Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Zehntes Kapitel

Weitere Zusammenkünfte

Als die beiden Jünglinge in das Zimmer zurückkehrten, durch welches sie in die Wohnung eingetreten waren, fanden sie die erwartete Gesellschaft versammelt. Eine einfache Mahlzeit stand auf der Tafel; hauptsächlich war diese aber bereitet, um einen ungebetenen Eindringling, der sich möglicherweise zu den Gästen gesellen könnte, zu täuschen. Die Versammlung war groß und verschiedenartig; es befanden sich Geistliche und Laien, Männer und Frauen darunter. Der Zweck der Zusammenkunft war, geeignete Maßregeln infolge einer Begebenheit zu treffen, welche sich vor kurzem im Palaste zugetragen hatte. Wir müssen an dieser Stelle eine kurze Erklärung darüber geben.

Sebastianus, welcher das unbegrenzte Vertrauen des Kaisers genoß, benutzte seinen ganzen Einfluß, um im Palaste den christlichen Glauben auszubreiten. Nach und nach hatte er mehrere Bekehrungen vorgenommen; aber vor kurzem war eine Massenbekehrung bewirkt worden, deren nähere Umstände in der ursprünglichen Lebensgeschichte dieses ruhmwürdigen Offiziers verzeichnet sind, und kraft früherer Gesetze wurden mehrere Christen ergriffen und vor den Richterstuhl geschleppt, wo ihr Prozeß nur zu oft mit dem Tode endete. Zwei Brüder, Marcus und Marcellianus waren auf diese Weise angeschuldigt worden und erwarteten den Tod, als ihre Freunde, welche zum Besuch zugelassen wurden, sie mit Thränen in den Augen anflehten, sie möchten ihr Leben retten, indem sie vom Glauben abfielen. Sie schienen zu schwanken, indem sie versprachen zu überlegen. Hiervon hörte Sebastianus und eilte zu ihnen, um sie zu retten. Er war zu gut bekannt, als daß man ihm den Eintritt verweigert hätte, und so trat er gleich einem Engel des Lichts in ihr düsteres Gefängnis. Dieses bestand in einer vergitterten Zelle im Hause der Gerichtsperson, deren Obhut sie anvertraut waren. Diesem war auch die alleinige Wahl und Aufsicht des Gefängnisses überlassen, und hier hatte Tranquillinus, der Vater der beiden Jünglinge, einen Aufschub von dreißig Tagen für sie erlangt, in der Hoffnung, sie in der Beständigkeit ihres Glaubens zu erschüttern, und um seine Bestrebungen zu unterstützen, hatte Nicostratus, der Richter, sie in seinem eigenen Hause in Gewahrsam gebracht. Sebastianus' Unternehmen war ein sehr kühnes und gefahrvolles. Außer den beiden christlichen Gefangenen befanden sich noch sechzehn heidnische Verbrecher in demselben Raum; dann waren dort die Eltern der beiden unglücklichen Jünglinge, welche über sie weinten und sie liebkosten, um sie zur Umkehr zu bewegen und sie so dem drohenden Tode zu entreißen; auch der Gefängniswärter Claudius und der Richter Nicostratus mit seiner Gattin Zoë hatten sich hier eingefunden – alle von dem leidenschaftlichen Wunsche beseelt, die Jünglinge ihrem Schicksal entrinnen zu sehen. Konnte Sebastianus wohl hoffen, daß sich unter dieser Menge keiner finden würde, welchen ein amtliches Pflichtbewußtsein oder der Haß gegen das Christentum veranlassen würde, ihn zu verraten, wenn er sich offen als Christ bekannte? Und wußte er nicht, daß ein solcher Verrat unfehlbar seinen Tod im Gefolge haben mußte?

