Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Der heidnische Haushalt

Während das, was wir in den letzten drei Kapiteln beschrieben haben, in dem christlichen Hause vor sich ging, spielten sich Scenen ganz anderer Art in einem Hause ab, welches in dem Thal zwischen dem Quirinal und den esquilinischen Hügeln lag. Dieses gehörte dem Fabius, einem Manne, dessen Familie dadurch Reichtümer angesammelt hatte, daß sie die Steuern der asiatischen Provinzen verwaltete. Sein Haus war größer und prächtiger, als dasjenige, welches wir bereits besucht haben. Es enthielt ein drittes großes Peristylium oder einen Hof, welcher von sehr großen Gemächern umgeben war; und außer vielen Schätzen europäischer Kunst waren auch noch die seltensten und kostbaren Erzeugnisse des Orients darin angehäuft. Teppiche aus Persien bedeckten den Boden, Seidenstoffe aus China, buntfarbige Gewebe aus Babylon und golddurchwirkte Stickereien aus Indien und Phrygien schmückten die Möbel, während seltsame Arbeiten aus Elfenbein und Metall von ungeheuerlichen Formen und fabelhafter Abstammung, welche überall umherstanden und lagen, den Einwohnern der Inseln jenseit des Indischen Oceans zugeschrieben wurden.

Fabius selbst, der Besitzer all dieser Schätze und großer Ländereien, war der echte Typus eines leichtlebigen Römers, entschlossen das irdische Leben gründlich zu genießen. In der That träumte er auch von keinem anderen. Er glaubte an nichts, aber als eine selbstverständliche Sache verehrte er bei jeder passenden Gelegenheit die Gottheit, welche gerade an der Reihe war, und so galt er als ein Mann, der nicht schlechter war als seine Nachbarn. Mehr von ihm zu verlangen hatte kein Mensch ein Recht. Den größten Teil des Tages brachte er in irgend einem der großen öffentlichen Bäder zu, welche außer dem Zweck, den ihr Name andeutet, in ihren vielen Abteilungen auch noch als Klubs, Lesezimmer, Spielräume, Fechthöfe und Ballspielhäuser dienten. Dort nahm er sein Bad, plauderte, las und vertändelte seine Zeit, oder er schlenderte auch ein wenig auf dem Forum umher, um einen Redner sprechen oder die Verteidigung eines Advokaten zu hören, oder er ging in einen der öffentlichen Gärten, wohin sich die vornehme Welt von Rom zu begeben pflegte. Dann kehrte er nach Hause zurück, um ein opulentes Nachtmahl einzunehmen, welches nicht später stattfand als heutzutage unser Mittagessen; an diesem nahmen täglich Gäste teil, welche entweder schon früher eingeladen oder von ihm selbst während des Tages zwischen den vielen Schmarotzern aufgelesen waren, welche stets Umschau nach guter Verpflegung hielten.

Zu Hause war er ein guter und nachsichtiger Gebieter. Eine Unzahl von Sklaven besorgten seinen Haushalt in der prächtigsten Weise, und da Mühe und Verdruß dasjenige war, was er am meisten fürchtete, so ließ er die Dinge unter der Leitung seiner Freigelassenen ruhig ihren Lauf nehmen, so lange alles um ihn her wohlgeordnet, vornehm und angenehm war.

Indessen ist er es nicht hauptsächlich, den wir unserem Leser vorzustellen wünschen, sondern eine andere Bewohnerin seines Hauses, die Teilnehmerin an all seiner Pracht und seinem großartigen Luxus, die einzige Erbin seines ungeheuren Reichtums. Es ist seine Tochter, welche nach römischer Sitte den Namen ihres Vaters trägt, der jedoch in das weibliche FabiolaDie Betonung liegt auf dem i. umgewandelt ist. Wie wir es zuvor gethan, wollen wir den Leser sofort auch in ihr Gemach führen. Eine Marmortreppe führt in dasselbe vom zweiten Hof aus, an dessen Seiten entlang sich eine Reihe von Zimmern zieht, die alle auf eine Terrasse hinausführen, welche durch einen prächtigen Springbrunnen geschmückt und von einer Menge erotischer Pflanzen und Blumen bedeckt ist. In diesen Gemächern ist alles zusammengetragen, was einheimische und fremde Kunst prächtiges und seltenes aufweisen kann. Ein raffinierter Geschmack, welcher über große Mittel und jede Gelegenheit verfügen kann, hat augenscheinlich die Erwerbung und Anordnung all der Gegenstände überwacht. In diesem Augenblick naht die Stunde der Abendmahlzeit, und wir entdecken die Herrin dieser prächtigen Behausung, wie sie sich vorbereitet, um mit der nötigen Pracht an derselben zu erscheinen.

