Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus dem Lande des Hohen Liedes

Rose von Saron, die du mit dem Frühling von den Bergen zu dem königlichen Hirten herabkamst, ihn mit dem Duft des Libanons aus deinen Locken, mit träufelndem Honig von deinen Lippen berauschtest – du, deren Brüste wie die Trauben des Weinstockes waren, aber lieblicher als Wein – du, die du der Welt jubelnd verkündetest, daß seine linke Hand unter deinem Haupte lag, während seine rechte dich liebkoste, und die du das schmerzlich stolze, herrliche Wort flüstertest: daß Liebe stark sei wie der Tod –

Ja, wenn die Geschichte der Liebe geschrieben werden könnte, würde man daraus ersehen, wie dein Lied ängstliche Gemüter entflammt und bange Herzen gestärkt hat, wie es eine Freistatt für gejagte Sehnsuchtsgefühle geworden ist.

Mehr als irgend ein Prophet trägst du die Verantwortung für die Freimachung der Liebe; denn alle, Propheten und Poeten, haben ihre Herzen an deinem heiligen Feuer gewärmt.

So ähnlich dachte ich, als wir auf die Reede von Beyrut zuglitten, und als mein Schweizer Reisegefährte auf einen schneebedeckten Berggipfel deutete und »Libanon« sagte.

Cooks Bootsleute, in feuerroten Wolljacken, die hübsch zu ihren braunen Gesichtern und blitzenden, weißen Zähnen standen – kamen uns singend entgegengerudert und nahmen die Schiffstreppe, die in ihren Angeln knarrte, im Sturm.

Ich kam mit heilen Knochen ins Boot, obgleich sie sich bemühten, mich in Stücke zu reißen. Kein Koffer fiel über Bord, nur ein kleiner Hund, der aber gerettet wurde.

Kaum an Land gekommen, eilte ich zu der American bible society depository und kaufte mir eine Bibel. Ich las das Hohe Lied zum hundert und so und so vielten Male im Schatten eines Zitronenbaumes, der seine Äste über eine Mauer streckte, hinter der ein würziger Wohlgeruch hervordrang. Die Mauer war von einer höchst modernen Glasscherbeneinfriedigung bekränzt, und aus einem Fenster in der Nähe kreischte ein Grammophon »La Tonquinoise«.

Beyrut ist eine Stadt von über hunderttausend Einwohnern. Das Klima ist wie in Süditalien. Es ist amphitheatralisch am Fuße des Libanon aufgebaut. Die Kreuzfahrer eroberten es im Jahre 1110; die europäischen und amerikanischen Missionare vor einem Menschenalter. Es ist voll von Kirchen, Schulen, Moscheen. Die Gläubigen vertragen sich gut und leben voneinander. Übrigens hat es einen bedeutenden Handel und ist voll von Kamelen.

Ich wanderte in der Geschäftszeit durch den Basar. Die Luft war schlecht und die Straßen von einem raffinierteren Schmutz bedeckt, als ich jemals gesehen habe. Aber es gab auch anderes zu sehen. Da waren die schönsten Apfelsinen der Welt. Da waren alle Süßigkeiten und Parfüme des Orients. Bude neben Bude in unabsehbaren Reihen. Obsthändler, Schlächterläden mit den phantastischen Körperteilen unkenntlicher Tiere. Manufakturläden mit europäischem Tand zwischen syrischen und persischen Seidenwaren. Da stand die Levantinerdame mit europäischen Gefühlen und die Araberdame mit bunten Schleiern vorm Gesicht. Sie standen Seite an Seite, befühlten die Stoffe, hielten sie gegen's Licht und schwatzten, während junge, kraushaarige Kommis, die nicht viel anhatten, sie kichernd unterhielten.