Gar wohl wußte er es. Aber was kümmerte es ihn? Wenn dann drei Opfer dem Christengotte dargebracht worden anstatt zweier – desto besser; was er am meisten fürchtete war, daß keins gebracht wurde. Das Gemach war eine Banketthalle, welche am Tage nur selten benutzt wurde und folglich nur wenig Licht brauchte; wie im Pantheon fiel das geringe Tageslicht durch eine Öffnung im Dache. Sebastianus, welcher dringend wünschte, von allen gesehen zu werden, stand in dem Lichtstrahl, welcher jetzt in den Raum fiel, scharf und glänzend, wohin er kam, während der übrige Teil der Halle fast in absoluter Dunkelheit lag. Er brach sich an dem Gold und den Edelsteinen seiner reichen Tribunenrüstung, und wenn Sebastianus sich bewegte, drang das farbenprächtigste Gefunkel bis in die äußersten Winkel des düsteren Raumes, während ein reiner Glanz auf seinem unbedeckten Haupte lag und seine edlen Züge hervorhob, auf denen in diesem Augenblick der Ausdruck zärtlichsten Kummers lag, wenn er auf die beiden schwankenden, unschlüssigen Bekenner blickte. Es dauerte mehrere Minuten bevor er der Heftigkeit seines Schmerzes Ausdruck in Worten verleihen konnte. Endlich machte er demselben in leidenschaftlichen Ausdrücken Luft.

»Heilige und ehrwürdige Brüder,« rief er aus, »die ihr für Christus Zeugnis abgelegt habt; die ihr für ihn gefangen seid; deren Glieder die Merkmale der Ketten tragen, welche euch um seinetwillen angelegt sind; die ihr für ihn Qualen erduldet habet – ich müßte euch zu Füßen fallen und euch verehren und euch anstehen für mich zu beten, anstatt vor euch als Ermahner, oder gar als Tadler zu stehen. Kann das wahr sein, was ich vernommen habe? Während Engel die letzte Blume in eure Krone flochten, habt ihr ihnen Einhalt geboten; ihr habt sogar daran gedacht, ihnen zu sagen, daß sie sie wieder auflösen und die Blumen und Blüten in alle Winde zerstreuen? Soll ich glauben, daß ihr, die ihr euren Fuß auf die Schwelle des Paradieses gesetzt hattet, jetzt daran denkt, ihn im letzten Augenblick zurückzuziehen, um wiederum in diesem Thal der Thränen und des Jammers zu wandeln?«

Die beiden Jünglinge senkten das Haupt und legten weinend ein Bekenntnis ihrer Schwäche ab.

Sebastianus fuhr fort:

»Ihr könnt nicht einmal einem armen Soldaten, wie ich es bin, dem letzten und unwürdigsten der Diener Christi ins Auge sehen; wie könnt ihr denn dem zürnenden Blicke des Herrn begegnen, den ihr im Begriffe seid, vor den Menschen zu verleugnen – wenn ihr es auch nicht in eurem Herzen könnt – an jenem furchtbaren Tage des Gerichts, wenn Er euch zur Strafe wiederum vor seinen Engeln verleugnen wird? Wenn ihr, anstatt männlich und mutig als gute und getreue Knechte vor ihm zu erscheinen – wie ihr es schon morgen gethan haben könntet – endlich vor ihm stehen werdet, nachdem ihr euch noch einige Jahre durch dies irdische Elend geschleppt habt, ausgestoßen aus der Kirche, verachtet von ihren Feinden, und was noch schlimmer ist, Opfer der ruhelosesten Gewissensbisse, gemartert von einer niemals endenden Qual?«

»Halt ein, Jüngling, sei barmherzig und halt ein, wer du auch sein magst,« rief Tranquillinus, der Vater der beiden Jünglinge aus. »Sprich nicht so strenge zu meinen Söhnen. Ich schwöre dir, nur den heißen Thränen ihrer Mutter, meinen innigen, unaufhörlichen Bitten hatten sie angefangen nachzugeben, nicht jenen Folterqualen, welche sie mit überirdischer Kraft ertragen haben. Weshalb sollten sie ihre unglücklichen Eltern in Qual und Elend zurücklassen? Befiehlt das deine Religion? Kannst du das fromm und heilig nennen?« »Warte in Geduld, mein guter, alter Mann,« sagte Sebastianus in dem mildesten Ton mit liebevollem Blick, »und laß mich zuerst mit deinen Söhnen sprechen. Sie verstehen, was ich meine, und das kannst du bis jetzt noch nicht; aber mit Gottes Gnade wirst auch du es bald können. – Euer Vater hat in der That recht, wenn er sagt, daß ihr um eurer Mutter und um seinetwillen überlegt habt, ob ihr sie nicht Dem vorziehen sollt, der da gesagt hat: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.« Ihr dürft nicht hoffen, für diese eure alten Eltern jenes ewige Leben zu erkaufen, welches ihr selbst zu verlieren im Begriffe steht. Wollt ihr sie zu Christen machen, indem ihr selbst vom Christentume abfallet? Wollt ihr sie zu Streitern des Kreuzes machen, wenn ihr selbst der Fahne untreu werdet? Wollt ihr sie überzeugen, daß die christliche Lehre kostbarer ist als das Leben, indem ihr das Leben jenen köstlichen Lehren vorzieht? Wollt ihr für sie, nicht das irdische Leben des vergänglichen Leibes, sondern das ewige Leben der Seele erringen? Dann eilt euch es zu erwerben! Legt zu den Füßen des Erlösers die Krone nieder, welche ihr erhalten werdet, und bittet für die Rettung eurer Eltern!«

