Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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Vorbericht.

Die Glycera oder Glycerion dieser Briefe ist eine ganz andere, als die Glycera des Athenäus, welcher selbst zu vermuthen scheint, daß es mehr als Eine berühmte Schöne dieses Nahmens gegeben habe. Die unsrige ist wenigstens zwanzig Jahre jünger, und mit der Stephanopolis oder Stephanoplokos (Kränzehändlerin oder Kränzeflechterin) des Mahlers Pausias, deren der ältere Plinius erwähnt, und mit der Glycera, welche Alciphron einen so schönen Brief an Menandern schreiben läßt, daß man ihn für ächt halten möchte, eine und ebendieselbe Person.

In dem Menander, den uns diese Briefe darstellen, werden griechischgelehrte Leser (wenn sie anders solchen Lesern in die Hände fallen sollten) alle die Züge wieder finden, die von dem Karakter des berühmten komischen Dichters dieses Nahmens theils aus den übrig gebliebenen Trümmern seiner Werke, nicht ohne eine Art von Divinazion, errathen oder geahnet werden können, theils von dem Herausgeber derselben, Le Clerc, aus alten Schriftstellern zusammengetragen worden sind.

Die sechs Jahre, worin diese Briefe geschrieben sein sollen, fallen zwischen die 116te und 117te Olympiade, in eine Zeit, wo Athen, die glänzende aber stürmische politische Rolle, die es 150 Jahre lang gespielt hatte, und die stolzen Ansprüche an die höchste Gewalt in Griechenland, aufzugeben genöthigt, an dem edlern Vorzug, die Pflegerin der Philosophie und der Musenkünste zu sein, sich allmählich begnügen lernte.

Daß es übrigens bei einem Sittengemählde, wie das vorliegende, um innere Wahrheit, um Verbindung aller Theile zu Einem harmonischen Ganzen, um Übereinstimmung der Personen mit sich selbst und dem Geist ihrer Zeit, und um eine, zwar nicht ängstliche, aber doch zu einem gewissen Grade von Täuschung unentbehrliche Beobachtung des Kostums und andrer karakteristischer Umstände mehr, als um strenge historische und chronologische Wahrheit zu thun sei, bedarf wohl kaum erinnert zu werden.


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