Sie liegt in einem achteckigen Zimmer auf einem mit Silber eingelegten Ruhebett von atheniensischer Arbeit; die Fenster dieses Gemaches reichten bis auf den Fußboden und hatten somit einen Ausgang auf die blütenreiche Terrasse. Der jungen Gestalt gegenüber an der Wand hängt ein Spiegel von poliertem Silber, groß genug, um ihr ganzes Bild zurückzuwerfen; neben demselben auf einem Tische aus Porphyrstein befindet sich eine Sammlung all jener unzähligen seltenen Schönheitsmittel und Parfüms, welche den römischen Damen so lieb geworden waren und für welche sie ungeheure Summen ausgaben.«Die tägliche Milch von fünfhundert Eselinnen wurde gebraucht, um der Poppea, der Gattin Neros, ein einziges Schönheitsmittel zu liefern. Auf einem zweiten von indischem Sandelholz ist eine reiche Schaustellung von Juwelen und Schmuckgegenständen in ihren köstlichen Behältern, zwischen welchen die Auswahl für den Gebrauch des Abends getroffen werden soll.

Es ist weder unsere Absicht noch unser Talent, Personen oder Gesichtszüge zu beschreiben; wir haben es mehr mit dem Charakter und der Seele zu thun. Wir wollen uns deshalb darauf beschränken zu sagen, daß Fabiola, welche jetzt zwanzig Jahre alt war, nicht für weniger schön galt als andere Damen ihres Ranges, Alters und Vermögens, und daß sie viele Freier hatte. Aber in Laune und Charakter war sie der vollkommene Gegensatz ihres Vaters. Stolz, hochmütig, herrschsüchtig und heftig, herrschte sie mit einer oder zwei Ausnahmen wie eine Kaiserin über ihre Umgebung, und verlangte demütige Huldigung von allen, welche sich ihr näherten. Ein einziges Kind, dessen Mutter gestorben war, indem sie ihr das Leben gab, war sie von ihrem gutmütigen, sorglosen Vater mit der größten Nachsicht gepflegt und erzogen worden; er hatte ihr die besten Lehrer gegeben, jedes Talent war auf das sorgsamste kultiviert worden, und man hatte ihr stets jeden, selbst den extravagantesten Wunsch erfüllt. Sie hatte niemals erfahren, was die Nichterfüllung eines Wunsches bedeutet.

Da sie so viel sich selbst überlassen gewesen, hatte sie viel gelesen und ganz besonders ernste Bücher. Auf diese Weise war sie eine vollkommene Philosophin des Raffinements geworden, das heißt des ungläubigen und intellektuellen Epicurismus, welcher schon seit langer Zeit in Rom Mode war. Vom Christentum wußte sie nur, daß es etwas sehr niedriges, materielles und gemeines sei. Sie verachtete es in der That so sehr, daß sie gar nicht daran dachte, weiter in dasselbe einzudringen. Und was das Heidentum mit seinen Göttern, seinen Lastern, seinen Fabeln und seinem Götzendienst anging, so verspottete sie es einfach, obgleich sie ihm äußerlich anhing. In der That, sie glaubte an nichts, als an das gegenwärtige Leben und dachte an nichts, als an den raffinierten Genuß desselben. Jedoch gerade ihr Stolz war der Schild ihrer Tugend; sie verabscheute die Schlechtigkeit der heidnischen Gesellschaft, wie sie die frivolen Jünglinge verachtete, welche ihr die von ihr eifersüchtig geforderten Aufmerksamkeiten erwiesen, weil sie sich an ihren Thorheiten ergötzte. Sie galt für selbstsüchtig und kalt, aber ihre Moral war fleckenlos.

