Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXII.

Glycera an Leontion.

Seit zehn oder zwölf Tagen spielt Menander eine sonderbare Rolle, deren Sinn und Zweck ich mir nicht recht erklären kann, liebste Leontion. Vielleicht findest du den Schlüssel dazu. Er kommt tagtäglich ein- oder zweimal herbeigelaufen, um sich nach unser aller Wohlsein zu erkundigen. Sogar mein Schoßhündchen, Myrto's Ciperkatze und Melittions Goldfink liegen ihm am Herzen; er frägt nach uns allen mit großer Theilnehmung, sagt mir etwas verbindliches über mein Aussehen und meine gute Farbe, und verschwindet – seiner vielen dringenden Geschäfte wegen, eben so plötzlich wieder, als er gekommen war. Von Nannion ist keine Rede mehr, und wenn eine meiner Schwestern ihrer erwähnt, sollte man meinen, er höre zum erstenmal, daß eine Person dieses Namens in der Welt sei; und doch ist nichts gewisser, als daß er sie täglich besucht, und überall erscheint, wo er vermuthen kann sie anzutreffen. Bildet der eitle Mensch sich etwa ein, ich werde mir seine Untreue so tief zu Herzen nehmen, daß ich ein solches Linderungsmittel nöthig haben könnte?

Die gute Nannion ist aufrichtiger. Nach mehreren Tagen, daß sie sich nicht bei uns sehen ließ, erschien sie diesen Morgen zu einer Stunde, da sie mich sicher allein zu finden glaubte. Der erste schüchterne und beschämte Blick, den sie, statt ihn auf mich zu richten, vor mir niedersinken ließ, verrieth mir sogleich, warum sie gekommen war. Ich sah, daß ein Geheimniß sich mühsam in ihrer Brust herauf arbeitete; sie versuchte zu reden, aber der Athem versagte ihr, und um nicht zu ersticken, fand sie sich genöthigt unter dem Vorwand der Hitze des Tages (die gerade nicht sehr groß war) ihren Gürtel abzulegen. Das Mädchen dauerte mich, ich mußte ihr zu Hülfe kommen.

Du hast etwas auf deinem Herzen, Nannion?

»Leider! etwas sehr drückendes.«

Entledige dich dessen in den Busen einer Freundin, vor der du nie ein Geheimniß hattest.

»Es ist mir unmöglich.«

Warum unmöglich?

»Ich müßte in die Erde vor dir sinken, liebste Glycerion.«

Ah! Nun fang' ich an zu errathen. Da steckt gewiß Menander dahinter?

(Sie fuhr zusammen, und starrte vor sich auf den Boden hin.)

Gut, Nannion! Menander also –

»Liebt mich!« – flüsterte sie, nach einigem Zögern, mit kaum hörbarer Stimme.

Das ist nun eben kein großes Wunder! – Und du? Du liebst ihn natürlich wieder?

Sie wurde über und über roth, sah in ihren Busen, und schwieg.

Warum so zurückhaltend, liebe Nannion?

»Wie kann ich dir gestehen, daß ich ihn liebe?«

Ich sollte denken, Liebe zu einem Mann, wie Menander, dürfte man der ganzen Welt gestehen?

»Der ganzen Welt, nur Dir nicht, beste Glycerion! Ich schäme mich vor dir und mir selber, wenn ich denke, daß ich meiner Glycerion ihren Freund stehlen soll?«

Nur meinen ehmaligen Liebhaber, gutes Mädchen, nicht meinen Freund. Im Gegentheil, ich hoffe, du sollst ein neues Band sein, das unsere Freundschaft noch fester zusammen ziehen wird.

Sie breitete ihre schönen Arme um mich, und ließ den Kopf auf meinen Busen sinken. »O wie gut, wie liebenswürdig bist du, rief sie, wie kann Menander dir untreu werden!«

Sei ruhig, liebe Nannion! die Natur hat es nun einmal so geordnet. Die Freundschaft allein kann beständig sein. Die Liebe ist es nie, denn sie ist bloße Täuschung.

