Christoph Martin Wieland
Menander und Glycerion
Christoph Martin Wieland

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XXXVIII.

Leontion an Glycera.

Ich begreife dich nicht, liebe Glycerion. Was für einen Beweggrund kannst du haben, unsern Freund Hermotimus auf so harte Proben zu stellen? – Du gestehst, daß du ihn liebenswürdig findest, und wie sollte auch ein Mann, der so viele Vorzüge, Wohlgestalt, ungeschwächte Jugend, reine Sitten, Sinn für alles Schöne, und Liebe der Musen, in sich vereinigt, und dem sogar der Reichthum, wegen des edeln Gebrauchs, den er davon macht, zum Verdienst angerechnet wird: wie sollte ein solcher Mann nicht liebenswürdig sein? Und welches Weib, das über sich selbst zu gebieten hat, würde sich durch die Art, wie du von ihm geliebt wirst, nicht geehrt finden? Wie selten ist an unsern Männern sein zarter Sinn für deinen innern Werth, für alles, was dich von unsern übrigen Schönen so sehr zu deinem Vortheil unterscheidet? Ohne blind und gefühllos für das reitzende Weib zu sein, ist es doch gewiß nicht, was du mit so vielen gemein hast, und worin du vielleicht von manchen übertroffen wirst, was ihn an dich fesselt. Du selbst kannst daran nicht zweifeln. Seine Liebe ist kein schwärmerisches Gebraus, keine sich selbst verzehrende Leidenschaft, (um dir einen Ausdruck aus deinem letzten Brief an Menandern abzuborgen) sie trägt alle Merkmale einer reinen, von der Vernunft selbst gebilligten Zuneigung. Wenn man je der Liebe eines Mannes zutrauen konnte, daß sie von Selbsttäuschung frei sei, so ist es die seinige; und wenn je ein Weib hoffen durfte, treu und beständig geliebt zu werden, so darfst es Du. Daß du nicht gleichgültig gegen ihn bist, hast du mir selbst gestanden, und wie solltest Du, deren Augen so getreue Spiegel deines Innern sind, Du, in deren Gesicht jedermann alles, was in deinem Gemüth vorgeht, lesen kann, und deren ganze Person ein beständiger Wiederschein desselben zu sein scheint: wie wolltest du die Gewalt verbergen können, die du dir anthun mußt, dich den Bewegungen deines Herzens nicht zu überlassen?

Wozu also, um aller Grazien willen! dieser Zwang, der für Ihn peinvoll ist, und Dir schwerlich Vergnügen machen kann? Was kann dich abhalten, deine Lippen bekräftigen zu lassen, was ihm deine Augen schon so oft verrathen haben? Und wozu vollends das sich selbst Widersprechende in deinem Betragen gegen ihn? In Gesellschaft zeichnest du ihn geflissentlich vor allen andern aus, und begegnest ihm mit einer Achtung, Gefälligkeit und Anmuth, die ihn nothwendig immer mehr an dich fesseln muß: sobald du dich mit ihm allein siehest, wirst du entweder einsylbig, oder kränkest ihn durch den leichtsinnigen ironischen Ton, womit du über seine Liebe scherzest. – Verzeih Ihm, daß er nach langem Dulden und Schweigen sich endlich den Trost nicht länger versagen konnte, seine Klagen dem Busen einer gemeinschaftlichen Freundin zu vertrauen. – Noch Einmal, liebe Glycera, wie soll ich mir dieses Benehmen erklären? Solltest du dich wohl gar ungern von den Vorzügen des Hermotimus gerührt fühlen? Sollte Menander, ohne daß du es dir selbst gestehen willst, noch in deinem Herzen herrschen? Solltest du schwach genug sein, dich auf den möglichen Fall aufzusparen, daß Sattheit und Langweile ihn wieder zu dir zurückführen könnten? Siehe zu welchem Gedanken du mich nöthigest! Ich weiß, daß ich dir dadurch Unrecht thue, und sehe doch keinen andern Weg, mir dein Betragen gegen einen Mann begreiflich zu machen, der, das Einzige ausgenommen, daß er keine Komödien schreibt, Menandern in allen andern Stücken hinter sich läßt, und von dem du nie zu besorgen hast, daß er dich einer Nannion aufopfern werde. Indessen ist es sehr wahrscheinlich, daß es dich, so wie die Sachen zwischen deinem Ungetreuen und dieser holden Faunin stehen, nur einen Wink kosten würde, um ihn wieder zu deinen Füßen zu sehen. Die Umstände haben sich, Dank der Klugheit der alten Base, und der grenzenlosen Gutherzigkeit der Nichte, seitdem diese an dem Hochzeitfeste der Tochter des ersten Archon ihre Künste ausgelegt hat, gar sehr geändert. Es haben sich so viele kauflustige Kunstfreunde hervorgethan, daß die Alte, um soviel möglich keinen ganz unbefriedigt zu lassen, nöthig befunden hat, eine festgesetzte Taxe für den ausschließlichen Besitz der Künstlerin auf bestimmte Zeiten, unter der Hand bekannt zu machen. Zehen Tage werden ein gemeines attisches Talent, ein Monat deren fünf, aber ein ganzes Vierteljahr nicht weniger als fünf und zwanzig Talente kosten. Die schlaue Alte hat bei dieser dem ersten Anschein nach verhältnißwidrigen Taxe sehr richtig auf die Narrheit unsrer jungen Krösussöhne gerechnet. Xanthippides, der sichs nun einmal in den Kopf gesetzt hat, in allen Arten von Thorheit unübertrefflich zu sein, hat sein bestes Landgut in Lemnos verkauft, um sich des Alleinbesitzes dieses Kleinods für die nächsten drei Sommermonate zu versichern. Du siehst, daß unserm Dichter bei so bewandten Umständen nichts, als ein schöner Rückzug übrig blieb. Auch hat er, schon ein paar Tage bevor der Handel mit Xanthippides völlig abgeschlossen worden war, seinen Freunden zu erkennen gegeben, daß er, der Grundlehre des Lyceums und des Wahlspruchs des weisen Chilon eingedenk, den Augenblick der Übersättigung nicht abwarten wolle, und daher den Platz, den ihm Amor unentgeltlich verschafft habe, dem Plutus mit Vergnügen überlasse. Die Wahrheit ist, daß der gute Menander, den ich gestern zufällig bei Metrodoren antraf, in den letzten drei Wochen um dreizehn Jahre älter geworden scheint; und wenn er zugleich um zwanzig oder dreißig weiser geworden ist, so möcht' er noch Ursache haben, mit seinem Schicksal zufrieden zu sein. Auf jeden Fall traue ich weder Ihm soviel Unverschämtheit zu, sich wieder bei dir einschleichen zu wollen, noch Dir ein solches Übermaß von Gutherzigkeit, daß du dich verbunden halten solltest, ihn dafür zu entschädigen, daß er den reichsten Gecken in Attika nicht überbieten konnte. Ich bitte dich also, liebe Glycera, die Nachrichten, die ich dir von deinem alten Freunde mitgetheilt habe, blos als einen Beweis aufzunehmen, daß er noch nicht so tief in meiner Achtung gesunken ist, daß ich ihn unserer Aufmerksamkeit unwürdig halten sollte.


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