Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XIV.

Menander an Dinias.

Empfange nochmals meinen Dank für die Freundschaft, die du mir durch deinen Besuch an den Dionysien erwiesen hast. Dein Beifall würde mich entschädiget haben, falls ich den Kranz abermals einem andern hätte überlassen müssen: um so angenehmer war mir's, daß du, wie ich versichert bin, nicht wenig zum Siege meiner Brüder beigetragen hast. Seitdem nicht mehr der innere Werth eines Stücks, als Kunstwerk betrachtet, sondern Verabredung, Einfluß von Gunst oder Mißgunst gewisser Partheien, und geheime Zusammenverschwörungen für oder wider ein neues Stück, den Sieg oder die Niederlage eines Mitbewerbers um den Epheukranz entscheiden, hat ein Dichter zwar wenig Ursache auf einen Triumph, woran er selbst so wenig Antheil hat, stolz zu sein: aber immer durchfallen, und immer Den, den wir wirklich geschlagen haben, als Sieger ausrufen hören, wird doch in die Länge so unangenehm, daß man endlich zufrieden ist, wenn man nur den Preis erhalten hat, sei es auch damit zugegangen, wie es wolle.

Noch sicherer, als ich für meine Brüder auf deinen Beifall zählte, konnt' ich darauf rechnen, daß Glycera dir gefallen würde, die in ihrer Art noch einziger ist. Was wirst du also von mir denken, wenn ich dir gestehe, daß ich, der einen so zarten Sinn für ihre Liebenswürdigkeit hat, dennoch einer unwürdigen Buhlerin die Freude gemacht, sich schmeicheln zu können, daß sie einen Triumph über das holde Mädchen erhalten habe?

Du erräthst leicht, daß hier von Bacchis die Rede ist, da du ein Augenzeuge der hitzigen Angriffe warst, welche sie an dem Abend, den wir bei Glycera zubrachten, auf meine Beständigkeit machte. Du sahest aber auch, wie wenig sie damals Ursache hatte, sich des Erfolgs ihrer Bemühungen zu rühmen. In der That hatte sie, in Hoffnung ihren Sieg zu beschleunigen, einen Aufwand von Anstalten gemacht, der ihrer Absicht mehr schadete, als nützte. Sie bestürmte meine Augen (den einzigen Sinn, gegen welchen sie damals ihre Angriffe richten konnte) auf einmal zu stark, und das, was sie damit wollte, sprach zu laut an, um nicht jedem Manne, der nicht alles Zartgefühls ermangelte, anstößig zu sein. Es bedurfte nur von Zeit zu Zeit einen Blick auf Glycerion, deren anspruchlose Einfachheit so gewaltig von der prunkvollen Nacktheit der stolzen Bacchis abstach, um allen Zauber ihrer so übermüthig ausgelegten Reitze zu vernichten.

Daß Bacchis alles dies hinten nach sich selbst gesagt haben müßte, zeigte sich einige Zeit darauf, bei einem großen Gastmahl, welches Xanthippides seinen Freunden an den Panathenäen gab, wozu, nebst mir, auch Glycerion und ihre Mutter eingeladen waren. Er und seine gefällige Freundin hatten es darauf angelegt, ihre neulich mißlungenen Anschläge bei dieser Gelegenheit mit besserm Erfolg auszuführen, und waren (wie ich deutlich merken konnte) übereingekommen, einander dazu behilflich zu sein. Bacchis zeigte sich diesmal als eine Meisterin in den schlauesten Kunstgriffen des Hetärischen Putztisches. Sie war mehr edel und zierlich als schimmernd angezogen, beinahe matronenmäßiger, als ihr zukam: doch so, daß die Augen zwar geschont, aber die Phantasie und die Erinnerung des ehemals gesehenen desto lebhafter beschäftigt wurden. Der verschwenderische Xanthippides hatte nichts vergessen, was sein Fest glänzend machen, und der schönen Glycera von seinem Reichthum sowohl als von seiner Freigebigkeit eine hohe Meinung beibringen konnte. Die prachtvolle Halle, worin man speiste, war von großen Blumenstücken und blühenden Gebüschen umgeben, die mit bequemen Sitzen, Lauben und kleinen Kabinetten reichlich versehen waren.