»Täuschung? – rief sie; nein, Glycerion, das fühl' ich zu stark, daß meine Liebe zu Menandern keine Täuschung ist!«

Und die seinige zu dir? Natürlich glaubst du, auch sie täusche dich nicht?

»Ich glaubte es; aber du hast einen schmerzlichen Zweifel in mir erregt! Wer dich liebte, von dir wiedergeliebt wurde, und dir untreu werden kann –«

Das ist ihm schon mehr als einmal begegnet

»Du verwirrest mich immer mehr, Glycera.«

Es wird auch dir begegnen, gutes Mädchen. Unbeständigkeit und Untreue ist etwas, worauf du rechnen mußt, sobald du der Liebe eines Mannes Gehör giebst. In diesem Stück sind sie einander alle ähnlich.

»O wie wohl habe ich gethan, daß ich ihm meine Liebe noch nicht gestanden habe!«

Wie? Du hast ihm noch nicht gesagt, daß du ihn liebest?

»Das Wort war mir schon oft auf der Zunge, aber immer hielt es der Gedanke an dich zurück.«

Laß dich diesen Gedanken nicht mehr abhalten. Du liebst und wirst geliebt – denn ganz gewiß glaubt Menander in diesem Augenblick dich eben so wahr und innig und ewig zu lieben, als Du es glaubst. Macht einander glücklich! Dazu allein ist die Liebe da. Je länger, desto besser! Sie ist eine süße Frucht aus dem Garten der Götter, aber sie verzehrt sich im Genuß. Wer sich lange an ihr laben will, muß – sehr genügsam sein. Und doch – laß sie auch Jahre lang dauern, sie wird endlich aufgezehrt – oder man müßte sich, wie der weise Plato will, am Anschauen begnügen: was meines Wissens noch nie geschehen ist, wenn die Liebenden, wie ihr, frisches Blut hatten, Herren über sich selbst waren, und von keiner Pflicht gefesselt wurden.

»Du hast mich in eine seltsame Verwirrung der Gedanken geworfen, liebe Glycera. Ich werde alles wohl überlegen, wenn ich wieder allein bin. Aber –«

Menander wird kommen, und alle deine Überlegungen und Vorsätze mit seinem ersten Blick verschwinden machen. Ihr werdet die süße Götterfrucht so lange anschauen, bis ihr die Hand nach ihr ausstreckt – kurz, es wird euch ergehen, wie allen, die vor euch geliebt haben, und nach euch lieben werden. Aber ich will dir einen guten Rath mitgeben, meine Nannion. Es giebt eine Kunst, die Männer absichtlich zu verführen; es ist eine verächtliche Kunst, und die Natur hat reichlich dafür gesorgt, daß Du ihrer nicht bedarfst. Aber es giebt auch eine Kunst, sich die Liebe eines Mannes lange zu erhalten und diese ist eben so löblich als heilsam. Sie gleicht hierin der Kunst der Ärzte: Unsterblichkeit kann diese nicht geben; aber sie kann, in vielen Fällen wenigstens, das Leben länger erhalten, als es ohne sie dauern würde.

»Ich möchte diese Kunst wohl lernen, Glycerion –«

Sokrates theilte sie ehmals der schönen Theodota mit, und Xenophon, der dabei zugegen war, schrieb ihr Gespräch auf. Ich will diesen Unterricht, weil er sehr kurz gefaßt ist, für dich abschreiben, und du wirst wohl thun, wenn du ihn auswendig lernst, und fleißig darüber nachdenkst.

Nannion schied ziemlich getröstet von mir; und meine erste Beschäftigung war, es zu machen, wie Xenophon, und unsre Unterredung für meine Leontion von Wort zu Wort niederzuschreiben, weil ich gewiß bin, daß du dem gutartigen Mädchen auf immer hold dadurch werden wirst. Vielleicht hätte ich sie mit den bittern Wahrheiten, die ich ihr sagte, verschonen sollen, da sie doch zu nichts helfen werden. Aber dies ist es auch, womit ich mich tröste. Alles wird doch gerade so gehen, als ob ich meine Weisheit für mich behalten hätte. Denn es giebt nun einmal kein Mittel gegen die Liebe, als – sie selbst.


 << zurück weiter >>