Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Neunzehntes Kapitel

Gefallen

Torquatus, welcher jetzt vornehm gekleidet war, begab sich sofort nach dem Hause des Fabius, übergab den Brief, beantwortete alle Fragen, und nahm, ohne daß es einer sehr dringenden Aufforderung bedurft hätte, eine Einladung für die Abendmahlzeit an. Dann ging er, um eine anständige Wohnung zu suchen, deren Preis dem jetzigen Zustande seines Geldbeutels entsprach. Eine solche war auch bald gefunden.

Wie wir bereits erwähnt haben, begleitete Fabius seine Tochter niemals auf das Land und besuchte sie dort auch nur selten. Das Faktum war, daß er keine Vorliebe für grüne Felder und rieselnde Bäche hatte; sein Geschmack neigte sich mehr dem Geschwätz und der leichtfertigen Gesellschaft von Nom zu. Während des ganzen Jahres legte die Gegenwart seiner Tochter seinem Freiheitsgefühl den größten Zwang auf; doch sobald sie mit ihrem ganzen Haushalt nach Campanien gegangen war, spielten sich in seinem Hause Scenen ab, welche unerhört waren, und er beherbergte Gäste, welche er mit seiner Tochter niemals in Berührung gebracht haben würde. Männer, die ein ausschweifendes Leben führten, saßen an seinem Tische; und Trinkgelage, welche bis zum frühen Morgen dauerten, unterbrochen durch hohes Spiel und schlüpfrige Gespräche, folgten gewöhnlich auf seine prächtigen Feste.

Da er Torquatus eingeladen hatte, mit ihm zu Abend zu essen, ging er aus, um Gäste zu suchen, welche ihn unterhalten sollten. Bald fand er einen Schub Schmarotzer, welche an den Orten, die er gewöhnlich aufsuchte, umherschlenderten und bereit waren, eine Einladung anzunehmen. Als er jedoch von den Bädern des Titus nach Hause zurückging, erblickte er in einem kleinen, einen Tempel umgebenden Hain, zwei Männer, welche in ein ernstes Gespräch vertieft waren. Nachdem er sie einen Moment angeblickt hatte, schritt er auf sie zu; in einiger Entfernung von ihnen hielt er jedoch inne, um auf eine Pause in ihrer Unterhaltung zu warten, die ungefähr folgendermaßen lautete:

»An der Nachricht ist also kein Zweifel?«

»Durchaus keiner. Es ist ganz sicher, daß das Volk in Nicomedia aufständisch geworden ist und die Kirche – so nennen sie es nämlich – der Christen verbrannt hat; diese lag in nächster Nähe des Palastes und war von dort aus sichtbar. Mein Vater hat es heute Morgen von dem Sekretär des Kaisers selbst gehört.«

»Was ist über diese Narren gekommen, daß sie hingingen und einen Tempel an einem der größten und ansehnlichsten Plätze der Metropole bauten? Sie müssen doch gewußt haben, daß früher oder später der religiöse Sinn der Nation sich gegen sie empören und den Dorn im Auge zerstören würde, welcher jede Ausübung und jedes äußere Zeichen einer dem Reiche fremden Religion doch notwendigerweise sein muß.«

»Gewiß, auch mein Vater sagt, daß wenn diese Christen nur einen Funken von Verstand hätten, sie ihre Köpfe verstecken und sich in entlegenen Winkeln verkriechen würden, nachdem sie eine Zeitlang von den edelsten und humansten aller Fürsten toleriert worden sind. Da es ihnen aber nicht einfällt, dies zu thun, sondern sie Tempel an öffentlichen Plätzen bauen, anstatt sich in abgelegenen Gäßchen zu versammeln, wie sie es früher zu thun pflegten, so habe ich meinerseits kein Erbarmen mit ihnen. Man kann möglicherweise Berühmtheit – und vielleicht auch einen Gewinn erlangen, wenn man diese abscheulichen Menschen zu Tode hetzt und sie, wenn sich die Gelegenheit bietet, vernichtet.«

