Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Vierundzwanzigstes Kapitel

Der christliche Soldat

Die irdische Hülle des jungen Märtyrers wurde in der Via Aurelia zur Ruhe bestattet, in der Katakombe, welche bald darauf seinen Namen trug und denselben auch, wie wir bereits bemerkt haben, dem benachbarten Thore gab. In späteren Zeiten des Friedens wurde eine Basilika über seinem Grabe errichtet, welche heute noch steht und seine Ehre allem Volke verkündet.

Die Wut der Verfolgung stieg jetzt und vervielfältigte ihre täglichen Opfer. Gar manche fielen, deren Namen auf den Seiten dieses Buches erwähnt wurden, besonders die kleine Gesellschaft aus der Villa des Chromatius. Die erste war Zoë, deren Stummheit Sebastianus geheilt hatte. Ein heidnischer Pöbelhaufen überraschte sie, wie sie am Grabe des heiligen Petrus betete; man schleppte sie sofort vor den Richterstuhl und ließ sie mit dem Kopfe so lange über einem schwebenden, rauchenden Feuer hängen, bis sie starb. Ihr Gatte wurde mit drei anderen seiner Anhänger gefangen, wiederholt gefoltert und endlich geköpft. Tranquillinus, der Vater von Marcus und Marcellianus, welcher Zoë um ihre Märtyrerkrone beneidete, betete öffentlich am Grabe des heiligen Paulus; man warf ihn in den Kerker, und er wurde zu Tode gesteinigt. Auch seine Söhne erlitten einen grausamen Tod. Der Verrat des Torquatus, indem er seine früheren Gefährten und besonders den tapferen Tiburtius,Die Kirche feiert sein Andenken zusammen mit dem seines Vaters, wie bereits erwähnt wurde, am 11. August. welcher jetzt geköpft wurde, nannte und beschrieb, erleichterte, dieses unerhörte Werk der Vernichtung um vieles.

Sebastianus bewegte sich inmitten dieses Gemetzels, nicht wie ein Baumeister, der sein mühevolles Werk durch einen Sturm zerstört sieht, nicht wie ein Hirte, der zusehen muß, wie seine Herde von Landstreichern davongetragen wird. Er fühlte sich wie ein Feldherr auf dem Schlachtfelde, der nichts weiter vor Augen hat als den endlichen Sieg; der jeden für ruhmreich hält, welcher sein Leben hingiebt, um diesen zu erkaufen, und der bereit ist, sein eigenes mit Freuden zu lassen, wenn der Sieg um diesen Preis errungen werden kann. Jeder Freund, der vor ihm fiel, war ein Band weniger, das ihn an die Erde knüpfte, eine Kette mehr, die ihn an den Himmel band, eine Sorge weniger hienieden, eine Fürsprache mehr dort oben. Zuweilen saß er einsam oder hielt schweigend inne an jenen Plätzen, wo er mit Pancratius geweilt und gesprochen; dann kamen ihm jener lebendige Frohsinn, die anmutigen Gedanken und die unbewußte Tugend des schönen und liebenswürdigen Jünglings ins Gedächtnis zurück. Aber niemals war es ihm, als seien sie weiter voneinander getrennt als zu jener Zeit, da er ihn auf die Expedition nach Campania sandte. Er hatte das gegebene Versprechen eingelöst, und jetzt kam er selbst bald an die Reihe. Das wußte er gar wohl; er fühlte wie die Gnade des Märtyrertums sich ihm mehr und mehr nahte und in ruhiger Gewißheit erwartete er seine Stunde. Seine Vorbereitungen waren einfach. Was er an Geld und Wertsachen besaß, verteilte er an die Armen, und indem er sein Besitztum verkaufte, brachte er es außerhalb des Bereiches der Konfiskation.

Fulvius hatte einen ansehnlichen Teil von der christlichen Beute zusammengetragen; aber im ganzen war er dennoch enttäuscht. Er war nicht gezwungen gewesen, den Beistand des Kaisers, dessen Nähe er sorgsam vermied, zu erbitten; aber er hatte nichts erspart, er war noch immer nicht auf dem Wege reich zu werden. An jedem Abend hatte er das vorwurfsvolle und höhnische Verhör des Eurotas über den Erfolg des Tages zu bestehen. Jetzt indessen teilte er seinem gestrengen Herrn – denn ein solcher war Eurotas für ihn geworden – mit, daß er einem edleren Wilde auflauern würde, nämlich dem Offizier, welcher des Kaisers Liebling war, und der unzweifelhaft ein großes Vermögen in seinem Dienste angesammelt haben müsse.

Er brauchte nicht lange auf die Gelegenheit zu warten.

