Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Vierzehntes Kapitel

Die Extreme berühren sich

Eine Gruppe von Armen, welche gerade wieder an den Eingang kam, machte es dem Corvinus möglich, sich ihnen anzuschließen. Er hatte sich zu ihrem bewunderungswürdigen Ebenbilde umgestaltet in allem – mit Ausnahme der Bescheidenheit ihrer Haltung. Er hielt sich ihnen nahe genug, um deutlich hören zu können, wie jeder beim Eintritt in das Haus die Worte » Deo gratias« – »gedanket sei Gott« – sprach. Dies war nicht nur ein christliches, sondern ein katholisches Losungswort, denn der heilige Augustinus berichtet uns, daß die Ketzer die Katholiken um dieses Wortes willen verspotteten, weil es nicht ein Gruß, sondern eigentlich eine Antwort war. Jedoch die Katholiken bedienten sich desselben, weil es durch frommen Gebrauch geheiligt war. Noch heute hört man es in Italien bei ähnlichen Gelegenheiten.

Auch Corvinus sprach die mystischen Worte aus, und so ließ man ihn passieren. Indem er den übrigen auf dem Fuße folgte und ihre Manieren und Gebärden genau nachahmte, befand er sich bald in dem inneren Hofe des Hauses, welcher bereits mit den Armen und Gebrechlichen angefüllt war. Die Männer waren an der einen Seite aufgestellt, die Frauen an der gegenüberliegenden. Unter dem Portikus am Ende des Hofes standen Tische, welche mit kostbarem Silbergeschirr beladen waren und dicht daneben befand sich ein anderer, auf welchem funkelndes Edelgestein ausgebreitet lag. Zwei Silber- und Goldschmiede wogen und schätzten diese Gegenstände auf das Gewissenhafteste; neben ihnen lag das Geld, welches sie zu geben willens waren, und das dann in gerechtem Verhältnis unter die Armen verteilt werden sollte.

Corvinus prüfte dies alles mit habgierigem Herzen. Er würde bis auf sein Leben alles hingegeben haben, wenn er diese Dinge hätte erlangen können, und fast dachte er daran, sich auf irgend einen Gegenstand zu stürzen, ihn zu fassen und dann die Flucht zu ergreifen. Bald jedoch sah er die Thorheit oder den Wahnsinn eines solchen Verfahrens ein und beschloß, auf einen Anteil zu warten und inzwischen für Fulvius ganz genau acht auf alles das zu geben, was sich um ihn herum zutrug. Es dauerte aber nicht lange und er begann das ungeschickte seiner Lage einzusehen. Während die Armen alle untereinander verkehrten und umhergingen, blieb er allein unbemerkt. Bald jedoch gewahrte er mehrere junge Leute von besonders angenehmen und feinen Manieren, die, wenn auch sehr thätig und beweglich, hier eine entschiedene Autorität ausüben mußten; sie trugen ein Gewand, welches er unter dem Namen » Dalmatika« kannte, so genannt nach seinem dalmatinischen Ursprung; das heißt, sie trugen über der Tunika anstatt der Toga eine enganschließende kürzere Tunika mit weiten aber nicht zu langen Ärmeln; es war die Kleidung, welche die Diakone angenommen hatten und nicht nur bei ihren feierlichen Amtshandlungen in der Kirche, sondern auch dann trugen, wenn sie ihre in zweiter Reihe stehenden Pflichten an den Armen und Kranken übten.