Der Alttürke saß mit gekreuzten Beinen vor seinem Laden, geduldig abwartend, daß Allah ihm einen Kunden schicken würde. Durch die Budenreihen wälzte sich ein endloser Strom von Männern und Frauen in allen Kostümen des Orients. Halbnackte, muskulöse Neger mit schweren Kisten auf dem Kopf bahnten sich durch Seitenstraßen einen Weg zum Hafen. Ein Beduine feilschte mit einem graubärtigen Syrier, der ihn mit dem Gewicht zu beschummeln versuchte, um Tabak, Zucker, Kaffeebohnen. Hinter dem Käufer stand ein zehnjähriger Bursche mit einem Sack, in dem die Waren fortgeschafft werden sollten. Morgen wird wahrscheinlich in der privaten Wüste des Beduinen eine Kaffeegesellschaft stattfinden.

Schmutzige, lichtscheue Hunde schlichen zwischen den Buden ein und aus und kämpften in dem Abfall der Straße um ihr elendes Dasein. Über dem Ganzen eine leuchtende Sonne, die die Lumpen vergoldete und die Gemüter zu Gesang und Gelächter anfeuerte.

Von der Straße führte eine enge Treppe zu einem viereckigen Moscheehof hinauf, wo die Sonne in einem breiten Strom auf der Mauer lag. Zwischen den Säulen zur Vorhalle saß ein blinder Bettler. Er redete mit Allah und hob seine großen bleichen Augen zur Sonne hinauf. Als der Muezzin von dem kleinen Minarett, das einem Feuerturm glich, zu rufen begann, erhob er sich, tastete sich die Stufen zum Wasserbassin in der Mitte des Hofes hinauf, zog sein zerlumptes Hemd aus, schob sein Lendentuch in die Höhe und wusch sich mit den anderen Gläubigen, die aus den Läden gekommen waren, um in aller Eile ihre Mittagsandacht zu verrichten.

In Beyrut sah ich die ersten Kamele. Das heißt, ich habe schon viele Kamele in meinem Leben gesehen, auch Kamele in Tätigkeit. Dies aber waren die ersten, die ich in ihrer Heimat arbeiten sah, an Ort und Stelle und wie's sich gehört. Das Kamel chez soi.

Es gingen immer vier, fünf hintereinander her, schwerbeladen, mit einem Kameltreiber voran, der sie an einer Schnur führte, die von Kopf zu Kopf ging.

Sie kamen vom Hafen mit Waren, und schwankten langsam durch das Gewimmel, den Kopf wie ein Schiffssteven vorgestreckt; die sensitiven Lippen bebten. Sie hielten Selbstgespräche, wunderten sich über das seltsame Gebaren der Menschen.

Und dieses Tier hat man gehöhnt. Dieses geduldige, kluge, resignierte, weltverachtende, auf Nirwana zustrebende Tier hat man vor Gott und Menschen lächerlich gemacht.

Wie sieht es dem zweibeinigen Ungeheuer ähnlich, das sich die Welt durch alle möglichen Kniffe untertan gemacht hat, den Buckel zu verhöhnen, der ihn durch die Wüste zu dem gelobten Land der Zivilisation getragen hat und noch heutzutage Bürden trägt, die kein anderes Tier auf den Rücken nehmen würde.

Ich hab' mich früher selbst durch schamlose Vergleiche auf Kosten des Kamels lustig gemacht. Ich tue es nie wieder. Ich habe einmal gesehen, wie ein Kamel seine bebenden Lippen geöffnet und über die Torheit der Menschen geweint hat.

