Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Düsterer Tod

Wenige Tage nach Fabiolas Rückkehr vom Lande hielt Sebastianus es für seine Pflicht, ihr seine Aufwartung zu machen, um ihr, soweit dies möglich war ohne Herzeleid zu verursachen, das mitzuteilen, was er von dem Gespräch zwischen Corvinus und ihrer schwarzen Sklavin erlauscht hatte. Wir haben bereits erwähnt, daß von all den edlen Jünglingen, welche das Haus ihres Vaters besuchten, kein einziger mit Ausnahme von Sebastianus die Bewunderung und Achtung Fabiolas erregt hatte. So offenherzig, so großmütig, so tapfer und doch so bescheiden; so milde, so gütig in Handlung und Worten, so selbstlos und so fürsorglich für andere, in seinem Charakter Vornehmheit und Einfachheit, große Weisheit und praktischen Sinn so edel vereinend, war er für sie der Typus jeder männlichen Tugend, ein Mensch, der durch näheren Verkehr nicht verlieren, durch Vertraulichkeit nicht leiden konnte.

Als man ihr daher meldete, daß der Tribun Sebastianus sie in einer der unteren Hallen allein zu sprechen wünsche, klopfte ihr Herz laut bei der ungewöhnlichen Nachricht, und tausend seltsame Gedanken über den möglichen Zweck dieser Unterredung stiegen in ihr auf. Diese Aufregung verminderte sich nicht, als er, nachdem er sich wegen seiner anscheinenden Zudringlichkeit entschuldigt hatte, mit einem Lächeln bemerkte, daß er, obgleich er sehr wohl wisse, wie oft sie durch die vielen Bewerber um ihre Hand belästigt werde, dennoch dieser Liste einen neuen, obgleich noch nicht erklärten Kandidaten hinzufügen müsse. Wenn diese weitschweifige Einleitung sie vielleicht überraschte oder sogar erfreute, so ward sie bald wieder niedergeschlagen, als sie erfuhr, daß dieser Bewerber kein anderer sei als der gemeine und rohe Corvinus. Denn selbst ihr Vater, welcher so wenig Menschenkenntnis besaß, wenn es sich nicht grade um seine Geschäfte handelte, hatte bei dem letzten Bankett genug von ihm gesehen, um ihm im Gespräche mit seiner Tochter die obenerwähnten Eigenschaften beizulegen.

Sebastianus, welcher mehr die physischen als die seelischen Wirkungen von Afras Zaubertränken fürchtete, hielt es für seine Pflicht Fabiola über den Handel zu belehren, welcher zwischen diesen beiden Pfuschern in der schwarzen Kunst abgeschlossen worden war, wenn er auch sehr wohl einsah, daß der Kern dieses Vertrages darin bestand, daß die Sklavin dem Beutel eines widerstrebenden Dummkopfes Geld entlocken wollte.

Natürlich erwähnte er nichts von dem, was in jenem Zwiegespräch über die Christen gesagt worden war. Er beschwor das junge Mädchen nur auf der Hut zu sein, und Fabiola versprach, von jetzt an die nächtlichen Ausflüge ihrer schwarzkünstlerischen Sklavin zu verhüten. Sie glaubte keinen Augenblick, daß Afra versuchen würde, dasjenige auszuführen, was sie zu thun versprochen hatte, auch fürchtete sie sich durchaus nicht vor der Zauberei welche sie gründlich verlachte und verachtete. In der That schien Afras letztes Selbstgespräch hinlänglich zu beweisen, daß sie ihr Opfer nur täuschen wollte. Aber Fabiola war empört, daß sie der Gegenstand eines Handels zwischen zwei so gemeinen Charakteren gewesen und von der Sklavin wie ein habsüchtiges, geiziges Geschöpf hingestellt worden sei, für welches der Preis eitles Gold war.

