Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel

Die Villa in der Via Nomentana

Die Via Nomentana wendet sich von Rom ostwärts, und zwischen ihr und der Via Salaria befindet sich ein tiefer Abgrund, hinter welchem sich auf der Seite der Via Nomentana ein sanftwelliges Terrain erhebt. Auf diesem liegt ein malerischer, runder Tempel und neben demselben eine wahrhaft schöne Basilika, welche der heiligen Agnes geweiht ist. Hier lag die Villa, welche ihr Eigentum war; die Entfernung von der Stadt betrug ungefähr eine halbe Meile. Es war bestimmt worden, daß die beiden, jetzt die drei Neugeweihten sich hierher begeben sollten, um den Tag in Zurückgezogenheit und stiller Freude zuzubringen. Vielleicht waren ihnen nur noch wenige ähnliche Tage vergönnt!

Wir brauchen diesen ländlichen Aufenthaltsort nicht weiter zu beschreiben, sondern wollen uns damit begnügen zu sagen, daß alles in demselben Glück und Zufriedenheit atmete. Es war einer jener angenehmen Tage wie der römische Winter sie uns bietet. Die felsigen Spitzen der Apenninen trugen eine blendendweiße Schneehülle; der Boden war nur leicht gefroren, die Atmosphäre durchsichtig, der Sonnenschein glühend und der Himmel wolkenlos. Einige wenige graue Flocken von zerfließendem Rauch aus den Hütten und die blätterlosen Weinstöcke – das war alles, was verriet, daß man im Dezember war. Jedes lebende Wesen schien die liebreiche Gebieterin des Hauses zu kennen und zu lieben. Die Tauben kamen und ließen sich auf ihre Schulter oder ihre Hand nieder, die Lämmer in den Gehegen hüpften umher und sprangen ihr entgegen in den: Augenblick, wo sie ihnen näher kam. und fraßen mit sichtlicher Freude die duftenden Kräuter, welche sie ihnen brachte; aber kein Geschöpf erkannte ihre gütige Herrschaft so sehr an wie der alte Molossus, der riesengroße Kettenhund. Er war nahe dem Thor angekettet, und so wütend, daß nur einige der Diener ihm nahe zu kommen wagten. Sobald aber Agnes erschien, legte er sich auf die Erde, wedelte mit seinem buschigen Schweife und winselte, bis er abgekettet wurde; jetzt durfte sich ihm ein Kind ohne Furcht nähern. Er verließ seine Herrin nicht für einen Augenblick, er folgte ihr wie ein Lamm, und wenn sie sich setzte, lag er zu ihren Füßen, sah zu ihr auf und bewies seine Freude darüber, daß sie ihre zarte Hand liebkosend auf seinem zottigen Kopfe ruhen ließ.

Es war in der That ein friedlicher Tag; zuweilen still und ruhig, milde und lieblich, wenn die drei miteinander von dem Glücke dieses Morgens und von jenem glücklicheren Morgen sprachen, der über dem Blau des ihnen jetzt sichtbaren Himmels anbrechen würde, und dessen Vorbedeutung der heutige ihnen war; zuweilen auch fröhlich und sogar lustig, wenn Agnes und Syra die blinde Freundin wegen des Betruges, den sie an ihnen geübt, zur Rede stellten. Dann lachte sie herzlich wie sie es immer that und sagte, daß sie einen noch besseren Streich gegen sie vorbereitet habe, nämlich, daß sie sie überholen und die erste, nicht die letzte sein würde, wenn jener schönere Morgen anbrechen würde.

Inzwischen war Fabiola nach der Villa gekommen, um Agnes den ersten Besuch nach ihrem großen Kummer zu machen und ihr für ihre Teilnahme zu danken. Sie schritt weiter, hielt aber plötzlich inne, als sie sich der Stelle näherte, wo diese glückliche Gruppe versammelt war. Denn als sie die beiden erblickte, welche die äußere Pracht des Himmels sehen konnten, wie sie sich über jene beugten, die seinen ganzen Glanz in ihrer Seele trug – da sah sie plötzlich in diesem Bilde die Versinnlichung ihres Traums. Sie wollte indessen nicht unerwartet zu ihnen treten und wünschte auch Agnes allein zu treffen, nicht in der Gesellschaft ihrer eigenen Sklavin und eines armen blinden Mädchens; deshalb wandte sie sich wieder ab, ehe man sie bemerkt haben konnte und ging nach einem entfernten Teil des großen Parks. Dennoch konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, weshalb sie nicht fröhlich und glücklich sein könne wie jene drei? Weshalb lag ein so tiefer Abgrund zwischen ihnen?

