Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Vierzehntes Kapitel

Die Entdeckung

Beim ersten Morgenstrahl war Corvinus bereits auf den Füßen, und trotz der Düsterkeit des Tages ging er graden Wegs nach dem Forum. Er fand die Vorposten ruhig und auf ihrem Platze, und eilte nach dem hauptsächlichen Gegenstande seiner Sorge. Es würde nutzlos sein, wenn man versuchen wollte, sein Erstaunen, seine Wut, seine Raserei zu beschreiben, als er das leere Brett erblickte, auf welchem nur noch wenige Fetzen des aufgenagelten Pergaments hingen, und daneben stehend in unbewußter Dummheit seine dacische Schildwache.

Er hätte sich wie ein Tiger auf den Mann stürzen mögen, wenn er nicht in dem blitzenden Auge des Barbaren eine Art hyänenhaften Schielens gesehen hätte, welches ihm riet, alles derartige zu unterlassen. Aber in leidenschaftlicher Wut schrie er:

»Bursche! wie ist das Edikt verschwunden? Sprich augenblicklich!«

»Sachte, sachte, Herr Kornweiner,« antwortete der gleichmütige Nordländer, »da ist es, wie Ihr es übergeben habt.«

»Wo, du Narr? Komm her und sieh!«

Der Dacier trat zu ihm und sah zum erstenmal auf das Brett. Nachdem er es einige Minuten angestarrt hatte, sagte er: »Nun ist das nicht das Brett, welches Ihr gestern Abend aufgehängt habt?«

»Ja, du Schafskopf, aber es war eine Schrift darauf, und die ist fort. Grade sie solltest du behüten!«

»Nun, Hauptmann, seht doch, was Schrift angeht, so verstehe ich nichts davon, denn ich war niemals ein Gelehrter. Da es die ganze Nacht geregnet hat, so hat der Regen die Schrift vielleicht ausgelöscht.«

»Und da es regnete, hat der Wind vermutlich das Pergament, auf welches sie geschrieben war, fortgeweht?«

»Kein Zweifel, Herr Kornweiner, Ihr habt recht.«

»Geh Bursche, hier giebt es nichts zu scherzen. Sag mir sofort, wer während der Nacht hier gewesen ist!

»Nun, es sind ihrer zwei gekommen.«

»Zwei?«

»Ja, zwei Zauberer, oder Kobolde, oder noch schlimmeres.«

»Sprich mir keinen solchen Unsinn vor!«

Das Auge des Daciers blitzte trunken auf.

»Gut, sag mir, Arminius, wie sahen denn die Leute aus, und was thaten sie?«

»Nun, einer von ihnen war nur ein Gelbschnabel, ein Bursche, groß und lang und dünne; er ging um den Pfeiler herum, und er muß wohl das fortgenommen haben, was Ihr sucht, während ich mit dem anderen zu thun hatte.«

»Und was ist's mit ihm? Wie sah er aus?«

Der Soldat riß Augen und Mund auf, starrte Corvinus einige Minuten an und sagte dann mit einer Art stumpfsinniger Feierlichkeit: »Wie er aussah? Nun, wenn er nicht Thor selber gewesen ist, so war er doch nicht weit davon. Solche Kraft habe ich niemals verspürt.«

»Was that er denn, um sie dich fühlen zu lassen?«

»Anfangs trat er zu mir und plauderte ganz freundlich, fragte mich, ob mir nicht sehr kalt sei und dergleichen mehr. Endlich fiel es mir ein, daß ich jeden durchbohren sollte, der zu nahe kam –«

»Gewiß,« unterbrach ihn Corvinus, »und weshalb hast du nicht gethan, wie dir befohlen?«

»Weil er mich nicht ließ. Ich sagte ihm, er solle machen, daß er fortkomme, oder ich würde ihn aufspießen; ich trat zurück und zielte mit meinem Wurfspieß; wie es geschah, weiß ich nicht, aber ruhig nahm er ihn mir aus der Hand, zerbrach ihn übers Knie, als wäre es das hölzerne Schwert eines Marktschreiers gewesen, und schleuderte die eiserne Spitze fünfzig Klafter weit fort, wo Ihr sie noch in der Erde stecken sehen könnt.«

»Nun, und weshalb stürztest du dich nicht sofort mit deinem Schwert auf ihn und schafftest ihn so aus der Welt? Aber wo ist dein Schwert? Es steckt ja nicht in der Scheide.«

Mit blödem Grinsen wies der Dacier auf das Dach der benachbarten Basilika und sagte:

»Dort, seht Ihr es nicht im Morgenlicht auf den Dachziegeln glänzen?«

Corvinus folgte der Richtung seiner Hand und erblickte allerdings etwas, das wie ein Schwert aussah; er wollte aber kaum seinen Augen trauen.

»Wie ist es dorthin gekommen, Bube?« fragte er.

