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Die schönsten Grabmäler der Welt

Es liegt ein Schloß in einem alten, schattigen Garten, wo den ganzen Tag ein endloses Geplapper von kleinen grünen Papageien ist. Ein Schloß aus blendendem weißem Marmor, der um Fenster und Türen zu dem feinsten Spitzenwerk ausgeschnitzt ist. Drei maurische Portale hat es und vier achteckige Ecktürme, jeder ein Bilderbuch von Arabesken in dem zierlichsten Mosaik. Die Türme haben Kuppeln auf schlanken Säulen, durch die der Himmel leuchtet.

Das Schloß liegt in Agra und ist ein Mausoleum für einen Großwesir, der Schah Jehangir diente und gleichzeitig sein Schwiegervater war. Da ist ein Motiv, das immer wieder im Mosaik vorkommt: eine Weinkaraffe mit einem Glas daneben. Der Führer lächelt in seinen schwarzen Bart und deutet diskret an, daß seine Exzellenz trotz Mohammeds Vorschriften ein Liebhaber starker Getränke war.

Ist es nicht ein hübscher und naheliegender Gedanke, das Grabmal eines verdienstvollen Mannes mit Motiven seiner irdischen Gebrechlichkeit zu zieren?

Wir Europäer schmücken das Grab mit einem Gedicht über Tugenden, die der Tote nie besaß. Das entspringt unserem Verlangen nach Gleichgewicht. Wir wollen aus dem Verstorbenen zugunsten der moralischen Weltordnung, für die wir arbeiten, Nutzen ziehen, weil wir Überlebenden dann mit größerer Ruhe zur Tagesordnung übergehen können.

Der Orientale hat keine private Moral, sondern ein Kastenwesen, – er will den Mann haben, wie er wirklich war, nicht wie er hätte sein sollen. Was wir seine Fehler nennen, ist für den Orientalen seine Eigenart. Auf der anderen Seite sind die sozialen Ansprüche des Orients viel strenger als unsere. Daß Geheimrat von Goethe mit einer Köchin verheiratet war, schloß ihn nicht von einem fürstlichen Begräbnis aus. Wenn Jehangirs Premierminister sich gegen seine Kaste vergangen hätte, würde er hier nicht unter Marmor liegen. Litt er an der Liebhaberei, Blut zu sehen, anderer Blut – das würde seinem Ruhm und seiner Ehre nichts geschadet haben, aber wenn er sich mit seiner Köchin verheiratet hätte, wäre er erledigt gewesen.

Erinnert das übrigens nicht an die Kastenmoral früherer Zeiten in Europa? – Das ist es gerade: Indien repräsentiert neben anderem Wunderbaren das noch lebende Mittelalter.

Auf Liebe verstanden diese alten Despoten sich. Die Moschee in Agra, die nächstgrößte in Indien, hat der Großmogul Schah Jehan für seine fromme Tochter Jehanara bauen lassen. Und Taj Mahal – das kostbarste und schönste Grabmal der Welt – errichtete derselbe Schah, der Enkel des großen Akbar, zu Ehren seiner Lieblingsgattin Mumtaz-i-Mahal, das heißt »Zierde des Palastes«.

Zwanzigtausend Eingeborene arbeiteten zweiundzwanzig Jahre an diesem Feenschloß für die Tote, Taj bibi ka roza: »Das Grab der Krondame«. Die Sage erzählt, daß der Schah in treuem Eifer dem Bauherrn nach Vollendung des Werkes beide Hände abhauen ließ, damit kein ähnlicher Bau von seiner Hand entstände.

Gigantische Charakterzüge treten hier überall hervor. Vatertreue, Liebe, Eitelkeit, Menschenverachtung, Grausamkeit – alles in übermenschlichem Format und mit einem Kunstsinn, der in den großen Linien ebenso sicher ist wie in den Einzelheiten.

Ich habe Bilder von Schah Jehan und seiner geliebten Krondame gesehen. Paradeporträte in ovalen Rahmen mit allem fürstlichen Glanz, auf edelsteingeschmückten Thronstühlen, die Lehnen von dem maurischen Zungenbogen umrahmt.

