Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Achtes Kapitel

Noch düsterer

Als Sebastianus in den Hof trat, fand er die Diener um den Boten versammelt, welcher ihnen die traurigen Einzelheiten vom Tode ihres Gebieters mitteilte.

Den Brief, welchen Torquatus dem Fabius überbrachte, hatte die gewünschte Wirkung gehabt. Er kehrte in seiner Villa ein und brachte auf dem Wege nach Asien einige Tage in der Gesellschaft seiner Tochter zu. Er war noch liebevoller als gewöhnlich, und als sie sich trennten, schienen sich sowohl des Vaters wie des Mädchens traurige Ahnungen zu bemächtigen, daß sie sich niemals wiedersehen würden. Er gewann seinen frischen Mut jedoch bald in Bajae wieder, wo eine Gesellschaft von Lebemännern seiner ungeduldig harrte. Hier hielt er sich verpflichtet zu verweilen, während seine Galeere ausgerüstet und mit den besten Lebensmitteln und Weinen, welche Campanien zu bieten vermochte, für die Reise verproviantiert wurde. Er gab jedoch seinen üppigen Neigungen bis zum Exceß nach, und als er nach einem tüchtigen Abendessen aus dem Bade kam, packte ihn das Fieber und nach vierundzwanzig Stunden war er eine Leiche. Seinen großen Reichtum hatte er seinem einzigen Kinde ungeteilt hinterlassen. Als der reitende Bote Bajae verließ, war man grade damit beschäftigt, den Körper einzubalsamieren, welcher auf Fabius' Galeere nach Ostia gebracht werden sollte.

Als Sebastianus diesen traurigen Bericht vernahm, that es ihm fast leid, vom Tode gesprochen zu haben, wie er es gethan hatte. Mit traurigen Gedanken verließ er das Haus.

Fabiolas erster Sturz in den düsteren Abgrund des Kummers war tief und fürchterlich; sie verlor fast die Besinnung. Dann trugen die Elasticität der Jugend und der Sinne sie wieder an die Oberfläche empor, und als sie den Blick wieder über das Meer des Lebens schweifen ließ, sah sie nichts als einen unbegrenzten Ocean von schwarzschäumenden Wogen, auf denen außer ihr kein lebendes Wesen umhertrieb. Ihr Weh schien grenzenlos und unermeßlich. Mit einem Schaudern schloß sie die Augen und versank wieder in Bewußtlosigkeit, bis man ihren Geist zum Bewußtsein zurückrief. So wurde sie zwischen Leben und vorübergehendem Tod hin- und hergeworfen, während ihre Dienerinnen Mittel gegen das anwandten, was sie für eine Reihenfolge von gefährlichen Krämpfen und Konvulsionen hielten. Endlich richtete sie sich empor, bleich, starr und thränenlos, und schob sanft die Hand beiseite, welche bemüht gewesen, ihr Wiederbelebungsmittel einzuflößen. In diesem Zustande verharrte sie lange; eine tödliche Erstarrung schien über sie gekommen zu sein; die Augensterne waren für das Licht unempfindlich geworden, und ihre Umgebung flüsterte sich ängstlich die Befürchtung zu, daß ihr Verstand vielleicht gelitten habe.

