Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Siebzehntes Kapitel

Die christliche Genossenschaft

Nach diesem Gespräch zog Fabiola sich zurück, und während des ganzen übrigen Tages war ihr Gemüt teilweise bewegt, teilweise ruhig.

Als sie ruhig und fest auf die erhabene Ansicht vom sittlichen Leben blickte, welche ihr Geist jetzt erfaßt hatte, fand sie eine ungewöhnliche Beruhigung in dieser Betrachtung. Ihr war zu Mute, als habe sie ein großartiges Phänomen entdeckt, dessen Kenntnis sie in neue und höhere Regionen führe, von wo aus sie über die Thorheiten und Irrtümer der Menschen lachen könne. Wenn sie aber an die Verantwortlichkeit dachte, welche dieses neu aufgegangene Licht ihr auferlegte, die Wachsamkeit, welche es erforderte, die ungesehenen und unbelohnten Kämpfe, welche es verlangte, die fast vollständige Vereinsamung einer Tugend, die weder Bewunderung noch Sympathie erregt – dann schauderte sie vor dem Leben, das vor ihr lag, und ihr war's, als solle sie sich ohne Hilfe, ohne Stütze von dem einzigen Halt desselben, den sie bis jetzt gekannt hatte, entfernen. – Der wirklichen Ursache sich durchaus nicht bewußt, sah sie, daß sie weder Mittel noch Kräfte besäße, die herrliche Theorie zur Ausführung zu bringen. Und diese schien wie ein strahlendes Licht in der Mitte einer weiten, nackten, leeren Halle zu stehen, nichts erleuchtend als eine Wildnis!

Wozu so viel unnütz verschwendetes Licht?

Der nächste Tag war für einen jener Besuche bestimmt worden, welcher alljährlich einmal auf dem Lande gemacht zu werden pflegte – nämlich der im Hause des früheren Präfekten der Stadt, Chromatius. Unser Leser wird sich noch erinnern, daß dieser Beamte sich nach seiner Bekehrung und Niederlegung des Amtes auf seinen Landsitz in Campania zurückgezogen hatte, eine große Anzahl der durch Sebastianus Bekehrten und den heiligen Priester Polycarp, der ihre Unterweisung in der Christenlehre vollenden sollte, mit sich nehmend. Von diesen Umständen war Fabiola natürlich niemals in Kenntnis gesetzt worden, aber allerhand seltsame Gerüchte über die Villa des Chromatius waren ihr zu Ohren gekommen. Man erzählte, daß er eine große Anzahl von Gästen um sich versammelt habe, welche bis jetzt noch niemand dort gesehen, daß er keine Gastmahle gebe, daß er all seinen Sklaven auf dem Lande die Freiheit geschenkt habe, daß aber viele von diesen es vorgezogen hätten, bei ihm zu bleiben; daß der ganze Haushalt, wenn auch sehr zahlreich, so doch außerordentlich glücklich scheine, obgleich kein Mitglied desselben sich in lärmenden Vergnügungen und fröhlichen Zusammenkünften erginge. Alles dieses reizte Fabiolas Neugierde zusammen mit dem dringenden Wunsche, einem gütigen Freunde und Beschützer ihrer Kindheit gegenüber eine angenehme und liebe Pflicht der Höflichkeit zu erfüllen. Und überdies trug sie auch das Verlangen, mit ihren eigenen Augen zu sehen, was ihr als ein sehr platonisches oder utopisches Experiment erschien.

In einem leichten Landwagen, der von herrlichen Pferden gezogen wurde, machte Fabiola sich zeitig auf den Weg und fuhr fröhlich über die ebene Landstraße durch das »glückliche Campanien«. Ein herbstlicher Regenschauer hatte den Staub gelegt und die Weinlaubguirlanden, welche sich an der Straße entlang in Bogen von Baum zu Baum zogen und die Hecken ersetzten, wie mit Diamanten besäet. Es dauerte nicht lange, bevor sie die leichte Anhöhe – denn Hügel konnte man dies kaum nennen – erreichte, welche auf ihrem Gipfel die weißen Mauern der großen Villa trug und mit Buchsbaum, Lorbeeren, Taxus, Erdbeerbäumen, und dazwischen schlanke Cypressen, gänzlich bedeckt war. Sie bemerkte allerdings, daß eine Veränderung vor sich gegangen, welche sie zwar im ersten Augenblick nicht genau definieren konnte; als sie jedoch das Parkthor passiert hatte, erinnerte die große Anzahl leerer Piedestale und Nischen sie daran, daß die Villa ihren meist charakteristischen Schmuck verloren habe – nämlich die herrlichen Statuen, welche anmutig zwischen den immergrünen Hecken verteilt waren und ihr den Namen, Ad StatuasBei den Statuen. gegeben hatte, der nun ganz bedeutungslos geworden war.