Am neunten Januar wurde eine Hofversammlung abgehalten, welcher alle Streber nach kaiserlicher Gunst und jene beiwohnten, welche den kaiserlichen Zorn zu fürchten hatten. Auch Fulvius war anwesend, und wie gewöhnlich harrte seiner ein sehr kühler Empfang. Nachdem er aber schweigend die halblaut gemurmelten Flüche des kaiserlichen Grobians über sich hatte ergehen lassen, trat er kühn vor, beugte ein Knie und sprach folgendermaßen zu seinem Herrscher:

»Allmächtiger Herr! deine Göttlichkeit hat mir oft vorgeworfen, daß ich durch meine Entdeckungen nur einen armseligen Gegendienst für deine erhabene Gunst und freigiebigen Unterstützungsgelder geleistet habe. Jetzt aber habe ich die niederträchtigste aller Verschwörungen und die schändlichste Undankbarkeit entdeckt, welche sich in der nächsten Nähe deiner göttlichen Person eingenistet hat.«

»Was soll das heißen, Bube?« fragte ungeduldig der Tyrann. »Sprich gerade heraus, oder ich werde dir die Worte mit einem eisernen Haken aus der Kehle holen lassen.«

Fulvius erhob sich, und indem er seine Worte mit einer bezeichnenden Handbewegung begleitete, sagte er mit einer höhnischen Milde des Tons:

»Sebastianus ist ein Christ.«

»Du lügst, Schurke! Du sollst deine Aussage beweisen, oder du wirst eines so stückweisen Todes sterben, wie noch kein Christenhund vor dir gestorben ist.«

»Ich habe hinlängliche Beweise hier aufgezeichnet,« erwiderte er, indem er ein Pergament hervorzog und es dem Kaiser mit gebeugtem Knie darbot.

Der Kaiser war im Begriff, eine zornige Antwort zu geben, als zu seiner größten Bestürzung Sebastianus mit ruhigen Blicken und edler Haltung vortrat und mit fester Stimme sagte:

»Mein Gebieter, ich erspare dir alle Mühe der Beweisführung. Ich bin ein Christ, und ich rühme mich dieses Namens.«

Maximian, ein roher, wenn auch kluger Soldat ohne Erziehung, konnte sich in ruhigem Zustande kaum in mittelmäßigem Latein ausdrücken; wenn er jedoch in Leidenschaft geriet, bestand seine Sprache in abgerissenen Sätzen, welche von rohen und beleidigenden Worten strotzten. In einem solchen Zustande befand er sich jetzt; und er schüttete über Sebastianus eine Flut von Vorwürfen aus, in welchen er ihn jedes Verbrechens bezichtigte und ihn mit jedem schimpflichen Namen bezeichnete, welchen er in seinem reichen Vorrat von rohen Ausdrücken finden konnte. Die zwei Verbrechen aber, über welche er die Glocke am lautesten schlug, waren Undankbarkeit und Verrat. Er habe eine Schlange an seinem Busen genährt, sagte er, einen Skorpion, einen bösen Dämon, und er wundere sich nur noch, daß er am Leben sei.

Der christliche Offizier ließ dies Geschützfeuer ebenso beherzt über sich ergehen, wie er so manches Mal dem Angriff des Feindes auf dem Schlachtfelde widerstanden hatte.

»Hör mich an, mein kaiserlicher Herr,« sagte er dann, »vielleicht ist es das letzte Mal. Ich habe gesagt, daß ich ein Christ bin, und darin findest du das beste Unterpfand für deine Sicherheit.«

»Was soll das heißen, undankbarer Mann?«

»Es bedeutet dies, edler Kaiser: wenn du eine Leibwache suchst von Männern, die stets bereit sind, ihren letzten Blutstropfen für dich hinzugeben, so geh in den Kerker und nimm die Christen aus dem Stock am Boden und aus den Kettenringen an der Mauer; schicke in die Gerichtshöfe und laß die verstümmelten Bekenner vom Rost und von der Folterbank nehmen; gieb deine Befehle und laß in den Amphitheatern die blutigen Hälften, welche noch Leben haben aus den Rachen der Tiger reißen; gieb ihnen eine Gestalt wieder so gut es noch möglich ist, gieb ihnen Waffen in die Hand und reihe sie um dich – und in dieser verstümmelten und häßlichen Schar wirst du mehr Treue, mehr Ergebenheit, mehr Mut finden, als in all deinen dacischen und panonischen Legionen. Du hast ihnen die Hälfte ihres Blutes genommen, und sie werden die andere Hälfte mit Freuden für dich hingeben.«

»Thorheit und Wahnsinn!« entgegnete höhnisch der Halbwilde. »Ich würde mich eher mit Wölfen als mit Christen umgeben. Dein Verrat beweist mir genug.«

