Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Siebzehntes Kapitel

Die erste Blume

Cäcilia, welche wie der Leser weiß, bereits gewarnt war, hatte sich aber durch einen anderen nahegelegenen Eingang in die Katakombe begeben. Kaum war sie hinuntergestiegen, als sie den scharfen Geruch der Fackeln verspürte.

»Dies ist nicht unser Weihrauch, das weiß ich,« sagte sie zu sich selbst, »der Feind ist bereits eingedrungen.«

Sie eilte daher an die Stelle der Versammlung und gab Sebastianus' Zettel ab; außerdem fügte sie einen Bericht über das, was sie selbst wahrgenommen hatte, hinzu. Der junge Soldat erteilte ihnen den Ratschlag auseinander zu gehen und den Schutz der inneren und niedrigeren Gänge aufzusuchen, und bat den Papst, sich nicht zu entfernen bis er ihn holen lassen würde, da es grade seine heilige Person sei, auf welche man es abgesehen hatte.

Pancratius bestürmte die blinde Botin, sich ebenfalls zu retten.

»Nein,« entgegnete sie, »mein Amt ist es, den Eingang zu hüten und die Gläubigen sicher zu geleiten.«

»Aber der Feind kann dich ergreifen.«

»Das schadet nichts,« sagte sie lachend, »wenn sie mich nehmen, so mag das tausend Würdigeren das Leben retten. Gieb mir eine Lampe, Pancratius.«

»Wozu? Sie kann dich doch nicht sehend machen,« bemerkte er lächelnd.

»Das ist wahr. Aber andere können sehen.«

»Und wenn es deine Feinde sind?«

»Selbst die,« antwortete sie, »ich will nicht im Dunkeln ergriffen werden. Wenn mein Bräutigam sich mir im Dunkel dieses Cömeteriums naht, so muß er meine Lampe mit Öl gefüllt finden.«

Sie eilte davon, erreichte ihren Posten, und da sie kein anderes Geräusch als das leiser Fußtritte vernahm, so glaubte sie, daß es die ihrer Freunde seien und hielt ihre Lampe empor, um sie zu führen.

Als die Bande mit ihrer einzigen Gefangenen ans Tageslicht kam, war Fulvius wütend. Es war schlimmer als ein vollständiger Mißerfolg – es war lächerlich – eine arme kleine Maus, welche der kreisende Berg geboren. Er verspottete Corvinus, bis dieser Unhold vor Wut schäumte und sich krümmte; dann fragte er plötzlich: »Und wo ist Torquatus?«

Er hörte die Erzählung seines plötzlichen Verschwindens, welche in ebensoviel verschiedenen Arten vorgetragen wurde wie das Abenteuer der dacischen Schildwache; aber er war außerordentlich erzürnt. Er zweifelte in seinem Inneren nicht einen Augenblick daran, daß er von seinem vermeintlichen Opfer getäuscht worden, und daß Torquatus sich in das unentwirrbare Labyrinth des Cömeteriums geflüchtet habe. Und wenn dies der Fall, so mußte diese Gefangene darum wissen; er beschloß daher, sie zu verhören. Er stellte sich zu diesem Zweck vor sie, nahm seinen durchdringendsten und prüfendsten Blick an und sagte barsch und befehlend:

»Blicke mich an, Weib, und sprich die Wahrheit.«

»Ich muß dir die Wahrheit sagen, ohne dich anzublicken, Herr,« antwortete das arme Mädchen mit ihrem fröhlichsten Lächeln und ihrer sanftesten Stimme, »siehst du denn nicht, daß ich blind bin?«

»Blind!« riefen alle zugleich aus und drängten sich um sie, um sie anzusehen. Über die Züge des Fulvius aber flog ein leiser Zug von Rührung, so leise, so unmerkbar wie das Wogen, welches eine spielende Brise auf blühenden Matten hervorruft. Eine Erkenntnis war ihm in den Sinn gekommen, ein Schlüssel war in seine Hände gefallen.

»Es würde lächerlich sein, wenn zwanzig Soldaten mit einem blinden Mädchen durch die Stadt marschieren wollten,« sagte er. »Geht in eure Quartiere zurück, und ich werde dafür sorgen, daß ihr alle gut belohnt werdet. Du, Corvinus, nimmst mein Pferd, trittst vor deinen Vater und berichtest ihm alles. Ich werde mit der Gefangenen in einem Wagen nachfolgen.«

»Keinen Verrat, Fulvius,« sagte er ärgerlich und verbissen. »Daß du sie bringst! Der Tag darf nicht ohne ein Opfer zu Ende gehen.«

»Fürchte nichts,« lautete die Antwort.

