Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Drittes Kapitel

Die Weihe

Während dieses Gesprächs hatte der Tag sich schnell seinem Ende zugeneigt. Jetzt trat eine ältliche Dienerin geräuschlos und unbemerkt ein und zündete die Lampen an, welche auf marmornen und bronzenen Kandelabern standen; dann zog sie sich eben so still wieder zurück. Ein helles Licht fiel auf die unbefangene Gruppe von Mutter und Sohn, die in langem Schweigen verharrten, nachdem die fromme Matrone Lucina auf Pancratius' letzte Frage nur mit einem liebevollen Kusse auf seine glühende Stirn geantwortet hatte. Es war nicht nur ein mütterliches Gefühl, das ihre Brust bewegte; – es war nicht allein die glückselige Empfindung einer Mutter, welche gewisse erhabene und schwer zu befolgende Grundsätze in ihrem Kinde groß gezogen hat und jetzt bei einer schweren Prüfung sieht, wie es mutig und unentwegt nach diesen Prinzipien handelt, – und ebensowenig war es die Freude einen Sohn zu haben, welcher nach ihrer Ansicht trotz seiner jungen Jahre sich so heldenmütig, tugendhaft gezeigt hatte; denn gewiß mit größerem Rechte, als die Mutter der Gracchen ihre Söhne den verwunderten römischen Matronen als ihre einzigen Juwelen zeigte, hätte diese christliche Mutter sich vor der Kirche des Sohnes rühmen können, welchen sie geboren und erzogen hatte.

Aber für sie war das noch eine Stunde tieferen, oder sollen wir sagen erhabeneren Empfindens. Es war ein Zeitpunkt, welchem sie schon seit Jahren sehnsüchtig entgegengesehen hatte; ein Augenblick, welchen sie mit all der glühenden Liebe einer Mutter herbeigefleht hatte. Manche frommen Eltern haben ihren Sohn schon in der Wiege für den heiligsten und edelsten Stand bestimmt, welchen die Erde trägt; sie haben gebetet und sich danach gesehnt, ihn zuerst als reinen Leviten und dann als heiligen Priester am Altar zu sehen; sie haben ängstlich und sorgsam jede keimende Neigung bewacht und mit Zartheit versucht, jeden liebenden Gedanken dem Herrn der Heerscharen zuzuwenden. Und wenn dieses nun noch ein einziges Kind, wie Samuel es der Anna war, so muß die Hingabe dessen, was sie mit ihrer zärtlichsten Liebe liebte, als eine That mütterlichen Heldenmutes betrachtet werden. Und was muß nun erst von jenen Matronen des Altertums – Felicitas, Symphorosa oder der ungenannten Mutter der Makkabäer – gesagt werden, denen es nicht genügte, daß ihre Kinder Priester wurden, sondern welche eins, oder viele, oder auch alle dem Feuertode weihten, um sie Gott zu geben?

Ein ähnlicher Gedanke war es, welcher in dieser Stunde das Herz der Lucina bewegte, während sie es mit geschlossenen Augen zu Gott emporhob und um Kraft flehte. Sie hatte die Empfindung als sei sie berufen, das, was ihr auf Erden am teuersten war, heldenmütig zum Opfer zu bringen, und obgleich sie es lange vorausgesehen und gewünscht hatte, so konnte sie dieses Verdienst doch nur mit den herbsten Schmerzen einer Mutter erkaufen. Und was mochte in der Seele dieses Knaben vorgehen, während auch er schweigsam und zerstreut dastand? Er hegte keinen Gedanken an eine große, erhabene Bestimmung, die seiner harrte. Keine Vision einer ehrwürdigen Basilika steigt vor ihm auf, welche sechzehnhundert Jahre später eifrig von frommen Pilgern und andächtigen Altertumsforschern besucht werden und seinen Namen, welchen sie tragen wird, auch dem benachbarten Thor von Rom geben wird!Die Kirche und das Thor San Pankrazio. Er ahnt nichts von einer Kirche, die sich in gläubigen Jahrhunderten zu seiner Ehre an den Ufern der fernen Themse erheben wird, und die selbst noch nach ihrer Entweihung von Herzen, welche seinem teuren Rom treu geblieben sind, als letzte Ruhestätte gesucht werden.Old San Pancras, der Lieblingsfriedhof der Katholiken bevor sie einen eigenen Begräbnisplatz hatten.