»Nun, sei es so. Aber kommen wir zum Ziel. Es ist also zwischen uns abgemacht, daß, wenn wir unter den Reichen – welche allerdings nicht zu mächtig sein dürfen – Christen entdecken können, wir zu gleichen Teilen davon profitieren werden. Wir werden einander helfen. Du schlägst kühne und rohe Mittel vor. Ich werde nach meinem eigenen Ermessen handeln. Aber jeder wird den ganzen Profit von denen haben, die er entdeckt, und seinen gerechten Anteil an denen, gegen die wir gemeinsam vorgehen. Ist dem nicht so?«

»Genau so.«

Jetzt trat Fabius mit einem herzlichen: »Wie geht es dir, Fulvius?« an die beiden Sprechenden heran. »Ich habe dich seit einem Menschenalter nicht gesehen. Komm und speise mit mir zu Abend; ich habe Freunde eingeladen, und ich hoffe, daß auch dein Freund – Corvinus, wie ich vermute – (der genannte junge Mann machte eine ungeschickte Verbeugung) dich begleiten wird.«

»Ich danke dir herzlich,« antwortete Fulvius, »aber ich bedaure, daß ich bereits eine andere Einladung angenommen habe.«

»Unsinn, Mensch,« sagte der gutmütige Fabius, »es ist niemand mehr in der Stadt, mit dem du möglicherweise zu Abend essen könntest, ausgenommen mit mir. Oder ist die Pest in meinem Hause, daß du dich nicht mehr hinein gewagt hast seit jenem Tage, an dem du zusammen mit Sebastianus bei mir speistest und dann mit ihm in Zank gerietst? Oder ist irgend ein Zauber an dir verübt worden, der dich vertrieben hat?«

Fulvius wurde totenbleich und zog Fabius beiseite.

»Wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so ist mir allerdings etwas derartiges zugestoßen.«

»Ich hoffe,« antwortete Fabius ein wenig bestürzt, »daß die schwarze Hexe dir nicht einen ihrer Streiche gespielt hat. Ich wünschte von ganzem Herzen, daß sie erst aus dem Hause wäre. Aber komm,« fuhr er in der fröhlichsten Laune fort, »ich glaube wirklich, daß ein ganz anderer Zauber dich an jenem Abende gefangen gehalten habe. Ja, ja, ich habe die Augen offen, weit offen. Ich bemerkte wohl, daß du dein Herz an meine kleine Verwandte Agnes gehängt hattest.«

Fulvius starrte ihn in großer Bestürzung an. Nach einer Pause entgegnete er: »Und wenn dem so gewesen wäre, so bemerkte ich noch zu rechter Zeit, daß deine Tochter fest entschlossen war, nichts Gutes daraus entstehen zu lassen.«

»Was du da sagst! Das erklärt also deine beharrliche Weigerung, jemals wieder zu mir zu kommen. Aber Fabiola ist eine Philosophin und versteht gar nichts von solchen Dingen. Ich wünschte in der That, daß sie endlich ihre Bücher aufgäbe und daran dächte, sich zu verheiraten, anstatt auch noch andere Leute daran zu hindern. Ich kann dir jedoch etwas besseres, angenehmeres mitteilen, als das: Agnes ist dir eben so sehr zugethan wie du ihr.«

»Ist es möglich? Wie hast du das erfahren?«

»Nun, so will ich dir denn mitteilen, was ich dir längst erzählt haben würde, wenn du mir nicht so scheu ausgewichen wärst. Sie selbst hat es mir an jenem Tage anvertraut.«

» Dir anvertraut?«

»Ja, mir anvertraut! Deine Juwelen haben dir ihr ganzes Herz gewonnen. Das hat sie mir geradezu gesagt. Ich wußte, daß sie nur dich meinen könne. In der That, ich bin überzeugt, daß sie dich meinte.«

