Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierunddreißigstes Kapitel

Seliger Tod

Wenige Tage nach den Begebenheiten, über welche wir in unserem vorletzten Kapitel berichtet haben, wurde Fabiola berichtet, daß ein alter Mann, welcher große Angst und Unruhe (man vermochte nicht zu unterscheiden, ob diese wirklich oder gemacht sei) an den Tag legte, mit ihr zu sprechen wünsche.

Als sie hinunter kam und ihn nach seinem Begehr und Namen befragte, erwiderte er:

»Mein Name, edle Dame, ist Ephraim, und ich habe eine große Schuld auf das Eigentum der verstorbenen edlen Agnes eingetragen; dieses ist, wie ich höre, in deine Hände übergegangen, und ich komme jetzt, um die Bezahlung dieser Schuld von dir zu verlangen, denn sonst bin ich ein ruinierter Mann!«

»Wie ist das möglich!« rief Fabiola in höchstem Erstaunen aus. »Ich kann nicht glauben, daß meine edle Cousine jemals Schulden gemacht hat.«

»Nein. Sie nicht,« entgegnete der Wucherer ein wenig beschämt; »aber ein Herr Namens Fulvius, welchem die Güter nach ihrer Konfiskation zufallen sollten; daher streckte ich ihm bedeutende Summen vor.«

Ihr erster Impuls war, dem Manne die Thür zu weisen. Dann aber kam ihr der Gedanke an die Schwester, und sie sagte ruhig und höflich:

»Welche Schulden Fulvius auch gemacht haben kann – ich will sie bezahlen. Doch nur mit den gesetzlichen Zinsen und ohne Rücksicht auf wucherische Verbindlichkeiten.«

»Aber edle Dame, vergiß nicht das Risiko, welches ich eingegangen bin. Ich habe nur sehr mäßige Zinsen verlangt, das schwöre ich.«

»Gut,« entgegnete sie, »wende dich an meinen Haushofmeister, er wird die Angelegenheit ordnen. Du wirst keine Gefahr mehr laufen.«

Sie gab dem Freigelassenen, welcher ihre Geschäfte besorgte, die bezüglichen Befehle, die Summe unter solchen Bedingungen zu zahlen, daß diese auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Höhe zurückgeführt wurde. Aber bald genug übertrug sie ihm noch eine wichtigere Arbeit, nämlich diejenige, ihres verstorbenen Vaters Rechnungsführung und Bücher durchzusehen, um jeden Fall von Bedrückung und zugefügtem Unrecht festzustellen, damit jeder nur mögliche Ersatz geleistet werden könne. Nachdem sie sich weiter darüber vergewissert, daß Corvinus in der That durch seinen Vater das kaiserliche Reskript erlangt hatte, durch welches das ihr von rechtswegen zufallende Vermögen vor der Beschlagnahme bewahrt blieb, ließ sie ihm eine Belohnung in solcher Höhe zukommen, daß ihm dadurch ein anständiger Wohlstand für sein ganzes Leben gesichert wurde, wenn sie sich auch beharrlich weigerte, ihn jemals wieder zu sehen.

Nachdem diese zeitlichen Angelegenheiten gar bald geordnet waren, teilte sie ihre Zeit und Aufmerksamkeit nur noch zwischen der Sorge für die Kranke und der Vorbereitung auf die Taufe. Um Mirjams vollständige Wiederherstellung zu beschleunigen, brachte sie sie zusammen mit einem kleinen Teile ihres Haushalts nach einem Orte, der ihnen beiden teuer war, nach der Villa an der Via Nomentana.

Der Frühling war endlich gekommen, und Mirjam konnte auf ihrem Ruhebette an das Fenster gerückt werden, oder man brachte sie während der wärmsten Stunden des Tages vor das Haus in den Garten, wo Fabiola sich an der einen Seite, Emerentiana an der andern Seite, und der arme Molossus, der seine ganze Lebendigkeit verloren hatte, sich zu ihren Füßen niederließen. Hier sprachen sie von toten Freunden und besonders von jener, an welche sie jeder Gegenstand in ihrer Umgebung erinnern mußte. Und kaum wurde Agnes' Name genannt, als ihr alter, treuer Wächter die Ohren spitzte, mit dem Schweife wedelte und wehmütig umherblickte. Häufig sprachen sie auch von christlichen Dingen. Dann setzte Mirjam die Lehren und Unterweisungen, welche der heilige Dionysius gegeben hatte, mit jener Wärme der Überzeugung fort, welche Fabiola schon anfangs so sehr entzückt hatte. Niemals aber verließ sie dabei jene angeborene Bescheidenheit und Selbstlosigkeit.

