Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Das Ende des ersten Tages

Wenn wir noch kurze Zeit vor der Thür verweilen, Agnes sich entfernen sehen und auf das fröhliche Gespräch zwischen ihr und Cäcilia lauschen, in dessen Verlauf Agnes sie bittet, ihr zu gestatten, daß einer ihrer Diener sie nach Hause begleite, da es bereits dunkel geworden, wenn wir das Mädchen herzlich über die Vergeßlichkeit der Dame lachen hören, weil Tag und Nacht für sie doch gleichbedeutend sind, und sie deshalb zur Führerin durch die Katakomben bestimmt ist, deren Gewirr ihr ebenso bekannt ist wie die Straßen von Rom, in denen sie zu allen Stunden mit der größten Sicherheit umhergeht – wenn wir auf diese Weise noch einige Minuten verbringen und dann wieder ins Haus treten, um uns zu erkundigen, wie die Herrin desselben sich nach den Begebenheiten des Tages befindet, so sehen wir den ganzen Haushalt in der größten Aufregung. Sklaven mit Lampen und Fackeln laufen nach allen Richtungen hin, um einen verlorenen Gegenstand an allen möglichen und unmöglichen Orten zu suchen. Euphrosyne besteht darauf, daß er wieder gefunden werden muß, bis das Suchen endlich in Verzweiflung aufgegeben wird. Der Leser wird die Lösung des Geheimnisses bereits erraten haben. Syra hatte sich wie ihr befohlen war, wiederum zu Euphrosyne begeben, um ihre Wunde von neuem verbinden zu lassen, und hatte jetzt erst entdeckt, daß das kostbare Tuch nicht mehr da war. Sie wußte weiter keine Auskunft darüber zu geben, als daß sie es abgenommen und es späterhin wieder umgelegt hatte, freilich nicht so gut, wie Euphrosyne es gemacht hatte; sie gab auch den Grund hierfür an, denn sie verschmähte es, eine Lüge auszusprechen. Bis zu diesem Augenblick hatte sie den Verlust auch gar nicht bemerkt. Die gutmütige, alte Amme nahm sich den Verlust sehr zu Herzen, denn sie glaubte, die arme Sklavin habe diesen kostbaren Gegenstand stets so sorgsam aufbewahrt, um eines Tages ihre Freiheit mit demselben zu erkaufen. Auch Syra war traurig, jedoch aus Gründen, welche sie der guten Haushälterin unmöglich hätte begreiflich machen können.

Euphrosyne ließ die ganze Dienerschaft befragen, und einige derselben wurden zu Syras großem Kummer und Leidwesen sogar durchsucht; dann ordnete sie einen allgemeinen Streifzug durch jeden Teil des Hauses an, in welchem Syra sich aufgehalten hatte. Wer hätte es sich denn auch einen Augenblick träumen lassen, daß ein edler Gast, welcher an der Tafel des Hausherrn gesessen, sich einen Gegenstand aneignen würde, ob derselbe nun wertvoll war oder nicht? Daher kam die alte Frau zu dem Schlusse, daß das schöne Tuch auf irgend eine Weise fortgezaubert sei; sie hatte einen großen Argwohn, daß die schwarze Sklavin Afra, von welcher sie wußte, daß sie Syra haßte, einen Zauber angewandt habe, um das arme Mädchen zu betrüben. Denn sie glaubte in der That, daß die Schwarze eine zweite CanidiaCanidia – eine berüchtigte Zauberin im Zeitalter des Augustus. sei, da sie sie oft zu mitternächtlicher Stunde ausgehen lassen mußte, unter dem Vorwande, zur Zeit des Vollmondes Kräuter für ihre Salben und Essenzen suchen zu müssen. Als wenn sie, zu einer anderen Zeit gepflückt, nicht dieselben Eigenschaften besäßen! Euphrosyne argwöhnte, daß sie sich nur entferne, um sich tödliche Gifte zu verschaffen, in Wirklichkeit geschah es jedoch, um sich mit anderen ihrer Rasse bei den scheußlichen Orgien des FetischismusFetischismus – Religion der Naturvölker, Glaube an Beseelung lebloser Gegenstände und Zauberei. zusammen zu finden oder Zusammenkünfte mit denen zu halten, welche die Ratschläge ihrer imaginären Kunst in Anspruch nahmen. Erst als alles wieder zur Ruhe gekommen war, Syra sich allein befand und bei ruhigerer Überlegung die Begebenheiten des Tages an ihrem Geiste vorüberziehen ließ, fiel es ihr ein, wie Fulvius bei seinem Gange über den Hof plötzlich inne gehalten und zwar grade an der Stelle, wo sie kurz vorher gestanden, und dann mit verdoppelten Schritten der Thür zugeeilt war. Da bemächtigte sich ihrer plötzlich die Überzeugung, daß sie ihr Tuch dort verloren, und er es aufgehoben haben müsse. Daß er gleichgültig daran vorübergegangen, hielt sie für unmöglich. Sie glaubte deshalb bestimmt, daß es sich jetzt in seinem Besitz befinden müsse. Nachdem sie lange über die möglichen Konsequenzen dieses unglückseligen Geschehnisses gegrübelt und zu keinem befriedigenden Schlusse kommen konnte, legte sie die Sache endlich in Gottes Hand und suchte jene Ruhe, welche ein gutes Gewissen so erquickend und süß macht. Als Fabiola sich von Agnes trennte, zog sie sich in ihre zurück; und nachdem ihr die gewöhnlichen Dienste von zweien ihrer Dienerinnen und Euphrosyne geleistet worden, entließ sie dieselben in sanfterer und freundlicherer Weise, als sie es sonst wohl zu thun pflegte. Sobald die Frauen sie verlassen hatten, ging sie um sich wieder auf das Ruhebett zu legen, auf welchem wir sie zuerst erblickt haben; doch zu ihrem großen Entsetzen erblickte sie auf demselben das Stilett, mit welchem sie Syra verwundet hatte. Sie öffnete eine Lade und warf es voll Abscheu hinein. Und niemals hat sie wieder eine ähnliche Waffe gebraucht.