Der Arzt, welchen man herbeigerufen hatte, rief ihr laut und vernehmlich die Frage ins Ohr: »Fabiola, weißt du, daß dein Vater gestorben ist?« Sie erbebte, fiel zurück, und eine strömende Thränenflut schaffte ihrem Herzen und ihrem Kopfe Erleichterung. Sie sprach von ihrem Vater und rief unter Schluchzen nach ihm und sprach milde, unzusammenhängende aber liebevolle Dinge von ihm und zu ihm. Zuweilen schien sie zu glauben, daß er noch am Leben sei; dann wieder fiel es ihr ein, daß er tot sei, und sie weinte und stöhnte, bis der Schlaf an die Stelle der Träume trat und ihr erschüttertes Gemüt und den zuckenden Körper stärkte. Nur Euphrosine und Syra wachten bei ihr. Erstere hatte von Zeit zu Zeit die gewöhnlichen heidnischen Trostesworte gesprochen, hatte sie daran erinnert, welch ein gütiger Gebieter, welch ein ehrlicher Mann und welch ein liebevoller Vater er gewesen war. Aber schweigend saß die Christin da; nur dann und wann sprach sie ein leises, beruhigendes Wort zu ihrer Herrin und bediente sie mit einer zärtlichen Emsigkeit, welche selbst in diesem Augenblicke nicht ganz unbeachtet blieb. Was mehr konnte sie denn noch thun? – nur beten! Was konnte sie hoffen, als daß vielleicht eine neue Hoffnung wie eine Blume verborgen in dieser Heimsuchung ruhe? Daß ein Engel des Lichts in der dunklen Wolke dahersegle, welche das Haupt ihrer Herrin umschattet hatte?

Als der Kummer wich, ließ er Raum für die Gedanken. Und diese bemächtigten sich Fabiolas in düsterer und grübelnder Gestalt. »Was war aus ihrem Vater geworden? Wohin war er gegangen? Hatte er sich in das Nichts aufgelöst. War sein Leben von jenem Auge durchforscht, welches das Unsichtbare sieht? Hatte er jene Prüfung bestanden, welche Sebastianus und Syra beschrieben hatten? Unmöglich! Was war also aus ihm geworden?« Ein Schauer erfaßte sie bei diesem Gedanken, und sie verschloß ihr Gemüt diesen Grübeleien.

O! was gäbe sie für einen Strahl von einem unbekannten Lichte, der in das Grab fallen und ihr zeigen könnte, was es war! Die Poesie hatte vorgegeben, es zu erhellen, es sogar zu glorifizieren; in Wahrheit war sie aber nur wie ein trauernder Engel mit gebeugtem Haupte und gesenkter Fackel am Eingange stehen geblieben. Die Wissenschaft war hineingedrungen und war entsetzt mit besudelten Schwingen und erloschener Lampe aus der verpesteten Gruft zurückgekehrt, denn sie hatte nichts gefunden als ein Beinhaus. Und die Philosophie hatte kaum gewagt, das Grab zu umkreisen; voll Schrecken hatte sie einen flüchtigen Blick hineingethan, sie war zurückgeprallt und hatte dann nur gelallt und geschwatzt. Sie hatte die Achseln gezuckt und gestanden, daß das Problem noch ungelöst, das Geheimnis noch verschleiert sei. O nur ein Etwas, oder einen Menschen, der, besser als alle diese, der qualvollen Ungewißheit ein Ende machen könnte! Während diese Gedanken wie düstere Nacht auf dem Herzen Fabiolas lasten, sieht ihre Sklavin eine Erscheinung des Lichts, die sich in menschliche Gestalt gekleidet, durchsichtig und leuchtend aus dem Grabe emporschwingt. Vergeistigt und frei, lieblich und strahlend entsteigt sie dem Bette der Verwesung. Und dann noch eine, und noch eine; vom Wasser und vom Lande; aus den dunstigen Begräbnisplätzen und unter dem geweihten Altar hervor; aus dem verwachsenen Dickicht, wo verborgener Mord an dem Gerechten verübt worden, und von Schlachtfeldern, wo Israel in alten Zeiten Schlachten für seinen Gott geliefert hat. Wie krystallhelle Wasserstrahlen steigen sie in die Luft empor, wie brennende Feuerzeichen, welche von der Erde zum Himmel gesandt worden, bis Millionen und Millionen, Seite an Seite, die Schöpfung von neuem mit frohem und unvergänglichem Leben bevölkern. Und wie weiß sie dies? Weil Einer, der größer und besser als alle Poeten, Weisen und Sophisten den Versuch gemacht hatte; Er war zuerst in das dunkle Bett des Todes hinabgestiegen, hatte es geweiht, wie er die Wiege geweiht und die Kindheit heilig gemacht hatte. So hatte Er auch den Tod zu einer heiligen Sache und seine Stätte zu einem Heiligtum geweiht. An einem dunklen Abend war Er hinabgestiegen; und am klarsten Morgen war Er wieder daraus hervorgegangen; in Spezereien und Weihrauch hatte man Ihn hineingelegt, und in Seiner eigenen duftenden Unverweslichkeit war Er auferstanden. Und von diesem Tage an hatte das Grab aufgehört ein Gegenstand des Schreckens für die christliche Seele zu sein, denn es ist geblieben, wozu Er es gemacht hatte – die Furche, in welche die Saat der Unsterblichkeit gelegt werden muß.