Als er ihnen zum Beispiel von der Wirkung und Bedeutung des Kreuzzeichens sprach, welches bei der heiligen Taufe entweder auf der Stirn der Gläubigen oder über dem Wasser, welches ihre Wiedergeburt bewirkt, oder über dem Chrisma, mit welchem die Salbung vollzogen wird oder über dem Allerheiligsten, mit welchem sie gespeist werden,S. Aug. in Joh. tract. 118, 5. gemacht wird, erklärte Mirjam den Katechumenen die häufige Anwendung des heiligen Zeichens und flehte sie an, das getreulich zu üben, was alle guten Christen thaten, nämlich das Kreuz zu schlagen im Verlaufe und beim Beginn jeder Arbeit, beim Ausgehen und bei der Heimkehr, beim Anlegen der Kleider oder der Sandalen, bei den Waschungen, beim Niedersetzen zum Mahl, beim Anzünden der Lampen, beim Schlafengehen, oder beim Beginn irgend eines Gesprächs.Tertullian, welcher früher als zweihundert Jahre n. Chr. Geburt lebte und der älteste geistliche Schriftsteller ist, de Coron. Milit. cap. 3.

Indessen bemerkte jedermann mit Ausnahme von Fabiola, daß die Kranke ihre Kräfte nicht wieder erlangte, obgleich die Wunde längst geheilt war. Oft sind Mutter und Schwester die letzten, welche die Verheerungen einer tückischen Krankheit bei Kind oder Schwester wahrnehmen. Liebe ist so hoffnungsreich und so blind! Auf Mirjams Wangen lag eine hektische Röte, sie war so mager und matt, und von Zeit zu Zeit vernahm man einen trockenen Husten von ihrem Lager her. Sie lag stets lange wach und wünschte, man möge ihr Lager so aufstellen, daß sie vom ersten Sonnenstrahl an ihre Blicke auf einer Stelle ruhen lassen könne, welche in ihren Augen schöner war, als der reichste duftendste Blumenflor.

Lange Zeit hindurch hatte sich in der Villa ein Eingang zu der Katakombe befunden, welche an der Via Nomentana lag. Jetzt hieß diese bereits das Cömeterium der heiligen Agnes, denn nahe an ihrem Eingange hatte man die Märtyrerin beigesetzt. Ihr Körper ruhte in einem cubiculum oder einer Kammer unter einem gewölbten Grabe. Grade über dem Eingange zu dieser Kammer, inmitten des Parks, befand sich eine Öffnung, welche oben von einem niedrigen Parapet umgeben und durch Gebüsch verdeckt war; durch diese erhielt die unten befindliche Kammer Licht und Luft. Nach dieser Stelle liebte Mirjam hinzublicken, weil es die größte Annäherung nach dem Grabe jenes von ihr so hoch geliebten und verehrten Mädchens war, welche sie in ihrem schwachen, hilflosen Zustande machen konnte.

An einem stillen, schönen Morgen – es fehlten nur noch wenige Wochen bis zum heiligen Osterfeste – blickte sie wiederum nach jener Richtung, als sie plötzlich ein halbes Dutzend junger Männer daherkommen sah, welche auf ihrem Wege nach dem in der Nähe vorüberfließenden Anio, wo sie zu angeln beabsichtigten, den kürzesten, wenn auch verbotenen Weg durch den Park der Villa gewählt hatten. Sie gingen an der oben beschriebenen Öffnung vorüber; und nachdem der eine von ihnen hinabgeblickt hatte, rief er die anderen herbei.

»Dies ist eins jener unterirdischen Verstecke der Christen.«

»Eins jener Löcher, die in den Kaninchenbau führen.«

»Laßt uns hinabsteigen,« sagte ein anderer.