Sie nahm das Buch wiederum auf, welches sie zuletzt aus der Hand gelegt, und das ihr so viel Vergnügen und Zerstreuung bereitet hatte. Aber es war eigentlich ein albernes Geschreibsel und erschien ihr jetzt im höchsten Grade frivol. Sie legte es wieder hin und ließ dann ihre Gedanken über die Begebenheiten des Tages hinschweifen. Zuerst fiel es ihr ein, welch ein herrliches Kind ihre Cousine Agnes sei – wie selbstlos, wie rein, wie einfach! Wie vernünftig, ja, selbst wie weise! Sie beschloß, ihr nach jeder Richtung hin eine Beschützerin, eine ältere Schwester zu sein. Sie hatte ebensogut wie ihr Vater, die häufigen Blicke bemerkt, welche Fulvius auf sie geworfen; nicht in der That jene Libertiner Blicke, welche sie selbst so oft mit Verachtung ertragen, sondern schlaue, berechnende Blicke, welche ihrer Ansicht nach irgend einen Plan eines Verbrechens verrieten, deren Opfer Agnes werden könne. Sie beschloß, ihn zu durchkreuzen, welcher Art er auch sein mochte, und kam grade zu dem Gegenteil des Schlusses, welchen ihr Vater sich in Bezug auf ihn gebildet hatte. Sie beschloß, jede Zusammenkunft Fulvius' mit ihr zu verhindern, besonders seinen Zutritt in ihr Haus, und sie tadelte sich sogar, daß sie Agnes in die seltsame Gesellschaft gebracht hatte, welche sich am Tische ihres Vaters zu versammeln pflegte, besonders jetzt, wo sie einsah, daß ihre Beweggründe hierfür durchaus selbstsüchtiger Art gewesen. Und dies geschah fast in demselben Augenblicke, wo Fulvius sich unruhig auf seinem Lager hin und her werfend beschloß, wenn es möglich, Fabius' Haus nie wieder zu betreten und jede Einladung von ihm abzulehnen oder zu vermeiden.

Fabiola hatte seinen Charakter ergründet; hatte mit ihrem durchdringenden Auge die Geziertheit seines Wesens und die Verschlagenheit seines Blicks erkannt, und sie konnte nicht umhin, ihn mit dem offenherzigen und großmütigen Sebastianus zu vergleichen. »Welch ein edler Mann doch dieser Sebastianus ist!« sagte sie leise vor sich hin. »Wie verschieden von all den andern Jünglingen, welche unser Haus betreten. Niemals kommt ein thörichtes Wort über seine Lippen, niemals versenden seine klaren, fröhlichen Augen einen unfreundlichen Blick. Wie enthaltsam bei der Tafel – wie es einem Soldaten zukommt; wie bescheiden – das ziert einen Helden – wenn man von seiner eigenen Kraft und seinen kühnen Thaten im Kriege spricht, von denen andere Krieger doch sonst so viel Aufhebens zu machen pflegen. Ah! wenn er nur für mich fühlte, was andere zu empfinden vorgeben – – – « Sie beendete den Satz nicht, aber eine tiefe Schwermut schien sich ihrer ganzen Seele zu bemächtigen.