Die Diakonen fuhren fort, die Anwesenden zu ordnen und aufzustellen; augenscheinlich kannte jeder von ihnen die, welche aus seinem eigenen Distrikt kamen und führte sie an einen bestimmten Platz innerhalb der Säulenhalle. Da aber niemand Corvinus erkannte oder als zu seiner Schar gehörig reklamierte, so stand er endlich allein inmitten des Hofes. Sogar er selbst, trotz seiner Beschränktheit, konnte das unpassende der Lage, in welche er sich gestürzt hatte, erkennen. Hier stand er, der Sohn des Präfekten der Stadt, dessen Pflicht es war, solche Entweiher des Hausrechts zu bestrafen! Er war in die innersten Teile des Hauses eines Edelmanns eingedrungen; durch einen Betrug war er hineingekommen, gekleidet wie die Bettler, denen er sich zugesellt hatte, um eines bösen oder doch gesetzwidrigen Zweckes willen. Er blickte nach der Thür und dachte über einen Fluchtplan nach; aber er sah, daß sie durch einen alten Mann namens Diogenes und seine beiden kräftigen Söhne gehütet wurde; diese konnten ihr heißes Blut, welches über Corvinus' Frechheit in Wallung geraten war, kaum mehr im Zaum halten, und verrieten dies durch mürrische, scheele Blicke und Zusammenpressen der Lippen. Er bemerkte, daß er ein Gegenstand der Beratung zwischen den jungen Diakonen war, welche gelegentliche Blicke auf ihn warfen. Er bildete sich ein, daß sogar die Blinden ihn anstarrten, und die Altersschwachen und Krüppel bereit waren, ihre Krücken, Streitäxten gleich, gegen ihn zu erheben.» Er hatte nur einen Trost, es war klar, daß man ihn nicht erkannt hatte, und er hoffte noch immer, irgend einen Vorwand zu ersinnen, um aus dieser Verlegenheit zu kommen.

Endlich trat der Diakon Reparatus auf ihn zu und fragte ihn in höflichem Ton:

»Freund, augenscheinlich gehörst du nicht zu einer der Regionen, welche heute hierher beschieden sind. Wo wohnst du denn? Sag es mir.«

»In der Region der Alta Semita.«Der obere Teil des Quirinal, welcher nach der Porta Pia führt.

Mit dieser Antwort bezeichnete er die bürgerliche, nicht die kirchliche Einteilung Roms.

Reparatus fuhr jedoch fort: »Die Alta Semita gehört zu meinem Bezirk, und doch kann ich mich nicht erinnern, dich jemals gesehen zu haben.«

Als er diese Worte sprach, war er erstaunt, den Fremden totenblaß werden und schwanken zu sehen, als sei er nahe daran umzusinken, während er die Augen starr auf die Verbindungsthür zum Wohnhause gerichtet hatte.

Reparatus folgte der Richtung seiner Blicke und sah Pancratius, welcher in diesem Augenblick eingetreten war und sich eiligst eine Aufklärung von Secundus zu erbitten schien. Jetzt war Corvinus' letzte Hoffnung geschwunden. Im nächsten Augenblick stand ihm der Jüngling gegenüber, nachdem er Reparatus gebeten hatte, sich zurückzuziehen. Es war fast dieselbe Stellung wie jene, in welcher sie einander das letzte Mal gegenüber gestanden; nur war er hier nicht von einem Kreise Beifallspender und Hetzer umgeben, sondern eine Menge drängte von allen Seiten auf ihn ein, welche seinen Rivalen augenscheinlich mit günstigeren Augen zu betrachten schien, als ihn; auch konnte Corvinus nicht umhin, die anmutige Entwickelung und männliche Haltung zu bemerken, welche sein früherer Schulkamerad sich im Verlauf von wenigen Wochen angeeignet hatte. Er erwartete einen Strom heftiger Vorwürfe und vielleicht auch eine so harte Strafe, wie er selbst sie bei einem ähnlichen Vorfalle verhängt haben würde. Wie groß war daher sein Erstaunen, als Pancratius ihn in der mildesten Weise folgendermaßen anredete:

»Corvinus, bist du wirklich dem Elend anheimgefallen und durch irgend einen Zufall gelähmt worden? Oder hast du vielleicht gar das Haus deines Vaters verlassen?«

»Dahin ist es hoffentlich noch nicht gekommen,« entgegnete der Renommist, welchem die freundlich-milde Anrede seine ganze Frechheit wieder gegeben hatte, »obgleich es dir vielleicht eine herzliche Freude bereiten würde, wenn dem so wäre.«

»Durchaus nicht, ich versichere dich. Ich hege keinen Groll gegen dich. Deshalb sage mir, wenn du irgend einer Hilfe bedarfst. Wenn es auch nicht recht von dir ist, daß du dich hier eingefunden hast, so kann ich dich in ein abgelegenes Zimmer führen, wo niemand sieht, daß du ein Almosen empfängst.«

