Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Durch die Torresstraße

Es geht gen Süden, von Japans Frühjahr durch den ewigen Sommer des Äquators auf den australischen Herbst zu. Drei Jahreszeiten in drei Wochen.

Eines schönen Morgens erscheint der Kapitän und die ganze Mannschaft in weißen Drillichanzügen. Das ist das Zeichen, daß wir uns in den Tropen befinden.

Wir fahren in einem indigoblauen Gewässer, blank und dick wie Öl. Fliegende Fische schlagen gegen den Rumpf des Schiffes und streichen wie Silberpfeile an den Seiten des Ungeheuers vorbei, das sie aus ihrem Sommerschlaf geweckt hat. Sie fliegen so tief, daß die Bauchfinnen die Wasserfläche berühren; die glatte Fläche ist voll von dunklen Schrammen und weißen Narben, die man noch lange sehen kann.

Nacht für Nacht hängt der Mond am Himmel und tröpfelt sein bleiches Gold auf das leise wogende Meer. Am Horizont steht ein Hochsommerdunst. Wo das Schiff sich seinen Weg bahnt, steht das Meer in Flammen. Millionen von kleinen Tieren schwingen ihre Phosphorlichter um unsere Schiffswände.

Der Mond geht unter. Die Brillanten der Sternennacht tauchen aus der Dunkelheit auf. Der Planet Mars zeichnet seinen zitternden, roten Reflex auf dem Wasser. Das südliche Kreuz steht niedrig und schief am Horizont. Wir steuern gerade drauf los. Ein großer Vogel umkreist das Schiff. Er fliegt still durchs Mondlicht; ich sehe nur seinen Schatten; er hat Flügel wie ein Adler.

Wir fahren an blauenden Küsten entlang, den äußersten Vorposten der Philippinen. Eines Morgens kamen wir ihnen ganz nah; es war die Spitze von Mindanao, die südlichste von allen. Berge mit dunklen Waldungen hinter einem Vorland, das von Korallenriffen getragen wird, tauchen auf, Hütten auf Pfählen mit Matten anstatt Wänden, die von Strohdächern herunterhängen. Anmutige Kokoshaine mit Schatten von grünem Kristall. Von den Bergabhängen streckt der Urwald seine gierigen Arme nach ihnen aus. Es leben Menschenfresser an diesen Küsten. Wir sehen blaue Rauchsäulen lotrecht von einem Lagerfeuer in die Höhe steigen und Eingeborene, die ums Feuer herumsitzen und zu unserem Schiff hinausspähen.

Wo ein Fluß ins Meer mündet, machen Kokos und Urwald den Dschungeln Platz. Mangroven beherrschen die Mündung. Sie klammern sich mit ihren Luftröhren an den sauren Morast. Tiger treiben hier ihr Unwesen und Pest und böse Geister. Die Eingeborenen können ihr Seufzen und Klagen in der Nacht hören.

Wir begegnen ihren Kanus, dunklen, ausgehöhlten Baumstämmen, die hoch überm Wasser liegen. Zwei oder drei Eingeborene sitzen mit bis an die Brust gezogenen Knien in dem schmalen Boot und rudern mit ihren kurzen Rudern, die wie Palmblätter geformt sind.

Die Hütten werden zahlreicher, größer, klumpen sich zusammen. Man sieht Rauchsäulen und Feuer am Strande, um die Menschen sich bewegen. Da ist eine Brücke über einem Bach. Dort ein Weg mit einem Ochsen. Ein Staket um einen Garten mit einer violetten Wolke von blühenden Bougainville, und hinter dem Garten das Bungalo eines weißen Mannes, mit Veranda und Treppe. Dann leuchtet ein Blechdach aus dem Grün hervor. Ein Speicher hinter einem Dock. Ein kleiner Hafen mit drei kleinen Dampfern am Kai. Die amerikanische Flagge auf einem weißen Steingebäude: Zoll, Post und Telegraph. Und dort ein Gaswerkzylinder.

»Das ist Samboanga!« sagt the purser. Er stand neben mir. Gott weiß, welche Ideen Verbindung das Gemüt des kleinen Japaners beschäftigte. Er begann plötzlich, von sich selbst zu reden, während seine Augen einen fernen, melancholischen Blick bekamen.

»I have struggled for my life since I was twelve years old.«

Er ist achtundzwanzig und hat dreizehn Geschwister.

