Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Dritter Teil. Sieg.

Erstes Kapitel

Der Fremde aus dem Morgenlande

Uns ergeht es wie einem, der in Einsamkeit dahinwandelt. Einer nach dem andern sind sie von uns abgefallen, jene, deren Worte und Werke und Gedanken uns begleitet und uns aufrecht erhalten haben. Es sieht traurig und öde ringsumher aus. Aber dies ist nicht unnatürlich. Wir haben nicht eine Zeit des Friedens und des gewöhnlichen Lebens beschrieben, sondern einen Abschnitt voll Kampf und Krieg und Streit. Ist es unnatürlich, daß die Tapfersten, die Heldenmütigsten, die Besten um uns her gefallen sind? Wir haben die Erinnerung an die grausamste Verfolgung, welche die Kirche jemals erlitten, wieder auferweckt; es war eine Zeit, in welcher man mit der Absicht umging, eine Säule aufzurichten, welche die Inschrift tragen sollte, daß das Christentum bis auf den Namen ausgerottet sei. Ist es seltsam, daß die Heiligsten und Reinsten die ersten waren, welche die Märtyrerkrone erhielten?

Und doch hat die Kirche Christi noch manche Jahre einer härteren Verfolgung zu ertragen gehabt als jene, welche wir beschrieben haben. Eine Reihenfolge von Tyrannen und Unterdrückern führte den Krieg gegen sie fort, ohne Unterbrechung, bald auf diesem Teil der civilisierten Welt, bald auf jenem, selbst dann noch, als Konstantinus die Verfolgung unterdrückt hatte, so weit seine Macht reichte. Diocletianus Galerius, Maximinius und Licinius im Osten, Maxentius und Maximianus im Westen – sie alle gönnten den Christen während ihrer verschiedenen Regierungen keinen Frieden. Ähnlich einem jener tobenden Orkane, welche durch die halbe Welt rasen und verschiedene Länder mit ihrer zerstörenden Energie heimsuchen, während ihre unheimlichen Vorboten sie sämtlich verdüstern, so ließ diese Verfolgung ihre Wut erst an einem Land, dann an einem zweiten aus, zerstörte alles, was christlich war, zog von Italien nach Afrika, vom oberen Asien nach Palästina, Ägypten und dann zurück nach Armenien, während sie keinem einzigen Orte absoluten Frieden gönnte, sondern wie eine verdüsternde Gewitterwolke über dem ganzen Reiche hing.

Und doch wuchs die Kirche, doch breitete sie sich aus und trotzte dieser sündigen Welt. Papst auf Papst stieg auf den päpstlichen Stuhl und von dort aufs Schafott; Versammlungen wurden in den dunklen Hallen der Katakomben abgehalten; Bischöfe kamen mit Gefahr ihres Lebens nach Rom, um die Nachfolger des heiligen Petrus um ihren Rat zu befragen; Briefe wurden zwischen weit entfernten Kirchen und dem obersten Hirten der Christenheit ausgetauscht; die Diöcesen sprachen sich untereinander Mut zu und versicherten sich ihrer Liebe und Sympathie. Ein Bischof folgte dem anderen auf seinem Bischofsitz und weihte Priester, um den Platz der Gefallenen auszufüllen, und machte sie zugleich zur Zielscheibe auf dem Bollwerke der Stadt, daß der Feind sie träfe. Aber das Werk des unvergänglichen Reiches Christi breitete sich ohne Unterbrechung aus und fürchtete nicht, daß es ausgerottet werden könne.

Es war in der That inmitten all dieser Kämpfe und Schrecken, daß der Grundstein zu einem mächtigen System gelegt wurde, welches bestimmt war, in späteren Jahrhunderten seine wundersame Wirkung zu üben. Die Verfolgung trieb viele aus den Städten in die Wüsten Ägyptens, wo das Mönchtum entstand, so daß es heißen konnte: »Die Wildnis jauchzte und blühte wie eine Lilie, daß sie sproßte und aufblühte und jauchzte, freudig und lobsingend.«Isaias 35, 1. 2.

Und als nun Diocletianus seines Purpurs entkleidet worden und als kindischer, mürrischer, alter Mann gestorben war – als Galerius lebend von Beulen und Ungeziefer verzehrt, durch ein öffentliches Edikt zugestanden hatte, daß all seine Angriffe ohne Erfolg gewesen – als Maximianus Herculeus sich erdrosselt hatte, und Maxentius im Tiber umgekommen war – als Maximinus unter Qualen gestorben, welche weit fürchterlicher waren als jene, welche er den Christen auferlegt, und die ihm von der ewigen Gerechtigkeit gesandt, indem seine Augen ohne äußere sichtbare Veranlassung aus ihren Höhlen getreten waren – als Licinius durch Konstantinus zum Tode verurteilt worden – da stand die Braut Christi, welche sie alle hatten vernichten wollen, jung und blühend da und begann ihre Herrschaft über die ganze Welt anzutreten.