»Nun, so will ich dir die Wahrheit sagen. Es war nur ein plötzlicher Einfall, daß ich hierher kam, eine Laune! Und ich würde dir dankbar sein, wenn du mich ohne Aufsehen wieder hinausführen wolltest.«

»Corvinus,« sagte der Jüngling mit einiger Schärfe im Ton, »dies ist ein strafbares Vergehen. Was würde dein Vater sagen, wenn ich diesen jungen Leuten, die mir augenblicklich gehorchen würden, beföhle, dich ohne weiteres wie du hier stehst, barfuß, gekleidet wie ein Sklave, einen Krüppel nachahmend, vor sein Tribunal auf dein Forum zu schleppen, und wenn ich dann öffentlich die Anklage gegen dich erhöbe, welche jeder Römer in seinem Herzen gutheißen würde, daß du dir den Weg in das Haus eines Patriziers durch schändliche List erzwungen hast?«

»Um der Götter willen, guter Pancratius, lege mir nicht eine so furchtbare Strafe auf.«

»Du weißt, Corvinus, daß dein eigener Vater gezwungen sein würde, entweder wie Junius Brutus an dir zu handeln, oder sein Amt niederzulegen.«

»Ich beschwöre dich bei allem, was du liebst, bei allein, was du heilig hältst, mich und die meinen nicht so grausam zu entehren. Mein Vater und sein ganzes Haus, nicht ich, würde für alle Zeiten zermalmt und vernichtet sein. Ich will mich dir zu Füßen werfen und von dir Verzeihung für all weine früheren Kränkungen und Missethaten erflehen, wenn du nur Mitleid üben wolltest!«

»Halt ein, Corvinus, halt ein; ich habe dir gesagt, daß dies alles längst vergessen sei. Aber höre mich jetzt an. Alle die Anwesenden, mit Ausnahme der Blinden hier, sind Zeugen deines Vergehens, deiner Gewalthätigkeit gewesen. Es sind mehr denn hundert Zeugenaussagen gegen dich. Wenn du also jemals von dieser Versammlung sprichst, oder noch mehr, wenn du versuchen solltest, auf Grund derselben irgend jemand zu belästigen, so wird es in unserer Macht liegen, eine Untersuchung vor dem Gerichtshofe deines eigenen Vaters über dich zu bringen. Hast du mich wohl verstanden, Corvinus?«

»In der That, ich habe dich verstanden,« antwortete der Gefangene in winselndem Ton. »Niemals, niemals so lange ich lebe, werde ich einer Menschenseele durch eine Silbe verraten, daß ich an diesem furchtbaren Orte gewesen bin. Ich schwöre es dir bei dem – «

»Still, still Wir verlangen hier keine solchen Schwüre. Nimm meinen Arm und geh mit mir.«

Sich dann zu den anderen wendend sagte er: »Ich kenne diesen Menschen; nur durch einen Irrtum ist er hierhergelangt.«

Die Umstehenden, welche die bittenden Gebärden des Unglücklichen und seine jammernden Töne für die Begleitung zu einer Geschichte des Elends und flehentliche Bitte um Hilfe gehalten hatten, riefen alle einstimmig aus:

»O Pancratius, erbarme dich! Du wirst ihn doch nicht ohne Hilfe und hungernd von dannen gehen lassen?«

»Überlaßt das mir,« lautete die Antwort.

Die freiwilligen Thürhüter machten dem Pancratius, welcher Corvinus führte, der sich noch immer hinkend stellte, Platz. An dem Ausgange zur Straße entließ er ihn und sagte:

»Corvinus, wir sind jetzt quitt; nur hüte dich, daß du dein Versprechen nicht brichst.«

Wie wir gesehen haben, hatte Fulvius sein Glück an dem großen Eingangsthor an der Straße versucht. Römischer Sitte gemäß fand er es unverschlossen; und in der That würde auch niemand an die Möglichkeit gedacht haben, daß ein Fremder das Haus zu dieser Stunde betreten könne. Anstatt des Thürhüters fand er das Thor nur durch ein einfach aussehendes Mädchen von zwölf oder dreizehn Jahren bewacht, das die Tracht der Bäuerinnen trug. Sonst erblickte er niemand. Er hielt dies für eine ausgezeichnete Gelegenheit, um den starken Verdacht, welcher sich seiner bemächtigt hatte, zu bestätigen. Demgemäß redete er die kleine Thürhüterin an.

