Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Neunzehntes Kapitel

Zwiefache Rache

Sebastianus' Besuch im Cömeterium hatte nicht allein dem Zwecke gegolten, die Überreste der ersten Märtyrerin zu ihrer Beisetzung dorthin zu bringen, sondern er wollte auch mit Marcellinus über dessen Sicherheit beratschlagen. Sein Leben hatte zu großen Wert für die Kirche, um schon so früh hingeopfert zu werden, und Sebastianus wußte nur zu wohl, wie eifrig man nach demselben trachtete. Torquatus bestätigte dies jetzt, indem er die Pläne und Absichten des Fulvius verriet und den Zweck seiner Gegenwart bei der Ordination im Dezember. Die gewöhnliche Residenz des Papstes bot jetzt nicht mehr Sicherheit genug; und eine kühne Idee war es, welche der mutige Soldat gefaßt hatte – dieser »Beschützer der Christen«, wie man ihn öffentlich nannte nach dem, was uns seine Geschichte von ihm erzählt. Der Papst solle dort untergebracht werden, wo gewiß niemand ihn vermutete, und wo man nicht einmal von einer Nachsuchung träumen konnte: nämlich in dem Palast der Cäsaren selbst!So wird in dem oben erwähnten Werke berichtet.

Zweckentsprechend verkleidet begab der heilige Bischof sich aus dem Cömeterium, und von Sebastianus und Quadratus begleitet, brachte man ihn sicher und ohne Unfall in die Wohnung der Irene, einer christlichen Dame von Rang, welche in einem abgelegenen Teil des Palatinus, wo ihr Gatte ein Hausamt bekleidete, wohnte.

Früh am nächsten Morgen schon war Sebastianus bei Pancratius.

»Mein lieber Knabe,« sagte er, »du mußt Rom augenblicklich verlassen und dich nach Campania begeben. Die Pferde für dich und Quadratus stehen bereit, und wir dürfen keine Zeit verlieren.«

»Und weshalb, Sebastianus?« fragte der Jüngling mit traurigem Antlitz und thränenden Augen. »Habe ich irgend ein Unrecht begangen oder zweifelst du an meiner Kraft?«

»Keins von beiden, ich versichere dich. Aber du hast versprochen, dich von mir in allen Dingen führen zu lassen, und niemals ist dein Gehorsam notwendiger gewesen als jetzt.«

»Sag mir weshalb, guter Sebastianus, ich bitte dich!«

»Es muß für den Augenblick noch Geheimnis bleiben.«

»Was! noch ein Geheimnis?«

»Sag' lieber dasselbe, denn es wird dir zugleich mit dem anderen enthüllt werden. Aber ich kann dir sagen, was ich von dir verlange, und ich glaube, das wird dir für den Augenblick genügen. Corvinus hat den Befehl bekommen, Chromatius und seine ganze kleine Gemeinde zu ergreifen, und diese ist noch jung im Glauben, wie das unglückselige Beispiel des Torquatus uns nur allzugut bewiesen hat; und was noch schlimmer ist, er soll deinen guten alten Lehrer Cassianus in Fundi einem grausamen Tode weihen. Ich will, daß du hineilst bevor sein Abgesandter – oder vielleicht geht er auch selbst – dort eintrifft, und ihnen einschärfst, auf ihrer Hut zu sein.«

Jetzt blickte Pancratius wieder fröhlich; er sah, daß Sebastianus ihm vertraute.

»Dein Wunsch ist Grund genug für mich,« sagte er lächelnd, »aber ich würde bis ans Ende der Welt gehen, um meinen guten, alten Cassianus oder jeden anderen christlichen Glaubensbruder zu retten.«

Bald war er reisefertig; er nahm einen zärtlichen Abschied von seiner Mutter, und bevor noch Rom sich den Schlaf aus den Augen gewischt hatte, trabten er und Quadratus, jeder mit wohlgefüllten Satteltaschen auf ihren mächtigen Rossen, durch die Campagna von Rom, um die einsamere und sichere Fährte auf der Via Latina zu erreichen.

Da Corvinus beschlossen hatte, diese feindliche Expedition als ehrenvoll, ergiebig und angenehm in der eigenen Hand zu behalten, wurde sie noch um einige Tage aufgeschoben, damit er sich vorerst von jenen eindringlichen Züchtigungen erholen und die gehörigen Vorbereitungen machen könne. Er ließ einen Wagen mieten und warb einen Trupp numidischer Läufer an, welche mit einem schnell dahin sausenden Wagen Schritt halten konnten. Aber immerhin war er nur zwei Tage hinter den Christen zurück, obgleich er auf der belebteren und kürzeren Via Appia reiste.