Das war unten bei der Hafenmole. Ein Kamel lag auf seinen vier Knien und bekam Öltonnen aufgeladen, zwei zu jeder Seite des Rückens. Als sie aber mit der fünften kamen, da knackte es in seinem alten Rücken. Es hob seinen melancholischen Kopf, zeigte alle Zähne und rief weinend zum Himmel hinauf:

»O, du Tor! Ich hab' dich und deine Frauen und Kinder auf meinem Buckel durch die Wüste getragen. Du ernährst dich und deine Familie durch mich. Ich habe Schwülste an den Knien und mein Hals ist kahl, weil ich dir und deinem Geschlecht jahrelang gedient habe. Warum bebürdest du mich über meine Kraft? Es wird mich Tage meines Lebens kosten, wenn ich mich mit diesen fünf Öltonnen erheben soll. Böse kann ich nicht werden, aber ich kann sterben. Und wenn ich meine vier Beine zum letztenmal in den Sand strecke, wirst du weinen, dich auf die Erde werfen, mein Maul küssen und jammern. Aber dann ist es zu spät.«

 

Nachmittags fuhr ich mit der elektrischen Straßenbahn zur Promenade des pins.

Langsam arbeiteten wir uns durch den Basar vorwärts, an dem alten Serail vorbei, hinter dessen vergitterten Fenstern jetzt Wachtstube und Gefängnis sind, wo früher der Harem war.

Hier, auf dem Place des canons, wie er wuchtig heißt, liegt der öffentliche Garten der Stadt, von orientalischen Hotels und türkischen Cafés umgeben. Da sind Beete mit weißen und roten Rosen (Anfang Januar) und ein Springbrunnen inmitten eines künstlichen Teiches. Dort ist ein Kaffeepavillon mit Tischen und Bänken, vor denen Alttürken mit Nargileh auf der Erde sitzen, die Beine auf den Stühlen.

Wir schaffen uns mit Geklingel Platz zwischen schreienden, handelnden, spielenden Kindern, schwarzen Lastträgern mit unerhörten Bürden. Ein armer Beduine, einsamer in all dem Gedränge als in seiner Wüste, starrt mit offenem Mund auf das klingelnde Ungeheuer, das sich auf ihn zuwälzt.

Jetzt kommen wir an Armeleutewohnungen vorbei, grau, schmutzig, elend wie überall in der Welt; vor den Fenstern aber sind Gitter. Die Not verbirgt sich stolz. Selbst der Ärmste hat den grünen Schatten eines Apfelsinenbaumes auf seiner Häusermauer, eine spinnende Katze in der Sonnenecke und im Rinnstein einen struppigen Hund von der vierbeinigen Straßenreinigungsgesellschaft des Orients, die die Jungtürken in Konstantinopel abgeschafft haben, als sie die Konstitution einführten, die aber in der Provinz noch unangefochten ihr Wesen treibt.

A propos – ich habe sagen hören, daß man in der Stadt des Sultans das alte Reinigungssystem wieder einführen möchte. Das zweibeinige soll seine Sache nicht annähernd so gut machen. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß man das vierbeinige Korps auf einer kleinen Insel im Marmarameer Hungers sterben ließ, auf daß die Worte des Korans in Erfüllung gingen. Töten darf man nämlich keine Tiere, aber gegen Aushungern gibt es kein Verbot. Die Lehre der Mohammedaner ist überhaupt eine recht humane. Man darf auch keine Menschen töten, außer natürlich Ungläubige. Da aber das zweibeinige Korps, das die Hunde ersetzt, aus lauter rechtgläubigen Muselmännern besteht, so kann man sie nicht ohne weiteres auf einer kleinen Insel aushungern. Und selbst wenn man eine andere Pensionierungsmethode fände, so würde es doch nichts nützen, da man die Vierbeinigen nicht wiederschaffen kann.

Die Vorstadt taucht auf, mit mehr Luft, mehr Licht, mehr Grün und mehr Kindern. Ein Fabrikschornstein, eine Planke mit Annoncen und dann wieder vergitterte Fenster zwischen Apfelsinen und Zypressen. Grüne Felder, junge, keusche Fichten, die sich von der blauen Luft abheben. Und im Hintergrund die Berge des Libanon.

