Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Zwölftes Kapitel

Der Wolf und der Fuchs

Die Winke der afrikanischen Sklavin waren an dem niedrigen Sinne des Corvinus nicht verloren gegangen. Ihr eigener Haß gegen das Christentum entsprang dem Umstande, daß eine frühere Gebieterin von ihr Christin geworden war und ihre sämtlichen Sklaven frei gelassen hatte; da sie es aber für unrecht gehalten hatte, einen so gefährlichen Charakter wie Afra oder Jubala, wie ihr eigentlicher Name lautete, frei in der Welt umhergehen zu lassen, so hatte sie diese einer anderen Besitzerin übergeben.

Corvinus hatte den Fulvius oft in den Bädern und an anderen allgemein besuchten Orten gesehen und ihn um seiner Erscheinung, seiner Kleidung, seiner Unterhaltungsgabe willen bewundert und beneidet. Aber bei seiner trotzköpfigen Blödigkeit und seinem mürrischen Wesen würde er niemals den Mut gefunden haben, ihn anzureden, wenn er nicht entdeckt hätte, daß jener wohl ein raffinierterer, abgefeimterer, deshalb aber ein nicht weniger schlauer Schurke als er selbst sei. Fulvius' Witz und Klugheit mochten den Mangel dieser Eigenschaften in seinem albernen, einfältigen Selbst ergänzen, während seine eigene brutale Kraft und gefühllose Unbekümmertheit und Rücksichtslosigkeit wertvolle Hilfstruppen für jene höheren Gaben sein mochten. Durch die zufällige Entdeckung, welche er über den wahren Charakter des jungen Fremden gemacht, hatte er diesen vollständig in seiner Hand. Er beschloß daher, ein wenig Selbstüberwindung zu üben und mit einem Menschen in Verbindung zu treten, der sich sonst vielleicht als ein gefährlicher Nebenbuhler erweisen könnte.

Es war ungefähr zehn Tage nach der zuletzt beschriebenen Versammlung, als Corvinus in den Gärten des Pompejus umherschlenderte. Diese bedeckten das Terrain, welches sein Theater umgab, in der Nähe der jetzigen Piazza Farnese. Unter der Regierung des Carinus hatte eine Feuersbrunst vor kurzem diesen Ort verwüstet, und Diocletian hatte das Gebäude mit großer Pracht wieder hergestellt. Die Gärten unterschieden sich von anderen durch lange Reihen von Platanen, welche einen köstlichen Schatten gewährten. Marmorbilder von wilden Tieren, Brunnen und künstliche Bäche waren hier ein reichlich ausgestreuter Schmuck. Während er umher ging, gewahrte Corvinus den Fulvius und schnell näherte er sich ihm.

»Was willst du von mir?« fragte der Fremde, indem er einen Blick des Erstaunens und der Geringschätzung auf die vernachlässigte Kleidung des Corvinus warf.

»Ich wünsche ein Gespräch mit dir, welches sowohl zu deinem wie zu meinem Vorteil sein kann.«

»Was könntest du mir zu sagen haben, das die erste deiner Versprechungen wahr machte? An der zweiten hege auch ich keinen Zweifel!«

»Fulvius, ich bin ein ehrlicher gerader Mensch und kann mich einer Klugheit und Eleganz wie der deinen nicht rühmen; aber wir sind beide von einem Handwerk, und müssen folglich auch eines Sinnes sein.«

Fulvius schrak zusammen und tiefe Röte überzog sein Angesicht; dann sagte er mit verächtlicher Miene: »Bursche, was willst du mir damit sagen?«

»Wenn du deine Fäuste ballst,« entgegnete Corvinus, »um mir die prächtigen, kostbaren Ringe an deinen schlanken Fingern zu zeigen, so ist das sehr schön. Wenn du aber die Absicht hast, mich damit zu bedrohen, so kannst du deine Hand ebensogut wieder in die Falten deiner Toga zurückschieben. Das sieht noch viel anmutiger aus.«

»Mach die Sache kurz, Mensch! ich frage dich noch einmal, was soll dies alles bedeuten?«