Fulvius glaubte, es sei von den kostbaren Juwelen, welche er zur Schau trug, die Rede, während der gutmütige Fabius von jenen Edelsteinen sprach, welche der junge Mann, wie er glaubte, Agnes zum Geschenk gemacht habe. Trotz ihres Ernstes und ihrer Zurückhaltung, dachte Fulvius, sei sie also doch nur ein leicht errungener Preis. Hier lagen Rang und Vermögen offen vor ihm, wenn er nur seine Karten geschickt ausspielte.

Da störte Fabius ihn in seinen Träumereien und sagte:

»Komm jetzt, du brauchst dein Anliegen nur mutig vorzutragen und ich versichere dich, du wirst den Sieg erringen, was Fabiola auch denken mag. Augenblicklich hast du übrigens nichts von ihr zu fürchten. Sie und ihre ganze Dienerschaft sind abwesend. Der Teil des Hauses, welchen sie bewohnt, ist verschlossen, und wir treten durch die Hinterthür in den lustigeren Teil der Wohnung.«

»Ich werde nicht unterlassen, zu dir zu kommen,« antwortete Fulvius.

»Und Corvinus mit dir,« fügte Fabius hinzu, indem er sich zum Gehen wandte.

Wir wollen von dem Bankett nichts weiter sagen, als daß die teuersten und seltensten Weine im Überfluß strömten; daß alle Gäste mehr oder weniger erhitzt und aufgeregt wurden. Fulvius war der einzige, welcher einen klaren Kopf behielt.

Das Gespräch aber kam ans die Nachrichten aus dem Osten. Auf den Brand der Kirche in Nicodemia waren absichtlich angelegte Feuersbrünste im kaiserlichen Palaste gefolgt. Es herrschte kein Zweifel darüber, daß der Kaiser Galerius ihr Anstifter gewesen; er aber wälzte den Verdacht auf die Christen, und so bewog er den widerstrebenden Diokletian, ihr wütendster Verfolger zu werden. Jedermann begann einzusehen, daß, bevor noch einige Monate verflossen, ein kaiserliches Edikt erscheinen würde, welches befahl, das Werk der Zerstörung zu beginnen. Und dieser Befehl mußte in Rom einen bereitwilligen Exekutor an Maximian finden.

Der größere Teil der Gäste war wie gewöhnlich geneigt, das getroffene Wild zu durchbohren und aufzuspießen. Denn Großmut zu gunsten derer, welche die allgemeine Stimme des Volkes verdammt, verlangt einen Grad von Mut, welcher zu heldenhaft ist, als daß er allgemein sein könnte. Selbst die Freisinnigsten erfanden Gründe, weshalb man für die Christen durchaus keine Rücksichten walten lassen dürfe. Der eine konnte ihr geheimnisvolles Treiben nicht dulden; den anderen ärgerte die mutmaßliche Ausbreitung, welche sie gewannen; dieser Mann glaubte, daß sie dem wahren Ruhm und Glanz des Kaiserreichs entgegenstrebten; jener hielt sie für ein fremdes Element, welches durchaus ausgerottet werden müsse. Der eine hielt ihre Lehren für abscheulich, der andere ihre Sitten für infam. Während dieser ganzen Debatte – wenn man es überhaupt so nennen konnte, da beide Parteien zu demselben Schlusse kamen, hatte Fulvius seine bösen Blicke von einem der Gäste zum anderen schweifen lassen, bis sie endlich auf Torquatus haften blieben.

Der Jüngling enthielt sich jeder Einrede, aber sein Antlitz ward abwechselnd leichenfahl und purpurrot. Der Wein hatte ihm unvorsichtigen, raschen Mut gemacht, welcher bis jetzt jedoch noch durch einen festen Vorsatz niedergehalten wurde. Nun aber ballte er die Faust und preßte sie auf sein Herz, dann biß er sich auf die Lippen. Einen Augenblick zerbröckelte er das Brot krampfhaft zwischen den Fingern, gleich darauf stürzte er fast mechanisch einen Becher Wein hinunter.

