Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XVIII.

Glycera an Nannion.

Ich freue mich auf deine Ankunft in Athen, liebe Nannion, wie ich mich vor sechs Jahren auf die erste Hyacinthe, und auf die erste Nachtigall im Frühling freute. Ich sehe dich in Gedanken, bald Daphne von Apollo gejagt, bald Ariadne auf Naxos, bald die Entführung Proserpinas, oder Orpheus und Euridice tanzen – mit einer Wahrheit des Ausdrucks und Leichtigkeit und Zierlichkeit der Bewegungen, die selbst in Athen noch nie gesehen wurde. Glaube mir, Nannion, du wirst, Trotz deiner kleinen Faunennase, so viel Eroberungen in dieser üppigen Stadt machen, daß du nicht wissen wirst, wo du sie hin thun sollst. Aber du wirst, hoffe ich, weise sein, und, indem du in der Blüthezeit den möglichsten Vortheil von deiner Kunst ziehest, der Zukunft immer eingedenk bleiben, und von unserm Epikur, oder vielmehr von seiner Schülerin und Freundin Leontion, die auch meine Freundin ist, und die deinige werden soll, diese Mäßigung im Genießen lernen, ohne welche das freudenreichste Leben nur ein Bacchischer Rausch ist, auf den ein schmerzhaftes und reuvolles Erwachen folgt.

Menander hat uns seit einigen Monaten verlassen, um seinen Freund DemetriusDemetrius, Phalereus zubenannt, war einer der ausgezeichnetsten Männer dieser Zeit, der sich, wie Menander, in der Schule des berühmten Theophrast gebildet hatte. Er beherrschte die Athener zehen Jahre lang beinahe noch unumschränkter, als ehemals Perikles, erfuhr aber ebenfalls die Unzuverlässigkeit der Volksgunst, und mußte sich, den Folgen derselben zu entgehen, zu dem König Ptolemäus Lagus nach Ägypten flüchten. nach Alexandrien zu begleiten, wohin ihn der König Ptolomäus sehr verbindlich eingeladen hat. Ich bin seit mehrern Jahren so gewohnt worden, alle zwei oder drei Tage mit ihm zuzubringen, daß mir durch seine Abwesenheit ein Theil meiner Selbst zu fehlen scheint. Ohne den äußerst anziehenden und unterhaltenden Umgang mit meiner neuen Freundin, Leontion, wüßte ich mir wirklich kaum zu helfen. Denn, daß ich der Lieblingsbeschäftigung meiner kindlichen Jahre, des ewigen Blumenlesens und Zusammengattens, endlich müde worden bin, und durch Menandern eine edlere und genußreichere Art von Dasein kennen gelernt habe, kannst du dir leicht vorstellen. Anfangs wollt' er mich bereden, ihm nach Ägypten zu folgen, und ich fühlte mich nicht wenig dazu versucht: aber bessere Gedanken kommen über Nacht: er selbst machte sich, als Ernst daraus werden sollte, Einwürfe, auf die er keine Antwort fand: und so blieb ich hier, und erwarte seine Wiederkunft um so sehnlicher, da ich seit unsrer Trennung nur zwei Briefe von ihm erhalten habe.

Ein Zufall hat inzwischen dem Komödiendichter Philemon Gelegenheit verschafft, uns einen wichtigen Dienst zu leisten, und unsere Verlassenheit durch seine Besuche zu erheitern. Denn dieser Philemon ist, Trotz seiner funfzig Jahre, seines halbgrauen Kopfs, und seiner auffallenden Häßlichkeit, in Gesellschaft einer der kurzweiligsten Menschen die ich noch gesehen habe. Sein böser Dämon hat den Alten mit einer Art von Leidenschaft für deine Freundin angehaucht, die ihn zum Helden einer viel lächerlichern Komödie macht, als er jemals auf den Schauplatz gebracht hat. Anfangs konnt' ich lange nicht von mir erhalten, dem Menschen, der mit schlechten Stücken schon so oft den Sieg über meinen Menander erhielt, ein freundliches Gesicht zu verleihen: aber seitdem er uns diese Komödie giebt, hab' ich mich unvermerkt mit ihm ausgesöhnt. Denn, damit ich ihm erlaube, mir von Zeit zu Zeit eine erzkomische Liebeserklärung zu thun, und mich in einem seiner Stücke die Gute zu nennen, läßt er sich so übel von mir mitspielen, als ich Lust habe. Du bildest dir vielleicht ein, daß er seine Häßlichkeit und seinen grauen Ziegenbart durch Freigebigkeit gut machen werde: aber da würdest du dich sehr irren; er ist der zäheste Filz in ganz Athen. Gleichwohl bringt ihn Amor, »der Götter und der Menschen Herrscher,« dahin, daß er sich zuweilen mit kleinen Geschenken wehe thut, auf die er einen so hohen Werth legt, als ob er die Schätze des Krösus mit mir theilte. So schickte er mir neulich an meinem Geburtstag ein winziges Körbchen voll sehr gemeiner Blumen aus seinem eignen Garten, die, seiner Versicherung nach, die einzigen in Attika waren; und an einem kleinen Gastmahl, das meine Mutter an den Lenäen gab, wußte er sich nicht wenig mit einem Kruge Syrakuserwein, den er zum Feste beisteuerte, aber, wohl zu merken, nicht etwa für sein Geld gekauft, sondern von einem Freunde geschenkt bekommen hatte. Doch genug von diesem Ehrenmanne, dessen Freundschaft uns, da wir hier fremd sind, und er bei einigen Häuptern der Stadt viel vermag, in Abwesenheit unsers bisherigen Beschützers, nicht so gleichgültig ist, daß wir sie ganz vernachlässigen dürften.


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