»Gut! aber wie würden wir wieder hinaufgelangen?« fragte ein dritter.

Dies Gespräch konnte Mirjam nicht hören, aber sie sah, was darauf folgte.

Einer, der noch genauer hinabgeblickt hatte, indem er die Augen mit der Hand gegen das Licht schützte, rief die anderen herbei, damit sie dasselbe thäten; aber zugleich machte er ihnen Zeichen zu, sich ruhig zu verhalten. Schnell hatten sie große Steine von der Felseneinfassung eines Brunnens herbeigeholt und warfen einen Hagel derselben auf irgend einen Gegenstand hinab, den sie dort unten erblickt hatten. Als sie fortgingen, lachten sie herzlich. Mirjam glaubte, daß sie dort unten eine Schlange oder irgend ein anderes widerliches Tier gesehen und sich damit belustigt hätten, es mit Steinen zu bewerfen.

Als die Hausbewohner wach wurden, erwähnte sie des Vorfalles ihnen gegenüber, damit die Steine wieder entfernt würden. Fabiola selbst ging mit einigen Dienern hinunter, denn sie pflegte Agnes' Grab mit der eifersüchtigsten Sorgfalt. Wie groß war aber ihr Kummer und Schrecken, als sie Emerentia in Blut gebadet und tot fand! Das arme Kind war hinabgestiegen, um am Grabe ihrer Pflegeschwester zu beten.

Es stellte sich heraus, daß sie abends zuvor am Flusse vorbeigegangen, als dort heidnische Orgien gefeiert worden; als die Tobenden sie aufgefordert hatten, daran teil zu nehmen, hatte sie ihnen nicht nur Vorwürfe über ihre Gottlosigkeit gemacht und sich geweigert, mit ihnen in Gemeinschaft zu treten, sondern sie hatte ihnen auch noch ihre Grausamkeit gegen die Christen vorgeworfen. Sie bewarfen das Mädchen mit Steinen und verwundeten es ernstlich, aber es flüchtete sich vor ihrer Wut in die Villa. Da sie sich matt und sterbend fühlte, kroch sie von niemand bemerkt nach Agnes' Grab, um dort zu beten. Als einige ihrer Angreifer vom vorigen Abend sie dort entdeckten, war sie bereits unfähig gewesen, sich fort zu bewegen. Diese rohen Heiden hatten der Kirche vorgegriffen und ihr die Bluttaufe erteilt. Sie wurde neben Agnes begraben, und dem einfachen Bauernkinde wurde die Ehre zu teil, daß sein Andenken alljährlich als das einer Heiligen gefeiert wird.

Fabiola und ihre Gefährten machten den üblichen Kursus der Vorbereitung durch, obgleich er in diesem Falle der Christenverfolgung wegen abgekürzt wurde. Da sie am Eingange eines Cömeteriums, welches noch dazu mit großen Kirchen versehen war, wohnten, wurde es ihnen leicht, die drei Stadien der Katechumenen durchzumachen. Zuerst waren sie Hörende,Audientes. denen es gestattet wurde, gegenwärtig zu sein, wenn die Lektionen vorgetragen wurden; dann Knieende,Genuflectentes. welche einem Teil der liturgischen Gebete beiwohnten, und zuletzt Auserwählte oder BittendeElecti oder competentes um die Taufe.

Sobald sie der letztgenannten Klasse angehörten, mußten sie dem Gottesdienste häufig beiwohnen, besonders aber an den drei Mittwochen, welche auf den ersten, den vierten und den letzten Sonntag in der Fastenzeit folgten. Für diese Tage hat das römische Meßbuch noch heute eine zweite Kollekte und Lektion, was sich von jenen Gebräuchen herschreibt. Jeder, der den gegenwärtigen Ritus der Taufe in der katholischen Kirche prüft und beachtet, besonders den für Erwachsene, wird in eine einzige Handlung das zusammengedrängt sehen, was in alten Zeiten auf verschiedene gottesdienstliche Funktionen verteilt war. An einem Tage fand die Abschwörung des Satans statt, und dieses wiederholte sich dann noch einmal kurz vor der Taufe; an einem anderen Tage wurde die Berührung der Ohren und der Nasenlöcher oder Ephpheta vorgenommen. Dann wurden die Exorcismen und Kniebeugungen, Bezeichnungen der Stirn und des Leibes,Dies findet man hauptsächlich bei der Taufe von Erwachsenen während der Wiederholungen des Vaterunsers. das Anhauchen des Täuflings und andere bedeutungsvolle Riten wiederholt. Noch feierlicher war die Salbung, welche sich nicht auf den Kopf allein beschränkte, sondern sich über den ganzen Körper ausdehnte.