Es war jedoch beschlossen, daß der Tag nicht ohne Wolken zu Ende gehen sollte; er wäre sonst zu beseligend für diese Erde gewesen. Außer Fabiola hatte sich noch eine andere Persönlichkeit aus Rom entfernt, um Agnes einen weniger willkommenen Besuch abzustatten. Es war Fulvius, welcher niemals die Versicherungen des Fabius vergessen hatte, daß sein bezauberndes, geistreiches Wesen und seine kostbaren Schmuckgegenstände den schwachen Sinn der jungen Agnes bethört hätten. Er hatte gewartet bis die ersten Tage der Trauer vorüber waren, und er fürchtete sich vor dem Hause, in welchem er einst einen so unfreundlichen Empfang gehabt oder eigentlich eine summarische Ausweisung erlitten hatte. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie sich zum erstenmale ohne ihre Eltern oder männliche Begleiter nach ihrer außerhalb der Stadt gelegenen Villa begeben habe, hielt er die passende Gelegenheit für gekommen, um seine Bewerbung anzubringen. Er ritt zur Porta Nomentana hinaus und befand sich bald vor Agnes' Landhause. Er stieg ab, sagte, daß er sie in wichtigen Geschäftsangelegenheiten sprechen müsse und wurde nach einigen Schwierigkeiten durch den Thürhüter eingelassen. Man bezeichnete ihm einen Gartenweg, an dessen Ende er die Gesuchte finden würde. Die Sonne war dem Untergänge nahe, die Gefährtinnen hatten sich von ihr entfernt, und Agnes saß allein an einem noch hellen, sonnigen Platze, der alte Molossus lag zu ihren Füßen. Sein leises Murren – eine Seltenheit, wenn er sich in ihrer Nähe befand – ließ sie von ihrer Arbeit aufblicken, denn sie war damit beschäftigt, die winterlichen Blumen, welche die andern ihr brachten, zu einem Kranze zu winden. Indem sie leicht drohend einen Finger erhob, unterdrückte sie den Ausdruck des instinktiven Mißbehagens, welchen der Hund an den Tag legte.

Wie einer, der seines Erfolges bereits gewiß ist, näherte Fulvius sich ihr mit respektvoller, dennoch aber freierer Miene als gewöhnlich.

»Ich bin gekommen, edle Agnes,« sagte er, »um den Ausdruck meiner Hochachtung vor dir zu wiederholen, und ich könnte keinen besseren Tag gewählt haben, denn schöner und klarer hätte die Sonne des Sommers ihn uns nicht gegeben.«

»Schön und klar in der That ist er für mich gewesen,« erwiderte Agnes, welche die Erinnerung zu den Vorgängen des Morgens zurücktrug, »und kein Sonnenaufgang meines Lebens hat mir einen schöneren gebracht – er kann mir nur noch einen herrlicheren bringen.«

Fulvius fühlte sich geschmeichelt, als sei dies ein Kompliment, welches ihm gegolten habe, und antwortete:

»Du sprichst ohne Zweifel von dem Tage deiner Vereinigung mit dem, welcher vielleicht dein Herz schon gewonnen hat.«

»Das ist allerdings schon geschehen, entgegnete sie wie abwesend; »und dieser Tag gehört Ihm allein.«

»Und sind jener Kranz und jener Schleier auf deinem Haupte bereits eine Vorbereitung für jene glückliche Stunde?«

»Ja, sie sind das Zeichen, welches mein Geliebter meinem Antlitz aufgedrückt hat, damit ich keinen anderen Geliebten anerkenne als Ihn.«» Posuit signum in fuciem meam, ut nullum praeter Eum amatorem admittam.« Offizium der heiligen Agnes.

»Und wer ist dieser Glückliche? Ich war nicht ohne Hoffnung – und ich will sie auch jetzt nicht aufgeben – daß ich einen Platz in deinen Gedanken einnahm, vielleicht sogar in deiner Liebe.«

Agnes schien seine Worte kaum zu beachten. Nicht der leiseste Schatten von Scheu oder Furchtsamkeit lag in ihren Blicken und ihrem Benehmen, nicht einmal Verlegenheit that sich darin kund:

»Rein war ihr weiß Gewand, und fleckenlos die Seele,
Sie kannte keine Furcht, denn fremd war ihr die Sünde.«

Ihr kindliches Antlitz blieb fröhlich, offen und vertrauensvoll; ihre mildstrahlenden Augen blickten Fulvius mit einer ernsten Einfachheit, welche diesen fast erbeben machte, grade ins Gesicht.

Dann erhob sie sich mit anmutiger Würde und sagte:

»Milch und Honig flössen von Seinen Lippen als das Blut Seiner geschlagenen Wange die meine benetzte.«» Mel et lac ex ejus ore suscepi, et sanguis ejus ornavit genas meas.« Offizium der heiligen Agnes.

