Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Neuntes Kapitel

Der falsche Bruder

Wir müssen unseren Leser jetzt einige Schritte in der Geschichte des Torquatus zurückführen. Am Morgen nach seinem Falle erblickte er beim Erwachen Fulvius neben seinem Bette. Es war der Falkner, welcher einen guten Habicht erwischt hatte und jetzt kam um ihn zu zähmen und ihn zu lehren, wie er auf die Taube niederzustoßen habe. Dafür gewährte er ihm eine Gefangenschaft, in welcher es ihm an nichts fehlen würde. Mit der ganzen Ruhe und Kälte einer geübten Hand rief er ihm jeden Umstand der Schwelgerei des vorhergehenden Abends ins Gedächtnis zurück, sein vollständiges Verderben und den einzigen Ausweg aus demselben. Mit gefühlloser Präzision zog er jeden Faden des Netzes straffer an und fügte demselben noch manche Masche hinzu.

Torquatus' Lage war folgende: wenn er sich nur mit einem einzigen Schritt dem Christentum wiederum näherte, der, wie Fulvius ihn versicherte, überdies nutzlos sein würde, so sollte er sofort dem Richter übergeben und mit einem grausamen Tode bestraft werden. Blieb er jedoch seinem verräterischen Vertrage treu, so sollte es ihm an nichts fehlen.

»Du bist heiß und hast Fieber,« schloß Fulvius endlich, »ein Spaziergang am frühen Morgen und frische Luft werden dir wohlthun.«

Der arme Unglückliche willigte ein, und kaum hatten sie das Forum erreicht, als Corvinus wie durch Zufall zu ihnen stieß. Nach den gegenseitigen Begrüßungen sagte er: »Es ist mir lieb, daß ich euch getroffen habe; ich möchte euch zu der Werkstätte meines Vaters führen und euch dieselbe zeigen.«

»Werkstätte?« fragte Torquatus erstaunt.

»Ja, der Ort. an dem er seine Gerätschaften aufbewahrt; sie ist soeben herrlich eingerichtet und geordnet. Hier ist sie, und jener grimme alte Aufseher Catulus öffnet grade die Thüren.«

Sie traten in einen weiten Hofraum, welcher ringsumher mit einem Wetterdach umgeben war, unter dem sich Folterwerkzeuge in jeder nur erdenklichen Form befanden.

Torquatus prallte zurück.

»Tretet nur ein, ihr Herren,« sagte der alte Folterknecht, »fürchtet euch nicht; das Feuer ist noch nicht angezündet und niemand wird euch etwas zu Leide thun, wenn ihr nicht grade zu jenen gottlosen Christen gehört. Für sie haben wir hier kürzlich alles hergerichtet.«

»Nun, Catulus,« sagte Corbinus, »erkläre doch diesem Herrn hier, der ein Fremder ist, den Gebrauch deiner hübschen, zierlichen Spielsachen.«

Mit fröhlichem Mut führte Catulus sie in seinem Schreckensmuseum umher, erklärte ihnen alles mit so herzlich gutem Willen und so vielen Scherzen, die durchaus nicht in die Situation paßten, daß er in seinem Enthusiasmus dem Torquatus fast praktische Illustrationen von dem, was er beschrieb, gegeben hätte, indem er einmal beinahe sein Ohr mit einer scharfen Zange gefaßt und ein andermal eine Keule in kaum zollbreiter Entfernung von seinen Zähnen geschwungen hatte.

Das Rad, ein großer Rost, ein eiserner Stuhl, in welchem sich ein umfangreicher Ofen zum Heizen befand, große Kessel um heißes Öl oder siedende Wasserbäder darin zu bereiten; Gießlöffel, um Blei darin zu schmelzen und es fein säuberlich in den Mund der Gefolterten zu träufeln; Zangen, Haken und eiserne Kämme von verschiedenen Formen um die Rippen der Opfer zu entfleischen; Skorpione oder Geißeln an deren Enden sich eiserne oder bleierne Knoten befanden; eiserne Kragen, Handschellen und Fesseln von der furchtbarsten Gestalt; endlich Schwerter, Messer und Äxte in der geschmackvollsten Abwechselung – dies alles zeigte und besprach der Alte mit wahrem Ergötzen, und erzählte von dem Vergnügen, welches er haben würde, wenn er all diese Werkzeuge bei den hartköpfigen und dickfelligen Christen in Anwendung bringen dürfte.Diese fürchterlichen Werkzeuge der Grausamkeit sind in der »Geschichte der Märtyrer« genannt, und Kirchengeschichtsschreiber erwähnen ihrer ebenfalls.

Torquatus war vollständig zu Boden geschmettert. Man führte ihn nach den Bädern des Antonius, wo er die Aufmerksamkeit des alten Cucumio, des Oberaufsehers der Kleiderabteilung, oder capsarius, und seines Weibes Viktoria, welche ihn in der Kirche gesehen hatten, auf sich lenkte. Nach einer guten Erfrischung wurde er in einen Spielsaal in den Thermen geleitet, wo er natürlich verlor. Fulvius borgte ihm Geld, verlangte aber für jeden Heller, welchen er ihm gab, eine Verschreibung. Und auf diese Weise war er bereits nach wenigen Tagen vollständig unterjocht.

Ihre Zusammenkünfte fanden früh und spät statt; während des Tages ließ man ihn frei umhergehen, aus Furcht, daß er das Mißtrauen der Christen erwecken und dadurch seinen Wert verlieren könne. Corvinus hatte beschlossen, einen furchtbaren Angriff auf sie zu machen, sobald das Edikt in Kraft getreten sein würde. Deshalb verlangte er von Torquatus, daß dieser, als sein Anteil an dem Vertrage, die hervorragendsten Cömeterien ausspionieren sollte, in welchen der Papst zu fungieren beabsichtigte. Über diese hatte Torquatus sich sehr bald vergewissert, und mit dem Besuche in der Katakombe des Callistus erfüllte er die von ihm eingegangene Verpflichtung. Als jener Kampf zwischen Gnade und Sünde, welchen Severus bemerkt hatte, in seiner Seele stattfand, war es das Bild des Catulus mit seinen hundert Folterwerkzeugen und jenes des Fulvius mit seinen hundert Verschreibungen, welches die Wage auf der Seite des ewigen Verderbens sinken ließ. Nachdem Corvinus seinen Bericht entgegen genommen und nach demselben einen rohen Grundriß der Katakombe entworfen hatte, beschloß er, dieselbe früh am nächsten Morgen nach der Veröffentlichung des Dekrets anzugreifen.

Fulvius schlug einen anderen Weg ein. Er beschloß die vornehmsten Mitglieder der Geistlichkeit und Anführer der Christen in Rom dem Ansehen nach kennen zu lernen. Wenn er diese Kenntnis erst einmal erlangt hatte, so war er überzeugt, daß keine Verkleidung im stande sein würde, sie vor seinem durchdringenden Auge zu verbergen, und dann sollte es ihm leicht werden, sich ihrer einer nach dem anderen zu bemächtigen. Daher bestand er darauf, daß Torquatus ihn als seinen Gefährten mit zu der ersten großen Feierlichkeit nehmen solle, welche viele Priester und Diakonen um den Papst versammeln würde. Er bewältigte jede Einwendung, verscheuchte jede Furcht, und versicherte Torquatus, daß wenn er nur erst durch seine Parole hineingelangt sei, er sich vollständig wie ein Christ benehmen würde. Bald darauf benachrichtigte Torquatus ihn, daß sich die beste Gelegenheit hierzu bei der im kommenden Monat Dezember bevorstehenden Ordination bieten würde.


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