Fulvius dachte in der That darüber nach, ob er nicht versuchen solle, für den verlorenen Spion einen zweiten wieder zu gewinnen. Aber die gelassene Sanftmut der armen Bettlerin beunruhigte ihn mehr als der lärmende Eifer des Spielers, und ihre lichtlosen Augen forderten ihn mehr heraus, als das wilde Rollen derjenigen des Trunkenboldes. Doch konnte er immer noch den ersten Gedanken, welcher ihm gekommen war, verfolgen. Als er allein mit ihr im Wagen war, nahm er einen sanfteren Ton an. Er wußte, daß sie das letzte Gespräch nicht gehört haben konnte.

»Mein armes Kind,« sagte er, »seit wann bist du denn blind?«

»Seitdem ich lebe,« erwiderte sie.

»Erzähle mir deine Lebensgeschichte! Woher kommst du?«

»Ich habe keine Geschichte. Meine Eltern waren arm und brachten mich nach Rom, als ich vier Jahre alt war; sie kamen damals hierher um zu beten, denn sie hatten ein Gelübde zu erfüllen, das sie den seligen Märtyrern Chrysanthus und Caria gethan, als ich in meiner frühesten Kindheit einmal sehr krank gewesen. Vor dem Titel der Fasciola übergaben sie mich der Obhut einer frommen, lahmen Frau, während sie hineingingen, um ihre Andacht zu verrichten. Es war an jenem denkwürdigen Tage, als viele Christen durch einen Regen von Steinen und Erde, der auf sie hernieder fiel, lebendig begraben wurden. Meine Eltern hatten das Glück, unter diesen zu sein.«

»Und wie hast du seither gelebt?«

»Gott wurde dann mein Vater und seine heilige katholische Kirche meine Mutter. Der eine nährt die Vögel in der Luft; die andere pflegt die kranken Lämmer der Herde. Mir hat es seitdem niemals an irgend etwas gefehlt.«

»Du gehst aber frei und ohne Furcht in den Straßen umher, grade so gut, als ob du sehen könntest.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe dich gesehen. Erinnerst du dich nicht, daß du an einem frühen Morgen des vorigen Herbstes einen armen lahmen Mann durch den Vicus Patricius führtest?« Sie errötete und blieb stumm. Sollte er vielleicht auch gesehen haben, daß sie ihren Anteil der empfangenen Almosen in den Sack des armen alten Mannes geschoben hatte?

»Du hast bekannt, daß du eine Christin bist?« fragte er in nachlässigem Ton.

»Gewiß! Wie hätte ich es leugnen können?«

»Jene Zusammenkunft war also eine Zusammenkunft von Christen?«

»Allerdings! was hätte es sonst sein sollen?«

Mehr brauchte er nicht zu wissen. Sein Argwohn war bestätigt. Agnes, von welcher Torquatus ihm nichts hatte sagen wollen oder können, war also eine Christin. Daran war kein Zweifel mehr. Sein Spiel war gewonnen. Sie mußte nachgeben oder er würde sich rächen.

Nachdem er sie eine Weile schweigend angesehen hatte, sagte er: »Weißt du, wohin ich dich jetzt bringe?«

»Vor den Richter dieser Welt, wie ich vermute, der mich zu meinem Bräutigam im Himmel senden wird.«

»Und du bist so ruhig?« fragte er erstaunt; denn auf ihrem Gesichte spiegelte sich außer einem sanften Lächeln kein anderer Vorgang ihrer Seele ab.

»Ich bin glücklich!« lautete die kurze Antwort.

Als er alles erfahren hatte, was er wünschte, übergab er seine Gefangene an den Thoren der Basilika Aemilia dem Corvinus und überließ sie ihrem Schicksal. Wie der vorhergehende Abend war auch dieser Tag kalt und regnerisch gewesen. Das Wetter und der Vorfall der letzten Nacht hatten keinen Enthusiasmus aufkommen lassen; und während der Präfekt gezwungen gewesen, innerhalb des Hauses zu Gericht zu sitzen, wo keine großen Menschenhaufen sich ansammeln konnten, hatten die meisten der Neugierigen sich zerstreut, da Stunde auf Stunde verrann, ohne daß eine Gefangennahme oder ein Verhör vor sich gegangen oder auch nur irgend eine Nachricht eingetroffen wäre. Nur noch einige Wenige verweilten über die gewöhnliche Stunde der Erholung hinaus in den öffentlichen Gärten. Jedoch kurz vor dem Eintreffen der Gefangenen war wiederum eine Schar von Zuschauern herbeigekommen, und diese standen nun in der Nähe einer Seitenthür, von wo aus sie jeden Vorgang beobachten konnten.