»Ich fühle,« sagte sie endlich zu Sebastianus, »wie gütig es von dir ist, herzukommen und mich auf diese Weise zu warnen; ich bewundere die Zartheit, mit welcher du eine so unangenehme Sache behandelt hast, und die Milde, welche du für jeden an den Tag legst, der in diese Angelegenheit verwickelt ist.«

»Ich habe in diesem Falle nur gethan, was ich für jedes menschliche Geschöpf gethan haben würde – ich habe dir nur Kummer und Gefahr erspart,« entgegnete der junge Soldat.

»Ich hoffe, du willst sagen, was du für jeden Freund gethan haben würdest,« sagte Fabiola lächelnd, »sonst fürchte ich, daß dein Leben mit Werken unbelohnter Wohlthätigkeit hingehen würde.«

»Möge es so hingehen! Besser könnte ich es niemals anwenden!«

»Sicherlich Sebastianus, du sprichst nicht im Ernst. Wenn du einen Menschen, welcher dich stets nur gehaßt und deinen Untergang beabsichtigt hätte, von einer Gefahr bedroht sähst, die ihn unschädlich machen könnte, so würdest du doch nicht die Hand ausstrecken um ihm zu helfen oder ihn zu retten?«

»Gewiß würde ich das thun. Gott sendet Seinen Sonnenschein und Seinen Regen ebensogut auf Seine Feinde wie auf Seine Freunde herab. Sollen wir schwachen Menschen denn eine andere Gerechtigkeit üben?«

Diese Worte setzten Fabiola in Erstaunen; sie waren denen auf ihrem geheimnisvollen Pergament so ähnlich, sie waren identisch mit der moralischen Theorie ihrer Sklavin Syra.

»Ich glaube, Sebastianus, du bist im Morgenlande gewesen; hast du diese Prinzipien dort eingesogen?« fragte sie ihn plötzlich.

»Ich habe in meiner Umgebung ein Mädchen von seltenen sittlichen Ansichten, wenn sie auch nur aus eigener Wahl eine Dienerin ist. Sie hat dieselben Gedanken mir gegenüber ausgesprochen und sie ist eine Asiatin.«

»Nein. Nicht in fernen Ländern habe ich sie eingesogen, sondern an der Brust meiner Mutter, obgleich sie ohne Zweifel ursprünglich aus dem Osten zu uns gedrungen sind.«

»Gewiß sind sie schön in der Theorie,« bemerkte Fabiola nachdenklich, »aber der Tod würde uns ereilen bevor wir sie auch nur zur Hälfte zur Ausführung bringen könnten, wenn wir sie zur Richtschnur unseres Lebens machen wollten.«

»Und könnte der Tod uns denn besser finden, wenn auch nicht überraschen, als indem wir unsere Pflicht thun, selbst wenn wir noch nicht bis zur Vollendung vorgedrungen sind?«

»Was mich anbetrifft,« begann das junge Mädchen von neuem, »so bin ich der Ansicht des alten epikuräischen Dichters. Diese Welt ist ein Festmahl, von welchem ich bereit bin mich zu entfernen, wenn ich satt bin – ut conviva satur – aber nicht früher. Ich will das Buch des Lebens bis zu Ende lesen und es ruhig zuschlagen, wenn ich die letzte Seite gelesen habe.«

Sebastianus schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: »Die letzte Seite vom Buche dieses Lebens kommt schon in der Mitte des Bandes, wo immer auch das Wort ›Tod‹ geschrieben sein mag. Aber auf der nächsten Seite beginnt das leuchtende Buch eines neuen Lebens – ohne eine letzte Seite.«

»Ich verstehe dich,« sagte Fabiola gutmütig, »du bist ein tapferer Soldat und du sprichst wie ein solcher. Du mußt stets auf den Tod in tausend Gestalten vorbereitet sein, wir sehen ihn selten plötzlich kommen; er kommt in barmherzigerer Gestalt und heimlich zu den Schwachen. Du denkst ohne Zweifel an ein ruhmreicheres Schicksal, du bist bereit ganze Garben von feindlichen Pfeilen in deine Brust aufzunehmen und mit Ehren bedeckt zu fallen; du siehst dem Grabe des Soldaten entgegen, über dem Trophäen aufgebaut sind. Für dich eröffnet das herrliche Buch des Ruhms seine Seiten nach dem Tode.«