Vor dem Akziseladen sitzen zwei Offiziere und spielen Karten. Auf der anderen Seite der breiten Landstraße, die sich mit alten hohen Pappeln auf die Berge zuschlängelt, liegt ein Wirtshaus, mit einer Frucht- und Likörbude auf der Veranda. Es lehnt sich gegen eine alte, moosbewachsene Gartenmauer, hinter der sich ein Hain von schlanken Pinien erhebt. Dort oben, in einer Laubhütte, sitzt ein jungtürkisches Liebespärchen und trinkt syrischen Wein.

Hinter dem Akziseladen ist eine grüne Wiese mit vereinzelten jungen Olivenbäumen und Zypressen. Hier spielen Alladin und seine Kameraden Ball mit Apfelsinen. Sie rufen sich zu und laufen, ringen miteinander und lachen. Weiter hinten auf der Wiese hat sich ein junger katholischer Geistlicher gelagert, das aufgeschlagene Brevier liegt in seinem Schoß. Seine Augen aber sind nicht bei den toten, schwarzen Zeichen im Buche, sie hängen an den grünen Lebenden, die durcheinander schreien mit Mund, Ohren, Augen und Beinen, mit allem, was ihr mohammedanischer Gott, der nicht der seine ist, ihnen in seiner Gnade geschenkt hat.

Ich ging längs der Gartenmauer über einen breiten Weg, der zwischen türkischen Landsitzen führt, vornehm zurückgezogen, weiß und still zwischen dem dunkelgrünen Laub, in dem die Orangen glühen. Neben mir der Pinienhain, jung und schlank und unberührt, und in der Ferne, hinter den Paschagärten, die Berge des Libanon.

Die wunderbaren Worte des Hohen Liedes klangen wieder durch meine Seele. Ich sehnte mich, die Heimat desselben zu betreten, um mich zu überzeugen, ob es dort noch Rosen im Tal und königliche Hirten gibt.

Die Sonne versank im Meer. Die Wolken wurden schwer und dunkel, die Berge verfärbten sich. Ich ging durch die Pinienallee zurück. Zwischen den Stämmen war es dunkel; in den Kronen aber zögerte noch der Tag. Ein Paar küßte sich zwischen den Bäumen; ich sah nur ihre dunklen Umrisse. Ein Jäger ging mit seinem Hund vorbei. An seinem Gürtel hing ein Bund Drosseln. Zwei Bauern kamen mit Einkäufen aus der Stadt und grüßten »Said«. Arbeiter ritten auf ihren Eseln heim.

Weich und lautlos glitten drei Kamele im Halbdunkel über den hundertjährigen Nadelteppich. Ihre Herren schliefen zwischen den Buckeln, während die treuen Tiere sie unter dem Dunkel der Stämme über einen unsichtbaren Richtweg trugen.

 

Am nächsten Morgen, bevor die Sonne über dem Berg aufgegangen war, packte ich meinen Koffer, bezahlte meine Rechnung, kam glücklich durch das Fegefeuer des Trinkgeldes, bestieg eine schäbige Droschke und erreichte zähneklappernd die Eisenbahnstation, die dem Hafen gegenüberliegt.

Ein barfüßiger Graubart mit blaugefrorenen Fingern und geschwollener Nase verkaufte Zuckerrohr auf dem Bahnsteig. Er rief laut und eindringlich, mit dampfendem Atem durch die kalte Luft. Es klang wie Poesie. Er trippelte auf seinen erfrorenen Füßen und blies zwischen den Strophen auf seine Finger.

»Allah-ul-Allah!« rief er, aber es wollte nicht helfen.

In breiten Zickzacklinien steigt der Zug aufwärts, durch die Gärten der Stadt, über die Dächer der Häuser, ins Grüne hinaus, wo der Bauer Gemüse aus taufeuchten Beeten erntet, während der Esel dabeisteht und wartet, die langen Ohren auf den zischenden Zug gerichtet.