»Genug, genug, Sebastianus, wir sind entschlossen,« riefen die beiden Brüder zu gleicher Zeit aus.

»Claudius,« sagte der eine, »lege mir die Ketten wieder an, die du bereits abgenommen hattest.«

»Nicostratus,« fügte der andere hinzu, »gieb den Befehl, daß das Todesurteil an uns vollstreckt werde.«

Aber weder Nicostratus noch Claudius rührten sich von der Stelle.

»Lebe wohl, teurer Vater; mit Gott, geliebteste Mutter,« sagten beide nacheinander, indem sie die Eltern zärtlich umschlungen hielten.

»Nein,« entgegnete der Vater, »wir werden uns nicht mehr trennen. Nicostratus, geh und sage dem Chromatius, daß ich von dieser Stunde an Christ geworden bin mit meinen Söhnen. Ich werde mit ihnen sterben für eine Religion, welche so imstande ist, aus Knaben Helden zu machen.«

»Und ich,« fuhr die Mutter fort, »werde mich nicht von meinem Gatten und meinen Söhnen trennen.«

Die Scene, welche jetzt folgte, läßt sich nicht beschreiben. Alle Anwesenden waren tief bewegt; alle weinten; die Gefangenen nahmen teil an dem Aufruhr dieser neu erweckten Gefühle, und Sebastianus sah sich umringt von einer Gruppe von Männern und Frauen, welche alle von einem Lichtstrahl der Gnade getroffen, durch ihren Einfluß besänftigt, durch ihre Macht besiegt waren! Und doch war alles verloren, wenn auch nur ein einziger zurück blieb! Er sah die Gefahr, welche nicht ihm, sondern der Kirche und jenen Seelen drohte, die auf der Grenze des Lebens schwankten, wenn eine plötzliche Entdeckung gemacht wurde. Einige hingen an seinen Armen, einige hatten seine Kniee umklammert, andere küßten seine Füße, als sei er ein solcher Geist des Friedens, wie er Petrus in seinem Gefängnis zu Jerusalem besucht hatte.

Nur zwei der Anwesenden hatten ihren Gedanken keine Worte verliehen. Nicostratus war in der That bewegt, aber durchaus noch nicht besiegt. Seine Gefühle waren erregt, aber seine Überzeugung blieb unerschüttert. Seine Gattin Zoë kniete mit stehenden Blicken und emporgestreckten Armen vor Sebastianus, aber kein Wort kam über ihre Lippen.

»Komm, Sebastianus,« sagte der Archivar, denn dies war das Amt des Nicostratus, »komm, es ist Zeit, daß du dich entfernst. Ich kann nicht umhin, die Aufrichtigkeit des Glaubens zu bewundern und die Großmut des Herzens, die dich handeln läßt, wie du es thust – die diese Jünglinge in den Tod treibt; aber meine Pflicht ist gebieterisch und muß meine Privatinteressen überwiegen.«

»Und glaubst du nicht mit den übrigen?«

»Nein, Sebastianus, ich gebe nicht so leicht nach, ich muß noch größere, noch stärkere Beweise haben, als selbst deine Tugend.«

»Oh, so sprich denn du zu ihm!« sagte Sebastianus zu Zoë; »sprich, treues Weib, sprich zum Herzen deines Gatten! Denn ich müßte mich furchtbar täuschen in der That, wenn deine Blicke mir nicht sagten, daß du wenigstens glaubst.«

Zoë bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und brach in eine Flut leidenschaftlicher Thränen aus.