»Wie heißest du mein Kind? Und wer bist du?«

»Ich bin Emerentiana, die Pflegeschwester der edlen Agnes,« entgegnete das kleine Mädchen.

»Bist du eine Christin?« fragte er scharf.

Die arme kleine Bäuerin riß die Augen in verwunderter Unwissenheit auf und antwortete ruhig: »Nein, Herr.«

Es war unmöglich ihrer einfachen Aussage zu mißtrauen, und Fulvius war fest davon überzeugt, daß er sich geirrt habe. Die Sache verhielt sich folgendermaßen. Emerentiana war die Tochter einer Bäuerin, welche Agnes' Amme gewesen war. Die Mutter war kürzlich gestorben, und die gütige Milchschwester hatte die verlassene Waise holen lassen mit der festen Absicht, sie zuerst unterrichten und dann taufen zu lassen. Sie war erst vor zwei Tagen angekommen und war noch völlig unwissend in Bezug auf das Christentum.

Jetzt war Fulvius sehr verlegen und wußte nicht, was er zunächst thun solle. Die Einsamkeit machte ihn gerade so unbeholfen und ratlos, wie die Menschenmenge zuvor den Corvinus gemacht hatte. Er dachte daran, sich wieder zurückzuziehen, aber dies würde all seine Hoffnungen zerstört haben. Er war gerade im Begriff weiter zu gehen, als es ihm einfiel, daß er sich dadurch unangenehm kompromittieren könne. Aber wer anders als die jugendliche Gebieterin des Hauses kam in diesem Augenblick ganz Freude, ganz Glückseligkeit, ganz Frühling, ganz Sonnenschein über den Hof daher! Als sie seiner ansichtig wurde, hielt sie inne, wie wenn sie ferner Anrede harre. Er näherte sich ihr mit seinem holdesten Lächeln, und seinen höflichsten Gebärden und redete sie folgendermaßen an:

»Ich habe der gewöhnlichen Stunde, um welche die Besucher zu erscheinen pflegen, vorgegriffen und ich fürchte, edle Agnes, daß ich Euch lästig erscheinen muß, indessen mich trieb die Ungeduld, mich als einen demütigen, unterwürfigen Schützling Eures Hauses einzuschreiben.«

»Unser Haus kann sich keiner Schützlinge rühmen,« entgegnete sie lächelnd, »und wir suchen sie auch nicht, denn wir können uns weder mit Einfluß noch mit großer Macht brüsten.«

»Verzeiht mir, jedoch mit einer solchen Gebieterin besitzt es den höchsten Einfluß und die größte Macht – nämlich jene, welche ohne jegliche Bemühung oder Anstrengung sich jedes Herz zum willigen Unterthan machen.«

Unfähig zu glauben, daß solche Worte ans sie Bezug haben könnten, entgegnete sie mit ungekünstelter Einfachheit:

»O, wie wahr sind Eure Worte. Der Herr dieses Hauses besitzt allerdings die Herzen all seiner Bewohner.«

»Aber ich,« unterbrach sie Fulvius, »spreche von jener milderen und lieblicheren Herrschaft, welche anmutsvolle Reize nur über jene ausüben können, die das Glück haben, sie aus der Nähe betrachten zu dürfen.«

Agnes sah aus, als sei sie in eine Verzückung verfallen; ihre Augen sahen ein ganz anderes Bild vor sich als das ihres elenden Schmeichlers. Mit einem leidenschaftlichen Blick gen Himmel rief sie aus:

»Ja, ihm, dessen Schönheit Sonne und Mond an ihrem erhabenen Firmament betrachten und preisen, ihm habe ich meine Dienste und meine Liebe geweiht.«Cujus pulchritudinem sol et luna mirantur, ipsi soli servo fidem.