»Nein, nein, edles Mädchen,« rief Sebastianus mit Begeisterung aus. »Das meinte ich nicht. Ich wünsche keinen Ruhm, dessen man sich nur in der Phantasie erfreuen kann. Ich spreche von dem gemeinen Tode, der zu mir kommen kann wie zu dem niedrigsten Sklaven, der mich in schleichendem, brennendem Fieber verzehrt, mich in langer, qualvoller Krankheit vernichtet, mich mit fressenden eiternden Beulen bedeckt. Oder, wenn du willst, von jenem Tode, der mich durch die Wut eines Mitmenschen trifft. Laß ihn kommen in jeglicher Form – er kommt von einer Hand, die ich liebe!«

»Und meinst du wirklich, daß der Tod dir in solcher Gestalt willkommen wäre?«

So freudig würde ich ihn begrüßen, wie der Epikuräer die sich öffnenden Thüren, hinter welchen er die strahlenden Lampen erblickt, die reiche Tafel mit ihren köstlichen Gerichten, und die aufwartenden mit Rosen bekränzten Diener. So glücklich würde ich sein wie die Braut, welcher der herannahende Bräutigam verkündet wird, der mit reichen Gaben kommt um sie ihrer neuen Heimat zuzuführen. Frohlockend wird mein jubelndes Herz schlagen, wenn der Tod – in welcher Gestalt er auch nahen mag – die Thore öffnet, welche Eisen auf dieser Seite, aber Gold auf der anderen sind, und den Weg zu einem neuen und ewigen Leben frei lassen. Mich kümmert's nicht, wie furchtbar der Bote auch sein mag, der mir das Herannahen Desjenigen verkündet, der in himmlischer Schönheit prangt.«

»Und wer ist Er?« fragte Fabiola eifrig. »Kann man Ihn nicht anders erblicken als durch die fleischlosen Rippen des Todes?«

»Nein,« erwiderte Sebastianus, »denn Er ist es, der uns nicht allein für unser Leben, sondern auch für unser Sterben belohnen soll! Glücklich diejenigen, deren innerstes Herz, in welchem Er stets gelesen hat, rein und unschuldig geblieben ist, deren Thaten tugendhaft gewesen! Denn sie werden die strahlende Erscheinung Dessen sehen, der ihnen den Lohn für ihr Leben bringt!«

Wie ähnlich Syras Lehren! dachte sie. Aber ehe sie wieder sprechen konnte, um zu fragen woher diese stammten, trat ein Sklave ein, blieb auf der Schwelle stehen und sagte ehrerbietig:

»Ein reitender Bote ist soeben aus BajaeDamals vornehmer Badeort in der Nähe von Neapel. eingetroffen, Herrin.«

»Verzeih mir, Sebastianus!« rief sie aus. »Er soll augenblicklich eintreten!«

Staubbedeckt und abgehetzt trat der Bote ein; sein ermüdetes Pferd hatte er am Thor zurückgelassen. Er überreichte Fabiola ein versiegeltes Paket.

Ihre Hand zitterte, als sie es in Empfang nahm; und während sie die Schnüre löste, fragte sie zögernd:

»Von meinem Vater?«

»Über ihn wenigstens,« lautete die bedeutungsvolle Antwort.

Sie entfaltete das Papier, ließ das Auge darüber schweifen, schrie auf und fiel zu Boden. Sebastianus nahm sie in seine Arme, legte sie auf ein Ruhebett und ließ sie in den Händen ihrer Dienerinnen, welche auf den Schrei herbeigeeilt waren, zurück.

Ein Blick auf den Bogen hatte ihr genügt.

Ihr Vater war tot.


 << zurück weiter >>