Da Corvinus seinen Vater auf das vorbereitet, was er zu erwarten hatte, ersuchte Tertullus die Zuhörer sich vollkommen ruhig zu verhalten, damit er seine Überredungskunst allein mit ihr, wie sie glauben würde, an ihr versuchen könne. Er war von Mitleid bewegt und glaubte, daß es wenig Schwierigkeiten bieten könne, den Widerstand einer armen, unwissenden, blinden Bettlerin zu besiegen. Daher drohte er jedem, der sich erdreisten würde, die Stille zu brechen, die schwerste Strafe an.

Es kam wie er berechnet hatte. Cäcilia ahnte nicht, daß noch irgend jemand gegenwärtig sei, als der Präfekt sie freundlich anredete:

»Wie heißt du, mein Kind?«

»Cäcilia.«

»Das ist ein edler Name, hat deine Familie ihn dir gegeben?«

»Nein, ich bin nicht von edler Abkunft; wenn Ihr es anders nicht so nennen wolltet, weil meine Eltern, obgleich arm, für Christus gestorben sind. Da ich blind bin, nannte mich die, welche mich in Pflege nahm Coeca,Blinde. und dann machten sie später aus lauter Güte Cäcilia daraus.«

»Jetzt gieb aber all die Thorheit mit den Christen auf, die dich in deiner Blindheit und Armut belassen haben. Ehre die Befehle der göttlichen Kaiser und opfere den Göttern; dann wirst du Reichtümer und schöne Kleider und köstliche Leckerbissen haben. Die größten Ärzte sollen versuchen, dir dein Augenlicht wiederzugeben.«

»Du müßtest mir bessere Beweggründe als diese nennen, Herr; denn grade die Dinge, für welche ich Gott und seinem göttlichen Sohne am meisten danke, sind jene, welche du mich aufgeben heißest.«

»Wie meinst du das?«

»Ich danke Gott, daß ich arm und schlecht gekleidet bin und nichts habe als einfache Speisen; denn all diese Dinge machen mich Jesum Christum, meinem einzigen Bräutigam, um so ähnlicher.«

»Thörichtes Mädchen!« unterbrach sie der Richter, welcher nahe daran war, die Geduld zu verlieren, »hast du auch schon all diese albernen Täuschungen gelernt? Wenigstens kannst du deinem Gott nicht dafür danken, daß er dich blind gemacht hat!«

»Täglich und stündlich danke ich ihm dafür mehr als für alles andere.«

»Wie das? Hältst du es für einen Segen, niemals das Antlitz eines menschlichen Wesens, niemals die Sonne oder die Erde gesehen zu haben? Was für seltsame Einbildungen das sind!«

»O edler Herr! Es sind keine Einbildungen. Denn inmitten dessen, was du Dunkelheit nennst, sehe ich eine Stelle, die ich Licht nennen muß, weil sie so seltsam von allem absticht, was rund umher ist. Und dieser helle Fleck ist für mich das, was du Sonne nennst. Er sieht stets mit der hellsten Klarheit auf mich herab und lächelt mich an. Ich weiß, daß dies das Antlitz Dessen ist, dem ich mit ungeteiltem Herzen angehöre. Um keinen Preis der Welt möchte ich mir diesen Strahlenglanz durch eine hellere Sonne verdunkeln, noch seine wundersame Lieblichkeit durch die Verschiedenheit anderer Gesichter verwischen lassen. Ich wollte nicht, daß mein Blick durch irdische Bilder von Seiner Betrachtung abgelenkt würde. Ich liebe Ihn zu sehr, um nicht stets zu wünschen, daß ich immer nur Ihn allein sehen könnte!«

»Komm, komm! Ich mag nichts mehr von diesem albernen Geschwätz hören. Gehorche den Kaisern sofort – oder ich muß versuchen, was eine leichte Folter bei dir thut. Der Schmerz wird dich bald zahm machen.«

»Schmerz?« wiederholte sie unschuldig. »Ja, Schmerz. Hast du den noch niemals gespürt? Hat dir noch nie im Leben jemand wehe gethan?«