»Du hast sie aufs äußerste verletzt, Sebastianus,« sagte ihr Gatte; »weißt du denn nicht, daß sie stumm ist?«

»Ich wußte es nicht, edler Nicostratus, denn als ich sie zuletzt in Asien sah, konnte sie noch sprechen.«

»Seit sechs Jahren,« sprach der andere mit bebender Stimme, »ist ihre einst so beredte Zunge gelähmt, und nicht ein einziges Wort ist über ihre Lippen gekommen.«

Sebastianus schwieg einen Augenblick; dann streckte er plötzlich die Arme empor, wie die Christen es stets im Gebet thaten und erhob die Augen gen Himmel; darauf brach er in die Worte aus:

»O Gott, Vater unseres Herrn und Heilands Jesu Christi, der Anfang dieses Werkes ist dein, laß seine Vollendung auch dein allein sein. Zeige deine Macht jetzt, denn wir bedürfen ihrer; verleihe sie dies eine Mal nur dem armseligsten und geringsten deiner Werkzeuge. Laß mich – wie unwürdig ich auch sein mag – das Schwert deines siegreichen Kreuzes so schwingen, daß die Geister der Finsternis vor demselben fliehen und deine Erlösung über uns alle komme! Zoë! blick noch einmal zu mir auf!«

Keiner von den Anwesenden brach das tiefe Schweigen. Nach einem stillen kurzen Gebet machte Sebastianus das Zeichen des Kreuzes über die Lippen der Frau und sprach: »Zoë! sprich! glaubst du?«

»Ich glaube an den Herrn Jesus Christus,« entgegnete sie mit klarer, fester Stimme und fiel Sebastianus zu Füßen.

Es war fast ein Schrei, den Nicostratus ausstieß, als er sich auf die Knie warf und Sebastianus rechte Hand mit Thränen benetzte.

Der Sieg war vollständig. Alle waren gewonnen. Und sofort wurden Schritte gethan, um jede Entdeckung zu verhindern. Die Persönlichkeit, welche für die Gefangenen verantwortlich war, konnte sie führen, wohin sie wollte, und Nicostratus führte sie alle, Tranquillinus und seine Gattin inbegriffen, der vollkommenen Freiheit seines eigenen Hauses entgegen. Sebastianus verlor keinen Augenblick, sondern übergab sie alle der Fürsorge des heiligen Priesters Polycarp, von dem Titel Sankt Pastor. Es war ein so eigentümlicher Fall, der so viel Heimlichkeit erforderte; die Zeiten waren so drohend und jedes neue Ärgernis mußte sorgsam vermieden werden; die Unterweisung mußte eilig vor sich gehen und durfte weder bei Tage noch bei Nacht unterbrochen werden. Dann empfingen alle in Eile das Sakrament der heiligen Taufe.

Diese neue Christenschar wurde durch ein zweites Wunder ermutigt und gestärkt.

Dem Tranquillinus, welcher seit langer Zeit auf das heftigste von der Gicht gequält wurde, ward durch die Taufe augenblicklich die vollkommene Gesundheit wiedergegeben. Chromatius war der Präfect der Stadt, und ihm war Nicostratus für die Gefangenen verantwortlich. Diesem Beamten konnte das, was geschehen war, nicht lange verborgen bleiben. Für die Neubekehrten handelte es sich allerdings um Leben und Tod; aber durch den Glauben gestärkt, waren sie jetzt auf alles vorbereitet. Chromatius war ein Mann von geradem Charakter, welcher der Christenverfolgung durchaus abhold war; mit großer Teilnahme lauschte er dem Bericht dessen, was sich zugetragen hatte. Als er jedoch von der Wiederherstellung des Tranquillinus hörte, war er aufs höchste überrascht. Er selbst war ein Opfer derselben Krankheit und litt oft die qualvollsten Schmerzen.

»Wenn das, was du mir hier berichtest, wahr ist,« sagte er, »und wenn ich mich persönlich von dieser heilenden Kraft überzeugen kann, so werde ich mich wahrlich diesem Beweise nicht verschließen.«

Man ließ Sebastianus holen. Es wäre Aberglauben gewesen, wenn man die heilige Taufe nur als ein Experiment ihrer heilenden Kraft ohne vorhergehende Bekehrung und ohne Glauben vollzogen hätte. Sebastianus schlug einen anderen Weg ein, welchen wir später beschreiben wollen, und Chromatius wurde vollständig geheilt. Bald darauf erhielt auch er zusammen mit seinem Sohne Tibertius die Taufe.