Nach aufgehobener Tafel lockte die Schönheit der Nacht die Gäste, sich in den Gebüschen zu zerstreuen, und so fand Xanthippides Gelegenheit, sich mit Glycerion ungestörter als das erste Mal zu unterhalten, und Bacchis sich mit deinem Freund unversehens allein zu befinden. – Du kennst diesen zu gut, als daß er dir erst zu sagen brauchte, mit welchem Erfolg. In der That mochte sie wohl selbst nicht erwartet haben, daß er ihr den Sieg so leicht machen würde; und vermuthlich war dieser Umstand für sie ein Beweggrund mehr, ihn keinen bedeutenden Vortheil von einer so günstigen Gelegenheit ziehen zu lassen. Denn Ihr war es darum zu thun, ihn, wo nicht gänzlich, doch lange genug von Glycera zu entfernen, um für Xanthippides so viel Zeit zu gewinnen, als er nöthig haben möchte, sich derselben zu nähern und gehört zu werden.

Du kannst leicht erachten, Dinias, daß die Sprödigkeit einer Bacchis deinen Freund nur desto mehr erhitzte, sein Ziel zu verfolgen – kurz, denn ich kann über dieses Glatteis nicht schnell genug hinwegkommen – sie wußte sich ganzer drei Wochen lang seiner so völlig zu bemächtigen, daß er (wiewohl nicht ohne Widerspruch seines Herzens) in dieser langen Zeit, die ihm freilich sehr kurz vorkam, Glycerens Haus vermied, und die Vorwürfe, die ihm seine bessere Seele deswegen machte, dadurch zu beschwichtigen suchte, daß er sein Wegbleiben alle drei Tage durch ein heuchlerisches Entschuldigungsbriefchen mit vorgeschützten Geschäften und unvermeidlichen Abhaltungen rechtfertigte. Aber kaum hatte er bei Bacchis seinen Zweck erreicht, so würde er, Trotz allen ihren Reitzungen, noch an demselben Tage zu Glycera zurückgekehrt sein: wenn ihn nicht die Scham und die Unmöglichkeit, ihr seine Untreue zu verheimlichen, so lange abgehalten hätte, bis Sie Selbst den ersten Schritt that, und ihm in dem Briefe (den ich dir mittheile) mit einer Verzeihung zuvorkam, die er so leicht nicht zu erhalten gehofft hatte.

Wirklich kostet es dem holden Mädchen zu wenig, mir zu verzeihen, als daß es mir viel mehr kosten könnte, mich mit mir selber auszusöhnen. Sie weiß dem ganzen Handel einen so komischen Anstrich zu geben, und Bacchis, mit ihrer fehlgeschlagenen doppelten Hoffnung und mit ihrer Gutmüthigkeit, mir den Lohn eines sehr ungewissen Erfolgs vorauszuzahlen, kommt ihr so lächerlich vor, daß ich beinahe wider Willen mitlachen muß. Denn ich kann nicht bergen, diese leichte Art, die Sache zu nehmen, will mir nicht recht gefallen, und beweiset mir wenigstens so viel, daß Glycerions Liebe zu mir das nicht ist, was ich mir einbildete; daß sie mehr den Namen der Freundschaft, als der Liebe verdient. Es giebt sogar Augenblicke, wo ich mir's kaum ausreden kann, daß sie mehr meinen Ruhm, als mich selbst liebt, und daß ich ihr vielleicht noch gleichgültiger als Xanthippides wäre, wenn sie sich nicht geschmeichelt fände, einen Dichter, dessen Namen die ganze Hellas kennt, zum erklärten Verehrer zu haben. Sollte sie mir jemals Ursache geben, mich von diesem vielleicht ungerechten Argwohn völlig überzeugt zu halten – nun dann? – so hätt' ich mich eben an ihr getäuscht, ohne daß ich darum berechtigt wäre, mich über sie zu beklagen. Denn im Grunde, könnte wohl eine übermüthigere Forderung erdacht werden, als wenn ein Mensch um seines kahlen Ichs willen geliebt sein wollte?


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