Chromatius, welcher gehinkt hatte und von Gichtschmerzen geplagt war, als sie ihn zuletzt gesehen, war jetzt ein gesunder, rüstiger alter Mann und empfing sie mit der größten Höflichkeit; er erkundigte sich nach ihrem Vater und fragte, ob das Gerücht wahr sei, welches behauptete, er würde sich binnen kurzem nach Asien begeben. Dies schien Fabiola Kummer und Verdruß zu bereiten, denn ihr gegenüber hatte er dieser Absicht nicht Erwähnung gethan. Chromatius sprach die Hoffnung aus, daß es nur ein falsches Gerücht sein möge und fragte, ob sie vielleicht einen Rundgang durch Garten und Park machen wolle. Sie fand beide so wohl gepflegt wie sonst, überall die schönsten Pflanzen und Gesträuche, aber trotzdem vermißte sie die herrlichen, alten Statuen. Endlich kamen sie an eine Grotte mit einem Brunnen, in welchem sich früher Nymphen und Meeresgötter zu ergötzen pflegten; jetzt bot er dem Auge aber nichts mehr als eine schwarze, glatte Oberfläche. Sie konnte sich nicht länger beherrschen, und indem sie sich zu Chromatius wandte, sagte sie:

»Aber Chromatius, sag mir, was in aller Welt hast du gethan, daß du all deine Statuen entfernt und dadurch das besonders reizvolle Aussehen deiner Villa zerstört hast? Was vermochte dich dazu, solche Grausamkeit zu begehen?«

»O edle Dame,« antwortete der gutmütige, alte Herr, »zürne doch nicht so heftig. Konnten denn diese Figuren für irgend einen Menschen von Nutzen sein?«

»So magst du denken,« entgegnete sie, »aber andere waren nicht deiner Ansicht. Doch sag mir, ich bitte dich herzlich, was hast du mit all diesen Gebilden gemacht?«

»Nun, wenn ich offen sein soll, so muß ich dir gestehen, daß ich sie alle unter den Hammer gebracht habe.«

»Wie! Und ohne mich etwas davon wissen zu lassen? Du weißt doch, daß mehrere Stücke darunter waren, welche ich mit Freuden gekauft haben würde.«

Chromatius lachte hell auf und sagte in jenem vertrauten Ton, welchen die Freundschaft mit Fabiola seit den Tagen ihrer Kindheit ihn anzunehmen berechtigte:

»Meiner Treu! Wie deine Einbildungskraft mit dir davon läuft! Viel zu schnell, als daß meine arme, alte Zunge mit ihr Schritt halten könnte. Ich meinte ja nicht den Hammer des Auktionators, sondern den Schmiedehammer. Die Götter und Göttinnen sind alle zerschmettert, alle pulverisiert worden! Wenn du vielleicht noch ein einzelnes Bein oder eine Hand, an welcher mehrere Finger fehlen, wünschest, so könnte ich sie möglicherweise noch finden. Aber ein Gesicht mit einer Nase oder einen Schädel ohne Bruch kann ich dir nicht mehr versprechen.«

Fabiola war auf das äußerste bestürzt, als sie ausrief:

»Welch ein furchtbarer Barbar du geworden bist, mein weiser, alter Richter! Welchen Schatten einer vernünftigen Ursache für ein so frevelhaftes Beginnen kannst du uns geben?«