»Diese Christen hassen uns und würden uns alle vernichten, wenn sie könnten,« sagte jetzt einer.

Torquatus lehnte sich über den Tisch, öffnete die Lippen zum Sprechen und ermannte sich wieder.

»Uns vernichten! In der That! Haben sie nicht Rom unter Nero in Asche gelegt und haben sie jetzt nicht den Palast in Asien über des Kaisers Kopf angezündet?« fragte ein zweiter.

Torquatus richtete sich auf seinem Lager empor, streckte die Hand aus, als wolle er etwas darauf entgegnen – und zog sie wieder zurück.

»Aber was noch unendlich viel schlimmer ist, sie huldigen solchen antisocialen Doktrinen, daß sie die furchtbarsten Excesse geduldig mit ansehen und sich soweit erniedrigen, daß sie einen ekelhaften Eselskopf anbeten,« fuhr ein dritter fort.

Torquatus wand und krümmte sich; er sprang auf und hob gerade den Arm, als Fulvius mit kühler Berechnung des Augenblicks und der Worte mit bitterem Sarkasmus hinzufügte:

»Ja, und sie erwürgen ein Kind und verzehren sein Fleisch und sein Blut bei jeder ihrer Versammlungen.«Der Begriff der Heiden vom heiligen Abendmahl.

Mit einem Schlage, der jeden Becher und jeden Pokal auf der Tafel erzittern und klingen machte, ließ Torquatus die Faust auf den Tisch fallen und rief mit erstickter Stimme aus: »Es ist eine Lüge! eine verfluchte Lüge!«

»Wie kannst du das wissen?« rief Fulvius mit sanfter Stimme, indem er einen milden Blick auf den Jüngling heftete.

»Weil,« schrie der andere in der heftigsten Erregung, »weil ich selbst ein Christ und bereit bin, für meinen Glauben zu sterben!«

Wenn die herrliche Alabasterstatue mit dem Kopfe aus Bronze, welche in der Nische neben der Tafel stand, herabgefallen und auf den Marmorboden in tausend Stücke zerschellt wäre, so hätte es keine fürchterlichere Sensation hervorrufen können als dieses plötzliche Geständnis.

Für einen Augenblick herrschte sprachlose Bestürzung. Dann folgte eine vollständige Pause, und darauf begannen die Empfindungen eines jeden sich in seinen Gesichtszügen zu malen. Fabius sah außerordentlich albern aus, als sei er sich bewußt, seine Gäste in schlechte Gesellschaft gebracht zu haben. Calpurnius schnaubte und blähte sich auf; augenscheinlich hielt er es für den größten Beweis von Nichtachtung gegen sich, daß man einen Gast eingeladen hatte, von welchem die Dummen möglicherweise glauben könnten, daß er mehr über die Christen wissen könne, als er selbst. Ein junger Mann riß den Mund auf und starrte Torquatus an; und ein mürrischer, alter Herr war offenbar unschlüssig, ob er nicht den einen oder den andern zu Boden schlagen solle, ganz gleichgültig wen. Corvinus sah den armen Christen mit jenem halb wilden, halb blödsinnigen Wonnegrinsen an, mit welchem der Landmann die Ratten und Mäuse ansieht, welche sich während der Nacht in der Falle gefangen haben. Hier war also ein Mann zur Hand, den er, sobald es ihm gefiel, auf die Folter spannen oder auf den Rost legen lassen konnte.