Fulvius war bestürzt und verwirrt. Der begeisterte Blick, die verzückte Stellung, die Melodie der bebenden Laute, mit welchen sie diese Worte sprach, ihre geheimnisvolle Bedeutung, das seltsame des ganzen Auftritts, ließen ihn wie festgewurzelt an der Stelle bleiben und versiegelten seine Lippen. Als er endlich einsah, daß es die günstigste Gelegenheit, welche er jemals finden könnte, um seine Gefühle – die wir aber nicht Liebe nennen dürfen – zu offenbaren, sagte er kühn:

»Ihr seid es, von der ich rede, und ich beschwöre Euch, an den Ausdruck meiner aufrichtigsten Bewunderung für Euch und grenzenloser Hingebung und Anhänglichkeit an Euch glauben zu wollen.«

Indem er diese Worte sprach, ließ er sich auf ein Knie nieder und versuchte, ihre Hand zu erfassen; aber die Jungfrau riß sich mit Schaudern los, trat zurück und wandte das errötende Antlitz ab.

Blitzschnell sprang Fulvius empor; denn er gewahrte Sebastianus, welcher kam, um Agnes zu holen, weil die Armen über ihre Abwesenheit ungeduldig wurden. Der junge Soldat sah empört aus, als er des Fulvius ansichtig wurde.

»Sebastianus,« sagte Agnes zu ihm, als er ganz nahe war, »sei nicht böse. Durch irgend einen unabsichtlichen Irrtum ist dieser Herr wahrscheinlich ins Haus gekommen; er wird sich auch ohne Zweifel wieder ruhig entfernen.«

Mit diesen Worten zog sie sich zurück.

In seiner ruhigen, aber festen und energischen Weise redete Sebastianus jetzt den Eindringling an, welcher die Augen vor seinen Blicken zu Boden schlug.

»Fulvius, was suchst du hier? Welches Anliegen hat dich hierher geführt?«

»Ich vermute,« entgegnete dieser, indem er seinen Mut wieder gewann, »daß ich wohl ein Recht habe, der edlen Dame dieses Hauses, welcher ich zusammen mit dir an der Tafel ihres Vetters begegnet bin, meine Aufwartung zu machen, so gut wie jeder andere freiwillige Besucher.«

»Aber doch nicht zu einer so unvernünftigen, ungewöhnlichen Stunde, wie diese, vermute ich.«

»Die Stunde, welche nicht ungewöhnlich und unvernünftig für einen jungen Offizier ist,« erwiderte Fulvius in frechem Ton, »ist es doch auch ebensowenig für einen Bürger, sollte ich meinen.«

Sebastianus mußte seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um seiner Empörung Herr zu werden, als er entgegnete:

»Fulvius, sei nicht unbedacht mit dem, was du sagst; und vergiß nicht, daß zwei Menschen auf sehr verschiedenem Fuße in einem Hause verkehren können. Und nicht einmal die älteste Freundschaft, um wieviel weniger die Bekanntschaft, welche von einer einzigen Tafelstunde herrührt, kann die Frechheit deines Benehmens gegen die junge Herrin dieses Hauses, von der ich vor wenig Augenblicken Zeuge war, rechtfertigen.«

»O, ich vermute, du bist eifersüchtig, mein tapferer Hauptmann!« antwortete Fulvius mit seinem schneidendsten, spöttischsten Ton. »Das Gerücht sagt, daß du der annehmbare, wenn nicht bereits schon angenommene Bewerber um Fabiolas Hand bist. Diese ist jetzt auf dem Lande, und ohne Zweifel willst du dich gern des Vermögens der einen oder der anderen reichen Erbin Roms versichern. Es ist nichts klüger, als zwei Sehnen an seinem Bogen zu haben.«

Dieser rohe und schneidende Sarkasmus verletzte die edlen Gefühle des jungen Offiziers aufs Tiefste. Und wenn er sich nicht schon seit langer Zeit in der christlichen Demut und Bescheidenheit geübt hätte, so würde sein heißes jugendliches Blut in diesem Augenblick sicherlich über die Vernunft gesiegt haben.