Er hat drei Ketten von nußgroßen indischen Perlen um den Hals, die auf seinem juwelenbesetzten Rock liegen. Ein fester, runder Hals trägt den schmalen Kopf unter dem flachen Turban. Ein breites Nackenband von großen Perlen schließt über der Stirn und wird von zwei Ringagraffen gehalten, aus denen der Federbusch mit dem Fürstensymbol sich über der Stirn erhebt. Er hat schwarzes Haar und einen Backenbart, der Kinn, Mund und Oberlippe freiläßt. Eine schräge Stirn, feingeschwungene Brauen, eine spitze, gerade Nase und ein Lippenpaar, das gleichzeitig fest und weich ist.

Sie trägt eine juwelenbestickte Jacke, eine Art Bolero mit engen Ärmeln, der am Handgelenk mit einer doppelten Perlenreihe schließt. Dieselben Ketten auf der Brust wie er, und um den Halsansatz eine doppelte Perlenreihe. Das schwarze Haar fällt weich auf die runden Schultern. Über jedem Ohr hängt ein zollbreites Perlenband, das einen Brillantschmuck trägt, der bis auf die Brust reicht. Eine hohe Stirn, fast gerade Brauen über strahlenden und tiefen Augen, unter schmalen, seidenhaarigen Wimpern. Eine griechische Nase mit hochliegenden Nasenlöchern. Ein Mund, dessen Lippe wie ein Amorbogen ist, der sein eigenes Spiegelbild küßt; lange Wangen, die sanft zu dem zierlichen Kinn abfallen. Griechische Reinheit, ägyptische Strenge und die dunkle Wärme des Orients sind hier in einem Typ vereinigt. In der einen Hand hält sie eine Rose und beugt anmutig den Kopf, um ihren Duft einzuatmen.

 

Wir fuhren nach Taj Mahal hinaus.

Es liegt an einem Fluß, in einem Feengarten, wie ein orientalisches Versailles.

Man fährt über eine ganz moderne Chaussee, durch englische Parkanlagen mit ausgedehnten Rasenplätzen und launenhaft verschlungenen Pfaden. Durch einen Torweg von rotem Sandstein kommt man in einen mächtigen, rechteckigen Hof, der von langen, roten Gebäuden eingefaßt ist, eine alte Karawanserei. Geradezu erhebt sich stolz das monumentale Torgebäude, ein gigantischer Würfel, dessen flaches Dach von sechsundzwanzig säulengetragenen weißen Kuppeln bekränzt ist, die alle ein Stück Himmelblau einrahmen. Von weitem sieht es aus, als ob es Riesensaphire seien.

Bereits unter den mächtigen, echoerfüllten Torbogen wird das Gemüt von der Hoheit des Ortes ergriffen. Dann tritt man auf eine breite Terrasse hinaus – und vor einem offenbart sich die schönste Perspektive, die Menschenhand je geschaffen hat.

Ein langes Kanalbassin führt vom Fuß der Terrasse zu dem weißen Grabschloß, das auf einem hohen Plateau liegt. Der mächtige Mittelbogen des Schlosses liegt am Ende des Marmorgeländers des Bassins, das sich im Wasser spiegelt, und krönt die Perspektive. Über dem Bogen rundet eine Riesenkuppel ihre zarte Marmorwange gegen den Himmel.

In der Achse der Perspektive sieht man am Ende des Bassins »das Nadelöhr« im Gittertor, dasselbe, das so schwer für Kamele zu passieren ist.

In der blanken Wasserfläche des Kanals ist eine Reihe von dunklen Punkten, die wie eine punktierte Mittellinie aussehen, die der Bauherr vergessen hat auf dem Plan auszuradieren. Das sind Springbrunnenmünder, schon seit langem geschlossen.

An den Bassins entlang ziehen sich breite Marmorfußsteige und an diese schließen sich prachtvolle Blumenrabatten in geradlinigen Mustern an. Dahinter wieder auf beiden Seiten eine Reihe Zypressen und dann die ganze dunkle Pracht der Baumkronen des Parkes.

In der achteckigen Halle, unter dem Himmel der Hauptkuppel, ruht Schah Jehan und seine Geliebte in gelben Marmorsarkophagen, deren Wände Prachtstücke von Blumen in Karneol, edlen Steinen und Gold sind. Das Tageslicht der hohen Fensterbogen wird durch marmorne Spinnwebengitter gesiebt. Und damit kein Tagesstrahl den Ewigkeitsfrieden in dieser Geisterwohnung kränken soll, sind die Sarkophage in der Mitte abermals von einer hohen, achteckigen Gitterwand umgeben, acht Wandflächen in dem zierlichsten Marmorspitzenwerk.