Natürlich war es gänzlich unmöglich für ihn, sein Amt weiter zu verwalten, und er hatte es folglich wieder in die Hände des Kaisers gelegt. Tertullus, der Vater des hoffnungsvollen Corvinus und Präfekt des Prätoriums wurde zu seinem Nachfolger ernannt; und so wird der Leser wahrnehmen, daß die Begebenheiten, welche wir soeben aus der Geschichte des heiligen Sebastianus erzählt haben, sich kurze Zeit vor dem Beginn unserer Erzählung zugetragen hatten; denn in einem der ersten Kapitel unseres Buches sprachen wir bereits von Corvinus' Vater als von dem Präfekten der Stadt.

Kehren wir jetzt indessen zu dem Abend zurück, an welchem Sebastianus und Pancratius mit dem größten Teil jener obengenannten Personen in den Zimmern des jungen Offiziers zusammentrafen. Viele von ihnen wohnten im Palaste oder in der nächsten Nähe desselben; und außer ihnen war noch anwesend Castulus, welcher ein hohes Amt am HofeDas Amt wird nicht näher bezeichnet. des Kaisers bekleidete, und seine Gemahlin Irene.

Mehrere vorhergehende Versammlungen waren bereits abgehalten worden, um über einen Plan zu beratschlagen, wie man die vollkommenere Unterweisung der Neubekehrten würde bewerkstelligen und mehrere Persönlichkeiten der Beobachtung würde entziehen können, deren veränderte Lebensweise und Rücktritt vom Amt Neugierde erwecken und Nachforschungen veranlassen müßte. Sebastianus hatte für Chromatius die Erlaubnis vom Kaiser erwirkt, daß er sich auf seinen Landsitz in Campanien zurückziehen könne, und man war dahin übereins gekommen, daß eine beträchtliche Anzahl der Neophyten sich dort zu ihm gesellen sollte, um einen einzigen Haushalt zu bilden, mit religiösen Übungen fortzufahren und sich in gemeinsamen Werken der Frömmigkeit zu vereinen. Die Jahreszeit war gekommen, wo jedermann sich aufs Land zurückzog, und der Kaiser selbst begab sich an die Küste von Neapel, von wo er eine Reise durch das südliche Italien zu unternehmen beabsichtigte. Es war daher der günstige Augenblick gekommen, den vorgefaßten Plan auszuführen. Man erzählt in der That, daß der Papst bereits an dem Sonntage, welcher dieser Bekehrung folgte, das heilige Amt im Hause des Nicostratus feierte und diese Entfernung aus der Stadt vorschlug.

In dieser Versammlung wurden alle Einzelheiten festgestellt; im Laufe der folgenden Tage sollten verschiedene Parteien auf verschiedenen Wegen aufbrechen – einige direkt auf der Via Appia, andere durch die Via Laatina, wieder andere am Strande des Tiber entlang und über einen Bergpfad durch Arpinum; aber alle sollten sich in der Villa treffen, welche nicht weit von Capua entfernt war. Während der ganzen Besprechung dieser etwas langweiligen Einzelheiten zeigte sich Torquatus, einer der früheren Gefangenen, welche durch Sebastianus bei seinem Besuche im Kerker bekehrt worden, vorlaut, ungeduldig und ungestüm. Er fand an jedem Plan etwas auszusetzen, schien unzufrieden mit den Weisungen, welche ihm gegeben wurden und sprach fast verächtlich von dieser Flucht vor der Gefahr, wie er es nannte. Er brüstete sich damit, daß er für seinen Teil bereit sei, morgen auf das Forum zu gehen, jeden Altar umzustürzen und sich jedem Richter gegenüber offen als Christ zu bekennen. Alles wurde gethan und gesagt, um ihn zu beruhigen und sogar abzukühlen. Aber man empfand die dringende Notwendigkeit, daß er mit den übrigen auf das Land hinaus müsse. Er hingegen bestand darauf, seinen eigenen Weg gehen zu wollen. Nur über einen Punkt blieb jetzt noch zu entscheiden: es handelte sich darum, wer die kleine Kolonie anführen und ihre Unternehmungen leiten solle. Hier erneuerte sich ein Liebesstreit zwischen dem heiligen Priester Polycarp und Sebastianus; jeder von ihnen begehrte in Rom zu bleiben und zuerst das Märtyrertum auf sich zu nehmen. Aber jetzt wurde dieser Zwistigkeit ein schnelles Ende gemacht, durch einen Brief, welcher ins Gemach gebracht wurde; er kam vom Papst und war »an seinen geliebten Sohn Polycarp, Priester des Titels Sankt Pastor« gerichtet und enthielt für ihn den Befehl, die Neubekehrten zu begleiten, während Sebastianus in Rom zurückbleiben sollte, um die schwere Pflicht zu erfüllen, Bekenner zu ermutigen und die Christen in Rom zu beschützen. Hören bedeutete gehorchen, und die Versammlung brach nach einem innigen Dankesgebet auf.