»Nun siehst du, mein Kind, ich bin älter geworden und ich bin klüger geworden! Und ich bin zu dem Schlusse gekommen, daß Herr Jupiter und Frau Juno nicht mehr Gott und Göttin sind als du und ich. So machte ich der Sache summarisch ein Ende.«

»Gut. Das alles mag ja recht gescheid sein, und ich, obgleich ich weder alt noch weise, bin schon seit langer Zeit derselben Ansicht. Weshalb behieltest und schätztest du sie aber nicht, als reine, schöne Meisterwerke der Kunst?«

»Weil sie nicht in letzterer Eigenschaft, sondern als Gottheiten hier aufgestellt worden sind. Sie standen hier als Betrüger, unter falschem Namen. Und wie du eine Büste oder ein Bild, welches du unter den Bildnissen deiner Ahnen finden und als einer ganz anderen Familie angehörig erkennen würdest, hinauswerfen mühtest, so schaffte ich diese, welche Anspruch auf eine viel edlere, höhere Beziehung zu mir machten, hinaus, als ich erkannt hatte, daß sie falsch seien. Und ebensowenig wollte ich die Verantwortlichkeit übernehmen, sie kaufen zu lassen. Damit derselbe Betrug an einem anderen Orte nicht fortgesetzt werde.«

»Aber jetzt sag mir, mein rechtschaffener, alter Freund, ist es nicht auch ein Betrug, wenn du fortfährst, deinen Landsitz Ad statuasBei den Statuen. zu nennen, nachdem keine einzige Statue auf demselben zurückgeblieben ist?«

»Gewiß,« antwortete Chromatius, welchen der scharfe Geist dieses Mädchens belustigte, »und du wirst auch bemerken, daß überall Palmenbäume gepflanzt sind. Sobald diese ihre Häupter über die immergrünen Hecken erheben werden, soll diese Villa anstatt ihres alten Namens die Benennung: ad palmasBei den Palmen. annehmen.«

»Das wird ein schöner Name sein,« sagte Fabiola, welche wenig an den höheren Sinn der Bedeutung dachte, den dieser enthielt. Sie wußte natürlich nicht, daß die Villa jetzt eine Erziehungsschule sei, in welcher, Kämpfern und Gladiatoren gleich, viele in verschiedenen Abteilungen auf den großen Kampf des Glaubens, des Märtyrertums und den Tod vorbereitet wurden. Diejenigen, welche diese Unterweisung genossen, waren berechtigt zu sagen, daß sie sich auf dem Wege befänden, die Palme des Siegers zu pflücken, welche sie zum Zeichen des Sieges über diese Welt vor dem Richterstuhle Gottes tragen würden. Und gar viele waren der Palmen, welche binnen kurzem an jenem Asyl der Christen gepflückt werden sollten!

Hier aber müssen wir die Geschichte der Demolierung von Chromatius' Statuen wiedergeben, denn sie bildet eine besondere Episode in der »Geschichte des heiligen Sebastianus.«

Als Nicostratus, damals Präfekt von Rom, ihn von der Befreiung seiner Gefangenen und der durch die heilige Taufe bewirkten Wiederherstellung des Tranquillinus von der Gicht in Kenntnis setzte, ließ Chromatius, nachdem er sich genau über die Wahrheit dieser Thatsache informiert hatte, den Sebastianus holen und verlangte getauft zu werden, weil er darin das Mittel zur Genesung von derselben Krankheit erblickte. Dies konnte natürlich nicht geschehen, und ein anderes Verfahren wurde ihm vorgeschlagen, welches ihm einen neuen und persönlichen Beweis für das Christentum verschaffen sollte, ohne daß er gezwungen würde, die Taufe ohne die rechte Absicht zu empfangen. Chromatius war berühmt wegen der ungeheuren Anzahl von Götzenbildern, welche er besaß, und jetzt versicherte Sebastianus ihn, daß er augenblicklich wiederhergestellt sein würde, wenn er sich entschließen könne, sie alle in Stücke zu zerschlagen. Dies war eine harte Bedingung, aber er willigte ein. Sein Sohn Tiburtius hingegen tobte und raste und schwor, daß, wenn der versprochene Erfolg nicht eintreten würde, er sowohl Sebastianus wie Polycarp in einen glühenden Ofen werfen lassen würde: eine Sache, die für den Sohn des Präfekten vielleicht nicht einmal so schwer war.