»Es bringt keinem von uns Segen, Fulvius, wenn du noch länger hier bleibst. Die höfliche Entlassung der edlen Dame, die du so gröblich beleidigt hast, hat dir nicht genügt, ich muß ihren Befehl auf rohere Weise zur Ausführung bringen.«

Bei diesen Worten faßte er den Arm des ungebetenen Gastes mit seiner kräftigen Faust und führte ihn zur Thür. Als er ihn hinausgeschoben hatte, hielt er ihn noch immer fest und sagte:

»Geh jetzt in Frieden, Fulvius, und vergiß nicht, daß du dich an diesem Tage durch dein unwürdiges Betragen gegen die Gesetze dieses Staates vergangen hast. Ich will dich schonen, wenn du dein eigenes Geheimnis wahren kannst; aber ich halte es für gut, wenn du erfährst, daß ich deine Beschäftigung in Rom kenne, und daß deine Unverschämtheit von heute Morgen stets wie ein Schwert über deinem Haupte schweben wird, zur Sicherheit, daß du meinen Rat befolgst. Und nun sage ich noch einmal, geh hin in Frieden!«

Aber kaum hatte er den Arm des Fulvius losgelassen, als er sich von rückwärts durch einen unsichtbaren aber augenscheinlich athletischen Angreifer gepackt fühlte. Es war Eurotas, welchem Fulvius nichts zu verbergen wagte, und dem er auch die beabsichtigte Unterredung mit Corvinus anvertraut hatte, worauf dieser ihm gefolgt war. Durch die schwarze Sklavin hatte er schon bei früherer Gelegenheit näheres über den rohen und gemeinen Charakter dieses Klienten ihrer magischen Künste gehört; und jetzt fürchtete er irgend eine geheime Falle für seinen Herrn. Als er den scheinbaren Kampf an der Thür sah, lief er heimlich hinter Sebastianus, welchen er für den neuen Verbündeten seines Pflegebefohlenen hielt und stürzte sich mit der rohen Kraft eines Bären auf ihn. Aber es war kein gewöhnlicher Rivale, mit dem er zu kämpfen hatte. Obgleich Fulvius ihm jetzt zu Hilfe kam, versuchte er umsonst, den Soldaten zu Boden zu schleudern, bis er endlich verzweifelte, auf diese Weise einen Erfolg zu erringen. Da löste er eine kleine aber tödliche Waffe aus seinem Gürtel, ein stählernes Stäbchen aus vollendeter syrischer Arbeit und schwang es gerade über Sebastianus Hinterkopf, als er es in einem Nu seiner Hand entrissen und sich selbst zwei- oder dreimal von einer eisernen Faust herumgeworfen und dann in die Mitte der Straße geschleudert fühlte, wo er flach zu Boden fiel.

»Ich fürchte, daß du dem armen Burschen ein Leids angethan hast, Quadratus,« sagte Sebastianus zu seinem Centurio, welcher in diesem Augenblicke des Weges kam, um sich zu seinen christlichen Brüdern zu gesellen. Dieser war ein Mann von herkulischer Stärke und Bauart.

»Er verdiente das wohl für seinen feigen Angriff, Tribun,« erwiderte der andere, als sie ins Haus zurücktraten.

Die beiden Fremden schlichen tiefbeschämt vom Schauplatz ihrer Niederlage hinweg. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie für einen Augenblick den jetzt nicht mehr hinkenden Corvinus, welcher nach seiner Niederlage an der Hinterthür so schnell von dannen lief, wie ihn seine Füße nur zu tragen vermochten. Wie oft sie sich späterhin auch noch getroffen haben mögen – keiner von ihnen spielte je auf die Geschehnisse dieses Morgens an. Jeder wußte, daß der andere nichts als Schande und Mißerfolge erlebt hatte. Und jetzt kamen beide zu dem Schlusse, daß es in Rom doch noch eine Herde gab, welche sowohl der Wolf wie der Fuchs umsonst angriffen.


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