Kein Gedanke an ein silbernes Tabernakel oder ciborium – 287 Pfund schwer – welches Papst Honorius I. über der Porphyrurne aufrichten lassen wird, die seine Asche enthält!Anastasius, der Bibliothekar, im »Leben des Honorius«. Kein Vorgefühl, daß sein Name in jeder Geschichte der Märtyrer genannt werden, sein Bild mit einer Strahlenkrone, ihn als den Märtyrerjüngling der frühsten Christenheit darstellend, über vielen Altären hängen wird! Er war nur der einfache christliche Knabe, welcher es für eine selbstverständliche Sache hielt, daß er Gottes Gebote stets befolgen und seinem heiligen Evangelium gehorchen müsse. Er war nur glücklich, daß er an diesem Tage seine Pflicht gethan hatte, als ihre Erfüllung unter noch schwierigeren Umständen als gewöhnlich an ihn herantrat. In diesen Gedanken lag kein Stolz, keine Überhebung – sonst hätte er durch jene That ja keinen Heldenmut bewiesen.

Als er nach seiner stillen, friedlichen Träumerei die Augen wieder aufschlug, fiel sein Blick in dem hellen Lichtglanz, welcher die Halle jetzt erfüllte, auf das Antlitz seiner Mutter, die ihn wiederum anblickte, strahlend von Hoheit und Zärtlichkeit, so wie er sich nicht erinnern konnte, sie jemals zuvor gesehen zu haben. Es war ein Blick wie von einer Inspiration, ihr Angesicht war das einer Vision, ihre Augen waren solche, wie er glaubte, daß Engel sie haben müßten. Schweigend, fast unbewußt, hatte er seine Stellung verändert und kniete jetzt vor ihr. Und dazu hatte er Ursache. Denn war sie ihm Nichtsein Schutzengel, welcher ihn stets vor allein Unglück und Übel bewahrt hatte. Und mußte er nicht in ihr die lebende Heilige sehen, deren Tugenden ihm seit den Tagen seiner Kindheit als Vorbild gedient hatten? Lucina brach das Schweigen in einem Ton voll ernster Rührung.

»Die Zeit ist endlich gekommen, mein teures Kind,« sagte sie, »welche schon längst der Gegenstand meines inbrünstigen Gebetes war, nach welcher ich mich in dem Übermaße meiner mütterlichen Liebe gesehnt habe. Eifrig habe ich in dir den emporsprießenden Keim jeder christlichen Tugend beobachtet und Gott dafür gedankt, wenn er ans Licht drang. Ich habe deine Milde, deine Sanftmut, deinen Fleiß, deine Frömmigkeit und deine Liebe zu Gott und Menschen beobachtet. Mit glückseliger Freude habe ich deinen lebendigen Glauben, deine Güte und Sorge für die Armen, deine Gleichgültigkeit weltlichen Dingen gegenüber beobachtet. Aber voll Angst und Sorge habe ich der Stunde geharrt, welche mir mit Bestimmtheit kund thun würde, ob es dir genügen würde, dies armselige Erbteil der schwachen Tugenden deiner Mutter, oder ob du der wahre Erbe der edleren, erhabeneren Eigenschaften deines teuren Märtyrervaters sein würdest! Und diese Stunde, Gott sei dafür gepriesen, ist heute gekommen!«

»Was habe ich denn vollbracht, das deine Meinung über mich so verändert oder gehoben hat?« fragte Pancratius.

»Hör mich an, mein Sohn. Mir ist, als hätte der barmherzige Heiland dir an diesem Tage, welcher der letzte deiner Schulzeit war, eine Lehre gegeben, welche alles gelernte aufwiegt. Er hat dir gezeigt, daß du das kindische Gebaren abgelegt hast und in Zukunft wie ein Mann behandelt werden mußt. Denn du kannst wie ein solcher denken, sprechen und handeln!«

»Wie meinst du das, teure Mutter?«

»Was du mir von deinem Vortrage an diesem Morgen erzählt hast, beweist mir, daß dein Herz voll sein muß von edlen und erhabenen Gedanken,« entgegnete Lucina, »du bist zu ehrlich und zu aufrichtig, um zu schreiben und voll Feuer und Inbrunst vorzutragen, daß es eine glorreiche Pflicht sei, für den Glauben zu sterben, wenn du es nicht geglaubt und empfunden hättest.«

»Und wahrlich, ich glaube und empfinde es,« unterbrach sie der Knabe. »Welch größere Glückseligkeit auf Erden kann denn ein Christ sich wünschen?«

»Du sprichst sehr wahr, mein Kind,« fuhr Lucina fort. »Aber Worte allein würden mich nicht beruhigt haben. Was darauf gefolgt ist, hat mir bewiesen, daß du nicht nur Schmerzen mutig und geduldig ertragen kannst, sondern aus etwas, von dem ich weiß, daß es deinem jungen Patrizierblut schwerer wurde über sich ergehen zu lassen, nämlich den qualvollen Schimpf eines schmachvollen Schlages und die verletzenden, verächtlichen Worte einer mitleidlosen Menge. Nein, noch mehr! Du hast dich stark genug erwiesen, deinem Feinde vergeben und für ihn beten zu können. An diesem Tage hast du dein Kreuz auf dich genommen und die höher gelegenen Pfade des Berges betreten; noch einen Schritt und du wirst das Kreuz auf seinem Gipfel aufpflanzen! Du hast dich als der wahre würdige Sohn des Märtyrers Quintinus erwiesen. Willst du ihm gleich werden?«