»Dies bedeutet, Fulvius,« und er flüsterte ihm ins Ohr, »daß du ein Spion und Angeber bist.«

Fulvius taumelte zurück; dann nahm er sich zusammen und sagte in einem Ton, der ruhig-hochmütig klingen sollte: »Welches Recht hast du, eine so abscheuliche Anklage wider mich zu erheben?«

»Du entdecktest (mit einem starken Nachdruck auf diesem Worte) eine Verschwörung im Osten, und Diocletian – – «

Fulvius unterbrach ihn und fragte: »Wie ist dein Name und wer bist du?«

»Ich bin Corvinus, Sohn des Tertullus, welcher Präfekt dieser Stadt ist.«

Dies schien alles zu erklären, und Fulvius sagte in leisem Ton: »Nichts mehr davon hier. Ich sehe dort einige Freunde, welche auf mich zukommen. Erwarte mich morgen bei Tagesanbruch in irgend einer Verkleidung in der Straße der PatrizierVicus Patricius unter dem Portikus der Bäder des Novatus. Dort können wir ungestört und ausführlich miteinander reden.«

Corvinus kehrte nach Hause zurück, durchaus zufrieden mit seinen ersten Schritten auf der Bahn der Diplomatie. Von einem der Sklaven seines Vaters verschaffte er sich ein Gewand, welches noch dürftiger war als sein eigenes, und fand sich dann in der ersten Stunde des neuen Morgens an dem verabredeten Orte ein. Er mußte sehr lange warten und hatte fast schon die Geduld verloren, als er seinen neuen Freund endlich kommen sah.

Fulvius hatte sich fest in einen langen, weiten Mantel gewickelt und die Kappe über das Gesicht gezogen. Er begrüßte den Corvinus mit folgenden Worten:

»Guten Morgen Kamerad; ich fürchte, ich habe dich in der kalten Morgenluft lange warten lassen, und du bist noch obendrein so dünn gekleidet.«

»Ich gebe zu,« antwortete Corvinus, »daß ich mich gelangweilt haben würde, wenn das, was ich hier beobachtet habe, mich nicht außerordentlich unterhalten und mir zu gleicher Zeit zu denken gegeben hätte.«

»Was war das?«

»Nun, schon seit früher Stunde, ich vermute bereits längst bevor ich hier eintraf, sind hier von allen Seiten die seltsamsten Exemplare menschlichen Elends, die ich je gesehen, eingetroffen. Durch die Hinterthür in jener engen Gasse sind sie in das Haus getreten. Blinde, Lahme, Verstümmelte, Bucklige, vom Alter Gebeugte, Elende in jeglicher Gestalt! Durch den Haupteingang gingen jedoch Leute, welche augenscheinlich einer viel höheren Klasse angehörten.«

»Und weißt du, wem dieses Hans gehört? Es sieht aus wie ein großes altes Gebäude, das seinem Verfall entgegensieht!«

»Es gehört einem sehr reichen, und wie man sagt, auch sehr geizigen, alten Patrizier. Aber sieh nur, dort kommen noch einige!«

In diesem Augenblick näherte sich ein schwächlicher Mann, vom Alter gebeugt; ihn stützte ein junges, fröhliches Mädchen, das freundlich mit ihm plauderte, während es ihn leitete.

»Wir sind gleich am Ziel,« sagte sie zu ihm, »noch ein paar Schritte, und Ihr sollt Euch niedersetzen und ausruhen.«

»Ich danke dir, mein gutes Kind,« antwortete der arme, alte Mann, »wie gütig war es von dir, mich schon zu so früher Stunde abzuholen«!«

»Ich wußte,« sagte sie, »daß Ihr der Hilfe bedürfen würdet; und da ich das allerüberflüssigste, unnützeste Geschöpf bin, so dachte ich, ich wolle nur gehen, um Euch zu holen. Außer Euch braucht mich ja niemand.«

»Ich habe mir stets sagen lassen, daß blinde Leute selbstsüchtig sind, und das scheint auch eigentlich ganz natürlich; aber du, Cäcilia, bist wahrlich eine Ausnahme.«

»Durchaus nicht; dies ist nur meine Art, Selbstsucht an den Tag zu legen.«

»Was willst du damit sagen?«

»Nun, erstlich habe ich dadurch den Vorteil, daß ich mich Eurer Augen bediene, und dann habe ich die Freude, Euch stützen und leiten zu dürfen. ›Ich war ein Auge für den Blinden‹, das seid Ihr, und ›ein Fuß für den Lahmen‹, daß bin ich selbst.«Job. Kap. 29, V. 15.

