dann-zieht der Vogel in meinen Baum ein und lauert mir auf, wenn ich mich bewege. Sie müssen nämlich wissen, daß ich an meine Wohnung gebunden bin, in jedem anderen Baum würde man mich sofort entdecken, und es ist der einzige seiner Art auf dieser Seite des Flusses.«
»Das ist ja genau wie bei uns,« sagte ich und seufzte, »ich dachte, daß es im Garten des Paradieses anders wäre.
Ich z. B. erhalte mich nur dadurch, daß ich anderen gleiche. Wenn ich mein Genie offenbarte, würden die übrigen Genies sich mit den Kritikern – eine Art Aasgeier, die in den Blättern hausen – vereinigen, über mich herfallen und meinen Kadaver teilen. Und das kann man doch nicht verantworten, wenn man eine Familie zu ernähren hat. Aber Sie können mir glauben, es ist nicht leicht, sich für einen Bruchteil auszugeben, wenn man eine ganze Zahl ist.«
»Ja, es ist zum Verzweifeln!« sagte das lebende Blatt und seufzte vorsichtig, während es sein eines Fühlhorn nach dem Vogel ausstreckte. »Eben hab' ich deutlich den grünen Kopf und den roten Schnabel gesehen.«
»A propos,« sagte ich kurz darauf, »können Sie mir vielleicht sagen, wo der Baum des Lebens steht?«
»Von dem Baum hab‹ ich schon früher mal gehört,« sagte er gedankenvoll, »er soll klein und unansehnlich sein. Es gibt nur ein Mittel, ihn zu finden.«
»Ein Mittel?« Ich horchte hoch auf.
»Sie müssen von allen Bäumen des Gartens kosten, bis Sie merken, daß Sie unsterblich werden. Aber es ist eine gefährliche Methode; denn es gibt nur diesen einen Baum, der dem Leben gehört, und mindestens hundert, die des Todes sind. Da ist zum Beispiel der Upasbaum aus Java, mit dem die Eingeborenen ihre Pfeile vergiften. Er hat einen hohen, geraden Stamm, kleine eiförmige Blätter und sieht so unschuldig aus, daß man ihm seine Gefährlichkeit gar nicht zutraut.«
»Seien Sie bedankt!« sagte ich gekränkt und stand auf. »Ich bin nicht zum Garten des Paradieses gekommen, um mich von einer elenden Raupe foppen zu lassen, die Leuten einbilden möchte, daß sie ein lebendes Blatt sei.«
Nach einer Weile begegnete mir ein Aufseher des Gartens, in einem langen weißen Nachthemd und mit einem Schildpattkamm im Haar. –
Ich fragte ihn nach dem Baum des Lebens. Er blickte mich mißtrauisch an. Als ich ihm aber ein Goldstück gezeigt hatte, führte er mich zu einer Palme, die den Namen Coco de Mer trug und auf den Seychellen zuhause ist.
»Es war einmal ein Kaiser in Europa,« erzählte er, »der bezahlte viertausend Gulden für eine einzige Frucht dieses Baumes. Aber das ist lange her.«
Während ich noch überlegte, ob ich mich auch dazu entschließen solle, sah ich, daß der Baum gar keine Früchte hatte.
Der Aufseher lächelte schlau in seinen schwarzen Bart und steckte mein Goldstück in die Tasche.