»Und was hätte mich denn daran gehindert, jeden Augenblick auch als Verräter zu handeln, wenn ich einer gewesen wäre? Habe ich nicht zu jeder Stunde des Tages und der Nacht Zutritt zu deiner erhabenen Person gehabt? Und habe ich mich als Verräter gezeigt? Nein, mein Kaiser, niemals ist dir jemand treuer und ergebener gewesen als ich. Aber ich habe noch einen anderen und höheren Herrn, dem ich dienen muß; einen, der uns beide richten wird, und seinen Gesetzen muß ich vor den deinen gehorchen.«

»Und weshalb hast du wie ein Feigling deine Religion verborgen gehalten? Doch nur, um dem bitteren Tode zu entgehen, den du verdienst!«

»Nein, mein Herrscher. Ich bin ebensowenig Feigling wie Verräter. Niemand weiß besser als du, daß ich keins von beiden bin. So lange wie ich meinen christlichen Brüdern noch Gutes thun konnte, weigerte ich mich nicht, inmitten ihres Blutbades und meines Kummers zu leben. Aber jetzt ist die Hoffnung in mir erstorben, und ich danke Fulvius aus der Tiefe meines Herzens, daß er mir durch seine Anklage die Verlegenheit erspart hat, zu wählen, ob ich den Tod suchen oder das Leben ertragen will.«

»Über diesen Punkt werde ich für dich entscheiden. »Tod« lautet dein Urteil, und es soll ein langsamer, qualvoller sein. »Aber,« fügte er leiser hinzu als spräche er zu sich selbst, »dies darf nicht bekannt werden. Alles muß sein ruhig zu Hause geschehen, oder der Verrat wird weiter um sich greifen. Herr Quadratus, nimm deinen christlichen Tribunen gefangen. Hörst du mich, Dummkopf? Weshalb rührst du dich nicht?«

»Weil ich selbst ein Christ bin.«

Ein zweiter Wutausbruch, ein zweiter Strom von rohen Schimpfreden! Es endete damit, daß der Befehl gegeben wurde, den großen, kräftigen Centurion sofort zu töten. Mit Sebastianus sollte jedoch anders verfahren werden.

»Befehlt dem Hyphax, sofort hierher zu kommen,« brüllte der Tyrann.

Nach wenigen Minuten erschien ein großer, halbnackter Numidier. Ein Bogen von ungeheurer Größe, ein reich bemalter Köcher mit Pfeilen angefüllt, ein kurzes Schlachtschwert – das waren zugleich die Waffen und der Schmuck des Anführers der afrikanischen Bogenschützen. Er stand hoch aufgerichtet wie eine schöne Bronzestatue mit hellglänzenden Augen vor dem Kaiser.

»Hyphax, morgen früh habe ich ein hübsches Stück Arbeit für dich. Sie muß aber gut ausgeführt werden,« sagte der Kaiser.

»Wie du befiehlst, mein Kaiser,« antwortete der dunkle Häuptling mit einem Grinsen, das zwei Reihen glänzendweißer Zähne sehen ließ.

»Siehst du dort den Hauptmann Sebastianus?«

Der Neger beugte das Haupt.

»Es zeigt sich, daß er ein Christ ist!«

Wenn Hyphax auf heimatlichem Boden gestanden und plötzlich auf eine giftige Natter oder in das Nest eines Skorpions getreten wäre, so hätte er nicht heftiger zusammenschrecken können, als er es in diesem Augenblicke that. Der Gedanke, einem Christen so nahe zu sein – was bedeutete der für ihn, der jedes Greuel liebte, jede Abgeschmacktheit glaubte, jede Abgötterei übte, jede Abscheulichkeit beging!

Maximian fuhr fort, und Hyphax nickte zu jedem Absatz seiner Rede den Takt und begleitete ihn mit dem, was er ein Lächeln nannte – es war kaum ein menschliches zu nennen.

»Du wirst Sebastianus in dein Quartier führen, und früh am Morgen – nicht heute Abend, vergiß das nicht, denn ich weiß, daß ihr um diese Tageszeit alle betrunken seid – früh am Morgen, wenn eure Hände noch fest und sicher sind, werdet ihr ihn an einen Baum im Hain des Adonis binden und ihn dann langsam totschießen. Langsam, vergiß das nicht. Keiner von euren schönen Schüssen mitten durchs Herz oder durch den Kopf, aber eine Anzahl von Pfeilen, bis er erschöpft von Schmerz und Blutverlust stirbt. Verstehst du mich? Nimm ihn also gleich mit dir. Und vergiß nicht: Schweigen – sonst –«


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