Nachdem Sebastianus seinen Freunden ein liebevolles Lebewohl gesagt hatte, bestand er darauf, Pancratius nach Hause zu geleiten. Als sie das Zimmer verließen, bemerkte letzterer: »Sebastianus, mir gefällt jener Torquatus nicht. Ich fürchte, daß er uns noch viel Kummer und Leid bereiten wird.«

»Wenn ich die Wahrheit gestehen soll,« antwortete der Soldat, »so möchte auch ich ihn anders haben. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß er ein Neophyte ist und mit der Zeit und durch die Gnade anders werden wird.«

Als sie in den Vorhof des Palastes traten, hörten sie ein Babel von seltsamen, rohen Lauten, dazwischen lautes, gemeines Gelächter und gelegentlich einen gellenden Schrei; dieser Lärm drang aus dem anstoßenden Hofe, in welchem sich die Quartiere der mauritanischen Bogenschützen befanden. In der Mitte desselben schien ein helles Feuer zu lodern, denn über den dazwischen liegenden Portikus stiegen Rauch und Funken empor.

Sebastianus redete die Schildwache des Hofes an, auf welchem sie sich befanden und fragte: »Guter Freund, was geschieht wohl da drüben bei unseren Nachbarn?« Diese antwortete: »Die schwarze Sklavin, welche ihre Priesterin, und dem Kapitän jener Truppe angelobt ist, wenn sie ihre Freiheit erkaufen kann, ist zur mitternächtlichen Ceremonie herübergekommen, und dieser grauenhafte Lärm findet jedesmal statt, wenn sie kommt.«

»In der That,« sagte Pancratius, »und kannst du mir auch sagen, zu welcher Religion sich diese Afrikaner bekennen?«

»Ich weiß es nicht, Herr,« erwiderte der Legionär, »wenn sie nicht das sind, was man Christen nennt.«

»Und was bringt dich auf den Gedanken?«

»Nun, ich habe gehört, daß die Christen zur Nachtzeit zusammenkommen und scheußliche Gesänge absingen und allerlei grauenhafte Verbrechen begehen; sie kochen und essen das Fleisch eines Kindes, welches zu dem Zwecke geschlachtet wordenDies waren die volkstümlichen Begriffe vom christlichen Gottesdienst. – und derlei Dinge scheinen dort vor sich zu gehen.«

»Gute Nacht, Kamerad,« sagte Sebastianus und rief dann, als sie aus dem Vestibüle traten: »Ist es nicht seltsam, Pancratius, daß trotz all unserer Bemühungen und Anstrengungen, wir, die wir uns bewußt sind, den Einen lebendigen Gott im Geiste und in der Wahrheit anzubeten, wir, die wir wissen, mit welcher Sorgfalt wir uns von aller Sünde frei halten und lieber sterben möchten als ein unheiliges Wort sprechen – daß wir noch nach einem Zeitraum von dreihundert Jahren vom Volke mit den Anhängern des niedrigsten Aberglaubens verwechselt werden – daß man unseren Gottesdienst mit jenem Götzendienst auf eine Stufe stellt, welchen wir mehr als alles andere verabscheuen? Wie lange noch, o mein Gott, wie lange noch!«

»So lange noch,« sagte Pancratius, während er auf den Stufen außerhalb des Vestibüls stehen blieb und auf den jetzt untergehenden Mond blickte, »so lange noch, wie wir fortfahren werden, in diesem bleichen Licht zu wandeln; so lange noch, bis die Sonne der Gerechtigkeit über unserem Lande in ihrer Schönheit aufgehen und es in ihrem Glanze verherrlichen wird. Sebastianus, sag mir, von wo aus du die Sonne am liebsten aufgehen siehst?«