Taj Mahal ist eine Apotheose über der Majestät des Todes, ein Hohes Lied für das, was nicht zu fassen ist – die ewige Schönheit und die unsterbliche Seele.

Es herrscht hier eine Feierlichkeit wie in keiner Kirche. Weder St. Paul in Rom, noch die Domkirche in Mailand, weder Notre Dame in Paris, noch die Normannenkapelle in Palermos alter Burg, haben solche hoheitsvolle Stimmung wie dieser heidnische Grabtempel, der für die Seele einer geliebten Frau errichtet wurde.

Der Muezzin, der das Grab versorgt, ein krummrückiger Alter mit schweren Lidern über traurigen Augen, hebt sein scharfes Profil zu der dunklen Wölbung empor, deren Formen man nur ahnt, denn das Licht erstirbt unterwegs. Er singt den Allahruf zur Kuppel hinauf und von der Höhe klingt er zurück, wie ein ersterbender Chor von fernen Chorälen, als säßen die Seligen dort oben und spännen über dem Todesrachen hinweg den Faden, der Augenblick und Ewigkeit verbindet.

Taj Mahal – ich sah es im Mondschein, wie es über seinem eigenen Spiegelbild in der atemlosen Wasserfläche leuchtete. Seine dunklen Bogenschatten ragten über die wachsamen Bäume des Gartens, während die Vögel schweigend lauschten, den Blick auf die Erscheinung gerichtet.

Eingeborene aller Religionen wallfahrten nach Taj Mahal und opfern Blumen auf dem Grabe des Schahs und seiner Geliebten. Denn wenn der einfältig Gläubige einem großen Menschenwerk begegnet, dann fragt er nicht nach dem richtigen Glauben, er meint, daß Gott in diesem Werke sein müsse, fassen kann er es nicht.

Als wir aus der Grabhalle kamen, begegneten uns sieben Yogis. Vier Männer und drei Frauen, junge und alte, in Pilgertracht, grobes Sackleinen auf den braunen Körpern, von Indiens Sonne und den kalten Nächten verheert.

Die Frauen sahen müde und bekümmert aus, die Männer ernst und würdig. Sie hatten ein Bündel auf dem Nacken, eine Schüssel im Gürtel und den langen Wanderstab in der Hand, wie Pilger aus den europäischen Kreuzfahrerzeiten.

Wir sprachen sie mit Hilfe unseres Führers an.

Sie kamen aus der Ebene von Pendjab im Westen. Der der das Wort führte, erzählte, daß er seit seinem neunten Jahr ununterbrochen gewandert sei. Jetzt war er siebenunddreißig.

Nie habe ich solch offenes, aufrichtiges und gutes Gesicht gesehen. In seinem blauen Auge, das forschend auf uns ruhte, war eine aufrichtige und freimütige Brüderlichkeit, die zu Herzen ging. Er hatte einen weichen, braunen Vollbart um seinen ausdrucksvollen Mund, eine wolkenlose Stirn unter dem vielfach geschlungenen, staubigen Kopftuch.

Wir gaben jedem von ihnen eine Rupie. Sie ernähren sich durch Gaben. Er errötete bis über die Stirn, legte die Hand auf die Brust und redete uns an:

»Eure Sprache verstehe ich nicht; aber ich segne euch für eure Gabe.«

Mein deutscher Freund stellte sie in einem Kreis auf, und der Führer machte ihnen verständlich, was wir wünschten.

Sie wurden mit Taj Mahals weißem Marmorgitter im Hintergrunde photographiert.

Als der Kodak geknipst hatte und der Deutsche seinen Kopf vom Apparat hob, traten die Männer neugierig näher. Sie wollten das Bild im Kasten sehen. Der Führer erklärte ihnen, daß es erst entwickelt werden müsse. Das enttäuschte sie sehr.

Der Wortführende legte seine Hand flach auf, die Brust, sah zuversichtlich auf und sagte:

»Alles beruht auf Gott allein.«


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