»O nein, die Christen thun einander nicht weh.«

Das Folterbett stand wie gewöhnlich vor ihm und er gab Catulus ein Zeichen, sie auf dasselbe zu legen. Der Folterknecht packte sie an den Armen und stieß sie darauf zurück. Da sie keinen Widerstand leistete, gelang es ohne Mühe, sie auf das hölzerne Bett zu legen. Die Schlingen der stets bereiten Stricke waren bald um ihre Knöchel gelegt und die Arme wurden über den Kopf hinaufgezogen. Das arme blinde Mädchen sah nicht, wer dies alles verrichtete; sie wußte nichts anderes, als daß es dieselbe Persönlichkeit sei, die zu ihr gesprochen hatte. Wenn bis hierher Ruhe geherrscht hatte, so hielten die Zuschauer jetzt beinahe den Atem an. Cäcilia bewegte die Lippen in ernstem Gebet.

»Noch einmal, ehe wir fortfahren, befehle ich dir, den Göttern zu opfern und so der grausamen Folter zu entrinnen,« sagte der Richter mit strengerer Stimme.

»Weder Qualm noch Tod werden mir die Liebe zu Jesum Christum aus dem Herzen reißen,« erwiderte das arme auf die Folterbank gespannte Opfer mit festem Ton. »Ich kann nicht anders als dem Einen lebendigen Gotte opfern: und die willige Opfergabe bin ich selbst.«

Der Präfekt machte dem Folterknechte ein Zeichen, und dieser setzte die beiden Räder der Folterbank um deren Kurbeln die Stricke geschlungen waren, in eine schnelle, wirbelnde Bewegung, die Glieder der Jungfrau wurden durch einen plötzlichen Ruck gestreckt, und dies genügte, einen marternden oder vielmehr einen folternden Schmerz durch ihren ganzen Körper zu jagen. Noch waren jedoch die Glieder nicht aus ihren Gelenken gerissen; dies zu bewerkstelligen blieb dem nächsten Drehen des Rades vorbehalten. Ein Zittern all ihrer Züge und eine plötzliche Blässe legten allein Zeugnis ab von dem Schmerz, welchen die arme Blinde empfand. Und dieser war um so fürchterlicher, weil sie die Ursache desselben nicht einmal sehen konnte.

»Ha! ha!« rief der Richter aus, »fühlst du das? Komm, laß es genug sein; gehorche und du wirst frei sein.«

Sie schien seine Worte nicht zu beachten, sondern machte ihren Gefühlen im Gebete Luft:

»Ich danke Dir, o mein Herr Jesus Christus, daß Du mich zum erstenmal um Deinetwegen Schmerzen erdulden läßt. Ich habe Dich im Frieden geliebt; ich habe Dich im Glücke geliebt; ich habe Dich in der Freude geliebt – und jetzt im Schmerze liebe ich Dich noch unermeßlich viel mehr. Wieviel süßer ist es, wie Du am Kreuze zu leiden, als selbst auf dem harten Pfühl am Tische des armen Mannes zu liegen!«

»Du spottest meiner!« schrie der Richter wutentbrannt, »und du verhöhnst meine Nachsicht. Wir werden etwas schärferes versuchen. Hier Catulus, lege eine brennende Fackel an ihre Seiten.«Die Folterbank diente einem doppelten Zweck; erstens als direkte Folter und zweitens, um den Körper während der Anwendung anderweitiger Tortur ausgestreckt zu erhalten. Das Feuer war eine der gebräuchlichsten.

Ein Schauer von Widerwillen und Schrecken bemächtigte sich der Versammlung, welche nicht umhin konnte, Mitgefühl für das arme Geschöpf zu empfinden. Ein Murmeln unterdrückter Empörung ertönte aus allen Teilen der Halle.

Zum erstenmal merkte Cäcilia, daß sie sich inmitten einer Menschenmenge befand. Ein keusches Erröten bedeckte ihre Stirn, ihre Wangen und ihren Nacken, welche soeben noch weiß wie Marmor gewesen. Der zürnende Richter bot dem sich bei der Menge bahnbrechenden Gefühl Einhalt, und alle horchten wieder in tiefem Schweigen, als sie von neuem mit heiligerem Ernst als zuvor begann:

»O mein teurer Herr und Bräutigam! Ich bin Dir immer treu und ergeben gewesen! Laß mich Qual und Folterpein für Dich erdulden, aber erspare mir peinliches Erröten vor menschlichen Blicken. Nimm mich schnell hinauf zu Dir, und laß mich nicht vor Scham das Gesicht mit den Händen bedecken, wenn ich vor Dir erscheine.«

Wiederum vernahm man ein Murmeln des Mitleids.