Es war im Jahre 313, als Konstantinus, nachdem er den Maxentius vernichtet hatte, der Kirche ihre volle Freiheit gab. Selbst wenn die alten Schriftsteller es nicht beschrieben hätten, so könnten wir uns die Freude und die Dankbarkeit der armen Christen vorstellen, als dieser große Wechsel im Schicksal ihrer Religion eintrat. Es war, als käme die weinende aber glückliche Bevölkerung einer Stadt, welche durch die Pest dezimiert worden, zu erstenmale wieder heraus, nachdem die Proklamation erlassen, daß die Krankheit erloschen. Denn hier zu einer Zeit, wo die Familien während zehn Jahren kaum wagten, in den ihnen zunächst gelegenen Cömeterien zusammen zu kommen, wußte mancher nicht, wer von seinen Freunden oder Verwandten zum Opfer gefallen, und wer noch unter den Überlebenden war. Zuerst noch scheu, aber nach und nach mutiger geworden, wagten sie sich heraus. Bald wurden die alten Stätten ihrer Zusammenkünfte, welche die Kinder, die während der letzten zehn Jahre geboren waren, noch nicht kannten, gereinigt, wieder in stand gesetzt, von neuem geschmückt und eingeweiht. Dann wurden sie dem öffentlichen Gottesdienst übergeben, der jetzt ohne Furcht abgehalten werden konnte.

Konstantinus hatte auch befohlen, daß alle öffentlichen und privaten Besitztümer und Vermögen, welche als den Christen gehörig konfisziert worden, denselben zurückgegeben würden, aber mit der weisen Vorsicht, daß die augenblicklichen Besitzer durch den kaiserlichen Schatz schadlos gehalten werden sollten. Bald kam die Kirche in Bewegung und trat mit all den Hilfsquellen ihrer wunderbar schönen äußerlichen Formen und Institutionen hervor. Entweder wurden die schon vorhandenen Basiliken ihrem ursprünglichen Zweck wiedergegeben, oder es wurden an den Plätzen Roms, welche den Christen am teuersten waren, neue gebaut.

Unser Leser befürchte indessen nicht, daß wir ihn jetzt in eine lange und ausführliche Kirchengeschichte einweihen. Dies bleibe einem Schriftsteller überlassen, der die Fähigkeit besitzt, die Großartigkeit und Pracht des freien und ungefesselten Christentums zu beschreiben. Wir wollen das gelobte Land, das sich wie ein lockendes Paradies vor unseren Füßen ausbreitet, nur aus der Ferne zeigen; wir sind nicht der Josue, der andere hineinführen wird. Das wenige, was wir in diesem kurzen dritten Teil unseres bescheidenen Buches noch hinzuzufügen haben, ist nur das, was noch notwendig zu dessen Vollendung gehört.

Wir nehmen also an, daß wir im Jahre 318 angelangt sind, fünfzehn Jahre nach dem Tode Mirjams, den wir im letzten Kapitel beschrieben haben. Die Zeit, und strenge, unerschütterliche Gesetze haben der christlichen Religion Sicherheit verliehen, und die Kirche arbeitet ununterbrochen an ihrer Organisation. Viele, welche bei der Wiederkehr des Friedens die Köpfe hatten hängen lassen, weil sie nur durch feigen Verrat dem Tode entronnen waren, hatten ihren Fall jetzt bereits durch Buße und Reue gesühnt. Dann und wann wurde ein bejahrter Unbekannter von den Vorübergehenden voll Ehrfurcht begrüßt, wenn sie sahen, daß sein rechtes Auge ausgebrannt, seine Hand verstümmelt war, oder wenn sein Gang zeigte, daß die Sehnen seiner Kniegelenke während der letzten Verfolgung um Christi willen durchschnitten worden.Im Orient wählten einige Gouverneure, welche der Massenmorde müde geworden, gegen Ende der Verfolgung diese weniger grausame Art, die Christen zu behandeln. – Siehe Eusebius.

