Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Elftes Kapitel

»Am Tage vor dem ersten Juni hörte auf zu leben Präciosa, ein Mädchen, ( puella) eine Jungfrau von nur zwölf Jahren, die Dienerin Gottes und Christi. Unter dem Konsulat des Flavius Vincentius und des Fravitus, eines konsularischen Mannes.« – Gefunden in der Katakombe des Callistus.

Wenn der weise Thomassinus diese erst vor kurzem aufgefundene Inschrift gekannt hätte, als er mit einem so großen Aufwand von Gelehrsamkeit bewies, daß man in den frühsten Zeiten der christlichen Kirche im Alter von zwölf Jahren das Gelübde der Jungfräulichkeit öffentlich ablegen durfte, so würde er sie sicherlich angeführt haben.Vetus et Nova Ecclesiae Disciplina; circa Beneficia. Par. I. lib. III. (Luc. 1727). Denn dürfen wir daran zweifeln, daß »das Mädchen, welches erst zwölf Jahre alt, eine Jungfrau und eine Dienerin Gottes und Christi war,« es nur dadurch gewesen, daß sie Gott geweiht war? Im anderen Falle wäre ihre Jungfräulichkeit in so zartem Alter ja nichts auffallendes und bemerkenswertes gewesen.

Denn obgleich dieses nach römischem Gesetz heiratsfähige Alter dasjenige war, in welchem solche Hingabe an Gott von der Kirche erlaubt war, so bewahrte sie doch jene feierlichere Weihe, in welcher der Schleier der Jungfräulichkeit vom Bischofe verliehen ward, für einigermaßen reifere Jahre auf. Gewöhnlich fand diese Feier dann am Ostersonntag statt.

Jene erste Handlung bestand wahrscheinlich in nichts anderem, als daß das Mädchen aus den Händen der Eltern ein einfaches dunkles Gewand empfing. Wenn aber irgend eine Gefahr drohte, so erlaubte die Kirche die feierliche Weihe schon um viele Jahre früher und bestärkte die Bräute Christi in ihrem heiligen Vorsatze, indem sie ihnen ihren feierlichen Segen erteilte.

Eine Verfolgung der wildesten Art war auf dem Punkte auszubrechen, und diese würde die zartesten Lämmer der Herde nicht verschonen. Es war daher kein Wunder, daß diejenigen, welche sich in ihrem Herzen dem Lamme verlobt hatten, um für immer seine keusche Braut zu sein, wünschten, diese himmlische Hochzeit noch vor ihrem Tode zu feiern. Sie sehnten sich danach, die vollerblühte um Palmen geschlungene Lilie zu tragen, wenn der Tod ihr Los sein sollte.

Agnes hatte seit den frühesten Tagen ihrer Kindheit diesen heiligsten Stand für sich erwählt. Die überirdische Weisheit, so anmutig gepaart mit der Einfachheit eines harmlosen und unschuldigen Kindes, welche sich stets in all ihren Worten und Werken kundgethan hatte, machte sie ihren Jahren weit voraus reif für jede Berücksichtigung, welche man einem Wesen gewähren konnte, dessen Herz sich nach der keuschen, bräutlichen Stunde sehnte. Eifrig griff sie nach dem Anspruch, welchen die nahende Gefahr ihr gestattete, und verlangte die mehr als gewöhnliche Milderung des Gesetzes, welches zu gewöhnlichen Zeiten für die Erfüllung ihres Wunsches noch einen Aufschub von mehr als zehn Jahren vorgeschrieben hätte.

Eine zweite Postulantin gesellte sich diesem Ansuchen bei.

Wir können uns leicht vorstellen, daß zwischen ihr und Syra seit der ersten Unterredung zwischen ihnen, welche wir beschrieben haben, eine heilige Freundschaft erwachsen war. Dieses Gefühl hatte sich gesteigert durch alles, was Agnes von Fabiola zum Lobe ihrer Lieblingssklavin gehört hatte. Hierdurch, und durch die bescheideneren Berichte der Dienerin selbst, hatte sie die Überzeugung gewonnen, daß das Werk, welches sie auszuführen beschlossen hatte – die Bekehrung Fabiolas – vollständig den Händen Syras überlassen werden konnte. Dank der Vorsicht und Zartheit, mit welcher an demselben gearbeitet wurde, war es in augenscheinlichem Gedeihen begriffen. Während der häufigen Besuche, welche sie bei Fabiola abstattete, begnügte sie sich damit, das zu bewundern und zu billigen, was ihre Verwandte ihr von den Gesprächen mit Syra mitteilte, aber sie vermied es auf das sorgfältigste, irgend ein Wort zu sagen, welches den Verdacht irgend eines heimlichen Einverständnisses zwischen ihnen hätte erwecken können.