»Catulus!« brüllte der getäuschte Richter in Wut; »thu deine Pflicht, Bursche! Warum zögerst du so lange? Brauchst du einen ganzen Tag, um deine Fackel anzuzünden?«

Der Folterknecht trat vor und streckte seine Hand nach ihrem Gewande aus, um es zur Seite zu ziehen. Aber er wandte sich ab und sagte in weicherem Ton zum Präfekten:

»Es ist zu spät! Sie ist tot!«

»Tot!« schrie Tertulus. »Tot! Und du hast das Rad doch nur einmal umgedreht! Das ist unmöglich!«

Catulus drehte das Rad zurück – aber der Körper blieb bewegungslos. Es war wahr! Sie war von der Folterbank empor zum Himmelsthron gestiegen. Sie sah nicht mehr das zürnende Gesicht des Richters, sondern sie lag im Arm des himmlischen Bräutigams. War ihre reine Seele wie süßer Weihrauch im Gebet hinübergegangen? Oder war das Blut nach der Intensivität ihres ersten jungfräulichen Errötens nicht mehr zum Herzen zurückgeflossen?Im »Leben der Märtyrer« finden wir viele Beispiele, wo ihr Tod die Frucht des Gebets gewesen, wie bei der heiligen Praxedes, der heiligen Cäcilia, der heiligen Agatha u. s. w.

In der Stille, welche der Schrecken und die Verwunderung hervorgerufen hatten, rief plötzlich eine kühne, junge Stimme aus einer Gruppe, heraus, welche sich nahe an der Thür gebildet hatte:

»Gottloser Tyrann, siehst du nicht, daß eine arme, blinde Christin mehr Macht über Leben und Tod besitzt als du oder deine grausamen Gebieter?«

»Wie! Zum drittenmal innerhalb vierundzwanzig Stunden wagst du es, meinen Pfad zu kreuzen? Dieses Mal sollst du mir nicht entwischen!«

Dies waren die Worte des Corvinus, denen er noch einen fürchterlichen Fluch hinzufügte, als er von der Seite seines Vaters fortstürzte und um die Einfriedung vor dem Richterstuhle herum auf die Gruppe zulief. Da er jedoch blindlings vorwärts rannte, stieß er gegen einen Offizier von herkulischem Bau, welcher sich ohne Zweifel ganz zufällig von der Gruppe loslöste. Er taumelte und der Soldat erfaßte ihn indem er sagte:

»Ich hoffe, du bist nicht verletzt, Corvinus?«

»Nein, nein, Quadratus, laß mich nur gehen!«

»Wohin läufst du denn in solcher Eile? Kann ich dir behilflich sein?« fragte der Soldat ihn noch immer festhaltend.

»Laß mich los, sage ich, oder er wird entkommen.«

»Wer wird entkommen?«

»Pancratius,« schrie Corvinus, »der soeben meinen Vater beleidigt hat.«

»Pancratius!« sagte Quadratus und blickte verwundert umher; als er sich überzeugt hatte, daß der Jüngling glücklich fort war, fügte er langsam hinzu: »ich sehe ihn nicht.«

Dann ließ er Corvinus los, aber es war zu spät. Der edle Knabe war in Sicherheit bei Diogenes in der Suburra.

Während sich dieser Vorfall abspielte, befahl der gedemütigte Präfekt dem Catulus, er solle dafür sorgen, daß der Körper in die Tiber geworfen werde.

Ein anderer in seinen Mantel gehüllter Offizier trat auf die Seite und machte dem Catulus ein Zeichen, welches dieser verstand und seine Hand ausstreckte, um die ihm dargebotene Börse in Empfang zu nehmen.

»Draußen vor der Porta Capena in der Villa der Lucina, eine Stunde nach Sonnenuntergang,« sagte Sebastianus.

»Ich werde sie sicher dorthin bringen,« sagte der Folterknecht.

»Woran glaubst du, daß das arme Mädchen starb?« fragte einer der Zuschauer seinen Begleiter, als sie sich entfernten.

»Vor Schrecken, meine ich,« erwiderte er.

»Vor christlicher Keuschheit,« sagte ein Fremder, der schnell an ihnen vorüberging.


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