Aber Fulvius' Aussehen übertraf alle anderen! Wenn ein mit dem Mikroskop Beobachtender jemals Gelegenheit gehabt hat, den Ausdruck einer Spinne zu gewahren, wenn sie nach langem Fasten eine Fliege erblickt, welche feist von dem Blute, das sie anderen ausgesogen hat, sich ihrem Netze nähert – wie sie jeden ihrer Flügelschläge bewacht und ausklügelt, wie sie ihren ersten Faden um sie werfen soll, damit die fette Beute ihr eigen wird – so hat er das beste Bild von Fulvius' Aussehen, sicherlich das treffendste Konterfei seiner Gefühle. Einen Christen zu erwischen, welcher bereit sein würde, zum Verräter zu werden – das war seit langer Zeit schon der Gegenstand seines Wünschens und seines Strebens. Dies hier war ein solcher, dessen war er gewiß, wenn es ihm nur gelang, ihn richtig zu gebrauchen. Wie er dies wissen konnte? Weil er genug von den Christen wußte, um überzeugt zu sein, daß kein echter, aufrichtiger Bekehrter sich gestattet haben würde, bis zum Übermaß zu trinken oder mit seiner Bereitwilligkeit zu prahlen, als Märtyrer sterben zu wollen.

Die Gesellschaft erhob sich. Jedermann entfernte sich von dem entlarvten Christen, als sei er ein mit der Pest Behafteter. Er fühlte sich unglücklich und verlassen, als Fulvius, welcher dem Fabius und dem Corvinus ein paar Worte zugeflüstert hatte sich ihm näherte und ihn freundlich bei der Hand nehmend sagte: »Ich fürchte, daß ich sehr rücksichtslos sprach, als ich dir eine Erklärung entlockte, welche sich möglicherweise als sehr gefährlich erweisen kann.«

»Ich fürchte nichts,« entgegnete Torquatus wiederum in heftiger Erregung. »Ich werde bis zum letzten Augenblick der Fahne treu bleiben.«

»Still! Still!« fiel Fulvius hier ein, »selbst die Sklaven könnten dich verraten. Komm mit mir in ein andres Zimmer, wo wir ruhig miteinander reden können.«

Mit diesen Worten führte er ihn in ein prächtiges Gemach, in welches Fabius Flaschen und Becher des feurigsten Falerner Weins für jene hatte bringen lassen, welche nach römischer Sitte ein comissatio oder Trinkgelage liebten. Jedoch nur Corvinus, von Fulvius aufgefordert, folgte ihnen in diesen Raum.

Auf einem Tische von kunstvoll eingelegter Arbeit lagen Würfel. Nachdem er den Torquatus noch weiter zum trinken gezwungen, nahm Fulvius dieselben nachlässig auf, warf sie wie spielend hin und sprach inzwischen von den gleichgültigsten Dingen.

»Du meine Güte!« rief er dann aus, »welch ein Wurf! Ein wahres Glück, daß ich mit niemand spiele! Ich wäre sonst zu Grunde gerichtet! Versuch du's, Torquatus!« –

Wie wir schon früher gehört haben, war das Spiel Torquatus' Ruin gewesen. Wegen eines Handels, welcher aus demselben entstanden, hatte er sich im Gefängnis befunden, als Sebastianus ihn bekehrte. Als er die Würfel in die Hand nahm – ohne Absicht zu spielen, wie er selbst glaubte – beobachtete Fulvius ihn wie ein Luchs seine Beute. Torquatus' Auge flammte begierig auf, seine Lippen verzogen sich krampfhaft, seine Hände zitterten. Fulvius erkannte in all diesem, zusammen mit der Stellung der Hand, der geschickten Bewegung des Handgelenks, dem scharfen Auge, welches augenblicklich den Wert des Wurfes ermaß sofort die Macht einer ersten Versuchung, sich einem abgeschworenen Laster von neuem zu ergeben.