Nach Fabius' Tode hatte Agnes als eine Verwandte, und Syra als eine Dienerin des Hauses, Trauer angelegt; daher kam es, daß ein Wechsel der Oberkleider in dem Gemüt seiner Tochter nicht den Verdacht rege machen konnte, beide hätten einen heimlichen oder gemeinsamen Schritt gethan. Soweit konnten sie also ohne Gefahr darum bitten, unverzüglich die feierliche Weihe zur ewigen Jungfräulichkeit empfangen zu dürfen. Ihre Bitte wurde genehmigt; aus leicht begreiflichen Gründen jedoch wurde dies sorgsam geheim gehalten. Nur einen oder zwei Tage vor dem glücklichen, an welchem sie ihre geistige Hochzeit feiern sollten, teilte Syra es ihrer blinden Freundin als ein großes Geheimnis mit.

»Und so wollt ihr also alle guten Dinge für euch allein behalten,« sagte letztere, indem sie sich den Anschein gab, traurig zu sein. »Nennst du das Barmherzigkeit?«

»Mein teures Kind,« sagte Syra beruhigend, »sei nicht beleidigt. Es war notwendig, ein tiefes Geheimnis daraus zu machen.«

»Und daher vermute ich, daß ich Ärmste nicht einmal gegenwärtig sein darf?«

»O ja, Cäcilia, gewiß darfst du das. Und du mußt dir auch alles genau ansehen,« entgegnete Syra lächelnd.

»Laß es gut sein mit dem Sehen! Aber sag mir, wie werdet ihr gekleidet sein? Was müßt ihr dazu vorbereiten?«

Syra gab ihr eine genaue Beschreibung des Gewandes und des Schleiers, ihrer Farbe und Schnittes.

»Wie rührend!« sagte sie. »Und was habt Ihr denn dabei zu thun?«

Die andere, belustigt über die ungewohnte Neugierde der armen Blinden, beschrieb ihr die kurze Ceremonie sehr ausführlich.

»So, nun noch eine Frage,« begann Cäcilia von neuem, »wann und wo wird alles dies stattfinden? Du sagtest, daß ich kommen dürfe; da muß ich doch auch die Zeit und den Ort kennen.«

Syra sagte, daß es im Titel des Pastors sein werde, um die Zeit des Sonnenaufgangs, nach drei Tagen.

»Aber was hat dich so neugierig gemacht, meine Liebe? So sah ich dich noch niemals. Ich fürchte, du fängst an, weltlich zu werden.«

»Laß nur gut sein,« antwortete Cäcilia, »wenn Leute vor mir Geheimnisse haben, so sehe ich nicht ein, weshalb ich nicht auch meine eigenen haben soll.«

Syra lachte über diese scheinbare Verdrießlichkeit, denn sie kannte die demütige Einfalt dieses kindlichen Herzens gar wohl. Sie umarmten sich zärtlich und trennten sich. Cäcilia ging gradeswegs zu der gütigen Lucina, denn sie war überall gern gesehen. Kaum hatte die fromme Matrone sie vorgelassen, als sie auf sie zustürzte, sich an ihre Brust warf und in einen Strom von Thränen ausbrach. Lucina beruhigte und liebkoste sie. Nach wenigen Minuten war sie wieder zufrieden und fröhlich und augenscheinlich tief in einer Verschwörung mit der guten Dame; es mußte sich wohl um etwas handeln, das ihr große Freude bereitete. Als sie sich wieder entfernte, war sie glückstrahlend und leichtfüßig und begab sich nach Agnes' Hause, in dessen Hospital der gute Priester Dionysius wohnte. Sie fand ihn zu Hause; und nachdem sie sich vor ihm auf die Kniee geworfen hatte, sprach sie so inbrünstig zu ihm, daß er zu Thränen gerührt ward und ihr gütig und tröstend zusprach. Das Tedeum war damals noch nicht verfaßt; aber etwas sehr ähnliches erklang in dem Herzen des blinden Mädchens, als es sich wieder seinem armseligen Obdach zuwandte.