Auch das apostolische Glaubensbekenntnis wurde getreulich gelernt und dem Gedächtnis eingeprägt. Jedoch die Lehre vom heiligen Altarsakramente wurde erst nach dem Empfang der Taufe vorgenommen.

Während dieser vielen vorbereitenden Übungen ging die Bußzeit der Fasten schnell und feierlich vorüber, bis endlich der Osterabend kam.

Es ist nicht unsere Sache, die Ceremonie der Kirche bei der Ausspendung der Sakramente zu beschreiben. Das liturgische System hatte seine große Entwickelung, nachdem der Friede zurückgekehrt war, und vieles, was äußeren Glanz und Feierlichkeit betrifft, war unvereinbar mit der fürchterlichen Verfolgung, welche die Kirche erduldete.

Es genügt uns, gezeigt zu haben, daß nicht nur die Lehren und die großen, heiligen Handlungen, sondern sogar die Ceremonien und das Beiwerk während jener ersten drei Jahrhunderte fast dieselben waren, wie sie es heute noch sind.

Wenn irgend jemand es für wert erachtet, unserem Beispiel zu folgen, so wird er vielleicht eine glänzendere Periode beschreiben als jene, welche wir für unsere Feder gewählt haben.

Die Taufe Fabiolas und ihres Haushalts wurde durch keine andere Festlichkeit als durch rein fromme Freuden gefeiert. Alle Titel der Stadt waren geschlossen und unter anderem auch der Titel Sankt Pastor mit seinem päpstlichen Taufbrunnen.

Am Morgen des bedeutungsvollen Tages schlich daher die ganze Gesellschaft um die Mauern nach der anderen Seite der Stadt, und indem sie die Via Portuensis oder den Weg, welcher nach dem Hafen an der Mündung des Tiber führte, entlang ging, bog sie in einen Weingarten nahe den Gärten des Cäsar ein und stieg hinab in das Cömeterium des Pontianus, welches als der Ruheplatz der persischen Märtyrer Abdon und Sennen berühmt war.

Der Morgen wurde mit Vorbereitungen und Gebeten hingebracht, und gegen Abend begannen die Feierlichkeiten, welche die ganze Nacht hindurch dauern sollten.

Als der Zeitpunkt für die Spendung der Taufe gekommen war, leitete er allerdings nur eine düstere Feier ein. Tief unten in den Eingeweiden der Erde hatte man das Wasser eines unterirdischen Stroms in einen viereckigen Brunnen oder eine Cisterne gefaßt, ungefähr vier oder fünf Fuß tief. Es war klar in der That, aber kalt und bleich, wenn wir einen solchen Ausdruck gebrauchen dürfen, dieses unterirdische Bad, welches aus tufo oder vulkanischem Felsgestein gebildet war. Eine lange Reihe von Stufen führte in dieses einfache Taufbecken hinunter; ein schmaler, vorstehender Rand an der Seite genügte für den Priester und den Täufling, welcher dreimal in die reinigenden Fluten getaucht wurde.

Dies Ganze existiert noch bis auf den heutigen Tag, grade so erhalten wie es damals war, mit der einzigen Ausnahme, daß man jetzt oberhalb des Wassers ein Gemälde sieht, welches Johannes unseren Heiland taufend darstellt. Dieses ist wahrscheinlich ein oder zwei Jahrhunderte später dort angebracht worden.

Unmittelbar nach der Taufe folgte die Firmung, und darauf wurde der Neophyt oder das neugeborene Kind der Kirche nach der notwendigen Unterweisung zum erstenmal zum Tische des Herrn zugelassen und mit dem Brote der Engel gespeist.