An einem Tage wurden zweihundert heidnische Statuen zertrümmert, sowohl diejenigen, welche sich auf dem Landsitze befanden, wie jene, welche das Haus in Rom schmückten. Die Götzenbilder wurden in der That zerstört – aber Chromatius war nicht geheilt. Man ließ den Sebastianus holen und machte ihm die bittersten Vorwürfe. Er blieb jedoch ruhig und unbeugsam.

»Ich bin fest überzeugt, daß nicht alle zerstört worden sind. Irgend etwas ist der Vernichtung entzogen worden,« sagte er.

Es zeigte sich, daß er recht gehabt hatte.

Man hatte einige kleine Gegenstände, welche man mehr als Kunstwerke, denn als religiöse Dinge betrachtet hatte. verborgen wie AchanBuch Josuae Kap. 7. den Raub, nach welchem sein Herz stand. Man brachte sie herbei und zerschlug auch diese. Gleich darauf war Chromatius vollkommen wiederhergestellt. Nun wurde nicht allein er bekehrt, sondern auch sein Sohn Tiburtius wurde einer der gläubigsten Christen. Er starb den herrlichsten, heldenmütigsten Märtyrertod und gab einer Katakombe seinen Namen. Auch hatte er gebeten, in Rom bleiben zu dürfen, um während der bevorstehenden Christenverfolgung seinen Glaubensbrüdern beistehen und sie ermutigen zu können, wozu seine genaue Kenntnis des Palastes, sein großer Mut und seine außerordentliche Thätigkeit ihn besonders befähigten. So war er auch natürlicherweise der treue Freund und häufige Gefährte des Sebastianus und des Pancratius geworden.

Nach dieser kleinen Abweichung nehmen wir den Faden der Unterhaltung zwischen Chromatius und Fabiola wieder auf. Letztere vervollständigte ihren Satz indem sie hinzufügte:

»Aber weißt du auch Chromatius – doch laß uns an diesem herrlichen Plätzchen niedersitzen, wo, wie ich mich erinnere, früher ein prächtiger Bacchus stand – weißt du, daß allerhand seltsame Gerüchte über euer Thun und Treiben hier das Land durchziehen?«

»Du meine Güte. Und welcher Art sind diese Gerüchte? Ich bitte dich, sage es mir!«

»Nun, man erzählt, daß eine Menge Leute bei dir wohnen, welche niemand kennt; daß du keine Gäste empfängst, daß du niemanden aufsuchst, nicht mehr ausgehst; kurzum, daß ihr hier eine Art philosophischen Lebens führt und eine durchaus platonische Republik bildet.«

»Fühle mich außerordentlich geschmeichelt,« unterbrach Chromatius sie mit einer Verbeugung und einem seltsamen Lächeln.

»Aber das ist noch nicht alles,« fuhr Fabiola fort. »Man sagt auch noch, daß eure Tageseinteilung eine höchst unpassende, daß ihr hier keine Belustigungen mehr kennt und höchst enthaltsam lebt, daß ihr in der That hier fast verhungert.«

»Aber ich hoffe, daß die Leute uns die Gerechtigkeit wiederfahren lassen hinzuzufügen, daß wir bezahlen, was wir verbrauchen?« bemerkte Chromatius lachend, »sie sagen doch wohl nicht, daß wir beim Bäcker und beim Krämer große Rechnungen haben?«

»O nein,« erwiderte Fabiola lachend.