Als Pancratius bei der »Villa bei den Statuen« anlangte, fand er die kleine Gemeinde bereits in der höchsten Aufregung durch die Gerüchte, welche über die Veröffentlichung des Edikts zu ihr gedrungen war. Alle hießen ihn auf das wärmste willkommen, und mit der größten Ehrerbietung und Achtung wurde der Brief mit Sebastianus' Ratschlägen entgegen genommen. Gebete und Besprechungen folgten auf seine Lesung und verschiedene Beschlüsse wurden gefaßt. Marcus und Marcellianus waren mit ihrem Vater bereits zur Ordination nach Rom gereist. Nicostratus, Zoë und andere folgten ihnen jetzt. Chromatius, welchem die Krone des Märtyrertums nicht bestimmt war, obgleich die Kirche sein Andenken zusammen mit dem seines Sohnes am elften August feiert, fand für einige Zeit eine Unterkunft in der Villa Fabiolas, für deren Benutzung die junge Herrin den Erlaubnisschein gegeben hatte, ohne den Grund dafür zu kennen; Chromatius wünschte nämlich, noch einige Zeit in der Gegend zu bleiben. Kurzum, die Villa ad Statuas wurde in der Obhut einiger weniger treuen Diener zurückgelassen, auf welche man sich vollständig verlassen konnte.

Als die beiden Abgesandten sich und ihren Pferden die notwendige Ruhe gegönnt hatten, reisten sie auf derselben Straße, welche Torquatus erst kürzlich eingeschlagen hatte nach Fundi, wo sie in einem unscheinbaren Gasthause außerhalb der Stadt an der Straße nach Rom einkehrten.

Pancratius fand seinen alten Lehrer, der ihn liebevoll umarmte, bald auf. Er teilte ihm seinen Auftrag mit und beschwor ihn zu fliehen oder sich wenigstens zu verbergen. »Nein,« sagte der gute alte Mann, »das darf nicht sein. Ich bin schon alt und meines armseligen Berufs so müde. Ich und mein Diener sind die einzigen beiden Christen in der Stadt. Die besten Familien haben in der That ihre Kinder in meine Schule geschickt, weil sie wußten, daß sie so streng sittlich geführt wird, wie das Heidentum es nur immer erlaubt; aber grade diese Strenge hat es bewirkt, daß ich nicht einen einzigen Freund unter meinen Schülern habe. Und ihnen geht auch noch die natürliche Verfeinerung der römischen Heiden ab. Sie sind rohe Landbewohner, und ich hege die feste Überzeugung, daß sich unter den älteren einige befinden, welche sich kein Gewissen daraus machen würden, mir das Leben zu nehmen, wenn sie dies unbestraft thun könnten.«

»O Cassianus! welch ein traurig elendes Dasein mußt du führen! Vermochtest du gar keinen Eindruck auf sie hervorzubringen?« »Wenig oder keinen, Pancratius! Und wie könnte ich auch, mein teurer Knabe, wenn ich sie jene gefährlichen Bücher lesen lassen muß, welche jene Fabeln enthalten, von denen die römische und griechische Litteratur strotzt? Nein, ich habe nur wenig mit meinen Büchern auszurichten vermocht; vielleicht ist mein Tod imstande, mehr für sie zu thun.«

Pancratius fand, daß all seine Gegenvorstellungen umsonst waren, und beinahe hätte er den Entschluß gefaßt, mit dem alten Manne zu sterben. Aber er erinnerte sich seines dem Sebastianus gegebenen Versprechens, sein Leben während dieser Reise nicht aufs Spiel zu setzen. Indessen beschloß er, sich nicht aus der Umgebung der Stadt zu entfernen, bevor er das Ende gesehen hatte.

Corvinus traf mit seinen Leuten vor der Villa des Chromatius ein, und früh am Morgen brach er plötzlich durch die Thore herein und stürzte auf das Haus zu. Er fand es leer. Er ließ es von oben bis unten durchsuchen, entdeckte aber weder einen Menschen, noch ein Buch, noch ein christliches Symbol. Er war bestürzt und enttäuscht. Er blickte umher, und als er einen Diener entdeckte, welcher im Garten arbeitete, fragte er ihn, wo sein Gebieter sei.

»Herr sagt Sklaven nicht, wohin er geht,« lautete die Antwort in einem Latein, welches im richtigen Verhältnis zu einer so rohen Satzbildung stand.