Die Zeit war jedoch noch nicht gekommen, um von diesen Dingen mit Fabiola reden zu können. Sie trauerte noch, wie Jene trauern, die keine Hoffnung haben. Ein Tag nach dem andern ging hin in düsteren Betrachtungen über das Geheimnis des Todes, bis andere Sorgen kamen, welche sie glücklicherweise aus ihrer dumpfen Stimmung aufrüttelten. Die Leiche kam an, und nun folgte ein Leichenbegängnis, wie Rom es noch selten gesehen hatte. Prozessionen bei Fackelschein, in denen die wächsernen Bilder von Vorfahren getragen wurden, dann ein ungeheurer Scheiterhaufen aus aromatischen Hölzern aufgebaut und mit den kostbarsten Wohlgerüchen Arabiens durchtränkt. Dies war das Ende! Wenige Handvoll verkohlter Knochen, welche in eine Alabaster Urne gesammelt und dann in eine Nische des Familienbegräbnisses gestellt wurden! Zuletzt der Name des Toten darauf geschrieben!

Calpurnius hielt die Rede bei der Leichenfeierlichkeit. Der Mode des Tages angemessen stellte er die Tugenden des gastfreien und fleißigen Bürgers der falschen Moralität jener Menschen gegenüber, welche man Christen nannte, die den ganzen Tag fasteten und beteten und im geheimen mit ihren gefährlichen Grundsätzen in jede edle Familie eindrangen und Unsittlichkeit und Gesetzwidrigkeit in allen Klassen verbreiteten. Wenn es ein Dasein nach dem Tode gab – worüber die Philosophen noch nicht einig waren – so sonnte Fabius sich jetzt an einem grünen Ufer im Elysium und schlürfte Nektar. »Und ach!« schloß der alte winselnde Heuchler, welcher nicht einen einzigen Becher Falerner Weins für eine AmphoreGroßes irdenes Gefäß, in welchem man den Wein in den Kellern aufbewahrte. jenes Trankes hingegeben haben würde, »ach! wenn die Götter doch das Nahen jenes Tages beschleunigen möchten, an welchem ich, sein armseliger Untergebener, seine schattige Ruhe und sein stilles Gastmahl mit ihm teilen könnte!« Dieser edle Wunsch trug ihm einen nicht endenwollenden Beifall, ein!

Auf diese Sorge folgte eine andere. Fabiola mußte ihren starken Geist daran gewöhnen, die verwickelten Geschäfte ihres Vaters zu prüfen und zu ordnen. Wieviel Kummer verursachte ihr die Entdeckung von häufiger Ungerechtigkeit, von Betrug, Bedrückung und Übervorteilung in den Handlungen eines Mannes, den die Welt stets als den ehrlichsten und freigebigsten aller öffentlichen Unternehmer gepriesen hatte! Wenige Wochen später trat Fabiola in dem dunklen Gewande der Trauernden eine Runde von Besuchen bei ihren Freunden an. Der erste galt Agnes, ihrer Verwandten.


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