»Wie gütig von den Leuten!« fiel der gutmütige, alte Richter wieder ein. »Sie – ich meine das ganze verehrte Publikum – scheint ja den liebevollsten Anteil an unseren Angelegenheiten zu nehmen. Aber ist es nicht seltsam, meine teure, junge Dame, daß so lange wie mein Haushalt in derselben ungebundenen Weise geführt wurde – wie man hier ebensoviel dummes, inhaltloses Geschwätz hörte – hier ebenso stark trank, und dieselben jugendlichen Streiche machte, wie anderswo – ich bitte dich um Verzeihung, daß ich auf solche Dinge anspielte; daß solange wie weder ich noch meine Freunde vorwurfsfrei oder mäßig waren und uns manchen Ausbruch ungebundener Lustigkeit erlaubten, niemand sich auch nur im mindesten den Kopf über uns zerbrach? Aber laßt nur ein paar Leute sich zurückziehen, um in Ruhe und Frieden zu leben, laßt sie frugal, fleißig sein, sich von öffentlichen Angelegenheiten gänzlich fern halten und niemals weder von Politik noch Gesellschaft reden – und sofort erwacht die gemeine Neugierde, welche alles wissen muß; durchaus müssen böswillige Gerüchte und häßlicher Argwohn in Umlauf gesetzt werden über die Motive und die Art und Weise ihres Lebens. Ist dies nicht eine seltsame Erscheinung?«

»Das ist es in der That; aber welche Ursache kannst du dafür angeben?«

»Ich kann es nur auf den Hang kleiner Seelen zurückführen, welche stets eifersüchtig auf diejenigen ihrer Nebenmenschen sind, die höhere Ziele verfolgen als sie selbst, und daher fast unbewußt alles das herabsetzen, was zu gut und zu hoch ist, als daß sie selbst danach streben könnten.«

»Aber welcher Art ist eure Lebensweise hier denn in Wirklichkeit? Welchen Zweck verfolgt ihr mit derselben, mein guter Freund?«

»Wir bringen unsere Zeit mit der Ausbildung unserer höheren Fähigkeiten zu. Wir stehen erschreckend früh von unseren Lagern auf – ich wage kaum dir zu erzählen, wie früh; dann weihen wir einige Stunden unseren religiösen Übungen und dann beschäftigen wir uns auf die verschiedenartigste Weise: einige lesen, andere schreiben, jene arbeiten in Park und Garten, und ich versichere dich, kein bezahlter Tagelöhner hat je so angestrengt und so gut gearbeitet wie diese zeitweiligen Ackerbauer und Gärtner. Wir vereinigen uns zu verschiedenen Zeiten und singen herrliche Gesänge miteinander, die alle nur Tugend und Reinheit atmen, wir lesen nützliche, veredelnde Bücher und empfangen Unterricht von den beredtesten Lehrern. Unsere Mahlzeiten sind in der That sehr mäßig; wir leben nur von Früchten und Gemüsen, aber ich habe bereits entdeckt, daß Lachen sich sehr gut mit Linsen verträgt, und daß gute Laune nicht immer von guter Kost abhängt.«

»Was! Ihr seid ja vollständige Pythagoräer geworden! Ich glaubte, das sei längst aus der Mode. Aber das muß ein sehr sparsames System sein,« bemerkte Fabiola mit einem verständnisvollen Blick.

»Ah! Du schlaues Ding!« antwortete der Richter, »du meinst also wirklich, daß dies schließlich ein sehr sparsames Verfahren sei? Das wird es aber nicht bleiben, denn wir haben einen verzweifelten Entschluß gefaßt.«

»Und welcher, in aller Welt, mag der sein?« fragte die junge Dame.

»Nichts geringeres als dies. Wir haben beschlossen, daß sich in unserm ganzen Bereich keine einzige arme Person mehr befinden soll. In diesem Winter wollen wir versuchen, all die Nackten zu kleiden, die Hungernden zu speisen und die Kranken zu pflegen. Dadurch werden all unsere Ersparnisse drauf gehen.«

»Das ist allerdings ein sehr großmütiger aber auch ein sehr neuer Gedanke für unsere Zeit. Ohne Zweifel wird man euch für eure Mühen nach Herzenslust auslachen und euch von allen Seiten tadeln. Man würde sogar noch schlechter von euch sprechen als man es jetzt thut, wenn es möglich wäre – aber es ist nicht möglich.«

»Wie denn, nicht möglich?

