Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XI.

Glycera an Nannion.

Ich mahle ein wenig, wie du weißt; aber dir Menandern zu mahlen, es sei mit Worten, oder mit dem Pinsel, getraue ich mir nicht, wiewohl man sagt: der Liebe sei alles möglich. Eine Art von Schattenbild kann ich dir allenfalls wohl von ihm machen, wenn du damit zufrieden bist. Verlangst du mehr, so weiß ich dir keinen bessern Rath, als, berede deine Base, es zu machen wie meine Mutter, und nach der schönen Minervenstadt zu ziehen, wo dir deine Kunst die Häuser aller Günstlinge des Glücks, und deine Liebenswürdigkeit die Herzen aller edeln Menschen, öffnen wird. Mit Vergnügen würde deine Glycerion die Freundschaft ihres Menanders mit dir theilen. Und nun die Hand ans Werk!

Menander ist von mittlerer Größe, und kann, ob ihn gleich Polykletus eben nicht zum Modell seines Kanons genommen hätte, in den Augen einer Geliebten für einen ganz hübschen Mann gelten. Du merkst, denke ich, daß ich dir eben so wohl hätte geradezu sagen können, daß seine glänzende Seite nicht die äußere ist. Seine Gesichtsbildung ist fein und geistreich, seine Stirne breit und hoch, sein Auge etwas hervorstehend und voll Feuer, und um seinen Mund, den die Grazien ausdrücklich zum sprechen und – zum küssen gebildet zu haben scheinen, schwebt ein leiser, mehr kitzelnder, als beissender Spott, vom zartesten Gefühl des Schicklichen gemildert. Ich darf dir nicht verbergen, daß er, wie die Leute sagen, ein wenig schielen soll. Anfangs ward ich es nicht gewahr: aber da mich meine Schwester Myrto aufmerksam darauf machte, konnt' ich's ihr nicht ganz abstreiten, wiewohl es mir mehr etwas Angewöhntes, als ein Naturfehler scheint. Gewiß ist, daß es ihm gar nicht übel läßt. Es giebt ihm etwas angenehm schalkhaftes, etwas von der Miene der besten Sokratesköpfe, – also etwas Faunenhaftes, wirst du sagen – denke davon was du kannst – mir gefällt er darum nur desto besser, und ich möchte ihn nichts anders haben als er ist. Die Lebhaftigkeit seines Geistes, und die Reitzbarkeit seiner Sinne leihen ihm bei Gelegenheit etwas schwärmerisches, das zuweilen in Begeisterung übergeht: aber im Grund ist er (wenn ich mich nicht sehr an ihm irre) ein so kaltblütiger Sterblicher, als ein Athener und ein Dichter möglicher Weise sein kann. Er liebt das Vergnügen und die Freude mehr als Ruhm und Gold: und wenn seine Komödien die Werke aller seiner Zeitgenossen und Nebenbuhler verdunkeln und auslöschen, wie die Mittagssonne den Mondschein und das Sternenlicht: so ist weder Ruhmsucht noch Begierde, dem großen Haufen zu gefallen, die Ursache davon, sondern eine angeborne Liebe zum Schönen, und ein Kunstgefühl, das ihm nicht eher erlaubt, die Hand von einem Werke abzuziehen, bis es so rund, glatt und vollendet ist, daß sein zartes Gefühl nichts mehr daran zu polieren findet. Desto mehr ist zu bewundern, daß er in einem Alter von dreißig Jahren bereits über zwanzig Stücke geschrieben hat, wovon immer eines das andere an Schönheit und Interesse übertrifft. Es sind eben so viele sprechende Sittengemählde, zwar aus unsrer Zeit genommen, aber auf alle Zeiten passend, so getreu sind die wahren Züge und Lineamente der Menschheit darin nachgezeichnet, und der Natur wie aus den Augen gestohlen. Seinen großen Ruhm hat ihm nicht die Volksgunst und der Beifall des großen Haufens, sondern das Gefühl und Urtheil der gebildetsten unter seinen Zeitgenossen gemacht: denn er hat bis itzt kaum dreimal den Sieg über seine Mitwerber, Alexis, Apollodorus, Diphilus und Philemon erhalten.

Man sagt – nicht ohne allen Grund vermuthlich – daß sein Hang zu unserm Geschlecht seine schwächste Seite sei. Er kann, heißt es, weder der Allmacht der Schönheit, noch dem Zauber des Reitzes widerstehen, und wer auf unverletzliche Treue in der Liebe bei ihm rechnet, wird sich übel betrogen finden. Dafür hat er ein Herz, das für die Freundschaft gemacht ist, und wofern diejenige, die ihm Liebe einflößt, Achtung und Vertrauen verdient, kann sie sicher sein, daß sie einen Freund aufs ganze Leben gewonnen hat.

Doch, die Hand von der Tafel! Denn es ist gerade nicht mein Wille, Nannion, daß du dich in mein Gemählde verlieben sollst.


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