Die Stadt verschwindet hinterm Bergkamm. Bei der nächsten Biegung taucht sie weiter unten wieder auf, mit ihren Missionshäusern, Kirchen und flachen, syrischen Dächern. Lange setzt dieses Versteckspielen sich fort, während das Meer am Horizont immer breiter wird.

Wir kommen an einem europäischen Sanatorium vorbei. Unterhalb der Bahnlinie, auf der anderen Seite, öffnet sich ein breites Tal. Bauern mit Turban pflügen ein flaches Plateau, das sich von der Bergwand übers Tal schiebt. Sie pflügen mit Ochsen und Holzpflügen.

Weiter unten hängen winterkahle Weingärten terrassenförmig gen Süden. Zypressen wechseln mit Olivenbäumen. Ein Esel mit seinem Füllen trabt über einen schmalen Pfad; auf seinem Rücken hat ein Bauernbursch es sieh bequem gemacht, seine Füße erreichen fast die Erde. Und auf einem weißen Weg schreiten vier Kamele, die Köpfe talwärts gerichtet.

Die Palmen sind längst verschwunden. Jetzt wollen Orangen- und Zitronenbäume nicht mehr gedeihen. Etwas höher hinauf versagen auch Zypressen und Olivenbäume. Als endlich die Sonne über dem Gipfel des Sannin hervorlugt, der in weiße Nebel eingehüllt ist, sind nur noch Sträucher und Birken und armselige Bergpflanzen übrig. Der gefurchte Granit leuchtet kahl in der Sonne. Der erste Schneefleck guckt aus einer schattigen Felsecke hervor. Kleine Bäche kommen zwischen losem Geröll auf den Zug zugerieselt, verschwinden in ihrem künstlichen Bett unter der Bahnlinie und schwellen zu einem Wasserfall tiefer unten an. Höher und höher geht's, über Viadukte, die die uralte Bergstraße kreuzen. Keine Sträucher mehr, nur verheertes Gras, um dessen Wurzeln der Schnee zusammengefegt ist. Die Sonne kann wegen der tiefhängenden Wolken, die die rieselnden Quellen nähren, nicht durchkommen. Eine letzte öde Station mit einem Steinhaus, einem Wasserbehälter, einem Kohlenschuppen und einem dunklen, von Einsamkeit geprägten Angestellten. Jetzt sind wir auf der Paßhöhe, wo die Bäche nach der entgegengesetzten Seite fließen, nach Damaskus.

Eine Stunde später war wieder alles grün, und dort lagen die Täler des Libanon, das »hohle Syrien«, wie es zu Roms Zeiten hieß.

Ein langgestrecktes Becken, mit den dunklen Umrissen des Antilibanon auf der gegenüberliegenden Seite. Lange, weiche Linien mit überhängenden Pappeln in hellen Streifen über der wintergrauen Ebene; aber keine Wälder, keine Fruchtbarkeit, kein Myrrha, kein Weihrauch.

An jeder Station spähte ich zwischen den Eingeborenen; da war keine Rose aus dem Tal, kein königlicher Hirte. Nur arme, barfüßige Menschen, die sich um jedes Gepäckstück, das aus dem Zug gereicht wurde, rissen.

Dagegen sah ich, wie ein türkischer Beamter, der seinen Distrikt verließ, von allen eingeborenen Dignitaren der Stadt zur Bahn begleitet wurde. Sie umstanden sein Kupee im Halbkreis, die Hände flach gegen die Knie gedrückt. Alte gediente Graubärte, mit schlauen Augen, die Lippen von süßen Redensarten gekräuselt.

Jedesmal, wenn der Pascha seinen Mund öffnete, lächelten sie und beugten die Köpfe. Er war ein rundköpfiger, häßlicher, junger Mann, mit stechenden, braunen Augen und einem verächtlichen Zug um die Lippen. Ein Jungtürke, mit den Segnungen der Konstitution gespickt, ein auserwählter Jurist Mohammeds, mit europäischen Hosen und einem Füllfederhalter in der Westentasche.