Endlich kam der glückliche Morgen heran; vor Tagesanbruch waren die heiligen Mysterien bereits gefeiert, und der größte Teil der Gläubigen hatte sich wieder entfernt. Nur jene waren zurückgeblieben, welche an der besonderen Feier teilnehmen sollten und aufgefordert waren, derselben als Zeugen beizuwohnen. Diese waren Lucina und ihr Sohn, Agnes' bejahrte Eltern und selbstverständlich auch Sebastianus. Aber umsonst blickte Syra nach ihrer blinden Freundin aus. Wahrscheinlich hatte diese sich mit der Menge entfernt; und schon fürchtete die sanfte Sklavin, daß sie die Arme durch die Zurückhaltung, welche sie bis vor ihrer letzten Unterredung bewahrt hatte, verletzt haben könnte.

Noch war die Halle in das Dämmerlicht des Wintermorgens gehüllt, obgleich der glühendrote Streif im Osten einen klaren Dezembertag prophezeite. Auf dem Altar brannten wohlriechende Kerzen von ungeheurer Größe, und um diese her standen goldene und silberne Lampen von großem Werte, welche einen milden Glanz in dem Sanktuarium verbreiteten. Vor dem Altar stand ein Stuhl, nicht weniger ehrwürdig als dieser selbst – der Stuhl des heiligen Petrus – welcher jetzt im Vatikan aufbewahrt wird. Auf diesem saß der ehrwürdige Papst, den Stab in der Hand, die Krone auf dem Haupte, und um ihn her standen seine Diener, kaum weniger ehrwürdig als er selbst.

Aus dem Halbdunkel der Kapelle drangen zuerst die Laute süßer Stimmen, die in weichen Tönen einen Hymnus sangen, welcher die Empfindungen, die bald darauf in

»Jesu corona virginum«
»Jesu, der Jungfrauen Krone«Die Hymne der Jungfrauen.

ihre Verkörperung fanden, zum Ausdruck brachten.

Dann trat geführt von den Priestern und Diakonen, deren Obhut sie anvertraut war, die Prozession der bereits geweihten Jungfrauen in die Halle des Sanktuariums. Und in ihrer Mitte schritten zwei, deren blendendweiße Gewänder zwischen jenen dunkelgekleideten hell hervorleuchteten. Dies waren die beiden neuen Postulantinnen, welche, während die übrigen vorüberschritten und zu beiden Seiten Reihen bildeten, von je zwei Geweihten an die Stufe des Altars geleitet wurden, wo sie zu den Füßen des Papstes niederknieten. Ihre Patinnen blieben neben ihnen stehen.

Jede wurde beim Herantreten feierlich gefragt, was ihr Begehr sei; dann sprach sie ihren Wunsch aus, den Schleier nehmen zu dürfen und versprach, die damit verbundenen Pflichten zu üben und zwar unter der Obhut der erwählten Patinnen. Denn obgleich geweihte Jungfrauen schon vor diesem Zeitpunkt begonnen hatten, in Gemeinschaft zu leben, so wohnten doch noch viele derselben in ihrem eigenen Hause; auch verboten die Verfolgungen die Abschließung. In der Kirche befand sich jedoch ein für die geweihten Jungfrauen abgeschlossener Platz, und oft auch kamen sie zum Zweck besonderen Unterrichts oder Andachtsübungen allein zusammen.

Nun wandte sich der Papst an die jungen Aspirantinnen; er sprach zu ihnen in glühenden und liebevollen Worten. Er sagte ihnen, welch ein hoher, herrlicher Beruf es sei, schon auf Erden das Leben der Engel zu führen, welche weder heiraten noch verheiratet werden; denselben keuschen Himmelspfad zu betreten, welchen das fleischgewordene Wort für Seine eigene Mutter gewählt hatte, und dort oben angekommen in die reinen Reihen jener auserwählten Schar aufgenommen zu werden, welche dem Lamme folgt, wohin Es auch geht. Er verbreitete sich über die Lehre des heiligen Paulus, welcher an die Korinther schreibt, daß der Stand der Jungfräulichkeit jedem anderen Stande vorzuziehen sei; und mit tiefem Gefühl beschrieb er das Glück, auf Erden keine andere Liebe zu haben als jene Eine, welche nicht vergeht, sondern mit der Unsterblichkeit im Himmel endet. Denn die ewige Seligkeit sei die Blume, welche aus jener auf Erden geübten Liebe zu Gott im Himmel erblühe, bemerkte er.