»Du willst mich verspotten! Welchen Weg haben er und seine Begleiter eingeschlagen?«

»Durch Thor da unten.«

»Und dann?«

»Sieh dahin,« antwortete der Diener, »du siehst Thor? Gut. Du siehst nix mehr. Mich arbeitet hier, mich sieht Thor, mich sieht nix mehr.«

»Wann sind sie gegangen? Das kannst du mir doch wenigstens beantworten.« »Nachdem die zwei von Rom da sein.«

»Welche zwei? Immer zwei, wie es scheint!«

»Ein guter Jüngling! So schön! o so schön! und singt so süß! Der andere sehr groß, sehr stark, o, sehr! Siehst du das junge Baum an Wurzeln herausgezogen? Er thun das so leicht, wie ich mein Spaten aus Erde ziehen.«

»Wieder die zwei,« schrie Corvinus in furchtbarster Wut. »Wiederum hat jener feige Bursche meine Pläne durchkreuzt und meine Hoffnungen zerstört. Er soll mir dafür büßen!«

Sobald er ein wenig der Ruhe gepflegt hatte, machte er sich wieder auf die Reise und beschloß, seiner ganzen Wut an seinem alten Lehrer Luft zu machen, wenn nicht auch der, welchen er seinen bösen Dämon nannte, bereits dort vor ihm gewesen sein sollte. Während der Reise beschäftigte er sich damit, Rache gegen Lehrer und Mitschüler zu brüten; und er war entzückt, als er bei seiner Ankunft in Fundi sah, daß wenigstens einer von beiden dort sei. Er zeigte dem Gouverneur der Stadt den Befehl, welcher auf Gefangennahme und Bestrafung des Cassianus, eines der allergefährlichsten Christen, lautete: aber jener Beamte, ein humaner Mann, bemerkte, daß die Kommission die gewöhnliche Jurisdiktion in dieser Angelegenheit unnötig mache und gab dem Corvinus vollständig Macht zu handeln. Er bot ihm die Hilfe eines Henkerknechts und andere Requisiten an; aber beides wurde abgelehnt. Corvinus hatte in seiner eigenen Leibwache einen mehr als hinreichenden Vorrat von Kraft und Grausamkeit mitgebracht. Er nahm indessen einen öffentlichen Beamten mit sich.

Er begab sich nach dem Schulhause, als sich sämtliche Schüler in demselben befanden, schloß die Thüren und beschuldigte den Cassianus, welcher ihm mit offenen Armen und freundlichem Gesicht entgegen ging, um ihn zu begrüßen, daß er ein Verschwörer gegen den Staat und ein hinterlistiger Christ sei. Die Knaben stimmten ein rohes Geschrei an, und an diesen Tönen erkannte Corvinus sofort, daß sich viele seinesgleichen darunter befinden mußten – junge Bären mit dem Herzen alter, blutdürstiger Hyänen.

»Knaben!« schrie er, »liebt ihr euren Lehrer Cassianus? Er war auch einmal der meine und ich hege manchen Groll gegen ihn!«

Ein Schrei der Verwünschung ertönte zwischen den Bänken.

»Dann habe ich eine gute Neuigkeit für euch; hier ist die Erlaubnis des göttlichen Kaisers Maximianus für euch, daß ihr mit dem Cassianus machen dürfet, was ihr wollt.«

Ein Hagel von Büchern, Schreibtafeln und anderen Schulwurfgeschossen wurde gegen den Lehrer gerichtet, welcher unbeweglich mit gekreuzten Armen vor seinem Verfolger stand. Dann stürzten die Knaben von allen Seiten mit drohenden Gebärden, welche einen brutalen Angriff prophezeiten, auf ihn ein.