»Ich fürchte, du bist bei dieser dummen Beschäftigung nicht viel geschickter als ich selbst,« sagte er gleichgültig. »Aber ich glaube, daß Corvinus es mit dir wagen wird, wenn du um einen sehr niedrigen Einsatz spielen willst.«

»Er muß aber in der That sehr niedrig sein – nur um der Unterhaltung willen, denn ich habe dem Spiel gänzlich entsagt. Früher freilich – doch das gehört nicht hierher.«

»Komm also,« sagte Corvinus, welchen Fulvius durch einen Blick zu dieser Beschäftigung zwang.

Sie begannen um außerordentlich niedrige Einsätze zu würfeln, und gewöhnlich gewann Torquatus. Fulvius zwang ihn noch immer zu trinken und nach und nach wurde er sehr redselig.

»Corvinus – Corvinus –« sagte er endlich, als wolle er in seiner Erinnerung suchen, »war denn das nicht der Name, welchen Cassianus mir nannte?«

»Wer?« fragte der andere erstaunt.

»Ja, ja, das war's,« fuhr Torquatus mit sich selbst sprechend fort – »dieser Renommist, dieser ungeschliffene Bursche! Warst du nicht der Mensch,« fragte er zu Corvinus aufblickend, »der jenen liebenswerten christlichen Knaben, den Pancratius, schlug?«

Corvinus war im Begriff zornig zu werden; aber Fulvius hielt ihn durch eine Gebärde zurück und sagte rechtzeitig vermittelnd:

»Jener Cassianus, dessen du erwähntest, ist ein ausgezeichneter Lehrer; bitte, sag mir doch, wo er sich jetzt aufhält?«

Fulvius war schlau genug, um zu wissen, daß sein Gefährte hierüber gern Gewißheit erlangen wollte, und auf diese Weise beruhigte er ihn!

Torquatus entgegnete:

»Er wohnt – laß mich nachdenken – nein, nein. Ich will nicht zum Verräter werden. Nein, ich bin bereit, mich für meinen Glauben foltern und verbrennen zu lassen – ich will für ihn sterben; aber ich will niemanden verraten – nein, das will ich nicht!«

»Laß mich deinen Platz einnehmen, Corvinus,« sagte Fulvius, welcher sehr wohl bemerkte, daß Torquatus' Interesse am Spiel sich steigerte. Er zeigte hinreichende Geschicklichkeit, um seinen Gegner noch vorsichtiger und aufmerksamer zu machen. Dann legte er einen etwas höheren Einsatz auf den Tisch. Nach einem Augenblick der Überlegung setzte Torquatus ebenso hoch. Er gewann. Fulvius schien ärgerlich. Torquatus warf beide Einsätze auf den Tisch zurück. Jetzt zögerte Fulvius anscheinend, setzte jedoch einen ebenso hohen Betrag aus und verlor wieder. Dann spielten sie schweigend weiter. Jeder verlor und gewann; aber Fulvius blieb fortwährend im Vorteil, denn er war der ruhigere von beiden.

Einmal blickte Torquatus auf und schrak zusammen. Er glaubte den frommen Priester Polycarp hinter dem Stuhl seines Gegners zu erblicken. Er rieb sich die Augen und sah dann, daß es nur Corvinus war, welcher ihn anstarrte. Jetzt zeigte er all seine Geschicklichkeit. Das Gewissen war zur Ruhe verwiesen; der Glaube geriet ins Schwanken: die Gnade hatte sich bereits von ihm abgewandt. Denn der Dämon der Habgier, der Gewaltthätigkeit, der Unehrlichkeit war zurückgekehrt und hatte in jene gereinigte, aber schlecht bewachte Seele sieben Geister gelegt, die schlimmer waren als er selbst; und als sie sich dieser armen Seele bemächtigten, entfloh alles, was heilig und gut war aus derselben.