»Den lieblichsten Sonnenaufgang, welchen ich jemals gesehen,« antwortete der Soldat, als wenn er der seltsamen Frage seines Freundes willfahren wollte, »erlebte ich auf dem Gipfel des Berges LatialDer jetzige Monte Cavo oberhalb Albano. am Tempel des Jupiter. Die Sonne ging hinter dem Berge auf und warf seinen riesigen Schatten wie eine Pyramide auf die Ebene und weit auf das Meer hinaus; dann, als sie höher stieg, wurde der Schatten immer kleiner und verschwand endlich ganz. Jeden Augenblick fing irgend ein neuer Gegenstand das Licht auf; zuerst die Schiffe und die Galeeren auf dem Wasser, dann die Küste mit ihren tanzenden Wogen, und nach und nach erglänzte ein weißes Denkmal nach dem andern in den frischen Strahlen – bis endlich das majestätische Rom selbst mit seinen stolzen Zinnen sich in dem Glanz des jungen Tages sonnte.«

»Das ist's, was ich erwartet habe, Sebastianus,« bemerkte Pancratius, »und so wird es sein, wenn jene herrlichere Sonne über unserem in Unwissenheit und Irrtum verharrenden Lande aufgeht. Wie schön wird es dann sein zu beobachten, wie die Schatten weichen, und in jedem Augenblick ein neuer, jetzt noch verborgener Reiz unseres heiligen Glaubens und unseres Gottesdienstes ans Licht tritt, bis die kaiserliche Stadt selbst im vollen Sonnenglanze da liegt, ein heiliges Vorbild der Stadt Gottes. Werden die, welche in jenen Zeiten leben, diese Schönheiten sehen und sie würdig zu schätzen wissen? Oder werden sie nur auf den engen Raum um sich herum blicken und die Hand vor die Augen legen, um diese gegen den plötzlichen Glanz zu schützen? Ich weiß es nicht, teurer Sebastianus, aber ich hoffe, daß du und ich auf jenes großartige Schauspiel herabblicken werden von einem Orte aus, von welchem allein es gebührend gewürdigt werden kann, von einem Berge aus, der höher ist als der des Jupiter – sei es der Albano oder sei es der Olymp – wenn wir auf jenem heiligen Berge weilen werden, auf dem das Lamm steht, aus dessen Füßen die Bronnen des Lebens fließen.Vidi supra, montem Agnum stantem, de sub cujus pede fons vivus emanat. Geschichte des heiligen Clement.

Schweigend setzten sie ihren Weg durch die tageshell erleuchteten StraßenAmmianus Marcellinus erzählt uns, daß die Straßen Roms zur Zeit des Verfalls des Kaiserreichs tageshell erleuchtet waren. » Et haec confidenter agebat (Gallus), ubi pernoctantinum luminum claritudo dierum solet imitari fugerum« (L, 14. c. 1.) fort. Und als sie Lucinas Haus erreicht hatten und einander liebevoll gute Nacht gesagt, schien Pancratius einen Augenblick zu zögern. Dann sagte er:

»Sebastianus, du sagtest heute Abend etwas, das ich gern erklärt hören möchte.«

»Was war das?« »Als du mit Polycarp darüber strittest, welcher von euch beiden nach Campanien gehen, welcher hier in Rom bleiben solle, versprachst du, wenn du hier zurückbleiben solltest, sehr vorsichtig zu sein und dich keinen unnötigen Gefahren auszusetzen. Dann fügtest du hinzu, daß du ein Ziel, einen Zweck in der Seele trügest, welcher dich in der That von jedem Wagnis abhalten würde. Doch wenn dieser Zweck erreicht, sagtest du, würde es schwer sein, deinem heißen Wunsche, dein Leben für Christus hinzugeben, gleichwie er das seine für uns hingegeben, Einhalt zu thun.«

»Und weshalb, Pancratius, wünschest du so sehr, diesen meinen thörichten Gedanken kennen zu lernen?«

»Weil ich – ich gestehe es offen – wirklich neugierig bin zu erfahren, welche Sache so erhaben ist, daß sie in dir dem Streben nach dem, was du für das höchste Ziel eines Christen hältst, Zwang auferlegen kann.«

»Es thut mir leid, mein teurer Knabe, daß es nicht in meiner Macht liegt, dir das jetzt zu sagen. Wer eines Tages wirst du es bestimmt erfahren.«

»Versprichst du mir das?«

»Ja, fest und feierlich! Gute Nacht! Gott segne dich!«


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