»Halt, halt,« rief Corvinus, »wir müssen systematischer dabei zu Werke gehen.«

Die Erinnerung an seine eigenen süßen Schultage war wieder in ihm aufgestiegen; die Erinnerung an jene Zeit, auf welche die meisten von uns mit sanfteren Empfindungen zurückblicken als jene, welche die Betrachtung der Gegenwart in uns wachrufen kann. Er sonnte sich in dem Andenken an die Kinderzeit, in welcher andere nur die Bilder selbstloser, fröhlicher, glücklicher Stunden sehen; und er suchte in der Erinnerung nach dem, was ihm damals wohl am meisten Freude bereitet haben würde, daß er es den hoffnungsvollen Jünglingen, welche ihn umgaben, als eine Vergünstigung gewähre. Aber nichts fiel ihm ein, das ihm eine solche Freude bereitet haben würde, als seinem Lehrer jeden Schlag zurückzahlen zu dürfen und mit seinem Blute jedes Wort des Vorwurfs schreiben zu können, das ihm einst gesagt worden war. Köstlicher Gedanke, dessen Verwirklichung er jetzt erleben sollte! Es liegt durchaus nicht in unserer Absicht, die Gefühle unserer zarten Leser mit Beschreibungen der grausamen und teuflischen Qualen Peinigen zu wollen, welche unsere christlichen Vorfahren von ihren heidnischen Verfolgern erdulden mußten. Wenige sind fürchterlicher, aber wenige stammen auch aus so authentischen Quellen, wie die Beschreibung der Torturen, welche an dem Märtyrer Cassianus verübt wurden. Gebunden in die Mitte seiner wilden jungen Tiger gestellt, so ward er das langsam hinsiechende Opfer ihrer schwachen, ohnmächtigen Grausamkeit. Wie der christliche Poet Prudentius uns erzählt, schnitten einige ihre Aufgaben mit den seinen stählernen Stilets, welche zum Schreiben auf den mit Wachs überzogenen Tafeln dienten, in sein Fleisch ein; andere übten die Erfindungsgabe einer frühreifen Brutalität, indem sie seinem wunden, blutenden, zuckenden Körper jeden nur denkbaren Schmerz zufügten. Blutverlust und akuter Schmerz erschöpften ihn endlich, und er fiel zu Boden ohne die Kraft, sich wieder erheben zu können. Ein Freudenschrei ertönte, neue Qualen wurden ihm verursacht – und endlich zerstreute sich die Bande jugendlicher Dämonen, um die Geschichte ihrer unschuldigen Freuden ihren respektiven Eltern zu erzählen. Es kam den Verfolgern niemals in den Sinn, ihren christlichen Opfern ein anständiges Begräbnis zu geben; und Corvinus, welcher seine Augen an diesem Schauspiel seiner Rache geweidet und seine willigen Werkzeuge stets zu neuen Grausamkeiten angespornt hatte, ließ den sterbenden Mann liegen, wo er war, um seinen Geist einsam und unbemerkt auszuhauchen. Sein treuer Diener indessen nahm ihn auf, legte ihn auf sein Bett und sandte, wie es vorher verabredet war, dem Pancratius ein Zeichen, welcher bald an seine Seite eilte, während Quadratus alle Vorbereitungen zu ihrer Abreise traf.

Der Jüngling war entsetzt über den Anblick, welcher sich seinem Auge darbot und über die Beschreibung der namenlosen Torturen, welche sein armer Lehrer erduldet hatte; aber eben so erbaut war er auch über die Geduld, welche der Alte an den Tag gelegt hatte. Denn nicht ein Wort des Vorwurfs war über seine Lippen gekommen, und nichts als inbrünstiges Gebet hatte seine Gedanken und seine Zunge beschäftigt.

Cassianus erkannte seinen teuren Schüler, lächelte ihm zu und drückte seine Hand mit der erkaltenden Rechten, aber er vermochte nicht mehr zu reden. Er lebte noch bis zum nächsten Morgen, dann schlummerte er sanft hinüber. Die letzten Ehren eines christlichen Begräbnisses wurden ihm noch auf derselben Stelle erwiesen, denn das Haus war sein Eigentum. Dann eilte Pancratius von dannen; das Herz war ihm schwer, und nur mühsam noch kämpfte er die Empörung gegen das wilde, herzlose Ungetüm nieder, welches ohne Gewissensbisse zu empfinden diese Tragödie angestiftet und ihrer Aufführung beigewohnt hatte.

Er irrte sich indessen. Kaum hatte Corvinus seinen Rachedurst gestillt, als er auch schon die Nichtswürdigkeit und Schande dessen empfand, was er gethan hatte. Er fürchtete, daß sein Vater es erfahren könne, und dieser hatte stets große Achtung vor Cassianus gehegt. Er fürchtete den Zorn der Eltern, deren Kinder er an diesem Tage in der That demoralisiert und zu einem Verbrechen angestachelt hatte, welches kaum weniger fürchterlich war als Vatermord. Er befahl, seine Pferde anzuschirren, aber man entgegnete ihm, daß sie noch einige Stunden der Ruhe bedürften. Dies steigerte seinen Ärger noch. Gewissensbisse quälten ihn, und er setzte sich zum Trinken nieder, um seine Sorge zu ertränken und die Zeit hinzubringen. Endlich machte er sich auf die Reise, und nachdem er gegen Abend noch für eine oder zwei Stunden an der Landstraße eingekehrt war, fuhr er die ganze Nacht hindurch. Der ununterbrochene Regen hatte den Weg fast unergründlich gemacht; dieser zog sich an dem großen Kanal entlang, welcher die Pontinischen Sümpfe drainiert, und war zu beiden Seiten mit Bäumen bepflanzt.