Er zog wieder heimwärts, nachdem er die Segnungen der neuen Zeit in den alten, zähen Boden gesät hatte. Aber sobald die Lokomotive gepfiffen hat, sobald die Würdenträger, die unter dem alten System ergraut sind, ihm ihren letzten feierlichen Salem geboten haben, werden sie kehrt machen, hinter ihm herspucken, erleichtert aufatmen und auf ihre alte Fasson weiterregieren. Inzwischen sitzt er im Kupee und schreibt den Bericht seiner amtlichen Großtat, mit einem Füllfederhalter aus dem Abendlande.

Im letzten Augenblick kam ein alter vertrockneter Steifbein angehinkt. Vielleicht ein alter Kammerassessor, der die Stiele der alten wie der neuen Besen gehalten hatte, bis ihm alles einerlei geworden war. Es glückte ihm noch eine Verbeugung zu machen, als der Zug sich gerade in Bewegung setzte.

Er verneigte sich tief, streckte die Hand zur Erde und berührte darauf Mund und Stirn. Das bedeutet: ich küsse die Erde und berühre sie mit meiner Stirn zu deinen Füßen, o Herr!

Der Jurist warf seinen runden Kopf in den Nacken. Ein wohlgefälliges Lächeln milderte den verächtlichen Zug um seinen Mund. Er betupfte die offene Hand des braunen Dieners mit zwei Fingern. Der Alte beugte sich herab und küßte die Stelle, die die Finger des neuen Systems berührt hatten.

Ich denke mir, daß der Pascha den Bitten des Alten um Lohnerhöhung in einem schwachen Augenblick nachgegeben hat. Wenn das der Fall ist, kann er mit seiner Füllfeder eine gute und nützliche Tat notieren, die der Konstitution zugute kommen wird. Denn sie hat den alten Beamten, der das Bleibende in Muallaka – ich glaube, so hieß die Stadt – repräsentiert, zu einem Anhänger des neuen Systems gemacht, was sonst kein Machtspruch des Sultans vermocht hätte. Denn Jahreszeiten wechseln, Sultane kommen und gehen; das Verlangen nach Lohnerhöhung aber ist ewiglich.

 

In Rayak frühstückt man, während der Zug wartet. Die Bahn ist französisch, der Stationsvorsteher ist französisch, die Küche aber ist libanonisch. Schaf und Lamm in erfinderischer Zubereitung. All die Kräuter, die ich vergeblich in dem Duft der Berge gesucht hatte, die genoß ich hier im Übermaß, während ein kleiner buckliger Junge mein Gepäck im Zuge bewachte. Er hatte große, treuherzige Augen, eine unwiderstehliche Zudringlichkeit und sehr lange Finger. Vielleicht gab er deshalb so gut auf die anderen acht.

Der Zug schwingt sich in einem langen Bogen über die kahle, ach, so rosenlose Ebene, und Baalbecks Tempelsäulen tauchen in der Ferne auf. Das alte Heliopolis, die Stadt des Sonnengottes.

Zunächst hieß die Sonne Baal, das war zu Zeiten des Hohen Liedes. Dann kamen die Römer und machten Jupiter zum Sonnengott. Sie bauten auch einen Bacchus- und einen Venustempel, wie 's sich gehört, wo die Sonne angebetet wurde. Konstantin der Große veränderte den Tempel zu einer christlichen Basilika. Nach ihm kamen die düsteren, ernsten Araber. Sie maßen die Dicke der Mauern und machten die Basilika zu einer Festung mit Laufgräben und Schießlöchern. Die Sonne aber fuhr fort über der Stadt zu scheinen, die in früheren Zeiten ein ebenso heiliger Wallfahrtsort gewesen war, wie Benares, Jerusalem und Mekka.

