Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Fünfzehntes Kapitel

Erklärungen

Als der Tag endlich angebrochen war, strömten große Menschenmassen von allen Seiten auf das Forum, von der Neugierde getrieben, endlich das furchtbare Edikt zu lesen, dessen Veröffentlichung schon seit so langer Zeit gedroht hatte. Als sie indessen nur das leere Brett entdeckten, entstand ein allgemeiner Aufruhr. Einige bewunderten den Mut der Christen, welche man meistens für feige hielt; andere waren empört über die Frechheit solch einer That; einige machten die Obrigkeit, welche die Proklamation erlassen hatte, lächerlich; andere waren zornig, weil die Unterhaltung, welche sie sich für den Tag versprochen hatten, nun möglicherweise noch einen Aufschub erleiden mußte.

Bereits zu früher Stunde waren die vornehmen Besucher öffentlicher Orte mit Gesprächen über diesen Gegenstand beschäftigt. In den großen antoninischen Thermen war eine Gruppe regelmäßiger Besucher in dieses Thema vertieft. Da waren Scaurus, der Advokat und Proculus und Fulvius und der Philosoph Calpurnius und mehrere andere, welche sehr angelegentlich mit einigen staubigen Bänden beschäftigt waren.

»Das ist eine seltsame Geschichte mit dem Edikt!« sagte einer.

»Sag' lieber, eine verräterische Beleidigung gegen die Person der göttlichen Kaiser!« entgegnete Fulvius.

»Wie ward es vollbracht?« fragte ein Dritter.

»Hast du nicht gehört, daß die dacische Schildwache, welche am Brunnengeländer aufgestellt war, tot aufgefunden wurde, mit siebenundzwanzig Dolchwunden, von denen neunzehn absolut tödlich waren?«

»Nein, das ist ein ganz falsches Gerücht,« unterbrach Scaurus; »es ist durchaus nicht mit Gewalt, sondern durch Zauberei geschehen. Zwei Frauen näherten sich dem Soldaten, welcher die eine mit seiner Lanze durchbohrte; diese aber durchstieß das Weib und blieb auf der anderen Seite im Erdboden stecken, ohne der Frau auch nur die leiseste Wunde beizubringen. Dann hieb er mit seinem Schwerte nach der anderen; aber ebensogut hätte er den Hieb nach einem Marmorblocke führen können. Sie warf ihm eine Handvoll Pulver ins Gesicht, und er flog in die Luft und wurde heute morgen schlafend und unverletzt auf dem Dache der Ämilianischen Basilika aufgefunden. Einer meiner Freunde, welcher schon früh unterwegs war, sah noch die Leiter an der Basilika lehnen, auf welcher man ihn hinunter getragen hatte.«

»Wunderbar! Seltsam!« riefen viele aus. »Was für außergewöhnliche Menschen diese Christen doch sein müssen!«

»Ich glaube kein Wort davon,« bemerkte Proculus. »Es giebt keine solche Zauberkraft; und ich sehe wahrlich nicht ein, weshalb diese elenden Menschen sie mehr besitzen sollten, als wir vornehmen Leute. Komm Calpurnius,« fuhr er fort, »leg' doch jenes alte Buch beiseite und beantworte diese Fragen. Ich habe eines Tages nach einer köstlichen Mahlzeit über diese Leute mehr durch dich erfahren, als bis dahin während meines ganzen Lebens. Welch ein wunderbares Gedächtnis du haben mußt, um dich so der Genealogie und der Geschichte dieses barbarischen Volkes zu erinnern! Ist das, was Scaurus uns soeben erzählt hat, möglich oder nicht?«

Calpurnius ließ sich mit großer Pomphaftigkeit folgendermaßen aus:

»Es ist kein Grund vorhanden, weshalb man solche Dinge für unmöglich halten sollte; denn die Kraft der Zauberei hat keine Grenzen. Um ein Pulver zu bereiten, welches einen Menschen in die Luft zu schnellen vermag, wäre es nur notwendig, ein Kraut zu finden, in welchem die Luft mehr vorherrschend ist, als die anderen drei Elemente. Und solche sind nach der Lehre des Pythagoras zum Beispiel Hülsenfrüchte oder Linsen. Wenn diese nun gesammelt werden, sobald die Sonne im Tierkreise der Wage steht – deren Natur es ja ist, selbst schwere Dinge in der Luft balancieren zu können – im Augenblick ihrer Paarung mit dem Merkur – eine beschwingte Macht wie ihr wißt – und ihnen von einem geschickten Zauberer durch gewisse Hexensprüche der gehörige Nachdruck verliehen wird – sie dann zu Pulver gestoßen werden in einem Mörser, welcher aus einem Äroliten oder Stein, welcher in den Himmel geflogen und wieder herabgefallen ist, hergestellt worden, so würde dieses Präparat ohne Zweifel einen Menschen in den Stand setzen oder gar zwingen, in die Luft zu stiegen. Es ist in der That wohlbekannt, daß die thessalischen Hexen ganz nach Belieben durch die Wolken von einem Orte zum anderen fliegen – und dies kann doch nur durch Hexerei geschehen.

»Nun also zu den Christen. Du wirst dich erinnern, mein ausgezeichneter Proculus, daß ich in der Erzählung, auf welche zurückzukommen du mir die Ehre erwiesen hast – es war an der Tafel des klugen Fabius, wenn ich mich recht besinne – erwähnte, daß die Sekte ursprünglich aus Chaldäa gekommen sei, einem Lande, welches stets seiner geheimen Künste wegen bekannt gewesen. Die Geschichte hat uns ein Beispiel aufbewahrt, welches das wichtigste Zeugnis für diese Behauptung ablegt. Es ist ganz bestimmt, daß hier ein gewisser Simon, welcher zuweilen Simon Petrus und zu anderen Zeiten wieder Simon Magus genannt wurde, vor einer großen Menschenmenge in der That hoch in die Luft hinaufschwebte; da sein Zaubermittel ihm aber aus dem Gürtel geglitten war, fiel er wieder zur Erde und brach beide Beine. Und aus diesem Grund war man gezwungen, ihn mit dem Kopf nach unten zu kreuzigen.«

»Folglich sind also alle Christen Zauberer?« fragte Scaurus.

»Gewiß, das ist ein Teil ihres Aberglaubens. Sie glauben, daß ihre Priester die außergewöhnlichste Macht über die Natur besitzen. So denken sie zum Beispiel, daß sie die Körper der Menschen in Wasser baden können, wodurch ihre Seelen die wunderbarsten Gaben erhalten. Sie sind überzeugt, daß sie durch dieses Bad – wenn sie nämlich Sklaven sind – über ihre Gebieter, ja, über die göttlichen Kaiser selbst erhöht werden.«

»Entsetzlich!« riefen alle aus.

»Dann wieder,« begann Calpurnius von neuem, »wissen wir ja alle, welch ein furchtbares Verbrechen einige von ihnen gestern Abend begangen haben, indem sie ein kaiserliches Edikt unserer göttlichen Herrscher herabgerissen; und stellt euch nur vor – was die Götter verhüten mögen – wenn sie in ihrem Verrat noch weiter gegangen wären und sich an dem geheiligten Leben unserer Kaiser vergriffen hätten, so wäre es nur vonnöten gewesen, daß sie zu einem jener Priester gegangen wären, das Verbrechen eingestanden hätten und um Vergebung gebeten hätten. Und wenn dieser sie ihnen gewährt, so halten sie sich für vollkommen schuldlos.«

»Grauenvoll!« fiel der ganze Chor ein.

»Solch eine Lehre,« sagte Scaurus, »ist unverträglich mit der Sicherheit des Staates. Ein Mensch, welcher glaubt, daß ihm sein Nebenmensch seine Sünden vergeben kann, ist imstande, jedes Verbrechen zu begehen!«

»Und das ist ohne Zweifel der Grund dieses neuen und schrecklichen Ediktes gegen sie,« meinte Fulvius. »Nach allem, was Calpurnius uns von diesen verzweifelten Menschen erzählt hat, kann keine Maßregel gegen sie strenge genug sein.«

Fulvius hatte Sebastianus, welcher während dieses Gesprächs eingetreten war, scharf angeblickt. Jetzt wandte er sich ausdrücklich an ihn:

»Und du, Sebastianus, denkst ohne Zweifel ebenso, nicht wahr?«

»Ich bin der Ansicht, daß wenn die Christen wirklich das sind, was Calpurnius von ihnen behauptet, nämlich schändliche Zauberer, sie nichts besseres verdienen als von der Erde vertilgt zu werden. Aber selbst dann noch würde ich ihnen eine Gelegenheit zum Entrinnen gewähren,« antwortete er ruhig.