»Zürne mir nicht, wenn ich es dir sage; aber man ist sogar schon so weit gegangen, anzudeuten, daß ihr alle möglicherweise Christen sein könntet. Aber ich versichere dich, dem habe ich stets mit der größten Entrüstung widersprochen.«

Chromatius lächelte lange still vor sich hin. Dann sagte er: »weshalb ein entrüsteter Widerspruch, mein teures Kind?«

»Gewiß ein entrüsteter Widerspruch, weil ich dich und Tiburtius und Nicostratus und jene arme, teure, stumme Zoe zu gut kenne, um auch nur einen Augenblick zuzugeben, daß ihr euch zu jener Mischung von Dummheit und Schurkerei bekennen könntet, welche mit diesem Namen bezeichnet wird.«

»Laß mich eine Frage an dich richten. Hast du dir jemals die Mühe genommen, irgend welche christlichen Schriften zu lesen, aus welchen du entnehmen könntest, was jene verachtete Körperschaft wirklich thut und hält?«

»O nein, das habe ich wahrlich nicht gethan! An solchem Geschreibsel würde ich meine Zeit nicht verlieren. Ich habe nicht einmal die Geduld, mir Kenntnisse über etwas zu verschaffen, das sie betrifft. Sie sind die geschwornen Feinde jedes intellektuellen Fortschritts, sie sind zweifelhafte Bürger, leichtgläubig bis zum äußersten, sie sanktionieren jedes verabscheuungswürdige Verbrechen – und ich verachte sie zu sehr, um mir auch nur die Gelegenheit zu irgend einer näheren Bekanntschaft mit ihnen zu gestatten.«

»Nun, teure Fabiola, auch ich habe einst dieselbe Ansicht über sie gehegt, aber seit einiger Zeit habe ich meine Meinung gar sehr geändert.«

»Das ist seltsam in der That, umsomehr, da du als Präfekt der Stadt doch oft genug Gelegenheit gehabt haben mußt, diese elenden Kreaturen für die beständige Übertretung unserer Gesetze zu strafen.«

Eine Wolke zog über das sonst so fröhliche Gesicht des alten Mannes und eine Thräne stahl sich in sein Auge. Er dachte an den heiligen Paulus, welcher einst die Kirche Gottes verfolgt hatte. Fabiola bemerkte die Veränderung und war tief betrübt. In der liebreichsten Weise sprach sie zu ihm:

»Ich fürchte, daß ich etwas sehr gedankenloses gesagt und alte Erinnerungen erweckt habe, die deinem gütigen Herzen qualvoll sein müssen. Vergieb mir, teurer Chromatius, und laß uns von etwas anderem sprechen. Ein Zweck meines Besuches war, dich zu fragen, ob du irgend jemand wissest, der sofort nach Rom abreist. Von verschiedenen Seiten habe ich von der beabsichtigten Reise meines Vaters gehört, und aus Furcht, daß er wieder thun könne, was er schon einmal gethan – nämlich fortgehen, ohne Abschied von mir zu nehmen, um mir Kummer zu ersparen – wünsche ich dringend, ihm darüber zu schreiben.«In jenen Tagen gab es keine Post, und Leute, welche Briefe absenden wollten, mußten entweder einen expressen Boten nehmen, oder irgend eine andere Gelegenheit benützen.

»Ja,« antwortete Chromatius, »hier ist ein junger Mann, welcher morgen in aller Frühe abreist. Komm in die Bibliothek und schreib deinen Brief; wahrscheinlich befindet sich auch der Bote dort.«

Sie kehrten in das Haus zurück und traten zur ebenen Erde in ein Zimmer, welches mit Bücherschränken und Behältern angefüllt war. An einem Tische in der Mitte des Raumes saß ein junger Mann, welcher aus einem großen Folianten abschrieb, den er zuschlug und beiseite warf, als er eine Fremde eintreten sah.

»Torquatus,« sagte Chromatius, indem er sich zu ihm wandte, »diese Dame wünscht einen Brief an ihren Vater in Rom zu senden.«

»Es wird mir stets eine große Freude gewähren,« antwortete der junge Mann, »der edlen Fabiola oder ihrem berühmten Vater einen Dienst zu leisten.«

»Wie, du kennst sie?« fragte der Richter und legte sein unverhohlenes Erstaunen an den Tag.