Erst spät am Ostertage kehrte Fabiola in ihre Villa zurück. Eine lange, von keinem Worte begleitete Umarmung war die erste Begrüßung zwischen ihr und Mirjam. Beide waren so zufrieden, so glückselig, so reich belohnt für alles, was sie einander seit Monaten gewesen waren, daß Worte ihre Gefühle nicht auszudrücken vermochten. Der große Gedanke und der alles übertönende Stolz Fabiolas an diesem Tage war der, sich jetzt endlich zu dem erhabenen Standpunkt ihrer früheren Sklavin emporgeschwungen zu haben – nicht in Tugend, nicht in Reinheit des Charakters, nicht in Größe der Seele, nicht in himmlischer Weisheit, nicht in Verdiensten vor Gott – o nein! – in all diesem stand sie noch bedeutend unter ihr. Aber als ein Kind Gottes, als Erbin eines ewigen Reichs, als ein lebendiges Glied des Leibes Christi – sie durfte teilhaben an all Seiner Gnade, an dem Preise seiner Erlösung; sie war ein neues Geschöpf in Ihm, sie fühlte sich Mirjam ebenbürtig, und mit glückseliger Freude sagte sie ihr das.

Niemals war sie so stolz auf ein köstliches Kleid gewesen, wie sie es heute auf das weiße Gewand war, welches sie erhalten, als sie aus dem Taufbecken gestiegen, und das sie jetzt acht Tage lang tragen mußte.

Aber der barmherzige Vater im Himmel weiß, wie er unsere Freuden mit Kummer mischen muß, und er sendet uns letzteren, wenn Er uns am besten darauf vorbereitet hat.

In jener innigen Umarmung, deren wir oben Erwähnung gethan, gewahrte Fabiola zum erstenmal den kurzen, schweren Atem und die wogende Brust ihrer teuren Schwester. Sie wollte bei diesem Gedanken nicht einen Augenblick verweilen, aber dennoch sandte sie einen Boten zu Dionysius und ließ ihn bitten, am nächsten Morgen zu kommen.

An diesem Abend feierten sie ihr Ostermahl alle zusammen. Fabiola war stolz, an Mirjams Seite den Vorsitz an einer Tafel zu führen, an welcher ihre eigenen getauften Sklaven und jene aus Agnes' Haushalt, die sie sämtlich in ihrem Dienste behalten hatte, saßen oder lagerten. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals eine so köstliche Mahlzeit gehalten zu haben.

Früh am nächsten Morgen rief Mirjam Fabiola an ihre Seite und in zärtlich liebevoller Weise, wie ihre frühere Gebieterin sie niemals an ihr bemerkt hatte, sagte sie:

»Meine teure Schwester, was wirst du thun, wenn ich dich verlassen habe?«

Fabiola war fast von Schmerz überwältigt.

»Willst du mich denn verlassen? Ich hatte gehofft, daß wir immer wie Schwestern zusammenleben würden. Wenn du aber wünschest Rom zu verlassen, so gestatte mir, dich zu begleiten, um dich wenigstens pflegen und dir dienen zu können.«

Mirjam lächelte, aber eine Thräne schimmerte in ihrem Auge, als sie zum Himmel empor deutete.

Fabiola verstand sie und sagte: »O nein, nein, teure Schwester. Bete zu Gott, der dir keine Bitte versagen wird, daß ich dich nicht verliere. Ich weiß, daß es selbstsüchtig ist; aber was kann ich ohne dich sein, ohne dich thun? Jetzt, wo ich gelernt habe, wieviel diejenigen, welche bei Christus wohnen, durch ihre Fürbitte thun können, will ich zu Agnes»Agnae sepulchrum est Romulea in domo Fortis puellae, martyris inclitae. Conspectu in ipso condita turrium Servat salutem virgo Quiritum; Necnon et ipsos protegit advenas, Puro ac fideli pectore supplices.« Prudentius und Sebastianus beten, daß sie für mich bitten und ein so großes Unglück von mir abwenden.