»Und diese wäre?« fragte Fulvius höhnisch.

»Ich würde befehlen, daß niemand sich an ihrer Vertilgung beteiligen dürfte, der nicht beweisen könnte, daß er selbst freier von Verbrechen ist als sie. Keiner dürfte die Hand gegen sie erheben, welcher nicht behaupten könnte, daß er selbst niemals ein Ehebrecher, ein Wucherer, ein Erpresser, ein Betrüger, ein Trunkenbold, ein schlechter Gatte, ein schlechter Vater, ein schlechtes Kind, ein Bösewicht oder ein Dieb gewesen. Denn daß die armen Christen eines dieser Verbrechen begingen, behauptet niemand.«

Fulvius krümmte sich unter diesem Verzeichnis von Sünden und noch mehr unter dem entrüsteten aber ruhigen Blicke Sebastianus! Bei dem Worte »Dieb« indessen zuckte er sichtbar zusammen. Hatte der Soldat denn gesehen, daß er an jenem Abende im Hause des Fabius' das Tuch an sich genommen hatte? Sei dem nun wie ihm wolle, die Abneigung, welche er gegen Sebastianus bei ihrer ersten Begegnung gefaßt hatte, war bei der zweiten bereits zum Hasse heran gereift; und in jenem Herzen stand das Wort »Haß« immer nur mit blutigen Buchstaben geschrieben. Er hatte diesem Gefühl nur noch Intensivität hinzuzufügen.

Sebastianus ging hinaus, und seine Gedanken machten sich in vertrauten Worten des Gebetes Luft.

»Wie lange noch, o mein Gott, wie lange? Welche Hoffnung können wir denn für die Bekehrung Vieler zur Wahrheit hegen, wieviel weniger noch für die Bekehrung dieses ganzen großen Reiches, wenn wir noch immer ehrliche und gelehrte Männer finden, welche jede Verleumdung glauben, die gegen uns vorgebracht wird? Menschen, welche von Jahrhundert zu Jahrhundert sorgsam jede Fabel und Lüge über uns aufspeichern? Welche sich dagegen wehren, in unsere Lehren einzudringen, weil sie sich einmal die Überzeugung gebildet haben, daß sie falsch und verächtlich sind?«

Er sprach laut, da er sich allein glaubte. Plötzlich sagt eine süße Stimme neben ihm:

»Guter Jüngling, wer du auch sein magst, der du so sprichst – und mich dünkt, daß ich deine Stimme kenne – vergiß nicht, daß der Sohn Gottes dem blinden Auge des Menschen Licht gab, indem er Staub auf dasselbe streute, welcher in den Händen des Sterblichen jedes sehende Auge blind gemacht haben würde. Laß uns sein wie der Staub zu seinen Füßen, wenn wir durch seine Hand das Mittel werden wollen, das seelische Auge der Menschen sehend machen zu wollen. Lassen wir uns noch eine Zeitlang unterdrücken und treten, üben wir uns noch länger m der Geduld; vielleicht steigt noch aus unserer Asche der Funke auf, welcher zündet.«

»Ich danke dir, ich danke dir, Cäcilia, für deinen gütigen und gerechten Vorwurf,« sagte Sebastianus. »Wohin trippelst du denn so fröhlich an diesem ersten Tage der Gefahr?«

»Weißt du denn nicht, daß ich zur Führerin des Cömeteriums des Callistus ernannt worden bin? Ich gehe jetzt, um mein Amt anzutreten. Ich bete, daß ich die erste Blume des kommenden Frühlings sein möge!«

Und fröhlich singend wollte sie weiterschreiten. Doch Sebastianus bat sie, noch einen Augenblick zu verweilen.


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