»Als ich noch sehr jung war, hatte ich die Ehre, wie mein Vater vor mir, im Dienste des edlen Fabius in Asien angestellt zu sein. Krankheit zwang mich, seinen Dienst zu verlassen.«

Mehrere Bogen feinen Pergamentpapiers, welche augenscheinlich für die Abschrift irgend eines Buches bestimmt waren, denn sie waren sämtlich zu einer Größe geschwollen, lagen auf dem Tische. Einen derselben schob der gute, alte Mann vor die Dame, dazu Tinte und ein Röhrchen. Sie schrieb einige liebevolle Zeilen an ihren Vater. Dann faltete sie das Papier zusammen, umwickelte es mit einer Schnur, befestigte etwas Wachs an diese, und drückte ihr Siegel, welches sie aus einer gestickten Tasche nahm, auf das Wachs. Von der Absicht beseelt, den Boten eines Tages zu belohnen, wenn sie erst genau wissen würde wie, nahm sie ein zweites Stück von jenem Pergamentpapier, schrieb seine Wohnung und seinen Namen darauf und schob es sorgsam in die Brustfalten ihres Gewandes.

Nachdem sie einige leichte Erfrischungen zu sich genommen hatte, stieg sie in ihren Wagen und sagte dem Chromatius ein zärtliches Lebewohl. In seinem Blicke lag etwas liebevoll väterliches, als ob er fühle, daß er sie niemals wiedersehen werde. Wenigstens ein Pfand sie es so; aber es war ein ganz anderes Gefühl, das sein Herz erweichte. Sollte sie immer bleiben, was sie war? Sollte er sie ruhig in ihrer eigensinnigen Verblendung beharren lassen? Sollten dieses großmütige Herz, dieser edle Verstand sich selbst überlassen bleiben, um in dem Schlamme des öden Heidentums weiter zu wühlen, während doch jede Empfindung, jeder Gedanke in ihnen aus starken und dennoch so seinen Fibern gebildet schien, aus denen die Wahrheit das reichste Netz zu weben vermöchte? Das konnte nicht sein. Und doch hielten ihn tausend Gründe von einem Geständnis zurück, welches sie – das fühlte er bestimmt – für den Augenblick wenigstens von jeder weiteren Annäherung an den Glauben zurückhalten würde.

»Lebe wohl, mein Kind,« rief er aus, »mögest du hundertfach gesegnet sein auf eine Weise, die dir bis jetzt noch unbekannt ist.«

Dann wandte er sein Angesicht ab, lies ihre Hand los und ging eilig ins Haus.

Auch Fabiola war heftig erregt, sowohl durch das geheimnisvolle seines Thuns, wie durch die Zärtlichkeit, welche in seinen Worten lag. Plötzlich wurde sie dadurch erschreckt, daß Torquatus, bevor sie noch den Ausgang des Parks erreicht hatte, ihren Wagen anhielt. In diesem Augenblick fiel ihr der Unterschied zwischen dem leichten und ziemlich vertrauten, obgleich achtungsvollen Benehmen des Jünglings und dem milden, mit Fröhlichkeit gemischten Ernst des alten Expräfekten peinlich auf.

»Verzeiht diese Unterbrechung, edle Dame,« sagte er, »aber liegt Euch viel daran, daß dieser Brief an Euren Vater schnell besorgt werde?«

»Gewiß, ich wünsche, daß er so schnell wie möglich in seine Hände gelange.«

»Dann fürchte ich, daß ich kaum imstande sein werde, Euch zu dienen. Es ist mir nur möglich, zu Fuß zu reisen oder mit zufälligen und billigen Gelegenheiten; ich werde mindestens mehrere Tage unterwegs sein.«

Zögernd sagte Fabiola: »Würde ich mir eine zu große Freiheit nehmen, wenn ich mich erböte, die Kosten einer schnelleren und sicheren Reise zu tragen?«

»Durchaus nicht,« antwortete Torquatos ziemlich eifrig, »wenn es mir dadurch möglich wird, Eurem edlen Hause besser zu dienen.«

Fabiola reichte ihm eine schwere gefüllte Börse, welche nicht allein die Kosten der Reise, sondern auch eine reichliche Entlohnung für seine Mühe enthielt. Mit lächelnder Bereitwilligkeit nahm er sie entgegen und verschwand in einer Seitenallee des Parks. Es lag etwas in seinem Wesen, das einen höchst unangenehmen Eindruck machte; ihr kam der Gedanke, daß dieser Mensch kaum eine passende Gesellschaft für ihren lieben alten Freund sein könne.