Auf seiner Haltestelle hatte Corvinus wiederum getrunken; Wein, Ärger und Gewissensbisse hatten ihn erhitzt. Der langsame Schritt seiner abgehetzten Rosse reizte ihn, und er peitschte wütend auf sie ein. Während sie in dieser Weise gehetzt wurden, hörten sie den Hufschlag von Pferden, welche in rasender Eile hinter ihnen herkamen, und jetzt tobten sie mit unaufhaltsamer Schnelligkeit vorwärts. Die Begleiter blieben bald um ein beträchtliches Stück Weges zurück, und die scheuen Pferde bogen jetzt zwischen die Bäume auf dem engen Pfade am Kanal ein und galoppierten vorwärts, während sie den Wagen ununterbrochen von einer Seite auf die andere schleuderten. Die hinterherkommenden Reiter, welche das heftige Klappern der Hufe und der Räder vernahmen, ebenso wie die Rufe der numidischen Begleiter, gaben ihren Pferden die Sporen und ritten tapfer vorwärts. Sie hatten die Läufer bereits um eine Strecke Weges überholt, als sie einen Krach, einen Fall und ein Plätschern vernahmen. Das Rad war gegen einen Baumstamm gefahren, der Wagen war umgestürzt und der halbtrunkene Insasse war kopfüber ins Wasser geschleudert. Im selben Augenblick war Pancratius schon vom Pferde gesprungen und stand mit seinem Gefährten am Ufer des Kanals.

Bei dem blassen Lichte des aufgehenden Mondes und an dem Ton seiner Stimme erkannte der Jüngling den Corvinus, welcher mit den Fluten des schlammigen Stromes kämpfte. Er war an dieser Stelle nicht tief, aber das hohe lehmige Ufer war naß und abschüssig, und jedesmal, wenn der Unhold versuchte es zu erklimmen, glitt sein Fuß wieder aus und er siel in die tiefere Strömung der Mitte zurück. Er war in der That bereits erschöpft und betäubt durch dieses winterliche Bad.

»Es würde dem Burschen nur recht geschehen, wenn wir ihn ertrinken ließen,« murmelte der rauhe Centurion.

»Still, Quadratus! Wie kannst du so sprechen! Reich mir deine Hand! So!« sagte der Jüngling, indem er sich über das Ufer lehnte und seinen Feind am Arm packte, grade als dieser die welken Büsche, welche er erfaßt hatte, fahren lassen mußte und halb ohnmächtig ins Wasser zurückfiel. Dies wäre sein letztes Tauchen gewesen. Sie zogen ihn heraus und legten ihn am Wege nieder, eine bemitleidenswerte Gestalt in den Augen seines größten Feindes. Dann rieben sie ihm die Schläfen und die Hände, und er begann bereits wieder Lebenszeichen von sich zu geben, als seine Begleiter herankamen. Ihrer Fürsorge übergaben die Jünglinge ihn sowohl wie seine Geldbörse, welche sich von seinem Gürtel gelöst hatte, als sie ihn aus dem Kanal zogen. Sein eigenes Messer jedoch, welches zugleich mit dem Beutel zu Boden gefallen war, behielt Pancratius zurück; es war dasselbe, welches Corvinus bei sich getragen hatte, um einen Beweis dafür zu haben, daß er derjenige gewesen, welcher das Edikt heruntergeschnitten habe. Die Läufer und übrigen Begleiter behaupteten dem Corvinus gegenüber, als er das Bewußtsein wieder erlangt hatte, daß sie ihn aus dem Wasser gezogen hätten, daß seine Geldbörse jedoch in demselben verloren gegangen und auf dem Grunde im tiefen Morast begraben liegen müsse.

Sie trugen ihn in eine benachbarte Hütte, indessen der Wagen wieder in stand gesetzt wurde. Während er schlief, feierten sie mit seinem Gelde ein lustiges Gelage.

Zwei Racheakte waren an diesem Tage verübt worden, – ein heidnischer und ein christlicher.


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