Die Sonne geht hinter Wolken unter, die wie blutige Wunden rinnen. Mr. Frase geht übers Deck an Mrs. Ashmans Seite. Sie hat die letzten Strahlen der Sonne auf ihrer Wange. Mit ihrer Schreipuppenstimme liest sie vor, was er ihr ins Stammbuch geschrieben hat:

Good things are on borrow,
We will have to pay,
Well, pay them to-morrow,
But use them to-day.
Well meant believe me yours affectionately.

Es blitzt ein Funke in dem gewölbten Glas von Mr. Frases Monokel. Vielleicht kommt er von der Sonne, vielleicht von innen heraus.

Wir passieren die nordöstlichste Spitze von Celebes. Niedrige, dunstige Bergkämme, rundlich und blau. Das Meer ist viel dunkler als der Himmel. Die Dämpfe der Atmosphäre brechen sich in dem wagerechten Morgenlicht wie in Millionen von Prismen. Es flimmert und blendet und tut dem Auge weh. Später am Tage, wenn das Licht lotrecht fällt, verursacht es keine Schmerzen, dafür aber wärmt es um so mehr. Man kann seine Hand nicht auf die Reling legen, ohne daß es weh tut; die Sonne brennt durchs Segeltuch, als lägen glühende Kohlen darauf. Aber herrlich ist es dennoch, dieses unendliche Tiefblau mit dem Silberblinken der fliegenden Fische und den dunklen Schrammen, die sie in die zarte Haut des Meeres ritzen. Und die Nächte, wo der Himmel von Diamanten blitzt und das Meer in Flammen steht und die Luft so linde ist wie der warme Atem einer Liebkosung auf deiner Wange!

Um zwölf Uhr Mitternacht passieren wir die Linie. Es ist ein feierlicher Augenblick; man möchte gern ein Zeichen am Himmel oder im Meere sehen, und es ist etwas ernüchternd, daß gar nichts geschieht. Das Thermometer zeigt 24º R; das ist alles.

Die Wärme nimmt zu, bis wir zwischen Neuguinea und Australien sind. Hier, vor der Carpentaria-Bucht, dem tiefen Einschnitt in die Nordküste von Australien, verändert das Meer die Farbe. Es wird grün; nicht das kalte, klare Grün wie in unseren nordischen Gewässern; grün wie Kaktus und Aloe. Es ist der Korallenboden, der hindurchschimmert.

Die Torresstraße ist eine der am schwersten befahrbaren Wasserstraßen der Welt. Früher haben Versicherungsgesellschaften sich geradezu geweigert, Schiffsversicherungen für diese Route zu übernehmen. Sie ist voll von Klippen und Felsen, Korallenriffen, die zur Oberfläche streben und einst Inseln werden wollen.

Wir verlangsamen die Fahrt. Ein Boot kommt auf uns zu. Der Lotse klettert die Strickleiter hinauf, die über die Reling hängt. Ein schweigsamer Mann mit scharfem Blick, dem in den Runzeln eine Lebensgeschichte eingegraben steht, für den, der sie lesen kann. Jetzt hält er unser Leben in der Hand.

Wir gleiten zwischen kleinen fruchtbaren Inseln hindurch, die alle von weißem Strand und hellgrünem Wassergürtel umgeben sind, der von dem dunkleren Grün des Segelkurses durchkreuzt wird.

Im Laufe des Vormittags legten wir am Kai der Thursday Islands Lagune an, der von Riffen eingeschlossen ist. Cook entdeckte sie an einem Donnerstag und benannte sie danach. Ihre Schwesterinsel etwas weiter fort heißt die Mittwoch-Insel.

Die Thursday-Insel ist die nördlichste Besitzung von Australien, Kohlenstation für den Verkehr zwischen Ostasien und Australien; sie hat eine verhältnismäßig bedeutende Garnison. Kaum 800 Tonnen Land groß,« hat sie über 2000 Einwohner; 600 sind weiß, der Rest ist eine bunte Mischung von Polynesen, Malaien, Australnegern und Chinesen.

Sie ist der Hauptsitz der Perlenindustrie. Der Hafen liegt voller weißgemalter Kutter, mit Nummern und Namen. Gegen 2000 Mann sind damit beschäftigt, Perlenmuscheln zu fischen. Die Industrie ist ganz modern und wird durch ausgebildete Taucher ausgeführt; die Schalen werden an Bord gepackt und sortiert.

