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Ein Geräusch wie von einem summenden Bienenschwarm ertönte hinter mir. Ich blickte mich um und sah durch den Staub eine Schar fliegender Mäntel im Trab auf mich zukommen.
Es war ein Leichenzug.
Voran vier blinde Arabergreise, die ihre Leichenpsalme in den Bart murmelten. Dann sechs sonnenbraune, sehnige Männer, die eine Bahre mit einer rotgemusterten Decke auf ihren Schultern trugen. Sie hatten Eile. Der Schweiß troff an ihnen herab.
Darauf eine Schar Frauen in losen, schwarzen Gewändern. Nicht verschleiert wie die städtischen Frauen; nur Nase und Mund waren bedeckt; längs des Nasenschleiers hingen Münzen an einer Kette. Alle sangen laut und klagend.
Das Gesicht der vordersten war ganz unbedeckt. Mit beiden Händen schwenkte sie ein weißes Tuch überm Kopf, während sie mit erhobener Stirn und zusammengezogenen Brauen vorwärtsschritt, die Augen unverwandt vor sich auf den Sarg gerichtet.
Waren das die Frauen des Verstorbenen? War die anführende, die erste unter ihnen, seinem Herzen und jetzt seinem Sarge am nächsten? War das Tuch, das sie über ihrem Kopf schwang, sein Turbantuch, das sie zum letztenmal von seinem Kopf gelöst?
Sie weinte nicht, sie klagte nicht. Sie tat ihre Pflicht bis zum letzten, geleitete ihn wie ein gutes Eheweib den vorausbestimmten Weg seines Schicksals zur Erde zurück, von der er genommen war und die er nicht mehr mit seinen Ochsen pflügen sollte.
Es lag Würde, Ruhe, Hingebung in diesem letzten Akt.
Einige Stunden später sah ich ein anderes Schauspiel, ein strahlendes und glückliches.
Vor dem niedrigen Bahnhofsgebäude in Zebedani – einer grauen Steinstadt mit flachen Dächern – wimmelte es von Männern, Frauen und Kindern in ihrem besten Staat. Man wartete auf den Zug von Damaskus. Als er schließlich längs der Bergwand angefaucht kam, wurde das ganze bunte Bild lebendig. Junge Burschen streckten ihre Arme dem Zug entgegen, Straßenjungen enterten das Gitter und einige kahle Pappeln hinauf, pfiffen durch ihre Finger auf abendländische Art. Zwei Revolver und ein alter Muskedonner wurden gegen die Bergwand abgefeuert.
»Das sind Hadschi!« erklärte der Bahnbeamte, während er seine Handschuhe knöpfte; es war ihm angelegen, uns zu zeigen, daß er. hier in der Wüste weiße Handschuhe trug.
»Zwei Einwohner der Stadt kehren aus Mekka zurück,« erklärte er weiter.
Der Zug entleerte sich. Die Wallfahrer, zwei jüngere Männer mit ernsten Gesichtern, drängten sich zu einer Gruppe Frauen durch, die ihnen die Arme entgegenstreckten.
Der eine beugte sich über eine alte Frau die den Schleier entfernt hatte, und küßte sie auf beide Wangen. Ihre Augen schimmerten blank, und aus ihren altersstarren Zügen in der gelblichen Haut strahlte es von Freude, während er auch ihre Hand küßte.
Da ließ der andere einen Freudenruf ertönen und drängte sich zu einem alten Mann durch, der, von unterdrückter Rührung bebend, sich auf die Schulter eines halberwachsenen Burschen stützte, dessen Augen vor Freude jubelten.
Der Alte umfaßte mit seinen Händen den Kopf des Mekkafahrers und küßte ihn auf beide Wangen. Dann legte der Sohn seine Hand auf die Schulter des Alten und neigte seinen Kopf darüber, als ob er seine eigene Hand küßte.
Es lag eine tiefempfundene Zärtlichkeit, eine befreiende Stärke in diesem Wiedersehen zwischen Vater und Sohn.
Wilde, öde Felsen. Nur hier und dort ein entlaubter Busch auf dem grauen Stein. Der Regen peitschte gegen die Fensterscheiben. Kleine reißende Bäche bahnten sich hitzig einen Weg zwischen Steinen und zähem Gras, das sich festgebissen hatte und nicht wieder loslassen wollte.
Hin und wieder kreuzten wir den alten Karawanenpfad nach Damaskus, der sich an der gelben Felswand hinzog, wehmütig und voll von Geschichte.
Ein Lächeln durchbrach die Wolken. Ein Sonnenstrahl ging quer über das enge, tiefe Tal zu dem Berg auf der gegenüberliegenden Seite, der noch höher und kahler war. Wir hatten die Paßhöhe erreicht. Jetzt ging es wieder bergab, während die Wolken sich breiteten und in nassen Fetzen zwischen den Felsen hängen blieben.
Ich öffnete das Fenster. Überall brauste es von Bächen, die um die Wette zu den Schlupflöchern eilten. Dort unten floß die Barada, die das Regenwasser von dem Rücken des Antilibanon nach Damaskus führt – der Stadt mit den Gärten und den rieselnden Quellen.
An der weißen Landstraße, im Schutz der Bergwand lag eine Stadt mit flachen Dächern und gelben Lehmwänden. Die Sonne lächelte ihr gerade in diesem Augenblick zu. Vor den Häusern saßen die Väter der Stadt mit ihren Wasserpfeifen und taten sich am Sonnenschein gütlich. Blaue und rote Mäntel hingen zum Trocknen an den Olivenbäumen, die ihren Schatten auf die Felswand warfen. Einige Jungen riefen und winkten dem Zug zu; der Laut aber drang nicht übers Tal.