»Du mußt wieder gesund werden. Ich bin fest überzeugt, daß deine Krankheit keine ernste ist; das warme Wetter und das herrliche Klima von Campania werden dich bald wieder gesund machen. Dort werden wir wiederum an der Quelle sitzen und von besseren Dingen als von Philosophie reden.«

Mirjam schüttelte das Haupt, nicht traurig, sondern fröhlich, indem sie entgegnete:

»Täusche dich nicht, meine teure Schwester. Gott hat mich hier gelassen, damit ich diesen glücklichen Tag noch erlebe. Aber Seine Hand ruht auf mir und Er führt mich in den Tod, wie Er mich durch das Leben geführt hat. Ich heiße den Tod willkommen! Und ich weiß wieviel Tage mir noch bleiben.«

»O! geh noch nicht so schnell von mir!« rief Fabiola schluchzend.

»Nicht, so lange du noch dein weißes Gewand trägst, geliebte Schwester,« antwortete Mirjam. »Ich weiß, daß du um mich trauern möchtest; und ich will dir auch nicht eine einzige Stunde deiner bedeutungsvollen Weiße rauben.«

Dionysius kam und bemerkte sofort eine große Veränderung in seiner Patientin, welche er seit längerer Zeit nicht gesehen hatte. Es war, wie er gefürchtet hatte. Die tückische Spitze des Dolches hatte sich um den Knochen gedreht und das Rippenfell verletzt; die Auszehrung hatte sich schnell entwickelt. Er bestätigte Mirjams ernsteste Befürchtungen.

Fabiola ging, um an Agnes' Grabe um Ergebung zu flehen. Sie betete lange und innig und unter heißen Thränen. Dann kehrte sie zurück.

»Schwester,« sagte sie mit Entschlossenheit, »Gottes Wille geschehe, ich bin bereit, selbst dich ihm hinzugeben. Aber jetzt sage mir, ich bitte dich darum, was willst du, daß ich thun soll, wenn du von mir gegangen bist?«

Mirjam sah zum Himmel empor und entgegnete: »Lege meinen Leib zu Agnes' Füßen nieder und bleib, um zu ihr und für mich zu beten, bis ein Fremder aus dem Morgenlande, der Überbringer guter Botschaft kommt.«

Am folgenden Sonntage, dem »Sonntage der weißen Kleider«, feierte Dionysius auf besondere Erlaubnis die heiligen Geheimnisse in Mirjams Zimmer und erteilte ihr die heilige Kommunion als Wegzehrung. Dieses Lesen der heiligen Messe in Privathäusern war nach dem heiligen Augustinus und anderen nichts seltenes.St. Ambrosius las die Messe in dem Hause einer Dame jenseit des Tiber (Paulinus in seinem Leben, tom. II.) St. Augustin erwähnt eines Priesters, welcher die Messe in einem Hause las, das von bösen Geistern heimgesucht sein sollte. Dann salbte er sie mit Öl und sprach Gebete dabei – das letzte Sakrament, welches die Kirche spendet.

Fabiola und ihr ganzer Haushalt, welche dieser feierlichen Handlung unter Thränen und Gebeten beigewohnt hatten, stiegen jetzt in die Krypta hinunter und kehrten nach der frommen Handlung in ihren dunklen Gewändern wieder zu Mirjam zurück.

»Die Stunde ist gekommen,« sagte diese und ergriff Fabiolas Hand, »vergieb mir, wenn ich nicht immer meine Pflicht gethan habe, wenn ich dir nicht stets ein gutes Beispiel gab.«

Dies war mehr als Fabiola ertragen konnte, und sie brach in einen Strom von Thränen aus. Mirjam tröstete sie und sagte:

»Drücke das Zeichen der Erlösung auf meine Lippen, wenn ich nicht mehr sprechen kann; und, guter Dionysius, gedenk meiner vor Gottes Altar, wenn ich geschieden bin.«

Er betete neben ihr, und sie antwortete ihm, bis ihre Stimme endlich versagte. Aber ihre Lippen bewegten sich, als sie sie auf das Kreuz drückte, welches ihr gereicht wurde. Sie sah ruhig und freudig aus, bis sie zuletzt die Hand an die Stirn führte und dann die Brust berührte und tot zurückfiel, indem sie das erlösende Zeichen machte. Ein Lächeln flog über ihr Antlitz, und sie starb, wie tausende von Kindern Christi nach ihr gestorben sind.

Fabiola betrauerte sie innig. Aber jetzt trauerte sie wie jene, die da hoffen.


 << zurück weiter >>