Wenn unser freundlicher Leser uns jetzt hinaus zur Porta Nomentana nach jenem Thale folgen will, das er bereits kennt, so wird er eine traurige Verwüstung unter den herrlichen Bäumen und farbenreichen Blumenbeeten in Fabiolas Villa finden. Baugerüste erhoben sich an Stelle der ersteren; Mauersteine, Marmor und Säulen liegen auf letzteren. Konstantia, die Tochter Konstantinus', hatte, als sie noch nicht Christin geworden, an Agnes' Grabe um die Heilung einer schmerzhaften Beule gefleht. Ihr Gebet war erhört worden; sie hatte dort eine beseligende Erscheinung gehabt und ward vollständig geheilt. Jetzt war sie getauft und trug ihre Schuld der Dankbarkeit dadurch ab, daß sie die herrliche Basilika über jenem Grabe errichtete. Die Gläubigen hatten indessen noch immer Zutritt zu der Krypta, in welcher sie begraben war, und groß war der Zuzug von Pilgern, welche aus allen Teilen der Welt kamen.

Eines Nachmittags als Fabiola aus der Stadt in ihre Villa zurückkehrte, nachdem sie den Tag mit der Pflege von Kranken zugebracht hatte, die in einem Hospital untergebracht waren, das sie in ihrem eigenen Hause gegründet, kam der fossor, welcher die Aufsicht über die Gräberstätte hatte, ihr mit lebhaft gerötetem Antlitz und in nicht geringer Erregung entgegen und sagte:

»Herrin, ich glaube, daß der Fremde aus dem Morgenlande, den du schon so lange erwartest, angekommen ist.«

Fabiola, welche die Worte der sterbenden Mirjam stets in ihrem Herzen, wie ein Heiligtum bewahrt hatte, rief hastig: »Wo ist er?«

»Er ist wieder gegangen.«

Ihr Gesicht ward traurig.

»Aber wie kannst du wissen, daß er es war?« fragte sie dann.

Der Totengräber entgegnete:

»Im Laufe des Morgens bemerkte ich in der Menge einen Mann, der noch nicht fünfzig Jahre zählen mochte, durch Kummer und Abtötungen aber vor der Zeit alt geworden war. Sein Haar war beinahe weiß, und das war auch sein lang herabwallender Bart. Seine Kleidung war morgenländisch, und er trug auch den Mantel, welchen die Mönche aus jenen Ländern zu tragen Pflegen. Als er an Agnes' Grab kam, warf er sich unter einer Flut von Thränen zu Boden, stöhnte, und schluchzte, daß es das Mitleid aller Umstehenden erregte. Gar viele näherten sich ihm und flüsterten: ›Bruder, du hast großen Kummer, aber weine nicht also, die Heilige ist barmherzig.‹ – Andere wieder sagten: ›Fürchte nichts, wir alle werden für dich beten.‹Diese Scene ist der Wirklichkeit entlehnt. Aber für ihn schien es keinen Trost mehr zu geben. Doch ich dachte bei mir, in der Nähe einer so sanften und gütigen Heiligen sollte niemand so trostlos, so niedergeschmettert sein – mit Ausnahme eines einzigen Mannes.«

»Weiter, weiter,« – rief Fabiola ungeduldig, »was that er dann?«

»Nachdem noch eine geraume Zeit vergangen,« fuhr der fossor fort, »erhob er sich und zog aus den Brustfalten seines Gewandes einen herrlichen, funkelnden Ring, welchen er auf ihr Grab legte.«

»Und dann?«

»Als er sich umwandte, sah er mich und erkannte meine Kleidung. Er näherte sich mir, und ich sah, wie er zitterte, als er, ohne mir ins Gesicht zu blicken, bescheiden und furchtsam fragte: ›Bruder, weißt du, ob hier irgendwo ein Mädchen aus Syrien, Namens Mirjam liegt?‹ Schweigend deutete ich auf ihr Grab. Nach langem, sichtbar qualvollem Kampfe mit sich selbst, fragte er mich wieder, dieses Mal mit kaum vernehmbarer Stimme: ›Weißt du, Bruder, woran sie gestorben ist?‹ – ›An der Schwindsucht‹ entgegnete ich. ›Gott sei gelobt und gepriesen!‹ rief er und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Dann fiel er zu Boden. Länger als eine Stunde blieb er so weinend und stöhnend liegen; dann erhob er sich, näherte sich dem Grabe, küßte den Stein voll Ehrfurcht, und – ging.«

»Er ist es, Torquatus! Er ist es!« rief Fabiola freudig aus, »weshalb hast du ihn nicht zurückgehalten?«

»Ich wagte es nicht, Herrin; nachdem ich sein Gesicht einmal gesehen hatte, fand ich nicht mehr den Mut, seinem Auge zu begegnen. Aber ich bin gewiß, daß er wiederkehren wird, denn er entfernte sich nach der Stadt zu.«

»Wir müssen ihn finden!« schloß Fabiola. »O teure Mirjam, diese Vision tröstete dich also im Sterben!«


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