Endlich, nachdem wiederholte Verluste und der übermäßige Genuß des Weins ihn in eine Art von Wut gebracht hatten, und er bereits mehrere Mal größere Summen aus dem schweren Beutel, welchen Fabiola ihm gegeben, entnommen hatte, warf er diesen selbst auf den Tisch. Fulvius öffnete ihn ruhig, leerte ihn aus, zählte das Geld und legte einen ebenso großen Haufen Goldes auf den Tisch. Jeder bereitete sich auf den endgültigen Wurf vor. Die verhängnisvollen Würfel fielen; jeder zählte schweigend die Augen. Fulvius zog die Goldhaufen zu sich heran.

Torquatus ließ den Kopf auf den Tisch sinken und begrub ihn in beiden Händen. Dann gab Fulvius dem Corvinus ein Zeichen, das Gemach zu verlassen.

Torquatus stampfte mit dem Fuße; dann seufzte er, knirschte mit den Zähnen und murrte. Er fuhr mit den Fingern in sein dichtes Haar, und begann es zu zerren und zu raufen.

Eine Stimme flüsterte dicht an seinem Ohr: »Bist du ein Christ?«

Welcher der sieben Geister war es? Gewiß der furchtbarste!

»Es ist hoffnungslos,« fuhr die Stimme fort, »du hast deine Religion geschändet und du hast sie verraten.«

»Nein, nein!« stöhnte der Unglückliche in Verzweiflung.

»Ja! In deiner Trunkenheit hast du uns alles gesagt. Genug, wenigstens, um es dir unmöglich zu machen, jemals zu denen zurückkehren zu können, welche du so schändlich verraten hast.«

»Hebe dich hinweg! Hebe dich hinweg,« rief der gemarterte Sünder in flehendem Tone aus. »Sie werden mir trotzdem noch vergeben, denn Gott –«

»Schweig! Nenne nicht seinen Namen! Du bist erniedrigt – du bist meineidig – du bist hoffnungslos verloren. Du bist ein Bettler. Morgen mußt du von Haus zu Haus gehen und dein Brot erbetteln. Du bist ein Ausgestoßener, ein ruinierter Verschwender, ein Spieler. Wer wird dich jemals wieder ansehen? Vielleicht deine christlichen Freunde? Und trotzdem du ein Christ bist, und ein grausamer Tod dich dafür in Stücke reißen wird, so werden sie dich nicht ehren als einen ihrer Märtyrer. Du bist ein Heuchler, Torquatus – und weiter nichts!«

»Wer ist's, der mich so fürchterlich quält?« rief er aus und blickte auf. Fulvius stand mit verschränkten Armen neben ihm.

»Und wenn dies alles wahr wäre, was kümmert es dich? Was hast du mir sonst noch zu sagen?« fuhr er fort.

»Viel mehr als du denkst. Du hast dich durch deinen Verrat vollständig in meine Macht begeben. Ich bin Herr deines Geldes (hier zeigte er ihm Fabiolas Geldbörse), Herr deines Rufs, deines Friedens – deines Lebens. Ich brauche nur deine Mitchristen wissen zu lassen, was du gethan, was du gesagt hast, was du heute Abend gewesen bist – und du darfst ihnen niemals wieder vor Augen kommen. Ich brauche nur jenen »Renommisten«, jenen »ungeschliffenen Burschen«, wie du ihn genannt hast, der aber der Sohn des Präfekten dieser Stadt ist, gegen dich loszulassen – außer mir vermag niemand ihn nach solch einer Herausforderung zurückzuhalten – und morgen stehst du vor dem Tribunal seines Vaters, um für die Religion, welche du entehrt und geschändet hast, zu sterben. Du, der du taumelst und schwankst, du trunkner Spieler, bist du jetzt noch bereit, dein Christentum vor dem Richterstuhl auf dem Forum zu bekennen?«

Der Gefallene hatte nicht den Mut, dem Beispiel des verlorenen Sohnes in der Reue zu folgen, wie er es in der Sünde befolgt hatte. Die Hoffnung war in ihm gestorben; denn er war in sein größtes Laster zurück verfallen – und fühlte kaum Gewissensbisse. Er verhielt sich schweigend, bis Fulvius ihn durch die Frage aufrüttelte:

»Nun, hast du gewählt? Willst du zu den Christen zurückkehren mit dem heutigen Abend auf deinem Gewissen – oder gehst du morgen vor Gericht? Triff deine Wahl!«

Torquatus erhob den Blick zu ihm; alles Licht schien in seinen Augen erloschen, dann antwortete er mit matter Stimme: »Ich wähle keins von beiden.«

Nun, und was willst du sonst thun?« fragte Fulvius, indem er ihn mit einem seiner Falkenblicke beherrschte.

»Was du willst,« sagte Torquatus, »nur von jenen beiden Dingen keins.«

Fulvius ließ sich neben ihm nieder und sagte mit leiser und beruhigender Stimme: »Hör jetzt auf mich, Torquatus. Thu, was ich dir sage, und alles kann noch wieder gut werden. Wenn du thust, was ich dir befehle, so sollst du ein Haus und Verpflegung und Kleidung und Geld zum spielen haben.«

»Und was befiehlst du mir?«

»Steh morgen um die gewöhnliche Zeit auf; setze dein christliches Gesicht auf; geh unbefangen zwischen deinen Freunden umher; thu, als sei gar nichts vorgefallen; aber beantworte all meine Fragen und sag nur alles.«

Torquatus stöhnte: »Ein Verräter! Nichts als ein Verräter!«

»Nenne es wie du willst; das oder der Tod! Ja, ein zollweiser Tod. Ich höre, wie Corvinus ungeduldig im Hofe hin- und hergeht. Schnell! Was wählst du?«

»Nicht den Tod! Alles, nur das nicht!«

Fulvius trat hinaus und fand seinen Freund, der vor Wut und Trunkenheit tobte. Es war ein schweres Werk, ihn wieder zu beruhigen. Über spätere Nachbegierde hatte Corvinus den Cassianus fast vergessen gehabt, aber jetzt war all sein alter Haß erwacht und er dürstete nach Rache. Fulvius versprach ihm, ausfindig zu machen, wo er wohne, und bediente sich dieses Mittels, um sich des Aufschubs irgend welcher heftigen und sofortigen Maßregeln zu versichern.

Nachdem er Corvinus zürnend und grollend nach Hause gesandt hatte, kehrte er zu Torquatus zurück, den er zu begleiten wünschte, um sich über seine Wohnung zu vergewissern. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als sein Opfer sich von dem Stuhl erhob und versuchte, seine Sinne durch Auf- und Abgehen zu beruhigen und seine Selbstbeherrschung wiederzugewinnen. Aber es war umsonst; es schwindelte ihm, Dank seiner Unmäßigkeit und der darauf folgenden Aufregung. Das Gemach schien sich mit ihm im Kreise zu drehen und sich auf und ab zu senken; er fühlte sich krank und sein Herz klopfte fast hörbar. Schau:, Gewissensbisse, Selbstverachtung, Haß gegen seine Verderber und gegen sich selbst, die Vereinsamung des Ausgestoßenen, die düstere Verzweiflung des Verdammten: dies alles rauschte, schwarzen Wogen gleich, durch seine Seele und abwechselnd gewann jede dieser trostlosen Empfindungen die Oberhand. Unfähig, sich noch länger auf den Füßen zu halten, warf er sich mit dem Gesicht auf ein seidenes Ruhebett, begrub seine glühende Stirn in die eiskalten Hände und stöhnte laut. Aber noch immer drehte sich alles wie im Wirbel mit ihm und er glaubte, ununterbrochenes Wimmern und Klagen in seiner Nähe zu vernehmen.

In diesem Zustande fand ihn Fulvius und berührte seine Schultern um ihn aufzurütteln. Torquatus schauderte und krampfartiges Zucken durchflog seinen Körper. Dann rief er aus: »Kann dies die Charybdis sein?«


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