Wenn es scheint, daß wir uns im Anfang in zu langen Beschreibungen ergingen, so hoffen wir, daß unser Leser sie für unumgänglich notwendig halten wird, um ihn in Kenntnis zu setzen von den socialen Zuständen Roms, wie sie zur Zeit unserer Erzählung waren. Diese Auseinandersetzungen werden nur dazu dienen, um ihm alles zu verdeutlichen. Und wenn er versucht sein sollte zu glauben, daß wir Dinge zu prächtig und verfeinert schildern für das Zeitalter des Verfalls der schönen Künste und des guten Geschmacks, so bitten wir ihn, sich daran zu erinnern, daß jenes Jahr, in welchem wir Rom unsern Besuch abstatten, nicht so entfernt war von der besseren Periode der römischen Kunst, z. B. von jener des Antonius, als unser Zeitalter es von dem des Cellini, Rafael oder Donatello ist. Und doch, in wie vielen italienischen Palästen werden noch Gemälde dieser großen Künstler aufbewahrt, hoch geschätzt, wenn sie auch längst keine Nachahmer mehr finden! Und so war es ohne Zweifel auch mit den Häusern, welche den alten reichen Familien Roms gehörten.

Wir finden also Fabiola auf ihrem Ruhebette lehnend, in ihrer linken Hand einen silbernen Spiegel mit einem Griffe und in der rechten ein Instrument, welches sich in einer so zarten Hand gar seltsam ausnimmt. Es ist ein scharf gespitztes Stilett, mit einem fein geschnitzten Elfenbeingriff und einem goldenen Ringe, um es daran aufzuhängen. Dies war die beliebte Waffe, mit welcher römische Damen ihre Sklavinnen zu bestrafen pflegten, oder ihren Zorn, wenn sie den geringsten Ärger empfanden oder sich von ihnen gereizt glaubten, an ihnen vergalten. Drei Sklavinnen sind jetzt um ihre Herrin beschäftigt. Sie gehören verschiedenen Rassen an und sind zu hohen Preisen gekauft worden, nicht nur um ihrer äußeren Erscheinung willen, sondern wegen irgend einer seltenen Fertigkeit, welche sie besitzen sollen. Eine ist eine Schwarze; nicht von jener verachteten Negerrasse, sondern von einem jener Stämme, wie die Abyssinier und Nubier, deren Gesichtszüge eben so regelmäßig sind wie die der asiatischen Völker. Sie soll große Kenntnisse der Kräuter und ihrer kosmetischen und heilenden Eigenschaften besitzen, vielleicht auch ihrer gefährlicheren Wirkungen – möglicherweise versteht sie etwas von Zaubertränken, giftigen Tropfen und – Hexerei. Man kennt sie nur unter ihrer nationalen Bezeichnung als Afra. Eine Griechin ist die nächste; sie wurde gekauft um ihrer Erfahrung willen, welche sie in Bezug auf Eleganz der Kleidung hatte und wegen ihrer schönen, reinen Sprache. Man nennt sie daher Graca. Der Name, welchen die dritte trägt, Syra, sagt uns, daß sie aus Asien kommt; sie zeichnet sich durch ihre prächtigen Stickereien und ihren unermüdlichen Fleiß aus. Sie ist ruhig, schweigsam, aber vollständig von den Pflichten in Anspruch genommen, welche ihr jetzt obliegen. Die andern beiden sind geschwätzig, leichtlebig und machen viel Worte bei allem, was sie thun. Jeden Augenblick sagen sie ihrer jungen Herrin die extravagantesten Schmeicheleien oder versuchen es, der Werbung des einen oder andern Bewerbers ihrer Hand das Wort zu reden, je nachdem sie zuletzt oder am höchsten bestochen worden sind.