Wenn Chromatius Zeuge dieses Vorfalls gewesen wäre, so würde er in dem gierigen Erfassen des Geldbeutels eine große Ähnlichkeit mit Judas erblickt haben. Fabiola indessen bereute es nicht, durch eine Summe Geldes ein für alle Mal sich einer Verpflichtung entledigt zu haben, welche ihr dadurch, daß sie jenem Menschen die Botschaft an ihren Vater übertragen, auferlegt worden war. Sie zog daher jenes Memorandum aus den Brustfalten ihres Kleides, um es als nutzlos zu vernichten, als sie bemerkte, daß die zweite Seite des Pergamentpapiers beschrieben war; wahrscheinlich hatte der Abschreiber des Buches, welchen sie seine Arbeit hatte beiseite schieben sehen, gerade die Fortsetzung auf jenem Bogen begonnen. Nur wenige Sätze waren darauf geschrieben und sie begann dieselben zu lesen. Zum erstenmal fand sie die folgenden Worte aus einem ihr unbekannten Buche:

»Ich sage euch: liebet eure Feinde, thuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, welche euch verfolgen und verleumden, auf daß ihr Kinder eures Vaters seid, der im Himmel ist, der Seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse, und regnen läßt über Gerechte und Ungerechte.«Ev. Matth. Kap. 5, V. 44, 45.

Wir können uns die Unschlüssigkeit eines indischen Bauern vorstellen, welcher in einem Strombett einen weißen, durchsichtigen Kiesel findet, rauh und glanzlos von außen, aber funkensprühend da, wo er behauen wird. Er ist nicht imstande zu bestimmen, ob er in den Besitz eines kostbaren Diamanten oder eines wertlosen Steins gekommen ist; ob es ein Ding, welches würdig ist, seinen Platz in der Krone eines Königs zu finden, oder ob es nichts anderes verdient, als von dem Fuße eines Bettlers in den Staub getreten zu werden. Soll er seiner Verlegenheit und Unschlüssigkeit ein Ende machen, indem er den Kiesel ohne weiteres von sich schleudert, oder soll er ihn zu einem Steinschleifer tragen und diesen um den Wert befragen und sich vielleicht ins Gesicht lachen lassen?

Solcher Art waren die wechselnden Gefühle Fabiolas auf ihrem Wege nach Hause. »Von wem können diese Sprüche herrühren. Kaum von einem griechischen oder römischen Philosophen. Sie sind entweder sehr falsch oder sehr wahr, entweder erhabene Moral oder gemeine Niedrigkeit. Handelt irgend jemand nach diesen Doktrinen, oder ist das ganze nichts als ein prächtiges Parodoxon? Ich will meinen Kopf nicht länger über diesen Gegenstand zerbrechen. Oder eigentlich will ich Syra darum befragen; es klingt fast wie eine ihrer schönen, jedoch unausführbaren Theorien. Nein, ich will es lieber nicht thun. Sie überwältigt mich mit ihren erhabenen Lehren, welche mir so unmöglich, ihr aber so leicht und natürlich erscheinen. Mein Geist bedarf der Ruhe. Das kürzeste ist, mich von der Ursache meiner Verwirrung und Unruhe zu befreien und solche quälende Worte zu vergessen. So! jetzt übergebe ich sie den Winden. Mag sich ein anderer, der das Papier vielleicht auf der Landstraße findet, damit abmühen! Hoh, Phormio, halt an und nimm das Stück Pergament auf, welches ich soeben verloren habe!«

Der Wagenlenker gehorchte, obgleich er bemerkt zu haben glaubte, daß seine Gebieterin es absichtlich fortgeworfen. Fabiola schob es in ihren Busen zurück. Da lag es wie ein Siegel auf ihrem Herzen. Denn dieses Herz war ruhig und friedvoll bis sie nach Hause kam.


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