Dann kam ihr das Gespräch mit Syra und all seine Folgen wieder in den Sinn; es war schmerzlich für sie, und doch konnte sie nicht umhin, dabei zu verweilen. Und dann war es ihr, als sei dieser Tag die Krisis ihres Lebens gewesen. Eine Sklavin hatte ihren Stolz gedemütigt, und ihre Seele war weich geworden, sie wußte selbst nicht durch was. Wenn ihr in dieser Stunde die Augen geöffnet worden und sie imstande gewesen wäre, über diese Welt fortzublicken, so würde sie eine Wolke gesehen haben, leicht wie Weihrauch, aber von einem tiefen Rot gefärbt, welche von der Seite des Lagers einer knieenden Sklavin emporstieg – ein Gebet und die Darbringung des Opfers ihres Lebens, welches zusammen nach Oben zog – und als es an den krystallenen Schemel des Gnadenstuhls im Himmel schlug, da fiel es wie ein Thau der göttlichen Gnade auf ihr dürres Herz zurück.

Aber dies konnte sie in der That nicht sehen. Deshalb war es jedoch nicht weniger wahr. Tief ermüdet suchte sie endlich Ruhe. Doch auch sie hatte einen beunruhigenden Traum. Sie sah in einem herrlichen blühenden Garten einen hellen Fleck, der von einem strahlenden milden Mittagslicht beschienen, während alles umher dunkel war. Schöne Blumen bedeckten den Rasen, reich blühende Pflanzen zogen sich in Bogen von einem Baum zum andern, deren jeder mit goldenen Früchten bedeckt war. In der Mitte dieses hellen Raums sah sie das arme, blinde Mädchen am Boden sitzen, das Antlitz strahlend vor Glück; während Agnes mit ihrem süßen bescheidenen Lächeln auf der einen Seite, Syra mit ihrem geduldigen, ruhigen Gesicht auf der anderen Seite neben ihr standen und sie liebkosten. Fabiola hegte den unwiderstehlichen Wunsch, mit ihnen zu sein; ihr war es, als genössen sie ein Glück, welches sie nie gekannt oder geahnt hatte, und es schien ihr sogar, als winkten sie ihr, sich zu ihnen zu gesellen. Sie stürzte vorwärts, um ihrer Aufforderung Folge zu leisten, als sie zu ihrem Schrecken einen weiten, schwarzen, tiefen Abgrund vor sich erblickte, auf dessen Boden ein reißender Strom dahin rauschte. Nach und nach stieg das Wasser, bis es den oberen Rand des Teiches erreicht hatte und dort, wenn auch tief, doch glitzernd und klar dahinfloß. Ach! wenn sie nur den Mut fände, in diesen Strom zu tauchen und durch ihn über den Abgrund fortzuschwimmen und sicher an der gegenüberliegenden Seite zu landen! Und immer noch winkten sie ihr und machten ihr Zeichen der Ermutigung, es zu wagen. Während sie aber noch am Rande stand und die Hände in Verzweiflung rang, schien Calpurnius sich aus der dicken, schwarzen Luft loszulösen, einen schweren Vorhang ausbreitend, auf welchem die ungeheuerlichsten und widerlichsten Traumbilder, die in der seltsamsten Weise ineinander verflochten erschienen, dargestellt waren. Und dieser dunkle Schleier wuchs und wuchs, bis er das schöne Bild gänzlich verdeckte. Sie war untröstlich, bis ihr wiederum ein leuchtender Genius, so nannte sie ihn, erschien, in dessen Zügen sie eine vergeistigte Ähnlichkeit mit Sebastianus entdeckte; sie hatte ihn bemerkt, wie er trauernd in der Ferne stand; jetzt näherte er sich ihr und indem er ihr zulächelte, wehte er ihrer fiebernden Stirn mit seinen goldenen und purpurnen Flügeln Kühlung zu. Dann schwand die Vision und sie fiel in einen ruhigen, erfrischenden Schlaf.


 << zurück weiter >>