»Wie glücklich würde ich mich schätzen, edelste Herrin,« sagte die schwarze Sklavin, »könnte ich nur im tricliniumtriclinium – Speisehalle. sein, wenn du heute Abend eintrittst, um den prächtigen Eindruck zu gewahren, welchen dieses neue AntimonAntimon – Spießglanz auf den Rand der Augenlider gestrichen. auf deine Gäste machen wird! Es hat mich manchen Versuch gekostet, bevor ich es so vollkommen herstellen konnte. Ich bin überzeugt, daß man in Rom nichts ähnliches gesehen hat.«

»Was mich anbetrifft,« unterbrach sie die fröhliche Griechin, »so würde es mir nicht einfallen, nur eine so hohe Ehre zu erwünschen. Ich wäre zufrieden, wenn ich durch die Thür blicken dürfte, um den Eindruck dieser wundervollen seidenen Tunika zu beobachten, welche zusammen mit der letzten Goldsendung aus Asien kam. Nichts kommt ihrer Schönheit gleich, Und ich darf auch wohl hinzufügen, daß die Art der Verwendung – das Resultat meines mühevollen Studiums – des Stoffes nicht unwert ist.«

»Und du, Syra,« fiel hier die Herrin mit verächtlichem Lächeln ein, »was würdest du wünschen? Und was hast du von deinem Machwerk zu rühmen?«

»Ich wünsche nichts, edle Herrin, als daß du immer glücklich sein mögest; von meinem eignen Machwerk habe ich nichts zu rühmen, denn ich bin mir nicht bewußt, mehr als meine Pflicht gethan zu haben,« lautete die bescheidene und aufrichtige Entgegnung.

Diese gefiel jedoch der hochmütigen Gebieterin nicht und sie sagte: »Mir scheint, Sklavin, daß es nicht allzu sehr deine Gewohnheit ist zu loben. Man hört nur selten ein zartes Wort von deinen Lippen.«

»Und welchen Wert würde es auch haben, wenn es von mir käme,« entgegnete Syra, »von einer armen Dienerin einer edlen Dame gegenüber, welche daran gewöhnt ist, den ganzen Tag hindurch zarte Worte von beredten und vornehmen Lippen zu hören? Glaubst du an sie, wenn du sie von ihnen hörst? Verachtest du sie nicht, o Herrin, wenn sie dir von uns kommen?«

Ihre beiden Gefährtinnen, warfen ihr zornige Blicke zu. Auch Fabiola war erzürnt über das, was sie für einen Tadel hielt. Eine erhabene Empfindung in einer Sklavin!

»Hast du denn noch immer nicht gelernt,« entgegnete sie hochmütig, »daß du mein Eigentum bist und daß ich dich zu hohem Preise erstanden habe, damit du mir nach meinem Gefallen dienst? Und ich habe ein ebenso gutes Anrecht auf den Dienst deiner Zunge als auf den deiner Arme; und wenn es mir gefallt, mich von dir loben und preisen und anbeten zu lassen, so sollst du es thun, ob du nun willst oder nicht. Eine neue Idee in der That, daß eine Sklavin einen anderen Willen kennt als den ihrer Gebieterin, wenn diese sogar über das Leben der Niedriggeborenen zu verfügen hat!«

»Es ist wahr,« erwiderte die Magd ruhig, aber mit Würde, »mein Leben gehört dir, Herrin, und ebenso gehört dir alles andere, das mit dem Leben endet – Zeit, Gesundheit, Kraft, Leib und Atem. Alles dies hast du mit deinem Golde erkauft und es ist dein Eigentum geworden. Aber mein eigen bleibt noch, was nicht der Reichtum eines Königs erkaufen kann – keine Sklavenketten fesseln können – was auch nicht die Grenze des Lebens beenden kann!« »Und was ist das?«

»Eine Seele!«

»Eine Seele!« wiederholte Fabiola erstaunt, denn sie hatte noch niemals gehört, daß eine Sklavin sich die Eigentümerin eines solchen Besitztums genannt hätte. »Und darf ich dich fragen, was du eigentlich mit dem Worte sagen willst?«