Bei diesen Worten hatten sie die Thür erreicht.

»Jenes Mädchen ist blind,« sagte Fulvius zu Corvinus. »Siehst du nicht, wie gerade sie geht, ohne nach links oder rechts zu blicken?«

»Ja, sie ist blind,« entgegnete der andere. »Sollte dies der Ort sein, von welchem ich so oft reden gehört habe, wo die Bettler zusammen kommen, die Blinden sehen, die Lahmen gehen und alle miteinander schmausen? Und doch habe ich die Bemerkung gemacht, daß all diese Leute so verschieden sind von den Bettlern auf der aricianischen Brücke.Der Ort in der Nähe Roms, welcher ferner lästigen und winselnden Bettler wegen am meisten berüchtigt. Sie sehen ehrwürdig und teilweise sogar fröhlich ans, und nicht ein einziger hat mich im Vorübergehen um ein Almosen gebeten.«

»Das ist sehr seltsam, und ich gäbe viel darum, wenn ich hinter das Geheimnis kommen könnte. Am Ende könnte man noch irgendwelchen Nutzen daraus ziehen. Du sagst, daß der alte Patrizier sehr reich ist?«

»Unermeßlich reich!«

»Hm! – Wie könnte man denn hineingelangen?«

»Ich hab's! Ich werde meine Schuhe ablegen, ein Bein wie bei einem Krüppel hinaufschnallen, mich der nächsten Gruppe von seltsamen Gestalten, die des Weges kommen, anschließen und kühn mit hineingehen. Einmal drinnen, werde ich mich gerade so gebärden wie sie es thun.«

»Das würde dir kaum gelingen. Verlaß dich darauf, jeder einzelne von den Leuten, die hineingehen, ist in jenem Hause genau bekannt.«

»O nein, das ist gewiß nicht der Fall, denn einige von den Hineingehenden fragten mich, ob dies das Haus der edlen Dame Agnes sei.«

»Wessen Haus?« fragte Fulvius erschrocken.

»Weshalb siehst du mich so erschrocken an?« fragte Corvinus. »Es ist das Haus ihrer Eltern. Aber sie ist besser bekannt als jene, da sie eine junge Erbin und fast ebenso reich wie ihre Base Fabiola ist.«

Fulvius hielt einen Augenblick inne bevor er sprach; ein starker Argwohn, welcher zu wichtig und zu schlau war, als daß er ihn seinem rohen Gefährten hätte mitteilen können, stieg in ihm auf. Endlich sprach er zu Corvinus:

»Wenn du ganz sicher bist, daß diese Leute alle in diesem Hause nicht bekannt sind, so versuch's doch mit deinem Plan. Ich habe die Dame bereits kennen gelernt und will mich durch die große Eingangsthür hinein wagen. So haben wir vielleicht zwei Gelegenheiten ins Haus zu gelangen.«

»Weißt du Fulvius, was ich jetzt denke?«

»Ohne Zweifel etwas außerordentlich Kluges.«

»Ich dachte, daß wir stets zwei Aussichten haben werden, wenn wir beide uns in einem Unternehmen zu einander gesellen.«

»Und diese beiden Aussichten wären?«

»Die des Fuchses und des Wolfes, wenn sie sich miteinander verbünden, um in eine friedliche Herde einzufallen.

Fulvius warf ihm einen Blick voll Verachtung zu, welchen Corvinus durch ein scheußliches Grinsen erwiderte. Dann trennten sie sich und begaben sich auf ihre verschiedenen Posten.


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