Jetzt haben die Türken das Ganze aus der Vergessenheit ausgegraben. Kaiser Wilhelm hat eine Marmortafel an der Mauer des Bacchustempels anbringen lassen, zur ewigen Erinnerung, daß auch er da gewesen ist. Die Welt ist um einen archäologischen Wallfahrtsort reicher geworden, und nirgends außer in Rom und Athen sieht man besser erhaltene Tempelreste.

Sechs Säulen erheben sich stolz von der Ebene und stehen wie Silhouetten gegen die blaue Luft. Zwischen den alten Steinhäusern der Stadt liegt der schöne Venustempel, ein zirkelrundes Schmuckstück, mit acht Nischen an der Außenseite. Konstantin der Große, der behende Reformator, weihte das Schmuckstück der heiligen Barbara.

Ich schickte meinen Führer zum Hotel zurück und streifte bei Sonnenuntergang in der stillen Stadt umher, die von ihren Erinnerungen lebt.

Auf den flachen Dächern, den sich schlängelnden Wegen zwischen den Steinhäusern, lag Abendfrieden. Die Fenster waren Luft- und Lichtlöcher und saßen hoch oben. Wie überall im Orient hatten die Häuser nur Mund und Ohren, keine Augen.

Die Nachbarn riefen sich einen Abendgruß zu, während die Türen verriegelt wurden. Verspätete Bauern kamen mit langen Schritten, den Mantelkragen zum Schutz gegen die Abendkälte vorm Munde.

Ein Hund bellte in vorsichtiger Entfernung. Zwei Esel kauten ein letztes Abendfutter vor der Stallmauer und spitzten die Ohren, als ich vorbeiging. Einige Jungen, die auf dem Bauch lagen und in dem rinnenden Bach fischten, ließen bei meinem Anblick die Beute fahren.

Ich folgte dem Lauf des Baches. Auf kaum hörbaren Sohlen schlängelt er sich zwischen uralten Hecken, von großen Steinen aufgehalten, die eine Watstelle für Tiere und Menschen bilden. Hohe, schlanke Pappeln stehen in dichten Reihen längs des Ufers und werfen ihren Schatten aufs Wasser.

Da hörte ich ein seltsames Geräusch durch die Dämmerung. Einen gurgelnden, plätschernden Laut. Ich sah dunkle Schatten hinter einer Baumgruppe, riesengroße Umrisse; und eine Menschenstimme klang singend durch die Stille.

Ich folgte dem Laut und den Schatten. Dort, wo der Bach sich zu einem Teich erweiterte, wo das Ufer von großen, weichen Hufspuren aufgewühlt war, hoben sich dunkle Kamelbuckel, von ihrer Last befreit, von dem dunklen Himmel ab.

Drei große, treue Tiere standen bis an die Kniekissen im Wasser, schlürften aus dem langsam rinnenden Bach und hoben die Mäuler behaglich grunzend in die Höhe, während der Treiber ihnen sanft zuredete, um all die hastigen Schimpfworte wieder gut zu machen, die er ihnen im Laufe des Tages zugerufen hatte.

Aus einem Steinhaus in der Nähe, wo ein Lichtstreifen des Herdfeuers aus der Tür drang, kam jetzt Rebekka mit ihrem Krug langsam ans Wasser.

Ich blieb stehen; sie zögerte. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, nur die dunkle Silhouette gegen den bleichen Himmel.

Abrahams Diener ging auf sie zu und sagte: »Gib mir Wasser aus deinem Krug zu trinken.«

Rebekka sagte: »Trink, Herr!« – und sie senkte den Krug und gab ihm zu trinken.

Als sie ihn erfrischt hatte, sagte sie: »Ich will auch deinen Kamelen geben, bis sie alle getrunken haben.«

Und sie eilte zum Brunnen, füllte ihren Krug und tränkte seine Kamele.


Die Blume aus dem Tal und den königlichen Hirten aber habe ich vergeblich im Lande des Hohen Liedes gesucht.


 << zurück weiter >>