Sie ist wahnsinnig, begann Fulvius grade zu denken, als der begeisterte Ausdruck ihres Gesichts, der strahlende Glanz ihrer Augen, als sie in weiter Ferne auf einen Gegenstand sah, der nur ihr allein sichtbar war, ihn in Schrecken und Furcht setzte. Nach einem kurzen Augenblick ermannte sie sich, und er faßte sich wiederum ein Herz. Sofort beschloß er, nicht von seinem Antrag abzulassen.

»Edle Agnes,« sagte er, »du spottest eines Menschen, der dich aufrichtig bewundert und liebt. Ich weiß es aus der besten Quelle – ja, der besten Quelle – von einem gemeinsamen verstorbenen Freunde, daß es dir gefallen hat, meiner mit Wohlwollen zu gedenken, und zu sagen, daß du meiner Bewerbung um deine Hand ein geneigtes Ohr leihen würdest. Ich bitte dich daher ernst und dringend, verweigere sie mir nicht. Vielleicht erscheine ich dir nicht förmlich und beredt genug, aber ich bin aufrichtig und ehrlich.«

»Weiche von mir, Speise des Todes!« sagte sie mit ruhiger Erhabenheit, »denn ein Geliebter besitzt bereits mein Herz, dem allein ich die Treue bewahre, dem ich mich mit ungeteilter Liebe hingebe; Einer, dessen Liebe keusch ist, dessen Liebkosungen rein sind, dessen Bräute ihren jungfräulichen Kranz niemals ablegen.«» Discede a me pabulum mortis, quia jam ab alio amatore praeventa sem. Ipsi soli servo fidem, ipsi me tota devotione committo. Quem cum amavero casta sum, cum tetigero munda sum eum accepero virgo sum.« Offizium der heiligen Agnes.

Fulvius, welcher sich am Schlusse seiner letzten Worte aufs Knie niedergelassen hatte und jetzt so strenge und unabänderlich abgewiesen war, geriet in Wut und Zorn darüber, daß er sich einer so vollständigen Täuschung hatte hingeben können.

»Ist es nicht genug, abgewiesen zu werden, wenn man zuvor ermutigt worden ist?« schrie er. »Mußt du mir auch noch Beleidigungen ins Gesicht schleudern? Und mußt du mir gradezu sagen, daß ein anderer mir heute zuvorgekommen ist? – Sebastianus wiederum – wie ich vermute – – «

»Wer bist du!« rief eine zürnende Stimme hinter ihm, »daß du es wagen kannst, mit Veracht und Spott den Namen eines Jünglings zu nennen, dessen Ehre unbefleckt ist, und dessen Tugend ebenso über jeden Zweifel erhaben ist, wie sein Mut?«

Er wandte sich um und stand Fabiola gegenüber, welche, nachdem sie eine Zeitlang im Garten hin- und hergewandert war, glaubte, daß sie ihre Verwandte jetzt unbeschäftigt und allein finden würde. Sie hatte ihn plötzlich bei einer Wendung des Weges entdeckt und seine letzten Worte gehört.

Fulvius war wie niedergeschmettert und verhielt sich schweigend.

Fabiola fuhr in edler Entrüstung fort:

»Und wer bist du weiter, daß du nicht zufrieden, dich schon einmal in das Haus meiner Verwandten gedrängt und eine derbe Zurechtweisung dafür erhalten zu haben, es jetzt wagst, in ihre ländliche Zurückgezogenheit einzudringen und sie zu beleidigen?«

»Und wer bist du,« erwiderte Fulvius, »daß du dich erkühnst, die herrschsüchtige Gebieterin in dem Hause einer anderen spielen zu wollen?«

»Eine,« entgegnete Fabiola, »welche dadurch, daß sie es ihrer Verwandten gestattet, zum erstenmal mit dir an ihrer Tafel zusammen zu treffen, und deine Anschläge auf ein unschuldiges Kind entdeckte, sich durch Ehre und Gewissen verpflichtet fühlt, diese zu durchkreuzen und dieses Kind vor dir zu schützen.«

Sie ergriff Agnes bei der Hand und führte sie fort. Zum erstenmal bedurfte es eines leichten Schlages auf Molossus Kopf, einer Züchtigung, welche erhalten zu haben er sich noch niemals erinnerte, um ihn vom Bellen zurückzuhalten.

Fulvius knirschte mit den Zähnen und murmelte fast hörbar:

»Warte nur, stolze Römerin, diese Stunde und diesen Tag sollst du mir bitter bereuen! Du sollst erfahren und fühlen, wie furchtbar Asien sich rächen kann!«


 << zurück weiter >>