»Mutter, Mutter! teuerste, süßeste Mutter!« stieß der Jüngling keuchend hervor. »Könnte ich sein echter Sohn sein und nicht wünschen, ihm gleich zu werden? Obgleich ich niemals das Glück empfunden habe, ihn zu kennen, so hat sein Bild doch stets vor meiner Seele geschwebt! Ist er nicht der größte Stolz meiner Gedanken gewesen? Wie haben mein Fleisch und mein Blut über seinen Ruhm gejauchzt, wenn wir alljährlich zu seinem Gedächtnis das Fest begingen, an dem wir ihn als einen jener weißgekleideten Tapferen feierten, welche das Lamm umstehen und ihre Gewänder in seinem Blute waschen. Und wie habe ich zu ihm in der Glut meiner kindlichen Liebe gesteht, daß er mir schicken möge – nicht Ruhm, nicht Auszeichnung, nicht Reichtum, nicht irdische Freuden, sondern das, was er höher erachtete als alles dies: nämlich, daß das einzige, was er hier auf Erden zurückgelassen, so angewendet werden möge, wie er es für am edelsten und nützlichsten halten würde.«

»Und was ist das, mein Sohn?«

»Es ist sein Blut,« entgegnete der Sohn, »welches noch in meinen Adern fließt, und nur in ihnen. Ich weiß, daß er wünschen muß, daß auch ich es vergießen möge aus Liebe zu seinem Erlöser und um Zeugnis abzulegen von seinem Glauben.« »Genug, genug, mein Kind!« rief die Mutter aus, vor heiliger Erregung zitternd, »nimm das Kennzeichen der Kindheit von deinem Halse, ich habe dir ein besseres Zeichen zu geben.«

Er that wie ihm befohlen und legte die goldene bulla ab.

Die Mutter sprach mit noch größerer Feierlichkeit im Ton als bisher: »Du hast von deinem Vater einen edlen Namen, eine hohe Stellung, große Reichtümer und alle weltlichen Vorteile geerbt. Aber da ist noch ein Schatz aus seinem Erbe, den ich zurückbehalten habe, bis du dich desselben würdig erweisen würdest. Bis jetzt habe ich ihn vor dir verborgen, obgleich ich ihn höher schätzte als Gold und Edelsteine. Jetzt ist die Zeit gekommen, ihn dir zu übergeben.«

Mit zitternden Händen nahm sie die eine goldene Kette ab, welche sie an ihrem Halse trug; und zum erstenmale sah der Sohn, daß ein kleiner Beutel daran hing, welcher reich gestickt und mit Edelsteinen besetzt war. Sie öffnete ihn und nahm einen trockenen aber mit dunklen Flecken besäeten Schwamm daraus hervor.

»Auch das ist das Blut deines Vaters, Pancratius,« sagte sie mit bebender Stimme und überströmenden Augen. »Ich selbst trocknete es von seiner Todeswunde, als ich verkleidet an seiner Seite stand und ihn sterben sah an den Wunden, welche ihm um Christi willen geschlagen worden.«

Voll Zärtlichkeit blickte sie auf diese Reliquie und küßte sie inbrünstig. Ihre heißen Thränen fielen darauf und feuchteten sie noch einmal wieder an. So wieder flüssig geworden, glänzte die rote Farbe warm und hell, als sei sie soeben erst der Todeswunde des Märtyrers entströmt.

Die heilige Matrone drückte den Schwamm an die bebenden Lippen ihres Sohnes und die heiligende Berührung färbte sie rot. Mit der tiefen Rührung des Sohnes und des Christen verehrte er die heilige Reliquie. Ihm war, als sei der Geist seines Vaters in ihn gefahren und hätte das übervolle Gefäß seines Herzens so gewaltsam aufgerührt, daß es zum Überfließen bereit war. So schien die ganze Familie noch einmal wieder vereinigt. Lucina that den Schatz in seine Hülle zurück, hing ihn an den Hals ihres Sohnes und sagte:

»Wenn er das nächste Mal feucht wird, so möge es durch ein edleres Naß sein, als das, welches den Augen eines schwachen Weibes entströmt!«

Aber der Himmel hatte es anders beschlossen. Und der künftige Vorkämpfer, der künftige Heilige wurde durch das Blut seines Vaters, welches sich mit den Thränen seiner Mutter vermischte, gesalbt und geweiht!


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