Nach dieser kurzen Rede und einer Prüfung der Bewerberinnen um diese große Ehre, fuhr der heilige Papst fort, die verschiedenen Teile ihrer Ordensgewänder durch Gebete zu segnen, welche wahrscheinlich beinahe identisch mit denen sind, welche noch heute gebräuchlich; dann wurden diese Kleidungsstücke ihnen von ihren respektiven Patinnen angelegt. Die jungen Ordensschwestern legten das Haupt auf den Altar zum Zeichen ihrer Selbstopferung. Aber im Abendlande wurde das Haar nicht abgeschnitten wie im Morgenlande, sondern man ließ es stets lang. Dann wurde ein Kranz von Blumen auf das Haupt einer jeden gedrückt; und obgleich es Winter war, hatte die wohlgepflegte und geschützte Terrasse Fabiolas die schönsten und duftendsten Blüten geliefert.

Alles schien beendet. Agnes kniete in einer ihrer strahlend glücklichen Verzückungen mit gen Himmel gerichteten Blicken am Fuße des Altars, während Syra in ihrer sanften Demut in sich zusammengesunken neben ihr lag und sich verwundert fragte, wie sie solch großer Gnade würdig befunden sei. So vertieft waren beide in ihre Gebete, daß sie eine leise Bewegung der Versammlung, als ob sich etwas unerwartetes zugetragen hätte, nicht bemerkten.

Endlich ermannten sie sich, als sie den Bischof die Frage wiederholen hörten: »Meine Tochter, was suchest du?« und bevor sie sich noch umwenden konnten, fühlte jede ihre Hand ergriffen und hörte die Antwort von einer Stimme gegeben, welche ihnen beiden teuer war:

»Heiliger Vater, unter dem Schutze dieser beiden heiligen Jungfrauen, welche schon glückliche Himmelsbräute sind, flehe ich um den Schleier, welcher mich dem Herrn Jesum Christum weiht, der meine einzige Liebe auf Erden ist.«

Sie waren überwältigt von Freude und Zärtlichkeit, denn es war die arme blinde Cäcilia. Als sie von dem Glücke gehört, welches Agnes und Syra erwartete, hatte sie sich wie wir gesehen haben, zu der gütigen Lucina geflüchtet, welche sie bald tröstete, indem sie ihr die Möglichkeit in Aussicht stellte, dieselbe Gnade für sie zu erlangen. Sie versprach, ihr alles zu geben, was notwendig sei; nur bestand Cäcilia darauf, daß ihr Gewand grob sein solle, wie es sich für ein armes Bettlerkind gezieme. Der Priester Dionysius trug dem Papste ihre Bitte vor und erlangte die Gewährung derselben; und da sie wünschte, daß ihre beiden Freundinnen ihre Patinnen sein sollten, wurde es bestimmt, daß er sie nach der Konsekration derselben an den Altar führen sollte. Cäcilie hatte indessen ihr Geheimnis wohlbewahrt.

Der Segen war gesprochen, das Kleid und der Schleier wurden ihr angelegt; dann wurde sie gefragt, ob sie keinen Blumenkranz mitgebracht habe. Zögernd zog sie unter ihrem Gewande den Kranz hervor, welchen sie sich verschafft hatte, einen kahlen, dornigen Zweig, welcher zu einer Krone geschlungen war. Indem sie ihn hinreichte, sagte sie:

»Ich habe keine Blumen, welche ich meinem Bräutigam darbringen könnte. Er trug auch für mich keine Blumen. Ich bin nur ein armes Mädchen, und glaubt ihr, daß mein Herr zürnen wird, wenn ich ihn anflehen werde, mich zu krönen, wie Er sich selbst krönen ließ? Und dann sollen ja auch Blumen die Tugenden derjenigen verkörpern, welche sie tragen; und in meinem öden, unfruchtbarem Herzen ist nichts besseres gewachsen als diese Dornen.«

Sie konnte mit ihren armen, blinden Augen nicht sehen, wie ihre beiden Patinnen ihre Blumenkränze von den Köpfen nahmen, um sie ihr aufzusetzen; aber ein Zeichen des Papstes gebot ihnen Einhalt; und inmitten der weinenden Versammlung wurde sie unter ihrer Dornenkrone freudig lächelnd an den Altar geleitet.

Hat doch die Kirche immer gelehrt, daß Unschuld von Dornen gekrönt die erhabenste Tugend ist!


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