Der Soldat zupfte in verhängnisvoller Weise an seinen: Barte; dies ließ Corvinus seine Frage in höflicherem Ton wiederholen, und jetzt erhielt er die Antwort:

» Er oder es – was es nun auch gewesen sein mag – entwand es ohne sichtliche Anstrengung meiner Hand, aber er wandte einen Zauberspruch an, und er schleuderte es ebenso leicht dort hinauf, wo Ihr es jetzt seht, wie ich einen Scheibenwerfer ein Dutzend Ellen weit fortwerfen könnte.«

»Und dann?«

»Und dann gingen er und der Knabe, welcher hinter dem Pfeiler hervorkam, ruhig von dannen.«

»Welch seltsame Geschichte!« murmelte Corvinus vor sich hin, »und doch sind die Beweise für die Erzählung des Burschen vorhanden. Nicht jeder Mensch wäre zu solchen Kraftleistungen im stande. Aber sag mir nur, weshalb hast du nicht Lärm geschlagen und die anderen Schildwachen zur Verfolgung der Missethäter aufgefordert?«

»Erstens, Meister Kornweiner, weil man in meinem Vaterlande wohl mit lebenden Menschen, aber nicht mit Kobolden und Gespenstern kämpft. Und zweitens, was hätte es genützt? Ich sah ja, daß das Brett, welches ich bewachen sollte, unbeschädigt dort hing.«

»Dummer Barbar!« murmelte Corvinus ganz leise; dann fügte er hinzu, »diese Sache wird dir sehr schlecht bekommen, denn du weißt, daß es ein Kapitalverbrechen ist.«

»Was ist ein Kapitalverbrechen?«

»Wenn du einen Mann an dich herantreten und mit dir sprechen läßt, ohne daß er das Losungswort giebt.«

»Sachte, sachte, Hauptmann, wer sagt Euch denn, daß er es nicht gab? Ich habe das nicht gesagt.«

»Aber kannte er es denn? So konnte er kein Christ sein.«

»Ja, er trat an mich heran und sagte ganz deutlich: »Nomem Imperatorum.«Der Name des Kaisers.

»Was?« brüllte Corvinus.

»Nomen Imperatorum.«

»›Numen Imperatorum‹ war die Losung,« schrie der wütende Römer.

»Nomen oder Numen, das ist doch wohl ganz gleichgültig, wie ich meinen sollte. Ein Buchstabe kann doch keinen Unterschied machen. Ihr nennt mich Arminius, und ich nenne mich Hermann, und doch ist es derselbe Name. Woher sollte ich denn die seinen Unterschiede in Eurer Sprache kennen?«

Corvinus war über sich selbst wütend, denn er sah ein, wieviel besser er seinen Zweck erreicht haben würde, wenn er einen scharfen, intelligenten Prätorianer auf jenen Posten gestellt hätte anstatt eines brutalen, wilden Fremden.

»Gut,« sagte er in der bösesten Laune, »für alles dies wirst du dem Kaiser verantwortlich sein; und du weißt, er ist nicht geneigt, solche Dinge ungestraft vorübergehen zu lassen.«

»Seht her, Herr Krummbeiner,« entgegnete der Soldat mit einem Blicke schlauer Dummheit, »was das anbetrifft, so fahren wir ungefähr in demselben Boot.« (Corvinus wurde bleich, denn er wußte, daß dies wahr sei.) »Und Ihr müßt irgend etwas ersinnen, um mich zu retten, wenn Ihr Euch selbst retten wollt. Ihr waret es, den der Kaiser verantwortlich machte für jenes – wie nennt Ihr es doch gleich – für jenes – Brett.«

»Du hast recht, mein Freund; ich muß angeben, daß ein starker Trupp dich angegriffen und dich auf deinem Posten ermordet hat. Halt dich also während einiger Tage in deinem Quartier auf und du sollst Bier im Überfluß haben, bis die Sache sich im Sande verlaufen hat.«

Der Soldat ging fort und versteckte sich. Einige Tage später wurde der Körper eines augenscheinlich ermordeten Daciers an das Ufer der Tiber gespült. Man glaubte, daß er in einem Handgemenge mit Trunkenbolden gefallen sei, und man gab sich keine weitere Mühe, die näheren Umstände zu ermitteln. Es verhielt sich allerdings so, aber Corvinus hätte die beste Auskunft über den Vorgang geben können. Bevor er jedoch die verhängnisvolle Stelle auf dem Forum verließ, spähte er sorgfältig auf dem Boden umher, ob er nicht irgend eine Spur des kühnen Thäters entdecken könne. Da erblickte er grade unterhalb des Platzes, an welchem das Edikt festgenagelt gewesen, ein Messer, von welchem er bestimmt wußte, daß er es bereits in der Schule im Besitze irgend eines seiner Kameraden gesehen habe. Er nahm es auf und verbarg es als ein Instrument künftiger Rache, und dann eilte er fort, um sich eine zweite Abschrift des Edikts zu verschaffen.


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