Die Stadt ist während der letzten vierzehn Jahre aufgeschossen. Die Ansiedlerwohnungen sind aus Wellblech und flachen Dächern, die ein großes Stück über die Seitenwände ragen, so daß der Fußsteig auch noch davon überdeckt wird.

Sobald wir angelegt hatten, wurde unsere japanische Besatzung und die zweihundert chinesischen Passagiere auf Deck zur Visitation aufgestellt. Nachdem die ärztliche Untersuchung überstanden war, nahm die Polizei die Sache in die Hand. Die Chinesen wurden nach den Schiffspapieren aufgezählt, identifiziert und gezählt. Neben der Fallreepstreppe wurde eine Polizeiwache aufgestellt, die achtgab, daß kein Chinese oder Japaner an Land ging; denn Australien hat ihre Einwanderung gesetzlich verboten. Unsere zweihundert Chinesen waren alle vor der Einführung dieses Gesetzes eingewandert und kehrten jetzt nur von einem Arbeitsausflug nach Hongkong zurück.

Wir bekamen einen neuen Lotsen an Bord und gingen in einem Bogen erst südlich um die Insel herum, darauf westlich und nördlich und schließlich östlich durch die Torresstraße. Wir glitten mit halber Dampfkraft zwischen Flecken von hellgrünem Wasser vorwärts, die wir sorgfältig mieden.

Wir passierten drei Schiffswracke. Von zweien waren nur die Masten sichtbar. Das dritte glich dem Skelett eines Riesentieres, mit weißen, entblößten Rippenknochen, die in den Himmel ragten. Es war der Rumpf eines Schulschiffes, das vor vierzehn Jahren strandete. Es hatte zweihundert Kadetten an Bord, die alle umkamen. Von den Inseln war keine Hilfe zu erwarten; dort wohnten damals nur Wilde, Kannibalen.

Wir fuhren durch die Albany-Passage, eine ganz schmale Wasserstraße zwischen Kap York, der Nordspitze von Australien, und einer kleinen Insel südlich von Neuguinea.

Unter dem Vorgebirge lag eine Gruppe Häuser mit eingefriedigten Koppeln, von Palmen beschattet. Sie erstreckten sich bis an die hohe Küste und hatten ihre eigene Geschichte.

Vor dreißig Jahren wohnte auf den Samoainseln ein Schotte, der sich mit einer hübschen Eingeborenen verheiratete. Damals war eine Mischehe ein Skandal. Er mußte auswandern, fuhr nach Australien, landete in der Bucht bei Kap York mit Frau, Dienerschaft und Haustieren, siedelte sich auf der Hochebene unter dem Bergabhang an, fällte Bäume, pflanzte Palmen, züchtete Schafe und hielt sich die umherstreifenden Wilden durch sein Gewehr vom Leibe. Als alleiniger Weißer in einem Umkreis von Hunderten von Meilen schuf er, mit Hilfe seiner farbigen Frau, aus einer Wüstenei ein Heim, eine Kolonie und ein Vermögen. Sie setzten Kinder in die Welt, einige zwanzig, züchteten einige zwanzigtausend Schafe. Sie jagten und fischten, sie säten und ernteten, sie pflanzten und bauten. Als die Söhne heranwuchsen, bekamen sie ihr eigenes Haus und ihren eigenen Boden. Auf der kleinen Insel jenseits der Torresstraße, einen Büchsenschuß entfernt, liegt jetzt ein settlement für sich, mit einem Weg zum Strande, einem Speicher mit Wellblechdach, Anlegebrücke, Schiff und Boot hinter der Landspitze. Eine der Töchter des Schotten ist jetzt mit einem resident governor desselben Staates verheiratet, der ihn seinerzeit wegen seiner farbigen Frau ausgespien hat. Er ist ein angesehener Mann, dessen Einfluß weit reicht, weiter noch als seine Schafherden.

Auf der anderen Seite der Straße passierten wir eine Felseninsel, mit weiten Wiesen, die sich bis ans Meer erstreckten. Auf dem Abhang verstreut standen hohe, rote Säulen, wie gotische Türme, mit Strebepfeilern, in doppelter Mannshöhe. Es sah aus wie ein Kirchhof.

Ich fragte den Kapitän, wer diese Säulen errichtet habe, denn es war weit und breit kein Haus zu sehen und die Insel schien unbewohnt.

»Die Termiten,« sagte er.


 << zurück weiter >>