In einem Bach, dessen hitziges Wasser in der Sonne blitzte, spülte eine Wüstentochter die Hemden der Familie.
Von der Stadt aus bewegte sich ein Zug schwerbeladener Esel langsam zum Tal. Sie trugen Glocken um den Hals. Zwei Beduinen kamen auf ihren Kamelen geritten. Die vornehmen Tiere, mit dem roten Putz, der ihnen von Maul und Ohren bis unter den Hals hing, betrachteten die Lokomotive, die noch größere Lasten tragen konnte als sie, mit müden Augen. Der Beduine, der mit dem Mantel überm Kopf wie festgewachsen auf dem Buckel saß, flüsterte ihm tröstend in die Ohren:
»Kümmere dich nicht um das fauchende Tier. Es hat weder einen Buckel noch einen Stammbaum.«
Verächtlich wendet er den Kopf von den ungläubigen Hunden ab, die seine Berge erobert haben.
Der Himmel blaut im Osten, und sieh, jetzt fängt es an grün zu werden. Wo die Bahnlinie um die Felsecke biegt, haben wir das Tal mit der schäumenden Barada in seinem Schoß offen vor uns liegen. Alte verkrüppelte Olivenbäume, junge Pfirsichbäume und Steineichen, die Gärten sind durch steinerne Einfriedigungen in Felder geteilt.
Uralte Brücken, nicht breiter, als daß zwei Esel aneinander vorbeigehen können, krümmen ihre Rücken über die Bäche, die in die Barada fließen und sie zu dem schwellenden Fluß machen, der Damaskus und dessen Ruhm geschaffen hat.
Ein armseliger Kirchhof mit hohen, plumpen Grabsteinen. Ein Holzhauer, der sich auf seine Axt stützt, während er dem Zug mit Augen folgt, die drohen, ohne daß er es selbst weiß.
Die uralte Landstraße wird zu einer Chaussee, mit einer Abendpromenade von müden Menschen, die den Mantelzipfel zum Schutz gegen die Nachtkälte um den Mund geschlungen haben. Man sieht erschöpfte Esel, heimkehrende Hirten mit Ziegen und einen vereinzelten Reiter, der Eile hat. Noch ein Stück weiter, dann schimmern Gaslaternen über arabischen Landsitzen, dort ein türkischer Schutzmann in seiner grauen Uniform.
Wir fahren langsamer. Leere Güterwagen vor einem Abladeplatz: Elektrische Lampen gegen den blassen Abendhimmel.
Das ist Damaskus – der Edelstein am Wüstensaum – »das Paradies im Garten Arabiens«.
Vielleicht die älteste Stadt der Welt.
Ein großes weißes Gebäude mit einem Schwärm von halbnackten Gestalten, die vor dem Riesentor lagern. Ein alter türkischer Palast mit einem breiten und herrschaftlichen Aufgang zu einer Halle, die die ganze Höhe des Hauses einnimmt, wie das Schiff einer Kreuzkirche, um die eine Galerie läuft. Das ist das Grand Hotel.
An den Wänden hängen zwischen bunten, orientalischen Teppichen Bilder berühmter Männer, mit und ohne Fes, Krummsäbel, Damaszenerklingen, türkische Pistolen und Cooks illustrierte Reisepläne.
Ein Alttürke mit weißem Schnurrbart und blauer Nase, Morgenschuhen mit Goldschnitt, wattiertem Schlafrock – es ist bitterlich kalt – und Fes mit Troddel, kommt mir im Mittelschiff entgegen und weist mir in fließendem Französisch ein Zimmer an.
Zeitig am nächsten Morgen klopft es an meine Tür. Zuerst kommen zwei dicke Beine in großkarierten Hosen herein, darauf folgt ein kugelrunder Bauch und schließlich ein stolzerhobener Kopf, mit braunen Augen unter vornehm hochgezogenen Brauen und einem schiefsitzenden Fes.
Bevor ich ihn noch ganz erfaßt habe, legt er schon los:
Alte Familie, dreißigjährige Praxis, alle Sprachen, beste Referenzen. Seine fleischige Hand zieht einige Papiere aus der Tasche.
»Ich kann mit aufrichtigem Vergnügen bezeugen –«
Es glückt mir, die Verlesung der Referenzen zu verhindern, seiner Suada aber entgehe ich nicht. Er rappelt sie auf Französisch.
»Mein Herr, ich bin Führer seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin gewesen – ein scharmanter junger Mann« – er wirft eine Kußhand durch den Raum auf dessen fernes Reich zu. »Ich zeigte ihm jeden Fleck in Syrien und Palästina, und später begleitete ich ihn zu Pferde von Konstantinopel nach seiner schönen Hauptstadt. Vierzig Tage lang ritten wir von Stadt zu Stadt. Unvergeßliche Tage.«
»Wäre es mit der Eisenbahn nicht billiger und schneller vonstatten gegangen?« sage ich fromm und sehe ihm in seine zuverlässigen Augen.
Er blickt mich forschend an. Dann legt er seine Hand mit freundlicher Nachsicht auf meine Schulter.
»Seine Königliche Hoheit ritten zu seinem Vergnügen. Pour son plaisir, monsieur!«
Nach einem hastigen Frühstück machen wir eine Ausfahrt, von der halbnackten Torwache verfolgt. Einer hat den Wagen geholt, ein anderer die Wagentür geöffnet, ein dritter die Ankunft der Droschke gemeldet, ein vierter die übrigen zur Eile angetrieben und mir mit sanfter Gewalt meinen Plaid geraubt, um ihn die vier Schritte zum Wagen zu tragen.
Mein Führer wirft einige kleine Geldstücke hinaus. Als unser Wagen um die Ecke biegt, sehe ich die Halbnackten in einem aufgeregten Haufen mitten im Straßenschmutz.