»Ich verstehe mich nicht auf philosophische Sentenzen,« antwortete die Dienerin, »aber ich meine jenes in mir lebende Bewußtsein, welches mich empfinden läßt, daß ich ein Dasein mit und zwischen besseren Dingen führen werde als jene sind, welche mich umgeben, welches bewußt vor der Zerstörung und instinktiv vor allem znrückschreckt, was damit verbunden ist, wie die Krankheit es mit dem Tode ist. Und deshalb verabscheut es jede Schmeichelei und es verabscheut die Lüge! So lange ich jene unsichtbare Gabe besitze, die nicht sterben kann, so lange ist es mir unmöglich zu lügen und zu schmeicheln.«

Von all diesem verstanden die andern beiden nur wenig. Sie standen in stummem Erstaunen da über die Dreistigkeit ihrer Gefährtin. Auch Fabiola war erschrocken, aber bald bäumte ihr Stolz sich wieder empor und sie sprach mit sichtbarer Ungeduld.

»Wo hast du all diese Thorheiten gelernt? Wer hat dich gelehrt, auf diese Weise zu schwatzen? Ich meinerseits habe seit vielen Jahren studiert und bin zu dem Schlusse gekommen, daß alle Ideen eines geistigen Weiterlebens nur Träume der Poeten oder Sophisten sind. Und als solche verachte ich sie. Und willst du, eine arme, unwissende, unerzogene Sklavin dies besser wissen als deine Gebieterin? Oder glaubst du wirklich, daß wenn nach dem Tode dein Körper auf den Haufen von Sklaven geworfen wird, welche sich ertränkt haben oder zu Tode gepeitscht sind, um mit dieser elenden Masse auf einen: Holzstoß verbrannt zu werden, und wenn diese Asche in eine Grube geworfen worden, du sie als ein selbstbewußtes Wesen überleben und ein anderes Leben voll Freude und Freiheit durchleben wirst?«

» Non omnis moriar,Nicht alles von mir wird sterben – non omnis moriar. – Horaz wie einer eurer Dichter sagt,« erwiderte die fremde Sklavin bescheiden aber mit einem inbrünstigen Blick, welcher ihre Herrin in Erstaunen setzte, »ja, ich hoffe, nein, ich will dies alles überleben. Und noch mehr; ich glaube, ich weiß, daß es eine Hand giebt, welche auch das kleinste verkohlte Überbleibsel meines Körpers aus jener Leichengrube, welche du so lebhaft beschrieben hast, hervorziehen wird. Und es giebt eine Macht, welche alle Himmelswinde zur Rechenschaft ziehen und sie zwingen jedes Atom meines Staubes, welchen sie zerstieben gemacht haben, zurück zu geben. Dann werde ich noch einmal wieder sein wie ich jetzt bin, nicht als deine oder irgend eines Menschen Sklavin, sondern frei und freudig und glückselig, liebend und geliebt für immer. Diese bestimmte Hoffnung trage ich in meiner Brust!«Hiob. Kap. 19, V. 27.

»Was für wilde Ausgeburten einer orientalischen Phantaste, die dich unfähig machen, deine Pflichten zu erfüllen? Davon mußt du geheilt werden. In welcher Schule hast du all diesen Unsinn gelernt? In griechischen oder lateinischen Büchern habe ich niemals davon gelesen.«

»In einer, welche meinem Heimatlande angehört; eine Schule, in welcher man keinen Unterschied zwischen Griechen und Barbaren, Freien oder Sklaven kennt oder erlaubt.«

»Was!« rief die stolze Dame in heftiger Erregung aus, »ohne einmal auf das künftige, ideale Dasein nach dem Tode zu warten! Schon jetzt nimmst du dir heraus, dich für meinesgleichen zu erachten? Nein, vielleicht sogar als etwas besseres als ich bin! Komm, sag mir doch ohne Umschweif und ohne Rückhalt und Verstellung, ob du das thust oder nicht? Und sie richtete sich auf in einer Stellung gespannter Erwartung. Mit jedem Worte der ruhigen Entgegnung wuchs ihre Erregung; und heftige Leidenschaften schienen in ihr zu kämpfen, als Syra sagte:

»O edle Herrin, weit überlegen bist du mir an Stellung und Macht und Gelehrsamkeit und Klugheit und an allem, was das Leben verschönert und bereichert; und an jeder Anmut der Form und der Züge, an jedem Reiz des Handelns und der Sprache; hoch erhaben stehst du über jedem neidischen Gedanken, jeder Rivalität. Wie könnte eine, die so niedrig ist wie ich, an dich heranreichen! Wenn ich aber die reine Wahrheit auf deine befehlende Frage sprechen soll« – hier versagte ihr die Sprache und sie hielt inne, bis eine herrische Bewegung ihrer Gebieterin sie wieder sprechen machte, »so überlasse ich es deinem eigenen Urteil, ob eine arme Sklavin, welche das unumstößliche Bewußtsein hegt, in sich ein geistiges Wesen zu tragen, dessen Daseinsmaß die Unsterblichkeit ist, deren einzige wahre Wohnung im Himmel ist, deren einziges gerechtes Vorbild die Gottheit ist – ob diese arme Sklavin sich an moralischer Würde, an Erhabenheit des Denkens für geringer halten kann als eine Dame, welche, wie begabt sie auch sein mag, kein köstlicheres Schicksal verlangt, kein höheres Ziel und Ende anerkennt als jenes, welche jene schön gefiederten, unvernünftigen Sänger anerkennen, welche ohne Hoffnung auf Freiheit, mit den Flügeln gegen die vergoldeten Stäbe ihres Käfigs schlagen.«

Fabiolas Augen funkelten vor Wut; zum erstenmal in ihrem Leben fühlte sie sich getadelt, gedemütigt – von einer Sklavin. Sie griff mit ihrer rechten Hand nach ihrem Stilett und machte einen fast blinden Stoß nach der unerschütterlichen Dienerin. Syra, um ihren Körper zu schützen, hielt instinktiv den Arm empor und empfing den Stich, welcher von dem Ruhebett nach aufwärts geführt, eine tiefere Verwundung verursachte, als sie jemals zuvor erlitten hatte. Der Schmerz der Wunde, aus welcher das Blut in Strömen floß, trieb ihr die Thränen in die Augen. Fabiola schämte sich augenblicklich ihrer grausamen, obgleich unbeabsichtigten That und fühlte sich vor ihren Dienerinnen noch mehr gedemütigt.

»Geh, geh,« sagte sie zu Syra, welche mit ihrem Tuche das hervorquellende Blut zu stillen suchte, »geh zu Euphrosyne und laß sie die Wunde verbinden. Ich hatte nicht die Absicht, dich so ernstlich zu verletzen. Aber wart einen Augenblick, ich muß dir eine Entschädigung geben.«

Nachdem sie zwischen den Schmuckgegenständen auf dem Tische umhergesucht hatte, fuhr sie fort:

»Nimm diesen Ring, und heute Abend werde ich dich nicht mehr brauchen.«

Hiermit war Fabiolas Gewissen vollständig beruhigt; für die Verletzung, welche sie der Dienerin zugefügt, hatte sie ihrer eigenen Ansicht nach vollständige Genugthuung geleistet, indem sie einer niederen Sklavin ein kostbares Geschenk machte.

Am folgenden Sonntage wurde in der Kirche oder dem Titel Sankt Pastor, nicht weit von ihrem Hause, unter den Almosen, welche für die Armen gesammelt wurden, ein kostbarer Smaragdring gefunden, von dem der fromme Priester Polycarp glaubte, daß er von einer sehr reichen, wohlthätigen Römerin gespendet sein müsse. Aber Er allein, der mit strahlendem Auge auf den Opferstock Jerusalems herabblickt und auch das Scherflein der Witwe bemerkt, sah, wie der verwundete Arm einer fremden Sklavin den Ring in die Opferlade fallen ließ.


 << zurück weiter >>